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als Beleg für die vorausgegangene Lehre dienen. Freilich lag es in meinem Plane, Theorie und Beispiel inniger mit einander zu verschmelzen, als es in vorliegen dem Buche geschehen ist; allein dazu fehlte mir unter den jetzigen Zeitverhältnissen die nöthige Ruhe und Kraft. Nichtsdestoweniger hege ich nicht die Furcht, es werde R. Gottschall's Verdammungsurtheil, das er in der Vorrede zu seiner Poëtik S. X u. ff. über „mit sparsamem kritischem Text durchschossene Anthologien" fällt, auch mein Buch treffen können *). Wer die Bedürfnisse der Schule kennt

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*) Die Stelle lautet wörtlich so: „An Blumenlesen fehlt es in neuer Zeit nicht und über das Lyrische kann überhaupt keine Beispielsammlung hinausgehn. Proben aus epischen und dramatischen Dichtungen können nie das Wesen des Epos und Drama erläutern. Auch war es nicht meine Absicht, in dieser bequemen Weise um die Gunst des Publicums zu buhlen. Solche mit sparsamem kritischem Text durchschossene Anthologien können auf den Namen einer Poëtik keinen Anspruch machen. Und wie beschränkt ist bei diesen ausgedehnten Mittheilungen doch der Dichterkreis, den sie vertreten ! Wie wenig wird durch solche äußerliche Zusammenstellung, wo oben die dürftige Regel und drunter ohne weitere Vermittlung die in aller Ausführlichkeit abgedruckten Beispiele stehn, das kritische Verständnis der Dichter gefördert! Das Beispiel, das die Regel erläutern soll, muß nicht in behaglicher Breite neben sie hingestellt, es muß in sie hinein verwebt werden, um sie zu beleben; es muß die schlagende Pointe der Regel in's Licht setzen helfen. Deshalb kann es nur kurz sein, nur die einzelne Stelle kann mitgetheilt werden, wo es sich um die Erläuterung eines Versmasses, eines Bildes u. dgl. handelt. Gilt es dagegen, die Gesetze der Composition im Ganzen anschaulich zu machen, so ist für die Poëtik die Gabe geschmackvoller Reproduction erforderlich, welche sich nicht nur auf die Mittheilung der wesentlichen Züge beschränkt, sondern auch durch die Art und Weise der Mittheilung zugleich die feinste Interpretation der Regel und des Beispiels zu geben vermag." So Gottschall. Allein die Schule verfolgt nicht nur scientifische, sondern auch pädagogische

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und bei Durchlesung dieses Buches die Beispiele nicht überschlägt, wird finden, daß sie mit Sorgfalt ausgewählt und gar wohl geeignet sind, die vorausgegangene Theorie allseitig zu stützen und zu bewähren. Uebrigens verfolgte ich mit der Aufnahme dieser Proben noch andere Zwecke, deren erster und vorzüglichster ist, dem Studirenden edlen, geist- und herzbildenden Stoff zuzuführen, der ganz dazu angethan ist, Mannestüchtigkeit zu fördern. Ein anderer Zweck war der, ein sogenanntes deutsches Lesebuch überflüssig zu machen. Sechs und sechzig Proben und so viel entfallen auf einen Jahrgang des Obergymnasiums oder der Oberrealschule in einem Schuljahre durchzuarbeiten, ist mehr als genügend. In meinem, im zweiten Programm der k. k. Oberrealschule in der Vorstadt Landstrasse erschienenen, geschichtlichen Rückblick auf das Schultriennium 1850-1853 nenne ich die Zahl von achtzehn Lesestücken für ein Jahr schon bedeutend, und begründe meine Behauptung mit einem Ausspruch von Dr. Hopf: „Da das richtige Lesen die vollständige Auffassung des Inhalts voraussetzt, so muß nothwendig dem Lesen die Erklärung des Lehrers zur Seite gehen und jedes Stück öfter gelesen werden." Das unwiderlegbarste Argument wird aber stets dieses bleiben, daß selbst, wenn in der Woche fünf Stunden auf den Sprachunterricht entfallen sollten, nur zwei dem Lesen gewidmet werden können, eine Stundenzahl, die hoch genommen, jährlich achtzig Stunden abwirft. Es dürfte somit das gegenwärtige Buch als sprachliches Lernund Lesebuch für das Obergymnasium und die Oberrealschule

Zwecke und kann überhaupt, wenigstens was die Vermittelung des auf der Litteratur aufgebauten Lehrstoffes betrifft, nur anregen, Lust und Liebe zum Gegenstande erwecken, das tiefere Eingehen in denselben anbahnen.

vollkommen ausreichen und wird Lehrern und Schülern einen Vortheil bieten, der nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Die einzelnen Disciplinen können nämlich in stete Beziehung zu einander gebracht, häufige Wiederholungen können mit Sicherheit angestellt, die Lesestücke können oft und immer wieder nach andern Beziehungen, zu andern Zwecken durchgearbeitet werden; Lehrer und Schüler werden in dem Buche heimisch werden und in eben demselben Masse in ihm einen sichern Wegweiser zu weiteren, tieferen Studien finden. Das Buch kann nicht in Bezug auf die einzelnen Theile, sondern nur als Ganzes mit Lehre und Beispiel gehörig gewürdigt werden. Wer die Grammatik für sich allein betrachtet, wird freilich vieles vermissen, was in andern Grammatiken steht, aber mit seinem vorschnellen Urtheil dem Buche gewaltiges Unrecht thun. Betrachtet er hingegen die Rhetorik als eine fortgeführte Grammatik und verfolgt ruhig die weitere Entwickelung der Theorie, so wird er kaum etwas vermissen, was sich in den ausführlichsten Grammatiken findet.

