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welcher es auch sei, in die Geschicke seines Volkes einzugreifen, seine Wunden zu verbinden und zu heilen, und wem die Bangigfeit über die große, unabsehbare Aufgabe das Herz beschleicht, weß Auge aber dann lauter und ohne Falsch sich emporhebt zu den Bergen, von dannen ihm Hülfe kommt dem gilt der himmlische Zuspruch: „Fürchte dich nicht, Ich bin mit dir." Wo dieses „Ich“ zum Menschen sich neigt, da wird das bange Herz getrost und fest. Er ist die große Zahl vor den Nullen. Nicht, auf welcher Seite die Meisten sind, ist die Majorität, sondern wo der Eine, große Allmächtige ist, da ist sie. Ohne Ihn nicht über einen Strohhalm, aber mit meinem Gott kann ich über die Mauern springen". Der Herr ist mit mir, wovor sollte ich mich fürchten? So tönt der erste Gottesgruß: „Fürchte dich nicht, Ich bin mit dir."

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II.

Der zweite Gottesgruß lautet: „Weiche nicht, denn Ich bin dein Gott." Ist das Herz seines Gottes gewiß geworden, dann gilt es auch, nicht zu weichen und bei seinem Gotte bleiben. Und was ist schwerer, zu Gott kommen oder bei ihm bleiben? Die Schrift traut dem Menschenherzen nicht viel Festigkeit zu, sondern stellt ihm das Zeugniß aus: „Es ist ein trogig und verzagt Ding." Es troßt da, wo es verzagen sollte auf sich; und verzagt da, wo es trozen soll: auf seinen Gott. Aber wir sind nicht von denen, die da weichen, sondern von denen, die Glauben halten und die Seele erretten". In einer Zeit leben, wo allerwärts wilde Wasser feste Dämme durchbrechen, wo geheiligte, sittliche Ordnungen durch Wort und Schrift in Frage gestellt werden und auch das Heiligthum des Glaubens nicht unangefochten bleibt; wo man den Erfolg anbetet, statt der Wahrheit der Ideen zu vertrauen, in einer Zeit, wo es wohl gilt, den Forderungen, die sie stellt, ein volles Verständniß entgegenzutragen, aber auch gegen einen gottwidrigen Zeitgeist sich mit voller Manneskraft zu stemmen, bei all dem Wanken und Weichen

ringsum

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nicht weichen, sondern festhalten an dem, was man vor Gott und seinem Gewissen als wahr und göttlich erkannt hat, das ist nicht leicht. „Weiche nicht", das redet nicht dem Trotz und der Eigenwilligkeit das Wort, wohl aber stärkt es den Willen, der in erster Linie nach Gottes Willen fragt und sich unter ihn beugt. Denn Ich bin dein Gott." Nicht bloß dein Gott und Richter, der Rechenschaft von dir verlangt, sondern dein Gott, der es wohl um dich verdient hat, daß du bei Ihm bleibst und nicht von Ihm weichest. Kein Tag ruft uns so die Chronik der Güte Gottes vor die Seele, als ein Geburtstag, und erinnert so das Herz an alle Wohlthat und Treue. „Weiche nicht", ruft Er, „Ich bin der Gott deiner Väter, die Ich getragen, wie ein Adler seine Jungen trägt; der sie aus sechs Trübsalen gezogen und in der siebenten nicht versäumt hat." „Weiche nicht Ich bin dein Gott", der dich gesegnet in Amt und Haus. Du zählst heute die Häupter deiner Lieben und sieh', es fehlt kein einzig Haupt! Wer hat sie behütet, wer die Hände über ihnen gehalten? Siehe, solche Güte bindet das Herz unauflöslich an seinen Gott. Wir lassen Ihn nicht, weil Seine Güte uns nicht gelassen hat! Es kann ein Baum brechen, wenn der Nordwind seine Zweige schüttelt; er kann aber auch brechen unter der Last der Früchte, die auf seinen Zweigen ruhen. Darum „schaue an den Ernst und die Güte Gottes", den Ernst an denen, die von ihm gewichen und gefallen sind; die Güte aber an dir, so du „an der Güte bleibest"! Ja, dem schwankenden Herzen ruft Er zu: ,,Weiche nicht, denn Ich bin dein Gott!"

III.

