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tives, wie der Körper, sondern es ist die Art, wie der Körper aufgefasst wird. Diese Distinction ist im Grunde schärfer als die aristotelische, und verräth, wie alle Definitionen bei Hobbes, den mathematisch gebildeten Geist. Im Uebrigen schliesst sich Hobbes der Erklärung an, dass das Accidens so im Subjekte sei, dass man es nicht als einen Theil desselben betrachten dürfe, und dass es fehlen könne, ohne dass der Körper aufhöre. Beständige Accidentien, die nicht fehlen können, ohne dass der Körper aufgehoben wird, sind nur die Ausdehnung und die Figur. Alle anderen, wie Ruhe, Bewegung, Farbe, Härte u. s. w. können sich ändern, während der Körper selbst bleibt, und sie sind daher selbst nicht körperlich, sondern eben nur Arten, nach denen wir den Körper auffassen. Die Bewegung definirt Hobbes als das beständige Verlassen eines Ortes und Gewinnen eines neuen, wobei offenbar übersehen ist, dass in diesem Verlassen und Gewinnen der Begriff der Bewegung schon enthalten ist. Gegenüber Gassendi und Baco zeigt sich in den Begriffsbestimmungen bei Hobbes nicht selten ein Rückschritt zum Aristotelischen, wenn nicht im Princip, so doch in der Ausdrucksweise, der aus seinem Bildungsgange zu erklären ist.

In der Definition der Materie zeigt sich diese Hinneigung zu Aristoteles besonders deutlich: Hobbes erklärt, dass die Materie weder einer von den Körpern, noch ein ganz besonderer Körper, ausser allen andern sei, und daher folgt schon, dass sie in der That nichts ist, als ein blosser Name. Hier ist die aristotelische Auffassung offenbar zu Grunde gelegt, aber einer Verbesserung unterworfen, die vollkommen übereinstimmt mit der Verbesserung des Begriffes Accidens. Hobbes, der einsieht, dass das Mögliche oder Zufällige nicht in den Dingen sein kann, sondern nur in unserer Auffassung der Dinge, verbessert den Grundfehler des aristotelischen Systems ganz richtig, indem er an die Stelle des Accidens als einer Zufälligkeit im Objecte die zufällige subjective Auffassung setzt. An die Stelle der Materie als einer Substanz, die alles werden kann, und nichts Bestimmtes ist, kommt in derselben Weise die Erklärung, die Materie sei der allgemein gefasste Körper, d. h. eine Abstraction des denkenden Subjectes. Das Beständige, bei aller Veränderung Beharrende, ist für Hobbes nicht die Materie, sondern der ,,Körper“, der nur seine Accidentien wechselt, d. h. bald so, bald anders von uns aufgefasst wird. Dieser wechselnden Auffassung liegt aber etwas Reales zu Grunde, nämlich die Bewegung der Theile des Körpers.

Wenn daher ein Gegenstand seine Farbe wechselt, hart oder weich wird, in Theile zerfällt, oder mit neuen Theilen verschmilzt, so beharrt die ursprüngliche Quantität des Körperlichen; wir benennen den Gegenstand unserer Wahrnehmung aber anders nach den neuen Eindrücken, die er unsern Sinnen darbietet. Ob wir einen neuen Körper als Object unserer Wahrnehmung annehmen oder nur dem früher angenommenen Körper neue Eigenschaften beilegen, hängt lediglich von der sprachlichen Feststellung der Begriffe ab; indirect also von unserer Willkür, da Worte nur Rechenpfennige sind. So ist also auch der Unterschied zwischen Körper (Substanz) und Accidens ein relativer, von unserer Auffassung abhängender. Der wirkliche Körper, welcher durch die beständige Bewegung seiner Theile die entsprechenden Bewegungen in unserm Empfindungsorgan hervorruft, unterliegt durchaus keiner andern Veränderung, als eben der Bewegung seiner Theile.

