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tritt durch Spinozas Pantheismus angeregt, den der blossen Naturreligion, um fortan Gott in der Natur und die Natur in Gott zu sehen. Noch verlässt ihn aber nicht das religiöse Bedürfniss, sondern tritt in der mannigfachsten Weise in den empfindungsvollen Gedichten der noch hierher gehörigen ersten Weimar'schen Zeit hervor. In ihrem Sturm und Drang wendet sich der,,Wanderer" Goethe zu dem nächtlichen Himmel mit der sehnsuchtsvollen Bitte (1776):

Der du von dem Himmel bist

Alles Leid und Schmerzen stillest
Den, der doppelt elend ist
Doppelt mit Erquickung füllest.

Ach, ich bin des Treibens müde!

Was soll all' der Schmerz und Lust?

Süsser Friede!

Komm! ach komm in meine Brust. 55)

Noch wendet sich das tief für fremdes Leid 56) empfindende Gemüth des Dichters an Gott mit dem Gebet:

Ist auf deinem Psalter
Vater der Liebe, ein Ton
Seinem Ohre vernehmlich
So erquicke sein Herz!
Oeffne den umwölkten Blick
Ueber die tausend Quellen
Neben dem Durstenden
In der Wüste."

und noch ruft er, seinen Gott nicht in sich und seinen Mitgeschöpfen in der ihn umgebenden Natur, sondern weit oben über dem Leben und Treiben dieser Welt, suchend, weil von Jugend auf nicht anders gewöhnt, einmal aus:

Aufwärts!
Umfangend umfangen!
Aufwärts an deinen Busen,
Allliebender Vater. 57)

oder entdeckt in Blumenduft und Blätterrauschen des Thü

55) Die Mutter der Frau v. Stein fand das Gedicht bei der Tochter und schrieb auf die Kehrseite des Blattes die Worte aus Joh. 14, 27: ,,Den Frieden lasse ich euch, den Frieden gebe ich euch, nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt, euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht!"

56) Plessing, ein unglücklicher Menschenfeind, den Goethe auf der Harzreise besuchte, Nov. bis Dec. 1777.

57) Ganymed 1778.

ringer Waldes den Hauch des Ewigen und wendet sich ehrfurchtsvoll an ihn mit den Worten: 58)

Du hast uns lieb, du gibst uns das Gefühl,
Dass ohne Dich wir nur vergebens sinnen,
Durch Ungeduld und glaubenleer Gewühl
Voreilig dir niemals was abgewinnen.“

Idealistisch-klassische Periode.

,,Es wird der Trug entdeckt, die Ordnung kehrt zurück, Es folgt Gedeih'n und festes ird'sches Glück."

,,Ilmenau."

,,Lange habe ich mich gesträubt. Endlich gab ich nach:
Wenn der alte Mensch zerstäubt, wird der neue wach.
Und so lang du dies nicht hast, dieses Stirb und Werde,
Bist du nur ein trüber Gast auf der dunklen Erde."

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,,Divan."

Die Tage der Genieperiode in Weimar, des Sturms und Drangs an dem herzoglichen Hofe, während dessen Goethe an der Vollendung der Iphigenie und des Tasso in Prosa allmählich sich innerlich läuterte, sind mit dem Jahre 1783 im Verschwinden. Mit dem Gedicht Ilmenau", diesem Rückblick auf das jugendliche, geniale Treiben in Weimar und diesem ernst-schönen Bewusstwerden höherer Ziele für sich und seinen Fürsten, treten wir in eine neue Periode des Geisteslebens unseres Dichters ein. Das Ziel zu erreichen kostet, wie alles Grosse auf Erden, Kämpfe und Leiden:

,,Doch er steht männlich an dem Steuer;
Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen
Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen:
Herrschend blickt er in die grimme Tiefe,
Und vertrauet, scheiternd oder landend
Seinen Göttern."

Auch hier ist es Herder, der seit seiner durch Goethe bewirkten Berufung nach Weimar dem Freunde ein nahestehendes Vorbild innerer Entwicklung bleibt. Er ist es, der unter dem Namen Humanus in dem religiös-philosophischen Gedicht,,Die Geheimnisse" dargestellt ist. Ferdinand Delbrück hat dasselbe das christlichste grössere Gedicht in unserer Sprache genannt. 1) Der Titel desselben stammt aus jener heiligen Scheu Goethes, das Würdige, Höchste und Bedeutendste der Entweihung preiszugeben. Er hüllt es in das

58) Dem Schicksal 1776. s. Riemer, Mittheilungen über Goethe, Berlin 1841.

1) Lancizolle a. a. O. S. 27.

