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mit Hebeln und mit Schrauben!" Wir haben also das Fragment, von dem allein hier die Rede sein kann und auch hiervon nur bezüglich der in unserem Zeitraum geschriebenen Scenen 46), auch hier blos als ein,,Bruchstück einer grossen Confession" zu betrachten, wie Goethe seine Werke genannt hat und uns namentlich davor zu hüten, einen religiösen Grundgedanken dem Werke unterzuschieben, das in seiner späteren Ganzheft des ersten Theils den ethischen ausspricht: dass menschliches Streben ausserhalb der sittlichen Schranken zum Untergange führt. Ob und in wie weit dieser Grundgedanke den anfänglich gedichteten Scenen zu Grunde lag, ist eine noch ungelöste Frage der Faustkritik. 47)

In die,,Privatreligion," die Goethe unter den im Voraufgehenden behandelten Einflüsse nsich gebildet hatte und deren einzelne Züge wir, soweit möglich, aus dem vorliegenden Material zu gewinnen gesucht haben, trat ein neues Ferment durch den Einfluss Spinozas, in Goethes Werken zunächst in dessen,,Prometheus" erkennbar und von den weitaus bedeutendsten Folgen für die religiöse Geistesentwickelung unseres Dichters.

Für,,Philosophie im eigentlichen Sinne," sagt Goethe in dem Aufsatz,,Einwirkung der neuern Philosophie," ,,hatte ich kein Organ, nur die fortdauernde Gegenwirkung, womit ich der eindringenden Welt zu widerstehen und sie mir anzueignen genöthigt war, musste mich auf eine Methode führen, durch die ich die Meinungen der Philosophen, eben auch als wären es Gegenstände, zu fassen und mich daran auszubilden suchte.. Benckers Geschichte der Philosophie liebte ich in meiner Jugend fleissig zu lesen, es ging mir aber dabei wie einem, der sein ganzes Leben den Sternhimmel über seinem Haupte sich drehen sieht, manches auffallende Sternbild unterscheidet, ohne etwas von der Astronomie zu verstehen; den grossen Bären kennt, nicht aber den Polar

46) Siehe Düntzer Goethes Faust 1856, ferner K. Fischer über Goethes Faust, deutsche Rundschau 1877 Band XIII und Biedermann in,,Nord und Süd" Heft 8, 1877.

47) Was K. Biedermann a. a. 0. gegen einen solchen auch diesen Scenen schon zu Grunde liegenden Grundgedanken und Plan äussert, sind Behauptungen, von denen nicht eine einzige auf einen haltbaren Nachweis gestützt ist.

stern" und ähnlich bei Eckermann:48),,von der Philosophie habe ich mich selbst immer frei erhalten; der Standpunkt des gesunden Menschenverstandes war auch der meinige." Es ist dies eine Bestätigung und Erweiterung dessen, was wir oben bei Gelegenheit der Besprechung von Goethes Stellung zu Giordano Bruno ausgesprochen haben. Schon im Kindesalter schien ihm Philosophie abgesondert von Religion und Poesie unnöthig, da sie doch in den beiden letzteren enthalten sei. Einem systematischen Studium dieser Wissenschaft, einem tieferen Eingehen auf die Probleme derselben blieb Göthe Zeit seines Lebens abgewandt:

,,Mein Kind, ich hab' es gut gemacht,

Ich hab' nie über das Denken gedacht."

Wie ihn aber jedes Gebiet geistiger Thätigkeit interessirte, so auch die Philosophie, indem er sich den Inhalt, der sich ihm in derselben darbot, nach seinen Bedürfnissen zurechtlegte. Derjenige Philosoph, der nun am meisten auf Goethe gewirkt hat, ist Spinoza.

,,Nachdem ich mich," sagt Goethe in Wahrheit und Dichtung, 49),,in aller Welt um ein Bildungsmittel meines wunderlichen Wesens vergebens umgesehen hatte, gerieth ich endlich an die Ethik dieses Mannes. Was ich mir aus dem Werke mag herausgelesen, was ich in dasselbe mag hineingelesen haben, davon wüsste ich keine Rechenschaft zu geben; genug ich fand hier eine Beruhigung meiner Leidenschaften, es schien sich mir eine grosse und freie Aussicht über die sinnliche und sittliche Welt aufzuthun. Was mich besonders an ihn fesselte, war die grenzenlose Uneigennützigkeit, die aus jedem Satze hervorleuchtete. Jenes wunderliche Wort: ,,wer Gott recht liebt, muss nicht verlangen, dass Gott ihn wieder liebe" mit allen den Vordersätzen, worauf es ruht, mit allen den Folgen, die daraus entspringen, erfüllte mein ganzes Nachdenken. Uneigennützig zu sein in Allem, am Uneigennützigsten in Liebe und Freundschaft, war meine höchste Lust, meine Maxime, meine Ausübung, so dass jenes freche spätere Wort:,,Wenn ich dich liebe, was geht's dich an?" mir recht aus dem Herzen gesprochen ist. Uebrigens möge auch hier nicht verkannt werden, dass eigentlich die innigsten Verbindungen nur aus dem Entgegengesetzten folgen.