Es verdient hier bemerkt zu werden, dass Hobbes durch seine Lehre von der Relativität aller Begriffe, sowie durch seine Theorie von der Empfindung im Grunde in ähnlicher Weise über den Materialismus hinausgeht, wie Protagoras über Demokrit. Dass Hobbes nicht Atomist war, haben wir schon gesehen. Er konnte aber auch im Zusammenhang seiner Gedanken über das Wesen der Dinge unmöglich Atomist sein. Wie auf alle anderen Begriffe, so wendet er die Kategorie der Relativität namentlich auch auf den Begriff des Kleinen und Grossen an. Die Entfernung mancher Fixsterne von der Erde sei so gross, lehrt er, dass ihr gegenüber die ganze Entfernung der Erde von der Sonne nur wie ein Punkt erscheine; nicht anders verhalte es sich mit den Theilchen, die uns klein erscheinen. Es giebt also in dieser Richtung ebenfalls eine Unendlichkeit, und was der menschliche Physiker als kleinste Körperchen betrachtet, weil er für seine Theorie einer solchen Annahme bedarf, ist wieder eine Welt mit unzähligen Abstufungen des Grössten und des Kleinsten.30)

In seiner Lehre von der Empfindung ist schon der Sensualismus Lockes im Keime vorhanden. Hobbes nimmt an, dass sich die Bewegungen der körperlichen Dinge durch Uebertragung auf das Medium der Luft unsern Sinnen mittheilen, von da zum Gehirn und vom Gehirn endlich zum Herzen fortgepflanzt werden.31) Jeder Bewegung entspricht eine Gegenbewegung, im Organismus, wie in der äusseren Natur; aus diesem Princip der Gegenbewegung leitet Hobbes

die Empfindung ab; aber nicht die unmittelbare Reaction des äusseren Organes ist die Empfindung, sondern erst die vom Herzen ausgehende und durch das Gehirn vom äusseren Organ zurückkehrende Bewegung, so dass also zwischen dem Eindruck und der Empfindung stets eine merkliche Zeit vergeht. Aus dieser Rückläufigkeit der Empfindungsbewegung, die ein,,Streben" (conatus) gegen die Objecte hin ist, erklärt sich die Versetzung der Empfindungsbilder nach Aussen.32) Die Empfindung ist identisch mit dem Empfindungsbild (phantasma) und dies ist wieder mit der Bewegung des conatus gegen die Objecte identisch; nicht etwa bloss durch sie veranlasst. So zerhaut Hobbes mit einem Machtspruch den gordischen Knoten der Frage, wie die Empfindung als subjectiver Zustand sich zur Bewegung verhält; aber die Sache wird dadurch keineswegs klarer.

Das Subject der Empfindung ist der Mensch als Ganzes, das Object der Gegenstand, welcher empfunden wird; die Bilder aber, oder die Sinnesqualitäten, durch welche wir den Gegenstand wahrnehmen, sind nicht der Gegenstand selbst, sondern eine aus unserm Innern stammende Bewegung. Es kommt also von den leuchtenden Körpern kein Licht, von den tönenden kein Schall, sondern von beiden nur gewisse Formen der Bewegung. Licht und Schall sind Empfindungen und entstehen als solche erst in unserm Innern als rückläufige, vom Herzen ausgehende Bewegung. Hieraus ergiebt sich die sensualistische Folgerung, dass alle sogenannten sinnlichen Qualitäten als solche nicht den Dingen angehören, sondern nur in uns selbst entstehen. Daneben steht aber der echt materialistische Satz, dass auch die menschliche Empfindung nichts ist, als Bewegung körperlicher Theile, veranlasst durch die äussere Bewegung der Dinge. Hobbes verfiel nicht darauf, diesen materialistischen Satz zu Gunsten eines consequenten Sensualismus aufzugeben, weil er, wie Demokrit im Alterthum, von der mathematisch-physikalischen Betrachtung der Aussendinge ausging. Deshalb bleibt sein System auch ein wesentlich materialistisches ungeachtet der Keime des Sensualismus, die es in sich trägt.

In Beziehung auf die Betrachtung des Weltgan zen hält Hobbes sich ausschliesslich an die erkennbaren und nach dem Causalitätsgesetz erklärbaren Erscheinungen. Alles, worüber man nichts wissen kann, überlässt er den Theologen. Eine bemerkenswerthe Paradoxie ist noch in dem Satz von der Körperlichkeit Gottes enthalten,

der freilich, weil er einem Glaubensartikel der anglicanischen Kirche widerspricht, nicht gradezu behauptet, sondern nur als eine nahe liegende Folgerung angedeutet wird.33) Hätte man ein recht vertrautes Gespräch zwischen Gassendi und Hobbes belauschen können, so würde man vielleicht einen Streit darüber vernommen haben, ob die allbelebende Wärme oder der allumfassende Aether als Gottheit anzusehen sei.

