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im letzten Kriege geschaut. Geliebte! Einst sang der Sänger mit Leier und Schwert vom deutschen Volke:

„Deine Eichen stehen,

Du aber bist gefallen!"

Werden wir bestehen, wenn einmal der Sturmwind über uns fommt?

Man hat den Heerdienst eine Schule der Zucht genannt, und er ist es auch. In den Tagen, da das eiserne Kreuz gestiftet ward, erstand der Gedanke, das ganze Volk auch im Frieden zu einem Volke in Waffen zu machen, es zu rufen, daß es lerne gehorchen, damit es einst befehlen könne im Hause; dienen, damit es einst herrschen könne in seinem Kreise. Ach, daß uns solches gelänge und inmitten aller Schatten und Dunkel unseres Volkslebens das Heer noch ein lichter Punkt, eine Stätte der Zucht und des Gehorsams, der Treue dem geschworenen Eid bis in den Tod wäre und unbefleckt wie die Ehre dieser Fahnen, Herz und Wandel jedes Einzelnen unter uns! Ja, nehmt heraus aus dem Heere den Geist der Zucht, der aus der Furcht Gottes kommt und was habt Ihr aus ihm gemacht? Aus der festen Stütze des Throns und des Vaterlandes ein armes schwankendes Rohr, aus dem ehernen Felsen einen schlechten Flugsand, auf dem man nichts bauen kann; aus einer ehrwürdigen, sittlichen Gemeinschaft eine rohe Bande und habt das Schwert in die Hand eines Rasenden gelegt. Nicht also, Geliebte! Wir haben herrlichere Bilder, Euch zu locken; diese Fahnen haben anderen Geist im Felde gesehen. Wir haben, wie Ihr wißt, über Hundert von Fahnen in diesem Kriege siegreich erobert. Eine einzige nur haben wir verloren. Verloren und doch nicht verloren. Wie fand man sie? Siehe, dort liegt, von der Uebermacht erdrückt, ein Häuflein Krieger voll Todeswunden. Einer hatte fallend und sterbend die Fahne dem Anderen gegeben, da sank auch der Lette. Begraben mit den Leichen der Fahnenträger, getränkt mit ihrem Blute, so fanden sie die Sieger so haben wir sie verloren. Das heißt aber nimmermehr verlieren. Ueber diesem Häuflein der Treuen und ihrer

Fahne schwebt feiernd und segnend der Geist der Kraft, der Liebe und der Zucht. Dieser Geist kette sich auch an diese Fahnen und an Alle, die unter ihnen streiten, siegen, leben und sterben! Um diesen Fahnensegen bitten wir Dich, Du werther heiliger Geist! Ja,

„Sieh herab vom Himmel droben,
HErr! den der Engel Chöre loben,
Sei gnädig diesem deutschen Land!
Donnernd aus der Feuerwolke

Sprich zu den Fürsten und zum Volke,
Und laß uns stark sein Hand in Hand!

Sei Du uns fels und Burg;

Du führst uns wohl hindurch!
Halleluja!

Denn Dein ist heut

Und alle Zeit

Das Reich, die Kraft, die Herrlichkeit. “

Amen!

Festpredigt zum 150jährigen Jubiläum der Berliner
Garnisonkirche am 2. Juni 1872.

Text: Luk. 19, V. 1-10.

Und er zog hinein, und ging durch Jericho. Und siehe, da war ein Mann, genannt Zachäus, der war ein Oberster der Zöllner, und war reich; Und begehrete, Jesum zu sehen, wer er wäre, und konnte nicht vor dem Volk, denn er war klein von Person. Und er lief vorhin, und stieg auf einen Maulbeerbaum, auf daß er ihn sähe; denn allda sollte er durchkommen. Und als Jesus kam an dieselbige Stätte, sahe er auf, und ward seiner gewahr, und sprach zu ihm: Zachäe, steig eilend hernieder: denn ich muß heute zu deinem Hause einkehren. Und er stieg eilend hernieder, und nahm ihn auf mit Freuden. Da sie das sahen, murreten fie Alle, daß er bei einem Sünder einkehrete. Zachäus aber trat dar, und sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen und, so ich Jemand betrogen habe, das gebe ich vierfältig wieder. Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, sintemal

auch er Abrahams Sohn ist; Denn des Menschen Sohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, das verloren ist.

Wiederum, Geliebte, sind wir festlich im geschmückten Hause des HErrn versammelt. Es ist heute kein Krieges- und Dantfest, kein wehmüthiges Gedächtniß der Gefallenen, keine Weihe der Fahnen im neuen Schmucke - Tage, wie wir sie in Jahresfrist hier mit bewegtem Herzen gefeiert. Nein, das heutige Fest gilt unserer Kirche selbst, der ehrwürdigen Zeugin so vieler erhebenden Stunden.

Hundertfünfzig Jahre sind's, da bewegte sich in der Frühe des Morgens vom Königsschlosse aus zu Fuße ein großer glänzender Zug zu unserer Kirche. In seiner Mitte schritt Friedrich Wilhelm I. gesegneten Andenkens und sein großer Sohn mit den Prinzen des Königlichen Hauses. Vor der Kirche standen die Truppen, ihrer 10 000 Mann. Der König ließ die neu erbaute Kirche öffnen und nahm oben auf der Tribüne Platz auf jenem unscheinbaren hölzernen Stuhl, den heute noch unsere Kirche als ein Vermächtniß seines schlichten Wesens bewahrt. Der Chor begann mit Lob- und Dankpsalmen, die Predigt des Feldpropstes folgte, und in das Te Deum am Schlusse mischten sich die Klänge der Posaunen und der Donner der Geschütze. Das Haus war geweiht.

