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Rede, gehalten am Jahrestag der Gefechte bei Uettingen und Helmstädt auf dem Markt in Barmen 1867.

Im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Amen.

Text: Psalm 118, Vers 14.

Der HErr ist meine Macht, und mein Psalm, und ist mein Heil.

In Christo geliebte Freunde! Soldaten und Landwehrleute der Böhmischen und der Main-Armee! Söhne der Stadt Barmen! Was ist Euch, daß Ihr hierher gekommen seid am Werktage im Feiertagskleid, die Werktagsarbeit verlassend? Was hat der Kanonendonner und die Reveille, die unser friedliches Thal weckten, zu bedeuten? Dieser Platz, sonst widerhallend vom Ruf der Käufer und Verkäufer, wo die bleiche Sorge ums tägliche Brod auf und niedergeht, wodurch ist er zum Festsaal geworden? Ja noch mehr: dieser Raum, sonst durchrauscht und erfüllt von Nichtigkeit, vom vergänglichen Flitter und Tand irdischen Vergnügens, wodurch hat er sich gewandelt zum Gotteshause, über welchem als mächtige Kuppel des Himmels Blau sich wölbt, wo Lieder des Lobes und der Anbetung unseres Gottes klingen? Es ist nicht der Königs-Tag oder sonst ein Tag, der im gleichmäßigen Festklang durch alle preußischen Lande ginge ringsumher die Städte und Dörfer feiern ihn nicht aber wir feiern ihn, diesen 26. Juli, als einen für uns unvergeßlichen Tag. Es ist ein Tag der Erinnerung an jene heißen, blutigen Stunden von Helmstädt und Uettingen, Stunden, die so leicht auch Eure letzten hätten werden können; ein Tag des Lobes und des Dankes für Gottes gnädige Bewahrung vor den Kugeln und Pfeilen, die des Tages flogen, und vor der Seuche, die im Finstern schlich ein Tag, durch dessen Freudenklang das Andenken an die gefallenen Brüder wie ein ernster Geisterchor zieht. So ist denn auch dieser Gottesdienst, wenn ich Euch anders recht verstehe, in Euren Augen keine leere Form. Eurem

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Dank gegen Gott Worte zu leihen, Eure Freude zu heiligen durch Wort Gottes und Gebet, habt Ihr mich hierher gerufen. Lasset mich, was unser Herz am heutigen Tage so tief bewegt, zusammenfassen in dem dreifachen Bekenntniß unseres Textes:

„Der HErr ist meine Macht, und mein Psalm, und mein Heil."
Wir bekennen:

Im Blick auf die Vergangenheit: Der Herr ist meine Macht!
Im Blick auf die Gegenwart: Der Herr ist mein Psalm!
Im Blick auf die Zukunft: Der Herr ist mein Heil!

I.

Nur ein Tag aus den vielen bedeutungsvollen Tagen, die uns das vergangene Jahr gebracht, ist's, den wir feiern. Aber auf diesen Tag und seine Feier vereinigen wir das Andenken an alle jene glorreichen Tage, gleichviel welchem Heerestheil sie angehören. Denn so gliedlich sind wir doch in Preußen verbunden, daß, so ein Glied leidet, sie Alle leiden, so ein Glied wird herrlich gehalten, sie sich Alle freuen. Was die Einen gelitten, sie haben's für Alle gelitten, was die Einen gestritten, sie haben's für Alle erstritten. Sind doch jene Armeen, die Böhmische und die Main-Armee, nur die beiden großen Flügel des einen gewaltigen preußischen Adlers, davon der eine, deckend das Stammland, auf altem, mit preußischem Blute schon gedüngten Boden den alten bekannten Feind bekämpfte; der andere aber mit fühnem Flügelschlage vorwärts drang ein Flügelschlag der Hoffnung auf ein einiges deutsches Vaterland!

Erinnert Euch der vergangenen Tage für einen Augenblick. Als dort im Bundespalais der österreichische Gesandte den Vertrag mit Preußen zerriß und seine Feßen auf den Tisch streute, als in jener Abstimmung gegen Preußen sich der Bundestag selbst das Todesurtheil sprach und unser König sein Volk zu den Waffen rief, da hieß es „Feinde ringsum", in Front, Seite und Rücken. Es konnte der König nur trauen auf die Gerechtigkeit seiner Sache, die Opferwilligkeit und Vaterlandsliebe seines Volkes, auf den Muth und die Kraft seiner Armee; vor Allem

aber traute er auf den Herrn, der Preußen aus sechs Trübsalen gezogen und es auch in der siebenten nicht verlassen noch versäumen werde. Und so ist er selbst in den Kampf gezogen, nicht von Ferne dem Fallen der Kriegswürfel lauschend, sondern mit dem gemeinsten Mann Entbehrung und Gefahr theilend, bereit, mit seinem Heere zu siegen oder zu fallen. So hat er auch, und mit ihm das Böhmische Heer, sichtbarlich die Wunderhand seines Gottes erfahren, und sein Bekenntniß unter dem Sieg, dem Donner der Kanonen und der Flucht der Feinde war kein anderes als: „Das ist vom Herrn, der Herr ist meine Macht!"