Geheimniss ein, um es davor zu schützen.,,Zwölf Ritter,“ sagt Goethe in seiner Erklärung des Gedichtes,,,haben sich um einen hervorragenden Mann, Namens Humanus gesammelt, ein andächtiges Leben zu führen. Ein neu angekommener geistlicher Bruder wird von den Zwölfen mit dem Leben und den Thaten dieser Idealgestalt bekannt gemacht und soll durch seine Demuth nach dem Scheiden desselben, seine Stelle einnehmen." Ueber die Absicht des Gedichtes sagt Goethe weiter, dass der Leser durch eine Art von ideellen Montserrat geführt werden und nachdem er durch die verschiedenen Regionen der Berge, Felsen und Klippenhöhen seinen Weg genommen, gelegentlich wieder auf weite und glückliche Ebenen gelangen sollte. Einen Jeden der Rittermönche würde man in seiner Wohnung besucht und durch Anschauung klimatischer und nationaler Verschiedenheiten erfahren haben, dass die trefflichsten Männer von allen Enden der Erde sich hier versammeln mögen, wo Jeder von ihnen Gott auf seine eigenste Weise im Stillen verehre. In den Erzählungen der Ritter würde sich dann gefunden haben, dass jede Religion einen Moment ihrer höchsten Blüthe und Frucht erreiche, worin sie jenem Führer und Vermittler sich angenaht, ja sich mit ihm vollkommen vereinigt.

Diese Epochen sollten in jenen zwölf Repräsentanten verkörpert und fixirt erscheinen, so dass man jede Anerkennung Gottes und der Tugend, sie zeige sich auch in noch so wunderbarer Gestalt, doch immer aller Ehre, aller Liebe würdig müsste befunden haben. Und nun konnte nach langem Zusammenleben Humanus gar wohl von ihnen scheiden, weil sein Geist sich in ihnen allen verkörpert, allen angehörig, keines eigenen irdischen Gewandes mehr bedarf. Wenn nun nach diesem Entwurf der Hörer, der Theilnehmer durch alle Länder und Zeiten im Geiste geführt, überall das Erfreulichste, was die Liebe Gottes und des Menschen unter so mancherlei Gestalten hervorbringt, erfahren, so sollte daraus die angenehmste Empfindung entspringen, indem weder Abweichung, Missbrauch, noch Entstellung, wodurch jede Religion in gewissen Epochen verhasst wird, zur Erscheinung gekommen wäre."

Begleiten wir den Bruder Markus (Goethe) auf seiner Pilgerfahrt zu einem vom letzten Sonnenstrahl beleuchteten Kloster:

,,Schon sieht er dicht sich vor dem stillen Orte,
Der seinen Geist mit Ruh' und Hoffnung füllt,
Und auf dem Bogen der geschloss'nen Pforte
Erblickt er ein geheimnissvolles Bild.

Er steht und sinnt und lispelt leise Worte
Der Andacht, die in seinem Herzen quillt;
Er steht und sinnt, was hat das zu bedeuten?
Die Sonne sinkt und es verklingt das Läuten.
Das Zeichen sieht er prächtig aufgerichtet,
Das aller Welt zu Trost und Hoffnung steht,
Zu dem viel tausend Herzen sich verpflichtet,
Zu dem viel tausend Herzen warm gefleht;
Das die Gewalt des bitt'ren Tod's vernichtet,
Das in so mancher Siegesfahne weht:
Ein Labequell durchdringt die matten Glieder
Er sieht das Kreuz und schlägt die Augen nieder.
Er fühlet neu, was dort für Heil entsprungen,
Den Glauben fühlt er einer halben Welt;
Doch von ganz neuem Sinn wird er durchdrungen,
Wie sich das Bild ihm hier vor Augen stellt.
Er sieht das Kreuz mit Rosen dicht umschlungen,
Wer hat dem Kreuze Rosen zugestellt?
Es schwillt der Kranz, um recht von allen Seiten
Das schroffe Holz mit Weichheit zu begleiten.
Und leichte Silber-Himmelswolken schweben,
Mit Kreuz und Rosen sich emporzuschwingen,
Und aus der Mitte quillt ein heilig Leben
Dreifache Strahlen, die aus einem Punkte dringen;
Von keinen Worten ist das Bild umgeben,
Die dem Geheimniss Sinn und Klarheit bringen,
Im Dämmerschein, der immer tiefer grauet,
Steht er und sinnt und fühlet sich erbauet.

