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und hinunter müssen, wenn sie mit aller Gewalt die Stühle um den Thron des Lammes aufzustellen bemüht wären, wenn sie nicht sich sorgfältig hüteten, den festen Boden der Natur zu betreten, wo Jeder nur ist, was er ist, wo wir Alle gleiche Ansprüche haben? Halte man dagegen ein Buch wie den dritten Theil der Ideen, sehe erst, was es ist und frage sodann, ob der Autor es hätte schreiben können, ohne jenen Begriff von Gott und der Welt." 14) Ob freilich durch das Buch seine Bedenken, die er vor Empfang des freudig erwarteten Buches äusserte, zurückgedrängt wurden, ist eine andere Frage. Er wird gewiss." hatte er früher geschrieben, ,,den schönen Traumwunsch der Menschheit, dass es dereinst besser mit ihr gehen werde, trefflich ausgeführt haben. Auch muss ich selbst sagen, halte ich es für wahr, dass die Humanität endlich siegen wird; nur fürchte ich, dass zu gleicher Zeit die Welt ein grosses Hospital und einer des andern humaner Krankenwärter sein wird." 15)

Gereift und geläutert mit vollkommner zielbewusster Klarheit über seinen Beruf als Dichter, das Auge noch voll von der Schönheit und Heiterkeit der klassischen Kunst, im Besitze einer beruhigenden, auf dem Grunde des Spinozismus erbauten, individuell ausgestatteten Weltanschauung, voll wahrhaft julianischem Hass gegen das äusserliche Kirchen-Christenthum, das er in Italien kennen gelernt, voll Liebe zur Natur und allem wahrhaft Ideellem kehrte Goethe als Meister von diesen Wanderjahren zurück,,,umgeben von einer höheren Weihe, durch die freilich das blödere Auge nicht mehr durchzudringen und den eigentlichen Kern zu erkennen vermochte." 16) Er brachte,,Iphigenie" und ,,Tasso" in ihrer klassischen Gestalt mit. Gewiss, keines von beiden hat eine religiöse Tendenz. Wer könnte aber leugnen, dass in der wunderbaren Gestalt Iphigeniens ein Idealbild Blut und Leben gewonnen hat, wie es nur durch die Vermählung alt-* klassischer Schönheit mit christlichem Geiste im Herder'schen Sinne möglich war? Sie steht da, mit jedem einzelnen Zuge auf etwas Höheres deutend,,,eine reine Seelengrösse, so leib

14) Italienische Reise, Castel Gandolfo den 8. Okt. eigentl. den 12. 15) S. Düntzers Einleitung zu den Ideen in Hempels Ausgabe der Herder'schen Werke.

16) J. v. Müller's Gedenkrede auf Goethe.

haftig, so wahr, dass sie uns tief innerlich bewegt. 17) Und wieder im Tasso wird uns das Bild des Dichters gegeben, wie er durch Seelenkämpfe aller Art zu jener innern Klarheit und Ruhe gelangt, die, so oft missverstanden, sein ganzes weiteres Leben beherrscht, indem er jener Stimme im Innern gehorcht, von der er hier sagt:

„Ganz leise spricht ein Gott in uns'rer Brust

Ganz leise, ganz vernehmlich, zeigt uns an,
Was zu ergreifen ist und was zu flieh'n."

Man mochte erwarten, dass nach der Rückkehr von Italien Goethes ganzes Sinnen und Trachten mehr als je der Kunst werde zugewendet werden, und doch sind gerade die Jahre 1788-1794 an grösseren poetischen Ganzen verhältnissmässig arm. Was man in Deutschland noch bewunderte und was die Talente des deutschen Volkes hervorbrachten, war für ihn ein längst Ueberwundenes und er erschrak vor dem Gedanken an den Zwiespalt eines geläuterten Innern und des Zeitgeschmackes. Wir finden Goethe mit der Herausgabe seiner gesammelten Werke, mit kunsttheoretischen und hauptsächlich auch mit naturwissenschaftlichen Studien fast durchweg beschäftigt. Seine Untersuchungen über die Metamorphose der Pflanze, deren Resultate 1790 in der gleichnamigen Schrift erschienen, hatte er bereits in Italien begonnen, indem er daselbst der Urpflanze nachspürte; vom Jahre 1790 an (schon 1784 wurde der Aufsatz über den Zwischenknochen geschrieben) gingen seine naturwissenschaftlichen Studien auf die Gebiete der Optik, Farbenlehre, vergleichende Anatomie, Geologie, Morphologie und Meteorologie über. Goethes Streben ging dabei, wie er an Jacobi schreibt, immer bestimmter darauf hin, die allgemeinen Gesetze, wie die lebendigen Wesen sich organisiren, näher zu erforschen" und Alles durch Simplification des Mannigfaltigen auf die Urgestalten oder Urphaenomene zurückzuführen."18) Goethe selbst bezeichnet es in dem Gespräch mit Schiller, welches die beiden Geistesheroen einander näher brachte, indem er sagt, seine Weise sei nicht, die Natur gesondert, sondern sie wirkend und lebendig aus dem Ganzen in die Theile strebend darzustellen. So ist denn seine Betrachtung ,,keine zerstückelte, seine Naturfreude beruht nicht wesentlich auf der äusseren Einzelschönheit als solcher, sondern im Genusse des durch die

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17) Dilthey, Leben Schleiermachers. Berlin 1870. I. S. 159. 18) Briefwechsel zwischen Goethe und Jacobi. S. 125.