Hundertfünfzig Jahre sind seitdem verflossen. Die damals mit gefeiert, sind versammelt zur oberen Gemeinde - und ihrer Mancher ruht hier unten in der Gruft dieser Kirche. Wiederum sind wir, ein neues Geschlecht, versammelt mit unserm Könige, wiederum sang der Chor und klangen die Posaunen mit hinein in die Loblieder. Was soll die Predigt nun? Nicht mehr aufs Neue dies Gotteshaus weihen wohl aber danken, daß durch die Jahre hindurch der HErr es mit seiner Gegenwart, mit Wort und Sakrament geweiht; bitten, daß er es auch ferner behüte und segne und weihe. Und so laßt das alte Evangelium der Kirchweihe auch über unserem heutigen Feste neu werden und als den Festgedanken das Wort uns herausnehmen:

„Heute ist diesem Hause Heil widerfahren."

Wir fragen:

1. Warum dürfen wir dies Wort über unserer Kirche mit Lob und Dank heute sagen und

2. wann dürfen wir's auch für die Zukunft in zuversichtlicher Hoffnung aussprechen?

I.

Dies Wort, Geliebte: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren“, galt nicht einer Kirche, einem Tempel, vielmehr dem Hause eines Mannes, der sein Haus zu nichts weniger als zu einem Gotteshause gemacht hatte. Es war das Haus eines Obersten der Zöllner. Das waren Leute, die man zusammen nannte mit den „Sündern". Was ist dem Hause denn widerfahren? Jst's geschmückt, geadelt, bereichert worden mit Geld und Gut? Nein. Aber geehrt ist's worden mit einem Besuch sonder Gleichen. Der HErr, der eingeborene Sohn vom Vater voller Gnade und Wahrheit ist darin eingekehrt und hat Plaß darin genommen und hat es erfüllt mit Friede, Trost und Freude. Als Er Abschied nimmt, ist das Haus ein Bethaus geworden, ein bekümmertes Herz hat Friede gefunden, ein ungerechtes Kind ist umgewandelt. Wie kommt aber der HErr zu diesem Hause? Was hat der Heilige mit dem Sünder gemein? Wohl, es giebt eine Brücke über diese Kluft. Das ist die Sehnsucht des Menschen nach seinem Gott, das ist die Liebe Gottes, die dieser Sehnsucht entgegeneilt. So kommen die beiden zusammen. Und wo das geschieht, da klingt über solcher Stätte das Wort: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren". Den Zöllner hatte weder sein Amt, noch sein Reichthum befriedigt. In seinem Innersten trug er ein Verlangen nach etwas Bleibendem. Auf die brennende Wunde seines Herzens wollte er einen Balsam haben. Pharisäer und Schriftgelehrte hatten über ihn den Stab gebrochen, statt des verlornen Schafes sich anzunehmen. Da hört er von Einem, der die Mühseligen und Beladenen an sein Herz rufe, der den glimmenden Docht nicht auslösche und das zerstoßene Rohr nicht zerbreche, der mit Zöllnern und Sündern zu Tische gesessen. Den will er

sehen, von ihm einen Blick erhalten. So überwindet er alle Bedenklichkeit, alles Vorurtheil, achtet nicht auf die Kleinheit seiner Person noch auf die Menge der Leute; Stellung und Vermögen werden ihm gleichgültig, da es gilt, den Einen zu sehen, und so eilt er hinauf auf den Maulbeerbaum, sich unter seinen Zweigen zu bergen.

Aber der HErr, der den Nathanael unter dem Feigenbaum und das Weib, das seines Kleides Saum anfaßte, herauszufinden weiß, erblickt auch die wunderbare Frucht in den Zweigen des Maulbeerbaumes. „Zachäe“, so ruft er ihn an mit seinem Namen, steige eilend herab, ich muß heute zu deinem Hause einkehren." Unendlich mehr, als er erwartet, wird ihm zu Theil. Er sieht nicht bloß, sondern wird gesehen von dem Auge der ewigen Liebe, er hört sich rufen bei Namen von den holdseligsten Lippen und zu seinem Hause will sich der Fuß des HErrn lenken, an den sich Heil und Friede heftet. Und mit Freuden" nimmt er Ihn auf.

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Was sie in der Stille verhandelt, darüber legt sich der Schleier der Verborgenheit. Die Schrift legt ihn immer über das Beste und Tiefste, über die geheimnißvollen Anfänge des Lebens. So liegt die Wurzel des Baumes in der Erde verdeckt, legst du sie bloß vor der Menschen Augen, so verdorret sie. Aber die Frucht dieser Stunde ist nicht verborgen geblieben. „Vierfältig will ich wiedergeben, wo ich betrogen und bis an die Hälfte meiner Güter den Armen“, das ist sein Bekenntniß und seine That. Es war keine Stunde äußerlicher Rührung und Empfindsamkeit, sondern von heiligster Entschließung gesegnet. Wie reich muß er geworden sein, um sich arm schenken zu können! Darum fassen wir das Wort, das der HErr segnend beim Abschiede spricht: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren!“

So weit Zachäi Haus und seine Feierstunde. Und unser Gotteshaus wüßte nichts von solchen Stunden in seinen hundertfünfzig Jahren zu sagen? Auch zu ihm ist der HErr eingekehrt. Die gekommen, Jesum zu sehen, verlangenden Herzens, sie haben auch Ihn gesehen und gehört. Tausende und Abertausende, ein

Frommel-Gedenkwerk. Bd. IV. Für Thron und Altar.

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