Das mit Rosen bedeckte Kreuz ist das Sinnbild des Herder'schen humanistischen Christenthums. Vermählung des lichtvollen humanistischen Geistes mit der Religion der Liebe in dem durch die Hoheit und Schönheit der Kunst erhöhten Leben, war sein Ideal. Und dieses ist hier Hauptziel und Grundgedanke. Sollte doch die höchste Blüthe und Frucht, zu der die Religionen, die hier geschildert werden sollten, gelangen würden, in der Vereinigung mit den Ansichten jenes wunderbaren Führers liegen, zu dessen Schilderung Herder die Züge seines Geistes lieh. 2) Und woher jene

2) Das Gedicht sollte gleichsam zur Einleitung die nun den gesammten Werken vorausgedruckte (seit 1787) Zueignung haben (welche nebenbei bemerkt, Goethes Verhältniss zu Frau von Stein in wahrerem Lichte kennzeichnen als Keils: ,,vor hundert Jahren"). Da die,,Geheimnisse" unvollendet blieben und also die darein zu legenden Ideen nicht

Jahrbuch XI.

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gewissermassen naturwissenschaftliche Betrachtung der Entstehung und der Eigenthümlichkeiten der Religionen, jene Hindeutungen auf die Bedingungen ihrer Entwicklung in der den Menschen umgebenden Natur, als aus Herders Anregung? Stehen sie doch auch in dessen Ideen zur Philosophie der Geschichte an der Spitze der Betrachtung. Das Hervorsuchen des Gesetzmässigen und Nothwendigen auch im Gebiete des Menschengeistes war aber bei Beiden die Frucht gleichzeitiger Beschäftigung mit Spinoza. Dessen Philosophie war der Gegenstand so mancher ihrer Gespräche und einer lebhaften Correspondenz mit Jacobi.. 3) ,,Goethe hat, seit Du weg bist," schreibt Herder unter dem 20. Dec. 1784 an Jacobi, ,,den Spinoza gelesen, und es ist mir ein grosser Probirstein,

in einem einzigen Ganzen zu finden waren, setzte er die Zueignung an ihre jetzige Stelle, vielleicht um anzudeuten, dass die in den „Geheimnissen" nicht zur Lösung gelangte Aufgabe im einzelnen in den übrigen Werken verarbeitet sei. Als Humboldt (W. v,) am Fusse des Montserrat inmitten der Einsiedlerhütten und umgeben von den durch die gläubigen Spanier aufgerichteten Kreuzen dahinschritt, gedachte er dieses Gedichtes und schrieb (1800) an den Freund: .,ich habe diese schöne Dichtung, in der eine wunderbare und menschliche Stimmung herrscht, immer ausserordentlich geliebt, aber erst seitdem ich diese Gegend besuchte, hat sie sich an etwas in meiner Erfahrung angeknüpft." Bei dem Anblick der vielen Kreuze haben sich ohne Gleichgültigkeit der Worte erinnert: „zu dem viel Geister sich verpflichtet, zu dem viel Herzen warm gefleht." Und wie sollte es auch anders sein," fährt er fort,,,die Grösse der Natur und die Tiefe der Einsamkeit füllen das Herz mit Gefühlen, die selbst den leersten Hieroglyphen bedeutenden Inhalt zu geben vermöchten und wie wir auch über eine Meinung oder einen Glauben denken mögen, so steht immer als Vermittler zwischen ihm der Mensch, aus dessen Empfindung er entsprang. In dem Getümmel der Welt vergessen wir das oft und urtheilen rasch und hart darüber; aber milder gestimmt in der Stille der Einsamkeit ist uns Alles, was menschlich ist, auch nah' verwandt." S. Bratranik „Goethes Briefwechsel mit den Gebrüdern von Humboldt. Leipzig, Brockhaus 1876.

3) An diesen schreibt Herder unter dem 6. Februar 1784 (S. Herders Nachlass herausgeg. von Düntzer und Gottfried von Herder. Frankfurt a. M. Meidinger Sohn und Comp. 1857. II. Bd. S. 254-256) einen Brief, der durch Anton Dohrn im Märzheft 1869 der Westermann'schen Monatshefte als ein im Besitze der Knebel'schen Familie in Jena befindliches Fragment eines Goethe'schen Briefes, weil mit „G." unterzeichnet, hingestellt wird (S. Bergmann phil. Monatshefte. Wintersemester 1869/70 S. 516.) Dass der Brief von Herder ist, ist indess unzweifelhaft und schon durch die Anspielung auf die Philosophie der Geschichte sichergestellt. Wohl kann es aber möglich sein, dass da in der That zwischen Goethe und Herder in Bezug auf Spinoza eine weitgehende Uebereinstimmung stattfand, Goethe diesen Brief für sich kopirt und an Knebel übersandt hat.

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