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19. jahrhundert.

6. band

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Falls sich der Künstler nicht in demselben Geiste in sein Werk vertieft, wie Curtius in den Abgrund sprang, und falls er in diesem Krater nicht wie ein Grubenarbeiter tätig ist, der verschüttet ward, sich vielmehr in Betrachtungen der Schwierigkeiten ergeht, statt selbe eine nach der anderen zu überwinden, so wird er Zeuge der Selbstvernichtung seines Talents werden.

Balzac.

1.

Der politische Hintergrund.

Ueber den deutschen Landen brütete seit den Tagen der heiligen Allianz jene große, systematisch geordnete Reaktion, welche, vom Wiener Kongreß ausgegangen, auch in Oesterreich ihren Mittelpunkt hatte, und Metternich, ihr bedeutendster Repräsentant, ein Schüler Talleyrands, der zwar nicht die Gewandtheit seines Meisters besaß, jedoch weit schädlicher als dieser war, hoffte, ganz Europa damit umspannen zu können. Es galt jezt, daß Alles, was die Revolution und Napoleon ins Wanken gebracht, erschüttert oder umgestoßen hatten, sich befestigt oder wiederhergestellt erheben konnte. Man war schließlich dazu gezwungen worden, den großen Feind durch allerlei Mittel zu bekämpfen: man hatte an das Volk appellieren müssen, statt ohne Weiteres zu befehlen, man hatte sich an die Sentimentalität wenden müssen, statt an die Unterthanentreue, man hatte sogar etwas von wirklicher Kabinetspolitik so Entferntes, etwas so studentenartig Revolutionäres wie „Deutschlands Wiedergeburt" geloben müssen! Allerdings war ein merkbarer Unterschied bei der Parole gewesen, welche von Desterreich ausging und derjenigen, welche Preußen ausgab. Gerechtigkeit und Ordnung“, „Ordnung und Friede“, das waren die Stichworte in den österreichischen Proklamationen „das Volk“, „Freiheit und Ehre“, „Deutschtum", waren die preußischen Stichworte. Aber damit waren diese beiden großen deutschen Staaten viel weiter der Stimmung des Zeitalters entgegengekommen, als es mit der Sympathie der leitenden Staatsmänner übereinstimmte. Und kaum war der Feind verBrandes, Das junge Deutschland.

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jagt, der Erbe der Revolution zerschmettert und der „Freiheitskrieg" beendet, als es auch für sie galt, der Freiheit wie dem Krieg ein Ende zu machen.

Die Jugend, welche unter den napoleonischen Kriegen herangewachsen war, hatte als Folge des Sieges die Verwirklichung seines Lieblingsgedankens, die Auferstehung eines einigen Deutschlands erwartet. Stein hatte bereits 1812 einen Plan zur Wiedervereinigung der zerstreuten Theile des ehemaligen deutschen Reiches entworfen, im selben Geiste hatten Arndt und Görres ihre zündenden Reden gehalten. Aber im Pariser Frieden von 1814 wurde wörtlich bestimmt: „Die deutschen Staaten sollen unabhängig und vereint sein durch ein föderatives Band", und dadurch wurden alle Hoffnungen auf ein einiges Deutschland vernichtet. Fast ein Menschenalter entschwand, bevor dieser Gedanke wieder das Volk erfüllte. An Stelle „Deutschlands" entstand der deutsche Bund, der deutsche „Bunt" wie Jahn ihn nannte, eine bunte Harlekinstracht für die Nation - und die Täuschung war bitter. Es ging mit dem Freiheitstraume wie mit dem Einheitstraume. Um ihr Volk zum Kampfe gegen Napoleon aufzureizen, hatten mehrere Fürsten demselben eine freie Verfassung versprochen. Aber von den größeren Staaten hielten dieses Versprechen nur Bayern, Baden und Württemberg, die ehemaligen Mitglieder des von Napoleon gestifteten Rheinbundes, und führten, Bayern und Baden, im Jahre 1818, Württemberg, wo der König ausnahmsweise freisinniger als die Stände war, im Jahre 1819 eine konstitutionelle Verfassung ein, während Karl August in seinem kleinen SachsenWeimar als Bahnbrecher politischer Freiheit in Deutschland bereits im Jahre 1816 eine freie Verfassung gegeben und ein wahrhaft parlamentarisches Idyll geschaffen hatte.

Dies bedeutete aber nur wenig, da Desterreich auch nach dem Frieden sein altes, reaktionäres Prinzip weiter verfolgte und Preußen, troß des politischen Triebes seiner Bevölkerung, sich ganz dem Metternich'schen Systeme anschloß.

Indessen hatte das preußische Volk nicht nur den Wunsch nach einer Repräsentativ-Verfassung, sondern es besaß auch ein althergebrachtes Recht dazu. Es hatte Brief und Siegel darauf.

Bereits in einem Edikte vom Jahre 1810 hatte der Kanzler Fürst Hardenberg, Preußens Wiederhersteller, eine allgemeine Volksvertretung in Aussicht gestellt. Während der napoleonischen Kriege war dies Versprechen wiederholt worden, und dem Volke endlich in einer Kabinetsordre vom 22. Mai 1815 eine förmliche Zusage und ausdrückliche Eröffnung der Absicht des Königs gegeben, unverzüglich eine Kommission zur Ausarbeitung eines Verfassungs-Entwurfes nach konstitutionellen Grundsäßen niederzusehen. Aber schon drang das Metternich'sche System durch, und die Verwirklichung dieses Planes ward aufgehoben. Als Görres es wagte, Hardenberg eine Adresse der Rheinlande vorzulegen, in welcher der König von Preußen an sein Versprechen erinnert wurde, bekam er nur zur Antwort, daß der König, als er dies Versprechen gegeben, sich auch in seiner Weisheit den Zeitpunkt der Einlösung zu bestimmen, vorbehalten habe. Wiederholt erklärte sich der König später zwar an sein Versprechen gebunden, aber er betonte beständig, die Feststellung des Zeitpunktes müsse seiner landesväterlichen Fürsorge überlassen bleiben. Und so blieb es vorläufig volle 25 Jahre, während der übrigen Lebenszeit des Königs.*)

Die Regierungen waren überall geschäftig, jede Spur napoleonischer Staatseinrichtungen auszurotten. So wurde 3. B. in Hannover der Code Napoléon mit seiner öffentlichen Rechtspflege und Mündlichkeit abgeschafft und dafür der alte Inquisitionsprozeß des 16. Jahrhunderts mit seinem geheimen Verfahren wiedereingeführt. Die Bauern, welche unter den Franzosen freigeworden waren, wurden zurück zur Leibeigenschaft und zum Frohndienste geführt. Der Grundsaß der Gleichheit vor dem Geseze wurde aufgehoben und der Adel erhielt von neuem die politischen und sozialen Vorrechte, welche er im 18. Jahrhundert innegehabt hatte.

Und eben, als sich in Süddeutschland ein freieres Staatsleben zu entwickeln begann, trat dort ein Ereignis ein, welches das Signal zu größerer Reaktion in weit schnellerem Tempo und unter Anwendung der gewaltsamsten Mittel gegenüber

*) Biedermann, 30 Jahre deutscher Geschichte. Pruz, 10 Jahre. Bd. 1. 2.

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