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Entdeckung stiess, und die Bedeutung der Zustimmung Descartes' vgl. auch Buckle, hist. of civilisation in England, ch. VIII; II, p. 274 der Brockhausschen Ausgabe.

68) Dies geht klar genug hervor aus einer Stelle seiner Abhandlung von der Methode I, p. 191 u. f. der Ausg. von Victor Cousin, Paris 1824. Kuno Fischer, René Descartes' Hauptschriften, Mannh. 1863, S. 56 u. f. . . „obwohl mir meine Speculationen wohl gefielen, so glaubte ich, dass die Anderen auch welche hätten, die ihnen vielleicht mehr gefielen. Sobald ich aber einige allgemeine Begriffe in der Physik erreicht und bei ihrer ersten Anwendung auf verschiedene besondere Probleme gemerkt hatte, wie weit sie reichten und wie sehr sie sich von den bisher gebräuchlichen unterschieden, so meinte ich, damit nicht im Verborgenen bleiben zu dürfen, ohne gegen jenes Gesetz im Grossen zu sündigen, das uns verpflichtet, für das allgemeine Wohl aller Menschen, so viel an uns ist, zu sorgen. Denn diese Begriffe haben mir die Möglichkeit gezeigt, Ansichten zu gewinnen, die für das Leben sehr fruchtbringend sein würden, und statt jener theoretischen Schulphilosophie eine praktische zu erreichen, wodurch wir die Kraft und die Thätigkeiten des Feuers, des Wassers, der Luft, der Gestirne, der Himmel und aller übrigen uns umgebenden Körper ebenso deutlich als die Geschäfte unserer Handwerker kennen lernen würden“ u. s. w.; vgl. Anm. 17 zum folgenden Abschnitt.

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69) Ueber Descartes' persönlichen Charakter sind sehr verschiedene Stimmen laut geworden. Es fragt sich namentlich, ob ihn sein Ehrgeiz als grosser Entdecker zu gelten und seine Eifersucht gegen andre hervorragende Mathematiker und Physiker nicht bisweilen über die Grenzen des Ehrenhaften hinausgeführt haben. Vgl. Whewell, hist. of the induct. sciences II, p. 379 (368 u. f. in der Uebersetzung von Littrow) über seine angebliche Benutzung und Verheimlichung der Entdeckung des Refractionsgesetzes durch Snell und die scharfen Bemerkungen dagegen von Buckle, hist. of civil. II, p. 271 u. f. (Brockhaus), welcher Descartes übrigens in mehrfacher Hinsicht überschätzt. Dahin gehört sein Streit mit dem grossen Mathematiker Fermat, seine verkehrten und geringschätzigen Urtheile über Galilei's Bewegungslehre, sein Versuch, sich auf Grund einer merkwürdigen, aber keineswegs hinlänglich klaren Aeusserung die Urheberschaft von Pascals grosser Entdeckung des auf Bergen abnehmenden Luftdrucks zuzuwenden u. s. w. Ueber alle diese Dinge scheinen uns die Acten noch nicht geschlossen und was seine Verleugnung der eignen Ansicht aus Furcht vor den Pfaffen anbelangt, so liegt das auf einem andern Boden. Wenn aber Buckle (im Anschlusse an Lerminier; vgl. hist. of civil. II. p. 275) Descartes mit Luther vergleicht, so muss doch auf den grossen Contrast zwischen der rücksichtslosen Offenheit des deutschen Reformators und der schlauen Umgehung des Feindes, welche Descartes in den Kampf zwischen Denkfreiheit und Unterdrückungssucht eingeführt hat, verwiesen werden. Die Thatsache, dass Descartes seine Theorie wider besseres Wissen nach der Kirchenlehre und zum Scheine sogar, so viel es gehen wollte, nach Aristoteles gemodelt hat, unterliegt keinem Zweifel angesichts folgender Stellen aus einem Briefwechsel:

