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großer Pilgerchor, ist durch diese Kirche gegangen. Gewiß Viele unter ihnen beschwerten Herzens und Gewissens, hinter sich eine dunkle Vergangenheit und vor sich eine noch dunklere Zukunft, manches Herz heimwehkrank nicht bloß nach der irdischen Heimath, manche Seele verwundet und verwaist, des besten Freundes auf Erden beraubt hier haben sie Licht und Trost, Friede und Ersatz gesucht und gefunden. Denn wo des HErrn Wort ist, da ist Er selbst, und wo zwei und drei versammelt sind in Seinem Namen, da will Er mitten unter ihnen sein. Mag Manchen der Kirchgang eine Last gewesen sein, Anderen war er in der Wanderung, was einst Elim Israels Volk in der Wüste war, da es sich lagerte unter Wasserbrunnen und grünen Palmen. Nicht umsonst hat unsere Kirche die Gestalt des Zelts - wir sind Pilgrimme und Fremdlinge in unserer Gemeinde in mehr denn Einem Sinne, die der Stärkung bedürfen. Und Viele haben sie empfangen zum letzten großen Gange hinaus und hinein in den Tod für König und Vaterland — im heiligen Mahle. Der HErr war bei ihnen eingekehrt, und in der Kraft seiner Einkehr haben sie nicht bloß Hab und Gut, sie haben auch das Leben gelassen. Oder soll ich Euch erinnern an so viele Tausende, die hier knieten am Altar vor dem Ausmarsch, von denen so Mancher droben nun feiert?

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So kehrt Er freilich in jedes Gotteshaus ein und jedem ist dies Heil widerfahren, und welches in unserer Stadt wüßte nicht davon zu sagen – aber zu uns ist Er doch noch in besonderem Sinne eingekehrt. Es schlägt ja der HErr seine Kanzel nicht bloß in der Kirche, sondern auch draußen in der Welt auf, wo Er selbst predigt über den gewaltigen Text: „Schaue an meinen Ernst und Güte!" In der Weltgeschichte führt Er Seine Gerichte, in den Kämpfen der Völker Seine Friedensgedanken durch. Seine Predigt draußen hat aber hier in diesem Hause ihren lebendigsten Widerhall gefunden. Es ist selbst eine lebendige Predigt, ein vielumschriebener Denkstein der großen Thaten Gottes an unserm Volke. Nach der Heimkehr des ersten Königs von der Krönung in Preußen war's seine erste That, dem Heere, das sich hier seit

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des Großen Kurfürsten Zeit unter drei mächtigen Linden sonntäglich sammelte, eine Stätte zu bauen. Jahrelang stand die Kirche, als jener dunkle Tag hereinbrach, der die Kirche in Trümmer legte und eine blühende große Kinderschaar lebendig begrub. Aber auf der Stätte des Unglücks beschloß Friedrich Wilhelm I. den Bau einer neuen größeren Kirche. Bei der Grundsteinlegung that der die Hammerschläge, durch den Preußens Name auf Aller Lippen kommen sollte, der Kronprinz Friedrich II. So sah die Kirche die Tage des großen Königs. Die eroberten Fahnen aus dem siebenjährigen Kriege wurden hier Gott zu Ehren aufgehängt, ihrer neunundneunzig. An den Wänden seht Ihr darum die Bilder der Helden Friedrichs: Schwerin und Ziethen, Keith, Winterfeld und Kleist. Die Tage wandelten sich. Kein Volk lebt bloß vom Ruhme seiner Vorfahren; wenn es ihrer nicht mehr würdig, dann schreckt ihr Name keinen Feind mehr. Da unser Volk den lebendigen Gott vergessen und den fremden Gögen geopfert, da kam jenes Volk, in dessen geistige Knechtschaft wir gerathen, um uns den Fuß auf den Nacken zu setzen. Die Gottesgeißel mit der ehernen Stirn und der eisernen Faust kam auch hierher. Unsere Kirche ist davon eine lebendige Zeugin; des Vaterlandes tiefste Schmach traf sie besonders. Aus ihren Räumen wurde in der Franzosenzeit zur Hälfte ein Heumagazin, zur Hälfte ein Branntweinlager gemacht; in den Gewölben wurde die Ruhe der Todten gestört und ihre Särge erbrochen und geplündert. Die Zeit der Erhebung kam, und die Räume erschallten wieder vom Lobgesang des Gottes, der

„Nach langer Schande Nacht uns Allen

In Flammen aufgegangen war. —”

Rings an den Wänden hängen die Tafeln mit den Namen der Ritter des Eisernen Kreuzes, die Namen der Vertheidiger Kolbergs aus jener großen Zeit. In den Tagen des Friedens wurde die Kirche, die die Spuren der Verwahrlosung nur zu deutlich an sich trug, durch die Huld Friedrich Wilhelms III. wieder hergestellt. Friedrich Wilhelm IV. gesegneten Andenkens schmückte die Kirche mit dem kunstvoll gearbeiteten Altar. In den

lezten zehn Jahren sah die Kirche glorreiche Zeiten. Im Jahre 1864 wurde der Sieg über die Dänen, im Jahre 1866 wurden die Siege im österreichischen Feldzuge, im Jahre 1870/71 die großen Thaten Gottes an unserm Volke im Feldzuge gegen Frankreich gefeiert. Wie einst der erste König in Preußen hier an dieser Stätte den Grundstein legte, so feiert heute der erste deutsche Kaiser aus dem Hohenzollerngeschlechte mit uns diesen Ehrentag. Auf dem Altare zum Gedächtniß dieses Tages die Geschenke Seiner Huld, hier in der Kirche die neue Zier, gestiftet von den Gliedern des Königlichen Hauses, von dem Offizierkorps der Garnison darunter manch stilles Dankopfer für die Bewahrung, wo Tausend zur Rechten und Zehntausend zur Linken fielen. - Dies Alles, die innere und äußere Lebensgeschichte unserer Kirche, das Nahen des HErrn zu ihr in den hundertfünzig Jahren überschauend, sprechen wir anbetend:

"Heute ist diesem Hause Heil widerfahren!"