48) Goethes Gespräche mit Eckermann II, 55.
49) III. Th. 14. Bch.

Die Alles ausgleichende Ruhe Spinozas contrastirte mit meinem Alles aufregenden Streben, seine mathematische Methode war das Widerspiel meiner poetischen Sinnes- und Darstellungsweise und eben jene geregelte Behandlungsart, die man sittlichen Gegenständen nicht angemessen finden wollte, machte mich zu seinem leidenschaftlichen Verehrer. Geist und Herz, Verstand und Sinn suchten sich mit nothwendiger Wahlverwandtschaft und durch diese kam die Vereinigung der verschiedensten Wesen zu Stande." ,,Mein Zutrauen auf

Spinoza ruhte auf der friedlichen Wirkung, die er in mir hervorbrachte, und es vermehrte sich nur, als man meine werthen Mystiker des Spinozismus anklagte, als ich erfuhr, dass Leibnitz selbst diesem Vorwurf nicht habe entgehen können, ja dass Boerhave, gleicher Gesinnung verdächtig, von der Theologie zur Medicin übergehen müssen. Denke man aber nicht, dass ich seine Schriften hätte unterschreiben und mich dazu buchstäblich bekennen mögen." 50)

In wie weit nun die Philosophie des Spinoza auf seine eigene Weltanschauung umändernd und befruchtend gewirkt, hat Goethe uns nirgends ausgeführt und müssen wir daher in unsrer chronologisch fortschreitenden Betrachtung aus seinen Geistesproducten heraus seine allmähliche, immer weiter sich entwickelnde Annäherung an den Pantheismus Spinozas uns zu construiren versuchen.

Zunächst scheint es, 51) dass gleich anfangs der Begriff des nothwendigen Geschehens, die spinozistische Nothwendigkeit, der selbst die absolute Substanz unterworfen ist, Goethe angesprochen hätte, indem dieser Gedanke im ,,Prometheus" künstlerischen Ausdruck findet. Vor Allem aber ist es die Grossartigkeit, die in der Auffassung der Gottheit als der Welt immanente natura naturans, in der engen Verknüpfung ferner der beiden Attribute des Geistes und der Ausdehnung im absoluten Unendlichen, das Substanz und Gott ist, ruht, die den Dichter am meisten ergriff. Zeuge hiervon ist jene Scene in Marthens Garten, in der Faust der religiösen Einfachheit Gretchens mit jenem durchaus den Stempel dieser genial-naturalistischen Periode tragenden Glaubensbekenntniss

50) IV. Th. 16. Bch. v. Wahrheit und Dichtung.

51) Vergl. K. Heyder Goethe und Spinoza. Zeitschrift f. d. gesammte Theol. und Kirche. 1866. S. 270 ff. und Danzel, über Goethes Spinozismus. Hamburg, Meissner 1843.

Beruhigung zu geben umsonst versucht. 52) Am deutlichsten lässt sich aber die Einwirkung Spinozas auf Goethes Weltanschauung in dieser Periode erkennen an dem aphoristischen um das Jahr 1780 zu datirenden Aufsatz,,die Natur." Es ist nichts weniger als ein Hymnus auf die ewige Wirksamkeit der in sich Alles umfassenden und wieder im Kleinsten und Geringsten einzig und allein selbst wirkenden Natur, der allein für das Geschehene im Kleinen wie Grossen alle Schuld und jedes Verdienst zufällt.