III. Nachwirkungen des Materialismus in England.

Fast ein volles Jahrhundert liegt zwischen der Ausbildung materialistischer Systeme auf dem Boden der Neuzeit und zwischen jener rücksichtslosen Schriftstellerei eines de la Mettrie, der mit besonderem Wohlgefallen gerade jene Seiten des Materialismus hervorhob, welche der christlichen Welt ein Aergerniss geben mussten. Allerdings hatten auch Gassendi und Hobbes sich den ethischen Consequenzen ihrer Systeme nicht völlig entzogen; allein beide hatten auf einem Umwege ihren Frieden mit der Kirche gemacht: Gassendi durch Oberflächlichkeit, Hobbes durch eine eigensinnige und unnatürliche Consequenz. Liegt schon hierin ein durchgreifender Unterschied zwischen den Materialisten des siebzehnten und denen des achtzehnten Jahrhunderts, so ist doch die Kluft, ganz abgesehen vom specifisch Kirchlichen, in der Ethik weitaus am grössten. Während de la Mettrie, ganz in der Weise der philosophischen Dilettanten des alten Rom, die Lust als das Princip des Lebens mit frivolem Behagen hervorhob und durch seine niedrige Auffassung das Andenken Epikurs noch nach Jahrtausenden befleckte, hatte Gassendi durchaus die ernstere und tiefere Seite der Ethik Epikurs hervorgehoben; Hobbes billigte, wenn auch nach sonderbaren Winkelzügen, doch schliesslich die gewöhnliche christlich-bürgerliche Tugendlehre, die ihm zwar als Beschränktheit galt, aber als berechtigte Beschränktheit. Beide Männer lebten selbst einfach und rechtschaffen nach den gewöhnlichen Begriffen ihrer Zeit.

Trotz dieses grossen Unterschiedes gehört der Materialismus des siebzehnten Jahrhunderts mit den verwandten Bestrebungen bis auf das système de la nature hin in eine gemeinsame Kette, während die Gegenwart, obwohl auch zwischen de la Mettrie und Vogt oder Moleschott wieder gerade ein Jahrhundert liegt, durchaus einer gesonderten Betrachtung bedarf. Kants Philosophie und noch mehr die

grossen naturwissenschaftlichen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte fordern diese gesonderte Betrachtung ebenso entschieden vom Standpunkte der theoretischen Wissenschaft, als anderseits ein Blick in die materiellen Lebensverhältnisse und in die culturgeschichtlichen Zustände uns dazu veranlassen muss, die ganze Periode bis zur französischen Revolution hin in ihrer innern Einheit aufzufassen.

Wenden wir zunächst unsern Blick auf den Staat und die bürgerliche Gesellschaft, so zeigt sich eine Analogie zwischen jenen beiden vergangenen Perioden, welche dieselben streng von der gegenwärtigen scheidet. Hobbes und Gassendi lebten an den Höfen oder in den aristokratischen Kreisen Englands und Frankreichs. De la Mettrie wurde beschützt von Friedrich dem Grossen. Der Materialismus beider vergangener Jahrhunderte fand seine Stütze in der weltlichen Aristokratie und seine verschiedene Stellung zur Kirche ist zum Theil bedingt durch die verschiedene Stellung, welche die weltliche Aristokratie und die Höfe der Kirche gegenüber einnahmen. Der Materialismus unsrer Zeit hat dagegen eine durchaus volksthümliche Tendenz; er stützt sich auf nichts, als auf sein gutes Recht der Aussprechung einer Ueberzeugung und auf die Empfänglichkeit eines grossen Publikums, dem die Resultate der Wissenschaft, vielfach vermengt mit materialistischen Lehren, in möglichst handgreiflicher Form zugänglich gemacht werden. Um daher den immerhin bedeutungsvollen Uebergang von dem Materialismus des siebzehnten auf den des achtzehnten Jahrhunderts zu verstehen, müssen wir die Verhältnisse der höheren Schichten der Gesellschaft und die Veränderungen, welche in denselben um diese Zeit vorgingen, ins Auge fassen.

Am auffallendsten war die eigenthümliche Wendung aller Bestrebungen, welche in der zweiten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts eintrat, in England. Nach der Wiedereinsetzung des Königthums erfolgte dort gegen die excentrische und heuchlerische Strenge des Puritanismus, welcher die Zeit der Revolution beherrscht hatte, ein gewaltiger Rückschlag.

Begünstigung des Katholicismus ging am Hofe Karls II. Hand in Hand mit weltlicher Ausgelassenheit. Die Staatsmänner jener Zeit waren nach Macaulay34) vielleicht der verdorbenste Theil einer verdorbenen Gesellschaft und ihre Frivolität und Genusssucht wurde nur noch übertroffen von der Gewissenlosigkeit, mit welcher sie ohne alle politischen Grundsätze die Politik als ein Spiel ihres Ehrgeizes betrieben.

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