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wenn wir sie nicht verstehen; an Seiner Hand uns halten, auch wenn sie uns schmerzlich drückt. Wer das thut, weiß, daß nicht ein dunkles, unerbittliches Schicksal, sondern die Vaterhand Gottes uns leitet, der wird nicht irre an ihr, so wenig ein Kind irre wird an der Hand seiner Eltern, weil es an ihrem Herzen nicht zweifelt. So hat auch Kaiser Friedrich gewußt, aus wessen Hand das Leid ihm kam; wie er's geschrieben hat: „Möge Gottes Gnade und Barmherzigkeit in der Mir auferlegten Prüfung sich auch an Mir erfüllen. An Seinem Segen ist Alles gelegen." Er wußte: aus wessen Hand ihm das Leid zukam," und darum auch sein Lieblings-Choral:

„Es kann mir nichts geschehen,
Als was ER hat ersehen,

Und was mir selig ist."

Oder wenn er einmal aus dem Süden schreibt: „Der alleinige Arzt droben wird Alles nach seinem Willen anordnen, dem ich mich füge und zu allen Zeiten meines Lebens unterordne." Das heißt die Anfechtung erdulden.

Aber es gilt nicht bloß sie erdulden es gilt, in ihr bewährt zu werden; in der Schule etwas zu lernen, in diesem Feuer bewährt und verklärt zu werden, aus dieser Thränensaat eine Freudenernte reifen zu sehen! Es sagt ein Lied: „Ich hab' es getragen aber fragt mich nur nicht wie;" es ist kein rühmlich Lied! Nicht daß man trägt, sondern gerade wie man trägt, entscheidet! Lasten trägt auch das Thier, sein Kreuz trägt nur ein Christ. Wie er sein Kreuz getragen, das macht Kaiser Friedrich groß in unseren Augen, daß er es getragen nicht mit stoischem Gleichmuth, nicht mit jener Weltund Leidensverachtung, sondern getragen mit dem vollen, empfindenden Herzen; mit den Augen, den fast gebrochenen, hinaufschauend, mit der Hand stumm hinaufdeutend, woher ihm Hülfe kam; daß er's getragen in Geduld, ohne zu murren, ohne zu klagen; getragen, so daß das Herz sich nicht verbittert zurückzog, sondern in Liebe sich weitete und sterbend den Sohn noch segnete und der Tochter Geburtstag noch weihte und vergoldete.

In seinem Königsberufe hat er das letzte Wort seines sterbenden Vaters zu seinem ersten gemacht: „Ich habe keine Zeit zum Müdewerden." So nahm er sterbend die Kaiserkrone aufs Haupt, entschlossen, sie zu tragen, auch wenn sie ihn erdrücken sollte. Das ist Hohenzollernart.

Wer ist größer, Geliebte: der Mann im leuchtenden Sonnenschein oder der Mann im Dunkel der Leidensnacht? Was wahrhaft in Kaiser Friedrich lebte, was er selbst war, das kam in den Monaten des Leidens zu Tage und wird droben ganz und voll in die Erscheinung treten. Was er hatte, fiel; was er war, wurde vollendet. Das sind die Liebesgedanken Gottes über ihm, der ihm eine andere Krone aufbewahrt hatte als die irdische. Das sind Gottes Wege mit ihm gewesen und wer will sie meistern? Das sind sie auch mit unserem Volk. Hat Gott in Seinem Regiment mit unserem preußischen Volk etwas versehen? Gewiß nicht. Aus sechs Trübsalen hat ER es gezogen, ER wird es in der siebenten nicht verlassen noch versäumen. Darum das Herz empor! Hat einst ein achtjähriger Knabe eines gefallenen Offiziers der weinenden Mutter ahnungslos und ahnungsvoll geschrieben: „Vorwärts über Gräber!" Wohlan, wir wollen das Kindeswort ein Manneswort sein lassen: „Vorwärts über Gräber!" Aber auch aufwärts über Gräber zu dem lebendigen Gott. Ihr habt in diesen Tagen den Eid geschworen, liebe Soldaten, unserm jezigen in Ehrfurcht geliebten Kaiser; habt gelobt, daß Ihr zu ihm stehen wollt in guten und bösen Tagen. Ihr habt aber auch sein Wort gehört. Ehe Ihr Euer Wort gabt, hat er Euch sein Wort gegeben, mannhaft und königlich; Euch gesagt, was er von Euch erwartet, sei's hier zu Land, sei's auf hoher See. Wohlan! Treue um Treue! Ihr Alten, mit Eurem Rath und Eurer Erfahrung, Ihr Jungen mit Eurer Thatkraft und Liebe und Begeisterung: heran zu unserem Kaiser und König, um ihn Euch stellend als eine treue Leibwache. Das sei der Leichenfeier heiliger Schluß und Entschluß! Was Kaiser Wilhelm und Kaiser Friedrich von Edelstem und Bestem getragen, es ruhe auf ihm als segensvolles Vermächtniß!

Wir Alle aber, meine Geliebten, ob in des Königs Rock oder im Bürgerkleide - wollen nun hinabgehen in unser Haus und es uns sagen, daß nicht der Mann selig ist, zu dessen Hütte keine Anfechtung noch Plage sich naht, sondern der, der die Anfechtung erduldet. Nicht Alle können auf fürstlicher Höhe wandeln, aber aus der Tiefe des Leidens Kaiser Friedrichs kann der Aermste aus dem Volke etwas lernen. Das ist eine Predigt für uns Alle. Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras und auch ein König, dahinwelkend wie eine Blume; aber die Gnade des HErrn währt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Selig der Mann, der durch Dulden bewährt wird, ihm reicht der HErr die Krone des Lebens in Christo Jesu, unserem HErrn, welchem sammt dem heiligen Geist auch unter Thränen sei Lob, Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.