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schöne Form durchscheinenden Lebens." Die Einheit in der Natur aber war der letzte Zielpunkt dieses wissenschaftlichen Strebens. Ich fürchte den Vorwurf nicht," sagt Goethe in dem Aufsatz: der Granit, 19) seine Beschäftigung mit der Naturwissenschaft gewissermassen entschuldigend, ,, dass es ein Geist des Widerspruches sein müsse, der mich von Betrachtungen des menschlichen Herzens, des innigsten, mannigfaltigsten, beweglichsten, veränderlichsten, erschütterlichsten Theiles der Schöpfung, zu der Beobachtung des ältesten, festesten, tiefsten und unerschütterlichsten Sohnes der Natur geführt hat. Denn man wird gern zugeben, dass alle natürlichen Dinge in einem genauen Zusammenhang stehen." Die römischen Elegien und die venetianischen Epigramme sind fast die einzigen bedeutendern poetischen Producte Goethes unmittelbar nach der italienischen Reise. Sie gingen aus dem so oft getadelten, weil von der Kirche nicht eingesegneten Verhältnisse zu Christiane Vulpius, seiner nachmaligen Gattin, hervor. Was man auch an diesem Verhältniss und der sinnlichen Gluth der Elegien getadelt hat und was auch daran zu tadeln sein mag, so weit sollte man sich nicht vergessen, dem Dichter des Hermann und Dorothea, Götz, Faust, der natürlichen Tochter, der Wahlverwandtschaften, der Wanderjahre und des Tasso vorzuwerfen, dass er die tief sittliche Bedeutung der Liebe und Ehe nicht erkannt und geachtet habe. Er kannte das Ewige, das Unendliche, das in der Liebe wirkt, das den Menschen hebt und trägt, sehr wohl aus der eigensten Erfahrung 20)

19) Berliner Verzeichniss von W. v. Goethes. 1861. S. 23. Wage, Zeitschrift für Kunst, Literatur und öffentl. Leben. Jahrg. IV. N. 2.

20),,Die Familie war Goethe,“ wie Jean Paul sagen würde, „von allem menschlichen Dasein die Essigmutter, das Saatkorn und die Garantie jeder andern möglichen Entwicklung im Politischen und Nationalen." Gutzkow,,über Goethe im Wendepunkt zweier Jahrhunderte. Frankfurt a. M. 1845. IV. Band der ges. Schriften. Eine aufrichtige Innigkeit seiner Liebe zu seiner Frau tritt in den jüngst in Nr. 74 der Beilage der Allgem. Zeitung (1878 vom 15. März) veröffentlichten 1807 geschriebenen Briefen an Herrn und Frau Stock hervor. Die Letztern hatten seine kleine Frau" so gefällig und freundschaftlich aufgenommen, dass er nicht genug Dank dafür zu sagen weiss. Beiden dankt er für Alles, was seiner Abgeordneten Gutes geschehen und fährt fort: „Ich geniesse mit und habe dafür, als wäre es mir geschehen, mich verbunden zu achten." Aus einem Briefe (ebendaselbst) von Catharina Stock war Folgendes: „Er spricht mit so vieler Liebe von seiner Frau und fühlt sich sehr glücklich in ihrem Besitze, denn er sagte zu der Mutter:,,er wäre gewiss mit Niemandem so glücklich gewesen, wie mit ihr.“ Frei

und einen herrlichen Ausdruck hat die Liebe noch im späten Alter Goethes in der ,,Trilogie der Leidenschaften" gefunden in der Strophe:

Dem Frieden Gottes, welcher Euch hienieden
Mehr als Vernunft beseligt wir lesens,
Vergleich ich wohl der Liebe heit'ren Frieden
In Gegenwart des allgeliebten Wesens.