II.

Aber, Geliebte, dies,,Heute" blickt nicht bloß zurück, sondern auch vorwärts, wie die Gegenwart nicht bloß die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft in ihrem Schoße trägt. Wir haben nicht bloß den Dank, auch die Bitte für unser Haus nöthig: Bleibe bei uns, HErr!" Wir möchten doch, daß unsere Nachkommen einst auch wieder feiernd sprechen könnten: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren!" Wann wird's geschehen? Dann, wenn wir hierher allezeit kommen in aufrichtiger Sehnsucht, Gott zu suchen, Jesum zu sehen; wenn weder Rang noch Stand, Ehre noch Reichthum uns abhält, dem himmlischen Zuge zu folgen, der uns ruft zu Dem, der uns füße Ruhe geben will. Ist's nicht wahr:

„Du verlangst oft süße Ruh,
Dein betrübtes Herz zu laben,
Eil' zum Lebensquell hinzu,
Da kannst du sie reichlich haben.
Suche Jesum und Sein Licht,
Alles Andre hilft dir nicht!"

Ach, ich meine, Euer Beruf und die mancherlei sauren Stunden darin müßten in Euch die Sehnsucht erwecken, die Stimme der wahren Heimath der Seele zu hören; die vielen Versuchungen, die Euch diese Stadt bereitet, Euch treiben, hier die Waffen zum Kampf in Wort und Sakrament Euch zu holen. Ja, so lange noch ein sehnsüchtiges Herz zu dieser Kirche kommt, in ihr getröstet und gestärkt wird, klingt auch über ihr das Wort noch fort: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren".

Wer Christum dann aufnimmt ins Haus, wer vom Feuer im Heiligthum die Kohlen mitnimmt auf den Herd des Hauses, wer nicht bloß den unbekannten Gott sucht, sondern dem geoffenbarten dient, der hat Heil gefunden. Hier im Evangelium redet der HErr mit Zachäo, still und im Verborgenen. Selig der,

mit dem sein HErr selbst redet durch Geist und Wort, wem Er die Augen öffnet über Menschenherz und Gottesherz, wem hier die Zeit verrinnt, daß er Ewigkeitsluft athmet und hienieden schon den ewigen Sabbath anfängt. Ja, wo eine Seele wahrhaft hier erleuchtet, vollbereitet, gekräftigt und gegründet wird, verklärt in das Bild Jesu Christi und ausreift zur ewigen Herrlichkeit, da wird allemal das Wort wahr werden: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren!"

Und wo man hinabgeht in sein Haus, nicht mit Empfindungen und Gefühlen allein, sondern mit heiliger Entschließung: „Wo ich betrogen habe, gebe ich vierfältig wieder,

wo ich be

leidigt habe, bitte ich um Vergebung, wo ich gefehlt, soll's anders werden", wo mit der Einkehr des HErrn auch eine Auskehr stattfindet, wo ein friedevolles, heiliges Leben vor Gott und Menschen das Zeugniß giebt, daß Christus in uns lebt; ja, wo ein Herz in Wort und That so hinabgeht in sein Haus, da ist diesem Hause Heil widerfahren!

Der HErr erhalte uns solch' Volk und lasse immer übrigbleiben Siebentausend, die ihre Knie nicht dem Baal der Zeitmeinung und Zeitsünden beugen, sondern den lebendigen Gott suchen und anbeten! Er erhalte unser Heer bei dem Einen, daß es Gott fürchte, daß in ihm nicht aussterbe das Heldengeschlecht

derer, die ihrem himmlischen und irdischen König getreu bleiben. bis in den Tod!

So sei denn dies Haus aufs Neue geweiht und geschmückt, daß der König der Ehren, unser hochgelobter Heiland, einziehe; aufs Neue geweiht zu einem geistlichen Zeughause, darin das Schwert des Geistes, der Schild des Glaubens, der Panzer der Gerechtigkeit, der Helm des Heils für Jeden bereit liegen, geweiht zu einem Heimathhaus der Seele, darinnen sie am Herzen des himmlischen Vaters sich ausruht und in Bitte und Gebet sich ausschüttet - zu einer Bauhütte, darin die Steine behauen. werden zum großen geistlichen Bau des Hauses Gottes droben, da man nicht mehr hören wird Hammer noch Meißel, sondern wir in heiliger Stille eingefügt werden zum heiligen Tempel, nicht mit Menschenhänden gebaut.

Geliebte!

Wenige, vielleicht Keiner von uns Allen, die heute hier feiern, werden die nächste Jubelfeier dieser Kirche begehen. Wir werden ruhen im Grabe und versammelt sein zu denen, die das leßte Jubiläum sahen. Ob wir aber Theil haben werden an dem großen Jubiläum im Himmel, da man singen wird: „Siehe da eine Hütte Gottes bei den Menschen, und Er wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein und Er, Gott mit ihnen, ihr Gott sein. Und Gott wird abwischen alle Thränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerzen wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen!" - Zu diesem heiligen Jubiläum helfe uns Allen der HErr in Gnaden! Amen.

Rede bei der Volksversammlung in Sachen der freiwilligen Krankenpflege im Kriege am 23. Januar 1888 in Berlin.

Meine Herren und Freunde! Im Feldzuge 1870 hielt einst ein preußischer Divisionspfarrer, ein biederer, echter Westfale, eine Rede beim Einmarsch in Frankreich, die wie jede brave, rechte

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