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Unter Dank gegen Gott, der den Entschlafenen getragen hat bis ins Alter und an ihm Seine wundersame Güte gezeigt, der ihn Euch so lang gelassen, zieht sein geistiges Bild verklärt an Euch vorüber. Wie könnte ich es besser zeichnen, als mit den Worten des Psalms: „Schlicht und recht, das behüte mich; denn ich harre Dein, mein Gott".

Es scheint mit diesem Worte nicht viel gesagt zu sein, und doch, kann man von einem Menschen etwas Größeres sagen? Große Männer sind nicht immer große Menschen, sie verlieren, je näher man ihnen kommt. Die Höhe der Stellung, ihre Erfolge haben ihnen den Sinn verrückt und Gerechtigkeit und Schlichtheit getrübt. Was der Psalm meint, ist jene Tugend der Unsträflichkeit und Rechtschaffenheit, der Integrität und Unantastbarkeit der Gesinnung, der Adel einer reinen Seele. Jene Lauterkeit, der am Urtheil Gottes und des Gewissens mehr gelegen ist als an dem Beifall und der Gunst der Menschen; jene Barmherzigkeit und Milde, die bei aller Schärfe des Gedankens sich nie verleugnet. Jene Selbstlosigkeit ist gemeint, der es immer um die Sache zu thun ist und nicht um das eigene Ich; jene durchhaltende Treue, die nicht irre wird, weder an einem großen Gedanken, dessen Wahrheit man erkannt hat, noch an Menschen, deren Werth und Aufrichtigkeit sich einem erschlossen hat. Jene Lauterkeit ist gemeint, die ohne Hinterhalt und ohne Hintergedanken ist und auf den Grund eines reinen Herzens schließen läßt. Eine solche Natur kann sich wohl verhüllen, aber sie bricht doch zu Zeiten hervor; sie ist wie eine Alpenhöhe, die sich wohl mit Wolkenschleiern deckt, die aber dann, wenn die Wolken und Nebel sinken, leuchtend ein weißes, reines Gefild zeigt.

Ist das nicht des Entschlafenen Bild? Ist er nicht so vor Euch gewandelt als ein heller Spiegel? Der Abendsonnenschein dieses Menschenlebens hat Euer und Eurer Kinder Leben vergoldet. Auf Euch, Ihr Hausgenossen, ruht ja, insonderheit in den letzten Jahren, dieser stille Segen. Es ist ja bezeichnend für ihn, daß sich sein Herz in Jugendfrische und Kindeseinfalt zu den Kindern neigte, und unvergessen wird es ihm bleiben, daß er der

Erste war, der seinen Namen gab, als es sich handelte, sich der jüngsten Kinder im Volke anzunehmen und in die junge Rinde des Herzens den Namen des Herrn zu prägen, damit er mit ihnen wachse und ein besseres Geschlecht erstehe.

Worauf aber diese Gesinnung ruhte, das wisset Jhr, Geliebte: „Ich harre Dein, mein Gott." Das war der feste Grund. Auf einer schlichten Furcht Gottes, ohne viel Worte und Formeln, ruhte sein schlichter Sinn. Ihm waren die christlichen Wahrheiten nicht Glaubenssäte, sondern ein Schatz und Kapital, von dem er lebte, eine Kraft, die sein ganzes Wesen durchdrang und trug. Daß man vor seinem Gotte wandle, war ihm etwas Selbstverständliches; daher kam seine Demuth, die mehr ist als Bescheidenheit, die nur eine Tochter der Klugheit ist. Vor Menschen kann man nur aufgerichteten Hauptes gehen, wenn man vor Gott sein Haupt beugt. Beugen kann man es im Sturmwinde der Trübsal, wie der Baum seine Zweige im Nordwinde beugt; beugen kann man es aber auch von der Last der Güte, wie der Baum unter der reichen Frucht sich neigt. Dem Entschlafenen hat es an beidem nicht gefehlt, nicht an Weh und Thränen, nicht an Verlust und Entsagung, aber auch jede Anerkennung, jeder Sieg beugte ihn, und darum war ihm auch das eitle Lob der Menschen so in der Seele zuwider.

Geliebte! Einen solchen Menschen besessen, ihn den Seinen haben nennen zu dürfen, Jahre lang mit ihm verkehrt zu haben, ist eine Gnade Gottes. Das heißt, reine Luft einathmen. Aber es schließt das auch eine große Verantwortung in sich. Es tritt die Frage an Herz und Gewissen, wie man solche Zeit benutt, ob man selbst dadurch gehoben und veredelt worden. Es stellt solch gefeierter Name hohe Anforderungen an das nachfolgende Geschlecht. Das Bild scheidet, aber es soll als ein Vorbild erstehen, das ist der Sterbesegen des Entschlafenen.

Kein letztes Wort, kein Lebewohl hat er Euch mehr sagen können; unvermuthet, aber nicht unvorbereitet, hat ihn der Herr im Tode gerufen. Aber mehr als alles Wort Euch hätte sagen

können, predigt Euch dies stille, friedevolle, ernste Antlig, sagen Euch die gefalteten Hände, predigt Euch sein ganzes Leben:

„Schlicht und recht, das behüte mich Gott", und der Sterbetrost geleite Euch zu seinem Grabe und einst auch zu dem Grabe eines Jeglichen unter uns:

"Ich harre Dein!"

Das walte Er an Euch wie an mir, durch Jesum Christum, unsern Herrn. Amen.

Rede bei dem Gottesdieußte zur Eröffnung des Reichstags 1890.

Text: Judä 2.