Kaiser Wilhelm II.

Predigt am Geburtstage Sr. Majestät des Kaisers und Königs am 27. Januar 1893 in der Schloßkapelle zu Berlin.

Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da war und der da ist und der da kommt! Amen.

Die zu der heutigen Feier bestimmten Textworte finden sich aufgezeichnet im Propheten Jesaia Kap. 41, Vers 10:

Fürchte dich nicht, Ich bin mit dir! Weiche nicht, denn Ich bin dein Gott. Ich stärke dich, Ich helfe dir, Ich halte dich durch die rechte Hand Meiner Gerechtigkeit.

Hohe Versammelte!

Jeder recht gefeierte Höhetag unseres Lebens

ein Geburtstag ist ein solcher

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und auch

hat etwas von jenem Tage an sich, den einst auf seinem Wüstenzuge das Volk des alten Bundes feierte. Unter Palmen und Wasserbronnen lagerte es sich; hinter

ihm die rettenden Großthaten Gottes, vor ihm das gelobte Land, in seiner Mitte die Stiftshütte mit der Wolke der Gegenwart des Herrn. Eine kurze Rast war's, mit himmlischer Stärkung von oben, mit viel Wünschen und Grüßen der Mitpilgernden, die sich lange nicht gesehen; dann aber galt's ein Gürten der Lenden, ein Ergreifen des Stabes und ein Weiterwandern zu neuem Kampf.

Auch hinter unserm in Ehrfurcht geliebten kaiserlichen Herrn liegt ein Jahr der Gnade, göttlicher Behütung und Bewahrung und menschlicher Arbeit; vor ihm ein neues Jahr mit neuen Aufgaben. Viele Gebete umrauschen ihn am heutigen Sonntage aus Tausenden von Kirchen, wie Wasserbronnen, und die Segenswünsche der herbeigeeilten, durchlauchtigsten deutschen Fürsten wollen ihm sagen, daß er, in Treue und Liebe geborgen, wie unter dem Schatten der Palmen ruhen solle. Und doch, so köstlich das Alles ist fehlte der Eine heute mit seinem Segenswunsch von oben her, wäre Er nicht mitten unter uns, dessen Aufsehen unsern Odem bewahrt, der die Fäden unseres Lebens in Seiner Hand hält - es wäre dennoch ein armes Fest. Aber siehe, Er neigt sich herab zum Flehen seines Knechts, zur Bitte seines Volkes und sendet aus dem oberen Heiligthum durch Sein Wort drei Gottesgrüße:

Dem bangenden Herzen ruft Er zu: Fürchte dich nicht,
Ich bin mit dir!

dem schwankenden: Weiche nicht, denn Ich bin dein

Gott!

dem flehenden: Ich helfe dir und stärke dich auch! Herr, thue meine Lippen auf, daß mein Mund Deinen Ruhm verkündige!

I.

Fürchte dich nicht"

Furcht? Wer spricht einem deutschen Manne von Furcht? Furchtlos und treu", war das nicht die alte Losung des Stammes, der die Sturmfahne im deutschen Frommel-Gedenkwerk. Bd. IV. Für Thron und Altar.

4

Kriege trug?

Ohne Furcht und ohne Tadel", ist es nicht eines rechten Ritters Devise? und ist es nicht das Kronrecht des Christen, singen zu dürfen:

Unverzagt und ohne Grauen

Soll ein Christ, wo er ist,

Stets sich laffen schauen?

Nein, zur Furcht verurtheilt ist nur jeder gottfliehende und darum gottverlassene Mensch. Er ist hineingegeben in das Bangen vor allem Kommenden; das Jahr liegt vor ihm wie eine dunkle Wolke, von der er nicht weiß, ob sie Regen oder Blitz in sich birgt. Solch ein Mensch ist hin- und hergeworfen in Furcht vor dem Urtheil der Menschen, vor der Großmacht der öffentlichen Meinung. Von solcher Furcht weiß ein Mensch Gottes nichts, der betet: „Ich fürchte kein Unglück, denn Du bist bei mir“ und beim Anbruch eines neuen Jahres spricht: „Es kann mir nichts geschehen, als was Er hat versehen und was mir selig ist."

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Aber es giebt eine Furcht, die der Stempel einer edeln Natur ist und die allen denen innewohnt, die vor eine hohe, verantwortungsvolle Aufgabe gestellt sind. Diese bedürfen des Zuspruchs: „Fürchte dich nicht." Siehe St. Paulum an: war er nicht eine Heldenseele sondergleichen, wetterhart und -fest, ein Fels im wogenden Meer? Ihn kümmern weder die Kränze noch die Steine der Leute zu Lystra, nicht die Spottreden der Philosophen zu Athen, nicht der Schiffbruch auf dem Meere noch das drohende Schwert des Kaisers — und dennoch, nicht zu einem, zu mehreren Malen wird dieser Heldenseele zugerufen: „Fürchte dich nicht, Paule!" Ihm bangt vor der Höhe der Aufgabe, gemessen an seiner eigenen Schwachheit; ihm bangt, ob die Schultern die Last werden tragen können. Das ist das Bangen der großen Seelen; des großen Meisters, der fürchtet, mit einem Schlag des Meißels sein Werk zu zertrümmern; das Bangen eines großen Arztes, ehe er das Messer ansett, ob der Schnitt zum Leben oder zum Tode gereichen werde. Wer anders in dieser tieferregten Zeit berufen ist, in erster Stelle, oder in

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