Die Aufgabe aber, an der Ihr, Soldaten und LandwehrLeute der Main-Armee, standet, war keine geringere. Für Euch, bei denen der König nicht persönlich sein konnte, ging sein Trost in Assaphs Gebet: „Herr! Es ist bei Dir kein Unterschied, helfen unter Vielen, oder da keine Kraft ist. Herr, unser Gott, wider Dich vermag kein Mensch etwas!" Denn Ihr standet, eine Hand voll Leute, wider einen großen und tapferen Feind, einem Heere gegenüber, das, weil es in Verblendung in Preußen Deutschlands Feind sah, mit Erbitterung kämpfte — einem Heere, das nicht aus fremden Völkern und Horden, sondern aus deutschen. Brüdern bestand; in dessen Reihen durch Gehorsam gebunden, manch edles deutsches Herz schlug, das in Preußen den Hort Deutschlands sah, nun bestimmt, durch preußische Kugeln zu fallen, - es war eine große, eine wehmüthig schmerzliche Aufgabe, die Ihr zu lösen hattet. Aber auch Euch half der Herr. Die zahlreichen und tapferen Feinde, Er hat sie mit Verwirrung und Zwiespalt geschlagen, rathlos und planlos fielen sie Euch in die Hände. Was Euch an Zahl der Soldaten gebrach, ward durch die Kühnheit und Ausdauer Eurer Heerführer erseßt, die es dazu noch verstanden, nuglosem Blutvergießen zu wehren und so die schmerzliche Aufgabe auf mildeste Weise zu lösen.

Und nun! wenn Ihr zurückschaut! Wer hat das kleine Häuflein von den Fluthen des nordischen Meeres im raschen Siegeslauf durch die wohlgerüsteten Länder, an den verwaisten Thronen und Residenzen vorüber, die steilen Schluchten der Rhön

hinauf, bis hinab an den Main, und in das Herz Bayerns gebracht? Wer hat Euch in ehrenvollem Frieden drei der schönsten und reichsten Länder dem Könige und Vaterlande zuführen, und sprechen lassen: „Siehe da!?" Geliebte, das lag außer aller menschlichen Berechnung, das überstieg die kühnsten Erwartungen

das war nicht Menschenwit noch Menschenwerk, das kam wo anders her: das war, um ein altes Blücherwort neu zu gebrauchen: Falkensteins Kühnheit, Goebens Besonnenheit aber vor Allem des großen Gottes Barmherzigkeit! Darum bekennen wir mit strahlendem Auge und jubelndem Munde über der großen Vergangenheit!

„Der HErr ist meine Macht!"

II.

Darum aber auch Ihm allein die Ehre und das Lob! „Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern Deinem Namen gieb Ehre," so tlang's vom König bis zum letzten Mann im vergangenen Jahre. Zu gewaltig, als daß man sie hätte überhören können, ging Gottes Stimme. Unser Volk, dem die Gefahr eiteln Rühmens nicht allzu fern liegt, hat sich nach dem Siege noch tiefer gebeugt in seinem Danke, als vorher in seiner Buße und seinem Gebet. Aber, Geliebte, der herzbewegendste Augenblick bleibt so oft nur ein Augenblick, Gottes Barmherzigkeit ist groß und weit, aber der Menschen Gedächtniß ist kurz. Es gilt darum, aufs Neue der vergangenen Tage unter Beugung des Herzens zu gedenken und zu sprechen: „Der Herr ist mein Psalm!" Liegt aber dies Bekenntniß nicht Euch am nächsten, drängt es sich nicht mit Gewalt Euch auf die Lippen, Ihr Soldaten und Landwehrleute vom 32. und 36. Regiment? Die blutigsten Tage fast des ganzen Feldzuges am Main, Euch waren sie zugedacht! Gedenket Ihr noch, Ihr Zweiunddreißiger, des Tages von Helmstädt, und Ihr Sechsunddreißiger der heißen Stunden, da Jhr übers freie Feld hin die Waldhöhen von Uettingen stürmtet? Da rechts und links die Kugeln einschlugen, viel liebe Kameraden sanken, den letzten Gruß im brechenden Auge Euch mitgebend, da

Ihr den Vers, so oft in guten Tagen gesungen, in so ganz anderm Tone verstehen lerntet:

Kann Dir die Hand nicht geben,

Derweil ich eben lad',

Bleib' Du im ew’gem Leben
Mein guter Kamerad!

Wohlan! Wem habt Ihr's zu danken, daß an Euch das Wort sich erfüllt hat: „Wenn Tausend fallen zu deiner Rechten, und Zehntausend zu deiner Linken, so wird es doch dich nicht treffen!" Ist's Euer Verdienst, daß die Kugeln Euer schonten, daß die schleichende Seuche Euch nicht verdarb, wenn Ihr heil aus der Schlacht kamt? Nein! Kommt! Jhr, die Ihr im grünen Eichenschmuck, im Glanze der Ehrenzeichen auf der Brust vor mir steht, kommt, laßt uns anbeten und sprechen: „Wir haben einen Herrn HErrn, der vom Tode errettet.“ „Der HErr ist unser Psalm!"

Vor den Todespforten, vor den Thoren der Ewigkeit seid Ihr gestanden und wieder umgekehrt und dem Leben aufs Neue zurückgegeben worden. Vor den Thoren der Ewigkeit aber gestanden zu sein, ist eine heilige, verantwortungsvolle Sache. Es ist eine Stunde, in der man mehr lernen kann fürs ewige Leben als in vielen Jahren. Es ist nicht einerlei, wie man dem Tode ins Auge sieht, ob mit dem heidnischen Muthe der Verzweiflung jenes Amalekiterfönigs, der die Zähne übereinanderbiß und sprach: Also muß man des Todes Bitterfeit vertreiben!" oder mit dem stillen aber festen Muthe eines Christenmenschen, der da betet:

11

Christus der ist mein Leben

Und Sterben mein Gewinn,
Ihm hab' ich mich ergeben,

Mit Fried' fahr' ich dahin!

Geliebte! Wenn der Blick in den Todesrachen Euch das Leben in neuem Lichte gezeigt, wenn todte Kameraden, denen Ihr die Augenlider schlosset als letzten Liebesdienst, ihn dadurch erwidert haben, daß sie Euch die Augen über Euch selbst, über

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