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An Mersenne (Juli 1633) VI, 239 (ed. Cousin): Descartes hat mit Erstaunen von der Verurtheilung eines Buches von Galilei gehört; vermuthet, dass dies wegen der Bewegung der Erde sei und bekennt, dass dadurch auch sein eigenes Werk betroffen werde. „Et il est tellement lié avec toutes les parties de mon Traité que je ne l'en saurois détacher, sans rendre le reste tout défectueux. Mais comme je ne voudrais pour rien du monde qu'il sortît de moi un discours où il se trouvât le moindre mot qui fût désapprouvé de l'église, aussi aimé-je mieux le supprimer que de le faire paroître estropié.“ An dens. 10. Jan. 1634, VI, 242 u. f.:,,Vous savez sans doute que Galilée a été repris depuis peu par les inquisiteurs de la foi, et que son opinion touchant le mouvement de la terre a été condamné comme hérétique; or je vous dirai, que toutes les choses, que j' expliquois en mon traité, entre lesquelles étoit aussi cette opinion du mouvement de la terre, dépendoient tellement les unes des autres, que c'est assez de savoir qu'il en ait une qui soit fausse pour connoître que toutes les raisons dont je me servais n'ont point de force; et quoique je pensasse qu'elles fussent appuyées sur des démonstrations très certaines et très évidentes, je ne voudrois toutefois pour rien du monde les soutenir contre l'autorité de l'église. Je sais bien qu'on pourroit dire que tout ce que les inquisiteurs de Rome ont décidé n'est pas incontinent article de foi pour cela, et qu'il faut premièrement que le concile y ait passé; mais je ne suis point si amoureux de mes pensées que de me vouloir servir de telles exceptions, pour avoir moyen de les maintenir; et le désir que j'ai de vivre au repos et de continuer la vie que j'ai commencée en prenant pour ma devise,,bene vixit qui bene latuit", fait que je suis plus aise d'être délivré de la crainte que j'avois d'acquérir plus de connoissances que je ne désire, par le moyen de mon écrit, que je ne suis fâché d'avoir perdu le temps et la peine que j'ai employée à le composer." Gegen Schluss des gleichen Briefes heisst es dagegen (p. 246): „Je ne perds pas tout-à-fait espérance qu'il n'en arrive ainsi que des antipodes, qui avoient été quasi en même sorte condamnés autrefois, et ainsi que mon Monde ne puisse voir le jour avec le temps, auquel cas j'aurois besoin moi-même de me servir de mes raisons." Diese letztere Wendung namentlich lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Descartes kam nicht dazu, sich seines eignen Verstandes bedienen zu dürfen und so entschloss er sich, eine neue Theorie aufzustellen, welche ihm den gewünschten Dienst leistete, einen offenen Conflict mit der Kirche zu vermeiden.

DRITTER ABSCHNITT.

Der Materialismus des siebzehnten
Jahrhunderts.

I. Gassendi.

Wenn wir die eigentliche Erneuerung einer ausgebildeten materialistischen Weltanschauung auf Gassendi zurückführen, so bedarf die Stellung, welche wir diesem damit einräumen, einiger vertheidigenden Worte. Wir legen von allen Dingen Gewicht darauf, dass Gassendi das vollendete materialistische System des Alterthums, das System Epikurs wieder ans Licht gezogen und den Zeitverhältnissen gemäss umgebildet hat. Allein gerade hierauf hat man sich gestützt, um Gassendi aus der mit Baco und Descartes hereinbrechenden neuen Zeit einer selbständigen Philosophie zurück zu weisen und ihn als blossen Fortsetzer der überwundenen Periode der Reproduction altclassischer Systeme zu betrachten.1)

Hierin liegt eine Verkennung des wesentlichen Unterschiedes, der zwischen dem epikureischen und jedem anderen alten Systeme im Verhältniss zu der Zeit, in der Gassendi lebte, bestand. Während die herrschende aristotelische Philosophie, so sehr sie auch den Kirchenvätern noch zuwider war, sich im Laufe des Mittelalters mit dem Christenthum fast verschmolzen hatte, blieb Epikur gerade das Sinnbild des extremen Heidenthums und zugleich des directen Gegensatzes gegen Aristoteles. Nimmt man hierzu den undurchdringlichen Schutt traditioneller Verläumdungen, mit denen Epikur überhäuft war, und deren Haltlosigkeit erst hier und da einsichtige Philologen gelegentlich bemerkt hatten, ohne einen entscheidenden Streich zu führen, so muss

gerade die Ehrenrettung Epikurs verbunden mit der Erneuerung seiner Philosophie als eine That erscheinen, die schon bloss von ihrer negativen Seite, als die vollendete Opposition gegen Aristoteles sich den selbständigsten Unternehmungen jener Zeit zur Seite setzen darf. Allein auch diese Betrachtung erschöpft die volle Bedeutung der That Gassendis nicht.