Daß ich mich bei meiner Bearbeitung von der Herbeiziehung alles mittel- und althochdeutschen Sprach-Apparates entschieden fern gehalten habe, rechne ich mir nur zum Verdienst an. Eine solche Gelehrtthuerei, die mit, dem Schüler ganz und gar unverdaulichen, mittel- und althochdeutschen Brocken herumwirft wie mit Federballen, war mir von jeher in der Seele verhasst. Soll das vielleicht sprachvergleichendes Studium sein oder soll es die Lehre des Neuhochdeutschen besser begründen helfen? Hat der Schüler nicht vorhergehend die altdeutsche Formenlehre studirt, hat er nicht tüchtige Studien in der altdeutschen Etymologie gemacht, so helfen ihm derlei Anziehungen nicht das Geringste. Dem Schüler gebe man Resultate, nicht Hypothesen; er braucht nicht zu ahnen, wie viel Mühe dem Lehrer die Ziehung eines Resultates gemacht hat. Und in den meisten Fällen kann man

ihm tiefe Einblicke in das Wesen der Sache verschaffen, ohne gerade das Mittel- oder Althochdeutsche aus seinem Moder hervorholen zu müssen *). Man greife nur öfter zu dem so nahe liegenden Mittel, die in voller Lebensfrische sprudelnde Mundart des Schülers in den Bereich der Lehre zu ziehen, und man wird selten in Verlegenheit gerathen.

Anregen zu weiterem Studium, das ist die Aufgabe des Lehrers, nicht aber, ihm fort und fort, um noch einmal dasselbe Bild zu gebrauchen, seiner unentwickelten Constitution nicht zusagende Brocken in den Mund schieben, so daß er alles Denken verlernt. Daß ich selber meine Grammatik auf historischer Unterlage aufgebaut, wird dem Kenner kaum entgehen; daß ich ihr aber auch eine philosophische Behandlung zu theil werden lassen wollte, in der Durchführung meines Planes jedoch erlahmte, dürfte aus einem Vergleich der ersten mit der zweiten Hälfte der Grammatik ebenfalls ersichtlich sein. Die Schwierigkeit des ganzen Unternehmens war eine zu grosse, als daß nicht hie und da Mängel und Unvollkommenheiten auftauchen sollten. Würde das Buch eine beifällige Aufnahme finden und eine zweite Auflage erleben, so wird man dieselben gewissenhaft beseitigt finden.

Was die schulgerechte Beschränkung des Lehrmaterials betrifft, so folgte ich darin theils meinen eigenen Erfahrungen, theils den bezüglichen Lehrbüchern von Bauer **), Niẞ1***) und Dieckhofft). In Bezug auf die leitenden Gedanken bei der Ausar

*) Wie wichtig auch die frühere deutsche Litteratur ist, und wie Ausgezeichnetes sie uns bietet, so haben doch nur wenige von jenen Erzeugnissen als fortdauernde Momente unseres nationalen Lebens Bedeutung. Hiecke, der deutsche Unt. 65.

Grundzüge der neuhochdeutschen Grammatik.

***) Anleitung zum denkrechten und rednerischen Ausdrucke des Ge

dankens.

†) Handbuch der Poëtik.

beitung des Buches verdanke ich vieles dem System der deutschen Sprachwissenschaft von Heyse, H. Bone's Lesebuch für Obergymnasien und R. Gottschall's Poëtik.

Ob übrigens das ganze Buch eine blosse Compilation, oder eine selbständige Bearbeitung des vor mir gelegenen Materials ist, überlasse ich getrost dem Urtheile der Sachverständigen. Was ein geradsinniger Mann, der selbst gesehen und geforscht, in der Kürze aufgezeichnet hat, verdient doch wohl in dem Archive der Wissenschaft niedergelegt zu werden; nur das Buch, das aus andern Büchern ausgeschrieben und zusammengetragen worden, mag von neueren, vollständigeren oder geistreicheren verdrängt werden und verschallen." Diese Worte des edlen Chamisso sind mir ganz aus der Seele gesprochen, und ich werde wahrlich nicht der lezte sein, der dieses Buch verdammt, wenn es wirklich nichts Gutes an sich haben sollte.

Es erübrigt mir nun, mich noch über drei Puncte auszusprechen. Was nämlich die Frage anbelangt, ob die in diesem Buche mitgetheilten Litteraturproben eine genaue Wiedergabe der Originalproducte seien, so muß ich daranf erwidern, daß dem nicht so sei. Ich habe überall mit der grösten Pietät beizubehalten gesucht, was nur beizubehalten möglich war. Wenn aber meinen Zwecken eine oder die andere Stelle nicht entsprach, so habe ich sie ohne Bedenken ausgelassen, die Auslassung aber jedesmal durch zwei oder drei Pausen (———) angedeutet. -) Nie hat dadurch der Inhalt oder die Form auch nur einen merkbaren Eintrag erlitten. Die zweite Frage betrifft die in dem Buche eingehaltene Orthographie. Ich habe meine Schreibung bestmöglich der jetzigen Schreibweise anbequemt und würde, falls das Buch eine zweite Auflage erleben sollte, selbst die geringe Abweichung, die ich mir erlaubte, aufgeben, da ich die Ueberzeugung gewonnen habe, daß durch solch einseitige Vorgänge die

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