Gott gebe euch viel Barmherzigkeit und Frieden und Liebe. Hohe Versammlung! Evangelische Männer des Deutschen Reichstags!

Im Süden unseres Vaterlandes, zu Heidelberg, steht ein Haus, dessen Giebel in goldener Schrift die Worte des Psalms trägt: „Wo der Herr nicht das Haus bauet, bauen umsonst, die daran bauen“. Einzig verschont, ist es übrig geblieben, als Krieg und Brand die Stadt verheerte. Und doch gilt dies Wort nicht dem Haus aus Holz und Stein, sondern dem, an welchem mitzubauen Jeder im Volk und Ihr insonderheit, Männer des Deutschen Reichstags, berufen seid. Menschenhände thun es nicht allein, Gotteshände müssen sich segnend, weihend und feiernd auf die unseren legen. Aber das will erbeten sein, und Beten ist eine Arbeit, deren sich kein deutscher Mann zu schämen braucht. Singt doch Ernst Moritz Arndt, der Mann mit dem warmen, quellenden Herzen in wetterharter Brust:

,,Wer ist ein mann?

Der beten kann

Und Gott dem Herrn vertraut."

Etwas Anderes wollen auch wir hier im Gotteshause nicht, als feierlich Bekenntniß ablegen zum alten Gott, ehe wir in die

neue Arbeit treten, zum Vater des Lichts, von dem alle gute und vollkommene Gabe kommt", wie die Epistel der Woche sagt; ohne Ihn können, ohne Ihn wollen wir nichts thun!

Mag Einem oder dem Anderen unter uns dieser Sinn fremd sein, mag er in dieser stillen Morgenstunde im Gotteshause eine todte Form und leere Zeremonie erblicken: der Sinn der ge= heiligten Stätte bleibt bestehen. Ein nach Gott fragend Geschlecht wird heilige Hände aufheben ohne Zorn und Zweifel, wird in Demuth erst das Wort des Königs aller Könige anhören, bevor es im Vertrauen das Wort seines irdischen Königs vernimmt, wird von dem Altar die Kohle nehmen, um das Feuer auf dem Herd zu entzünden und am Maßstabe der ewigen Wahrheit die jeweilige Zeitmeinung prüfen und wägen.

So geleite uns denn der dreifache Segensgruß des Apostels vom Altar Gottes zum Throne des Kaisers:

Gott gebe euch viel Barmherzigkeit und Frieden und Liebe!

Herr, thue meine Lippen auf, daß mein Mund Deinen Ruhm verkündige! Amen.

I. Viel Barmherzigkeit!

Draußen empfängt uns volle Frühlingspracht. Ein großes Te Deum tönt uns aus allen Blüthen und Knospen entgegen. Seit Jahren hat kein solch' wonniger Mai uns begrüßt. Aber, ist's Frühling auch im Leben der Welt, im Leben unseres deutschen Volkes geworden? Wäre das trostreiche Wort des edlen Sängers und Reichsheroldes, das er einst in winterlicher Zeit sang, Wahrheit geworden:

„D'rum still, und ob es frieren mag,
O Herz, gieb dich zufrieden,

Es ist ein großer Maientag

Der ganzen Welt beschieden“ ?

Mich dünkt, man braucht kein Pessimist und nörgelnder Kritiker zu sein, um nicht zu sehen, wie Vieles welk und entlaubt, frank und wund am Baum unseres Volkes ist. Ist doch ein

Volk nicht bloß ein Haus, sondern vielmehr ein Baum, der sich entfaltet und wächst unter Sturm und Sonnenschein, auf dessen Zweigen süße Last der Frucht sich finden, der aber auch früchteleer dastehen kann, reif zum Abhauen.

Und wir haben solche Völkerbäume gesehen, sinkend unter der blizenden Art hereinbrechender Gerichte. So bebte einst auch der Baum unseres deutschen Volkes am Anfang dieses Jahrhunderts in Krone und Zweigen bis in die Wurzel. Aber die Hand der göttlichen Barmherzigkeit hat ihn nicht gefällt, und da unsere Väter riefen, trat der große Hohepriester an den Baum und bat: Laß ihn noch dies Jahr! Und er ist erhalten bis auf den heutigen Tag.

Wir aber, die wir das Leid und die Wunden unseres Volkes als die eigenen empfinden, wollen wir nicht dies Eine bitten, und uns dessen trösten in dieser unserer Zeit: Gott gebe uns viel Barmherzigkeit? Wo Er aber, der Barmherzige, uns beschenkt, da will Seine offene Hand auch die unsere öffnen. Gewiß, es fehlt unserer Zeit nicht an Barmherzigkeit; langsam, aber sicher hat sich durch alle Stände der Gedanke solidarischer Haftbarkeit durchgerungen. Wir können uns nicht mehr mit der Kainsfrage begnügen: Soll ich meines Bruders Hüter sein? Aber zu wachen haben wir, daß die Barmherzigkeit sich mit Weisheit paare, daß die Gerechtigkeit gegen die Einen nicht zur Ungerechtigkeit gegen die Anderen, die Geduld nicht in Schwäche, die Barmherzigkeit nicht in Unbarmherzigkeit ausschlage. So bitten wir denn: Gott gebe offene Augen, offene Hände für die äußere Noth unseres Volkes, noch offenere aber für sein geistiges Elend. In Einem Alles zu sagen:

Gott gebe euch viel Barmherzigkeit!

II. Und viel Frieden!

In den Zeiten des dreißigjährigen Krieges sangen unsere Väter: ,,Der ewig reiche Gott

Woll uns in unserm Leben

Ein immer fröhlich Herz

Und edlen Frieden geben!"

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