Gassendi traf nicht zufällig oder aus blosser Oppositionssucht auf Epikur und seine Philosophie. Er war Naturforscher und zwar Physiker und Empiriker. Nun hatte schon Baco dem Aristoteles gegenüber auf Demokrit hingewiesen als den grössten der alten Philosophen. Gassendi, dem eine gründliche philologisch-historische Bildung einen Ueberblick über die sämmtlichen Systeme des Alterthums gab, griff mit sicherem Blick dasjenige heraus, was gerade der neuen Zeit, und zwar der empirischen Richtung in dieser neuen Zeit, am vollständigsten entsprach. Die Atomistik, durch ihn aus dem Alterthum wieder hervorgezogen, gewann eine bleibende Bedeutung, wie sehr sie auch unter den Händen späterer Forscher allmählich umgestaltet wurde.2)

Bedenklich könnte es freilich erscheinen, den Probst von Digne, den orthodoxen katholischen Geistlichen Gassendi, zum Stammvater des neueren Materialismus zu machen; allein Materialismus und Atheismus sind ja eben nicht zusammenfallende, wenn auch verwandte Begriffe; auch Epikur opferte den Göttern. Die Naturforscher dieser Zeit hatten durch längere Uebung eine wahre Virtuosität darin erlangt, mit der Theologie sich formell auf gutem Fusse zu erhalten. Descartes leitete z. B. seine Theorie von der Entstehung der Welt aus kleinen Körperchen mit der Bemerkung ein, dass zwar ganz gewiss Gott die Welt auf einmal erschaffen habe, dass es aber doch von grossem Interesse sei, zu sehen, wie die Welt hätte entstehen können, obwohl wir wüssten, dass sie es nicht gethan habe. Einmal mitten in der naturwissenschaftlichen Theorie angelangt, steht dann ausschliesslich jene Entstehungshypothese im Gesichtskreis; sie steht mit allen Thatsachen in bester Harmonie und man vermisst nicht das Geringste. So wird die göttliche Schöpfung zu einer bedeutungsvollen Formel der Anerkennung. Ebenso geschieht es mit der Bewegung, wo Gott die erste Ursache ist, die aber den Naturforscher gar nicht weiter kümmert. Das Princip der Erhaltung der Kraft durch beständige Uebertragung der mechanischen Stossbewegung erhält zu einem sehr untheologischen Inhalt doch eine theologische Form. In derselben Weise

geht nun auch der Probst Gassendi zu Werke. Mersenne, ein anderer naturforschender Theologe, zugleich ein tüchtiger Hebräer, gab damals einen Commentar zur Genesis heraus, in welchem alle Einwürfe der Atheisten und Naturalisten widerlegt waren; aber so, dass mancher den Kopf dazu schüttelte, und jedenfalls der grösste Fleiss auf die Zusammenstellung, nicht auf die Widerlegung jener Einwürfe verwandt wurde. Mersenne nahm eine vermittelnde Stellung ein zwischen Descartes und Gassendi; mit beiden, wie mit dem Engländer Hobbes befreundet. Dieser war ein entschiedener Parteigänger des Königs und der bischöflichen Hochkirche und wird nebenbei als Haupt und Stammvater der Atheisten betrachtet.

Interessant ist, dass Gassendi auch die Theorie zu diesem zweideutigen Verhalten nicht etwa von den Jesuiten (was wohl auch möglich gewesen wäre) bezieht, sondern dass er sie auf Epikurs Beispiel begründet. In seinem Leben Epikurs findet sich eine weitläufige Erörterung, deren Kern in dem Satze steckt: Innerlich konnte Epikur denken, was er wollte; in seinem äusseren Verhalten aber war er den Gesetzen seines Staates unterworfen. Noch schärfer bildete Hobbes diesen Lehrsatz aus: der Staat hat über den Cultus unbedingte Gewalt; der Einzelne muss sein Urtheil gefangen geben; aber nicht innerlich, denn unsere Gedanken sind nicht der Willkür unterworfen und deshalb kann man Niemanden zum Glauben zwingen.3)

Mit der Rettung Epikurs und der Herstellung seiner Lehre durfte sich's Gassendi nicht gar zu bequem machen. Man sieht es seiner Vorrede zu dem Buche über Leben und Sitten Epikurs wohl an, dass es gewagter erschien Epikur zu bekennen, als eine neue Kosmogonie aufzustellen.) Dessenungeachtet sind die Rechtfertigungsgründe seines Schrittes wohlweislich nicht aus der Tiefe geschöpft, sondern nur mit grossem Aufwand von dialektischer Kunst äusserlich zusammengefügt; ein Verfahren, das der Kirche gegenüber stets besser weggekommen ist, als ein tiefsinniger und selbständiger Versuch der Vermittelung zwischen ihren Lehren und fremden oder feindlichen Bestandtheilen.

Ist Epikur ein Heide, so war Aristoteles das auch; bekämpft Epikur den Aberglauben und die Religion, so hatte er Recht, denn er kannte ja eben die wahre Religion nicht; lehrt er, dass die Götter weder lohnen noch strafen, und verehrt er sie um ihrer Vollkommenheit willen, so zeigt sich darin der Gedanke der kindlichen Verehrung an der Stelle der knechtischen, also eine reinere, dem Christenthum Lange, Gesch. d. Materialismus. I.

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