Characteristisch für den individuellen Unterschied zwischen dem grossen Philosophen und dem grossen Dichter sind aus dem Aufsatze die Worte: ,,Natur!

wir leben mitten in ihr und sind ihr fremde. Sie spricht unaufhörlich mit uns und verräth uns ihr Geheimniss nicht. Wir wirken beständig auf sie und haben doch keine Gewalt über sie. Sie scheint Alles auf Individualität angelegt zu haben und macht sich nichts aus den Individuen. Sie baut immer und zerstört immer, und ihre Werkstätte ist unzugänglich. Sie lebt in lauter Kindern, und die Mutter, wo ist sie? Sie ist die einzige Künstlerin: aus dem simpelsten Stoff zu den grössten Contrasten; ohne Schein der Anstrengung zu der grössten Vollendung - zur genauesten Bestimmtheit, immer mit etwas Weichem überzogen. Gedacht hat sie und sinnt beständig; aber nicht als ein Mensch, sondern als Natur. Sie liebt sich selber und haftet ewig mit Augen und Herzen ohne Zahl an sich selbst. Sie hat sich auseinandergesetzt, um sich selbst zu geniessen. Immer lässt sie neue Geniesser erwachen, unersättlich sich, mitzutheilen. Leben ist ihre schönste Erfindung und der Tod ist ihr Kunstgriff, viel Leben zu haben." Dilthey 53) bemerkt hierzu mit Recht, dass der Begriff,,dass die Natur sich in der Stufenfolge des Lebendigen auseinandergesetzt habe, um sich selber zu geniessen, in Empfindung, Anschauung, begreifender Vernunft," was in obigen Worten enthalten ist, den Pantheismus Goethes (wie nachher Schellings und Hegels) von dem Spinozas unterscheide. Wir werden in Bezug auf das Verhältniss Goethes zu Spinoza den richtigen Weg gehen, wenn wir annehmen, dass seine Aneignung

52) Wer darf ihn nennen,"

Und wer bekennen, ich glaub' ihn u. s. w. (1774—75.) 53) Leben Schleiermachers. Berlin, Reimer 1870.

der hauptsächlichen Grundgedanken des spinozistischen Systems und ihre individuelle Verarbeitung erst eine Frucht wiederholter Beschäftigung war, gezeitigt durch den regsten und innigsten Verkehr mit Herder in Weimar.

Wie im ,,Prometheus" der Held des Fragmentes sich den Göttern zur Seite stellt, so Goethe in einem Briefe an Lavater sich und die ,,andern Kinder Gottes" Christo. Er schreibt daselbst (1781):54),,Bei deinem Wunsche und deiner Begierde, in einem Individuum Alles zu geniessen, ist es herrlich, dass uns aus alten Zeiten dies Bild übrig blieb, in das du dein Alles übertragen und in ihm dich bespiegeln und dich selbst anbeten kannst. Nur das ist ungerecht und Raub, dass du alle köstlichen Federn der tausendfachen Geflügel unter dem Himmel ausraufst, um deinen Paradiesvogel damit zu schmücken; dies verdriesst uns, die wir als Söhne Gottes ihn in uns selbst und in allen seinen Kindern anbeten. Ich weiss wohl, dass du dich darin nicht verändern kannst, doch finde ich es auch nöthig, da du deinen Glauben wiederholend predigst, dir auch den unserigen als einen ehernen Fels der Wahrheit wiederholt zu zeigen, den du und eine ganze Christenheit mit den Wogen eueres Meeres vielleicht einmal übersprudeln, aber weder überströmen noch in seinen Tiefen erschüttern kann. Du nennst das Evangelium die göttliche Wahrheit; mich würde eine vernehmliche Stimme vom Himmel nicht überzeugen, dass das Wasser brennt und das Feuer löscht, und ein Weib ohne Mann gebiert und ein Todter aufersteht; vielmehr halte ich dies für Lästerungen gegen den grossen Gott und seine Offenbarungen in der Natur. In diesem meinen Glauben ist es mir eben so heftig Ernst, wie dir in dem deinen, und wenn ich öffentlich zu reden hätte, so würde ich für die nach meiner Ueberzeugung von Gott eingesetzte Aristokratie mit eben dem Eifer sprechen, wie du für das Einreich Christi."

Mit diesem kühnen Wort verlässt nun Goethe, den Gottmenschen Christus als solchen aufgebend, entschieden den Boden des dogmatisch-christlichen Kirchenglaubens und be

54) Es ist auffällig, dass an der Stelle, wohin Gelzer a. a. O. das Obige setzt, blos ein kurzer Theil des von ihm Citirten thatsächlich steht. S. Briefe von Goethe an Lavater. Hrsggb. v. H. Hirzel, Leipzig, Weidmann 1833. Ich entnehme die Stelle aus Gervinus, Gesch. d. deutschen Dichtung V, 367.

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