Da ruht das Herz und nichts vermag zu stören
Den tiefsten Sinn, den Sinn, ihr zu gehören.“

In den venetianischen Epigrammen spricht der ganze Verdruss gegen das Pfaffenwesen der römischen Kirche, gegen leeren Ceremonienpomp, gegen heuchlerische Schwärmerei und Alles das, was ihn inmitten der katholischen Kirchlichkeit Italiens auch bei seinem zweiten Besuch Venedigs in Gesellschaft der Herzogin Amalia angewidert hatte. Scharf, bitter und schonungslos hören sich die Epigramme deshalb genug an, und es wäre daher nur billig, wenn man, um Verkennungen zu verhüten, wie es leider oft nicht geschieht, stets auf die Stimmung, aus der sie hervorsprossen, wie auf die Richtung, auf die sie eigentlich gehen, genau Achtung nähme:

„Seh' ich den Pilgrim, so kann ich mich nie der Thränen enthalten, Q wie beseligt uns Menschen ein falscher Begriff!

Feierlich seh'n wir neben dem Dogen den Nuntius gehen:

Sie begraben den Herrn, einer versiegelt den Stein.

Was der Doge sich denkt, ich weiss es nicht; aber der Andre
Lächelt über den Ernst dieses Gepränges gewiss!

Wie sie klingeln, die Pfaffen! wie angelegen sie's machen

Dass man komme, nur ja plappre wie gestern so heut'!

Scheltet mir nicht die Pfaffen! sie kennen des Menschen Bedürfniss
Denn wie ist er beglückt, plappert er morgen wie heut'!

Vieles kann ich ertragen. Die meisten beschwerlichen Dinge
Duld' ich mit ruhigem Muth, wie ein Gott mir gebeut.
Wenige sind mir jedoch, wie Gift und Schlange zuwider
Viere, Rauch des Tabaks, Wanzen und Knoblauch und

Dass mit diesen Epigrammen wohl Erscheinungsformen, nicht aber das Wesen, der innere Kern des Christenthums angegriffen werden sollte, verbürgt die Versicherung an Ja

lich ist der Schreiberin das unbegreiflich und sie giebt eine ungünstige Schilderung der Frau, was aber nur die Gewissheit einer parteilosen Mittheilung erhöht. Goethe soll sich damals in Frankfurt sehr heimisch gefühlt und offen aus sich herausgetreten sein.

cobi,,,dass ein gewisses Christenthum der Gipfel der Menschlichkeit sei." Von demselben Standpunkte sind die Aeusserungen zu beurtheilen, die Goethe that, als er den vierten Band der Herder'schen Ideen gelesen hatte, der in mehr rationalistischer als ,,positiver" Farbe die Grundprincipien des geschichtlich entwickelten Christenthums, sowie eine geschichtliche Darstellung desselben gab, aus der zur Genüge die traurigen Verirrungen des Menschengeistes hervortreten, die falsche Auffassungen einer so reinen und edlen Lehre zur Folge gehabt haben. Goethe schreibt am 4. Sept. 1788 an Herder Folgendes: ,,Das Christenthum hast Du nach Würde behandelt, ich danke Dir für meinen Theil. Ich habe nun auch Gelegenheit, es von der Kunstseite näher zu betrachten und da wird's auch recht erbärmlich. Ueberhaupt sind mir bei dieser Gelegenheit so manche Gravamina rege geworden. Es bleibt wahr, das Märchen von Christus ist. Ursache, dass die Welt noch 1000 Jahre stehen kann und Niemand recht zu Verstande kommt, weil es eben so viel Kraft des Wissens, des Verstandes, des Begriffes braucht, um es zu vertheidigen, als es zu bestreiten. Nun gehen die Generationen durcheinander, das Individuum ist ein armes Ding, es erkläre sich, für welche Partei es wolle, das Ganze ist nie ein Ganzes, und so schwankt das Menschengeschlecht in einer Lumperei hin und wieder, das Alles nichts zu sagen hätte, wenn es nur nicht auf Punkte, die dem Menschen so wesentlich sind, so grossen Einfluss hätte. Wir wollen es gut sein lassen. Sieh Du Dich nur in der römischen Kirche recht um und ergötze Dich an dem, was in ihr ergötzlich ist." 21) Bei Goethes Naturliebe und Goethes Hass gegen Alles, was mit der Natur nicht in Zusammenhang stand, ja ihr fremd zu werden drohte, waren es die Eigenthümlichkeiten der römischen Kirche und der übrigen Confessionen, die ihn dem Kirchenthum, die speculativ zugespitzten Begriffe der Dogmatik, die ihn der Kirchenlehre entfremden mussten. Eine tiefe Kluft gähnte zwischen der Letzteren und seiner von Spinoza beeinflussten Anschauung. Auf Alles das, was den Stempel des Hinzugekommenen an sich trug oder den der gedankenzerstörenden Speculation," richtete sich sein Misstrauen und seine Verstimmung, nicht aber auf den innern ethischen Gehalt des Christenthums. Christus selbst war ihm,

21) S. Einleitung in die Ideen in der Hempel'schen Ausgabe.

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