„Sprich zu meiner Seele: der Herr ist deine Hülfe." So hat ein König einst gebeten und ist erhört worden, und hier ertönt von oben der leyte Zuspruch: „Ich helfe dir und stärke dich auch." Freilich, wer kann einem Könige helfen und wer ihn schüßen? Unser hochseliger Kaiser hatte Recht zu sagen: „Uns Fürsten kann Niemand schüßen außer Gott." Die Leibwache

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eines Fürsten liegt doch im Worte: „Der Engel des Herrn lagert sich um die her, so Ihn fürchten." Aber es giebt auch ein Zuhülfekommen Gottes, einen Succurs des Herrn der Heerscharen, ein Gewappnetwerden aus dem himmlischen Zeughause, von dem kein Menschenauge etwas sieht. Solche Hülfe öffnet und schärft die Augen, das Wahre und Nothwendige zu erkennen; sie stärkt die Hände, das Gute zu wollen und zu thun, sie macht den Gang sicher und getrost. Aber sie hilft. und stärkt auch durch Männer, die in Treue, in Rath und That ihrem Könige dienen. Die Wege der Könige find thränenreich und thränenwerth, wenn ihnen nicht Herz und Geist ihres Volkes hülfreich zur Hand gehen“, hat ein preußischer König gesagt. Der Männer mit Geist und Herz bedarf jeder Fürst; das Entscheidende ihres Werthes, ihrer Hülfe liegt nicht allein in ihrer Begabung, sondern auch in der Reinheit und Festigkeit ihres Charakters. So verschieden die Menschen auch sein mögen, schließlich giebt es ihrer nur zweierlei: Menschen, auf die man sich verlassen kann, und Menschen, auf die man sich nicht verlassen kann. Eines aber steht fest: auf ein betend Volk kann sich ein Fürst verlassen.

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Die Geschichte erzählt von einem jungen Fürsten, der am Tage seines Regierungsantritts auf dem Dache seines Schloffes eine Glocke anbringen ließ, deren Seil herab in sein Arbeitszimmer hing. Die wollte er läuten, wenn er sich mit seinem Volke glücklich fühlte. Er wollte es schon im ersten Jahre thun, da brach der Krieg ins Land, danach kam Aufruhr, Seuche und Hungersnoth. Nie konnte er läuten. Zulezt fiel er in schwere Krankheit und Todesnoth. Er hörte, daß. das Volk draußen auf dem Schloßhofe auf den Knieen liege und für seine Genesung bete. Da zog er mit müder, fiebernder Hand die Glocke er war mit solchem Volke glücklich. So laßt uns stehen als ein Volk, das am heutigen Tage nicht bloß betet, sondern auch das Gelübde der Treue erneuert; das nicht bloß die Hände faltet, sondern auch zum neuen Eidschwur erhebt. Wenn dann von oben her der Zuspruch tönt: „Fürchte dich nicht, Ich bin mit

dir, weiche nicht, denn Ich bin dein Gott, Ich stärke dich, Ich helfe dir auch", dann töne es von unten her aus dem Munde der Fürsten und des ganzen deutschen Volkes, mit dessen Ruf wir uns in dieser Stunde verbinden:

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Dein sind wir und mit Dir wollen wir es halten! Friede, Friede sei mit Dir, Friede sei mit Deinen Helfern, denn Dein Gott hilft Dir." Amen.

II. Aus den Feldzügen von 1866

und 1870/71.

Predigt am Kriegsbuß- und Bettage, 27. Juni 1866 in der Kirche zu Barmen-Wupperfeld.

Text: Jeremia 14, 19-21.

Gnade sei mit uns und Friede von Gott dem Vater und dem Herrn Jesu Christo! Amen.

Feiertag

mitten in der Woche ist's heute. Und

nicht bei uns allein. Allenthalben vom Rhein bis zur Weichsel läuten die Glocken, aus Berg und Thal die Leute rufend zum Hause des Herrn. Was ist dem preußischen Volke widerfahren, daß es die Arbeit liegen läßt, die Feierkleider am ungewohnten Tage anzieht und zum Gebete eilt? Sind's Freudenglocken, die es rufen, Gutes und Frieden verkündigend? Läutet's im hohen Tone hoch vom Thurm: Ehre, Ehre sei Gott in der Höhe? Gedenkt unser Volk wie vor drei Jahren der Großthaten seines Gottes auf den Feldern Leipzigs? Oder läutet's im mittleren Tone: „Friede, Friede!" nach heißem Kampf, wie vergangenes Jahr nach dem Sieg über die Dänen? - Ich schaue die Straßen unserer Stadt hinab: da ist kein Flaggenschmuck, kein Laubgewinde; ich schaue den Kirchgängern nach und ins Angesicht: da ist nicht Freude, nicht Jubel; ernst und bedächtig

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