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und Tonstärke innig verschmelzend (Beziehungston). Aus diesen vier Cardinalarten sind noch andere Tonvarietäten hervorgegangen: sanft oder rauh, geschärft (pizzicato) oder gedehnt (ligato), getragen (tenuto) oder abgestossen (staccato), gedämpft oder schnarrend, dünn und getrübt (moll) oder schwellend und voll (dur). Alle diese Töne genügen aber immer nur unvollkommen zum Ausdruck der Gemüthsstimmung, die daher außer der Stimme noch Miene und Geberde in Anspruch nimmt, um in ihrer Totalität in Erscheinung zu treten. Hand und Fuß, der ganze Körper müssen dem Redner dienstbar sein, auf daß er die Stimmung der Seele in all ihrer Wahrheit austönen mache. Außer dem Ton ist es aber vorzugsweise das Gesicht, das die Seele widerspiegelt, und in dem Gesichte das Auge, das uns die Geheimnisse des Innern erschließt. Leider ist dem Menschen auch die Gabe gegeben, seine Gedanken und Gefühle zu verbergen und mit einem Schein von Wahrhaftigkeit, mit wohlberechneter Kunst aus egoistischen Zwecken auf Täuschung der Menschen auszugehen. Gelingt ihm dies nun gleich nicht dem Menschenkenner gegenüber, so sind doch deren eine zu geringe Zahl, als daß nicht ein selbstsüchtiger aber geistig begabter Redner namenloses Unheil anzurichten im Stande wäre. In diesem Umstande würde allein schon für jedermann die dringende Nothwendigkeit liegen, sich zum Character und verständigen Menschen heranzubilden, um Weizen von Spreu unterscheiden zu können und der Wahrheit stets die Ehre zu geben. An dem Panzer des Gesinnungstüchtigen prallen die Rührgeschosse des Heuchlers spurlos ab, und der Verständige wird nie das Sprüchwort: Trau, schau, wem? in den Wind schlagen. Natürlich gelten diese Bemerkungen vom unmittelbar freien Vortrag, von der Rede, welche zu augenblicklichen Entschließungen hinzureißen bestimmt ist. Der Vortrag von Kunstschöpfungen zu dem Behufe, uns dieselben genießen zu lassen, uns das Verständnis derselben zu eröffnen, läst uns einen Einblick in die Kunst- und Geschmacksbildung des Vortragenden thun, ohne eine so unmittelbare Gefahr mit sich zu führen, da man mit der Ueberzeugung anhört, daß der Redner nur Nachahmer, aber nicht Sachführer des wirklichen Lebens ist. Aus dem Gesagten erhellt also, daß zu einem guten und wirksamen Vortrage für den Redner der Wirklichkeit gediegener Character und verständiger Sinn,

verbunden mit genauer Kenntnis desjenigen, was noth thut, erforderlich sind, während dem Vortragenden von Kunstschöpfungen ästhetische Durchbildung in dem Masse nöthig ist, daß er den Autor zu begreifen und dessen Wesen völlig wiederzugeben vermag. Beherschung und richtiger Gebrauch der Stimmmittel, des Mienen- und Geberdenspiels, Begeisterung für den vorzutragenden Gegenstand sind unerlässliche Forderung für beide.

Vierter Theil.

Litteraturkunde.

§. 340. Unter Litteratur versteht man den Inbegriff der durch die Schrift erhaltenen Geistes producte der Menschheit. Fachlitteratur nennt man die Gesamtheit der auf dem Gebiete einer Wissenschaft, also z. B. der Chemie, der Astronomie, der Naturgeschichte u. s. w. bei den verschiedensten Völkern erschienenen Schriftwerke. Die Nationallitteratur hingegen begreift alle, in Schriftwerken niedergelegten, Geistesproducte eines Volkes, in denen sich der Geist, das Wesen, der Character dieses Volkes zur Geltung bringt. In das Gebiet der Nationallitteratur gehören also alle nationalen Geistesproducte, die Gegenstand der Rhetorik oder Poëtik sind: die Producte des Redners, Dichters, des Lebensphilosophen, des Geschichtschreibers, wenn sie das Ideal, die Weltanschauung ihres Volkes zum Ausdruck bringen. Die Litteraturkunde in unserm Sinne ist daher nichts anderes, als ein Wegweiser auf dem Gebiete der Nationallitteratur; sie zählt die bedeutendsten Erscheinungen der Neuzeit aus dem Bereiche der Kunstlitteratur auf, und wir könnten sie mit Merleker Kalotechnologie nennen.

Bekanntlich unterscheiden wir gebundene und ungebundene Rede, und zwar jede wieder als objective, subjective und, das subjective und objective Element vereinigende, Rede; wir wollen daher zuerst die Prosalitteratur, sodann die poëtische Litteratur der Neuzeit in dieser ihrer Gliederung und zwar nach ihren bedeutendsten Erscheinungen vorführen.

Erstes Hauptstück.

A. Die Prosa - Litteratur.

I. Objective Prosa.

§. 341. (Geschichtschreiber und Reisebeschreiber.) Von 1500-1620.

Johannes Turmaier, genannt Aventinus (1466-1534): Bairische Chronik.

Aegidius Tschudi's Chronik der Schweiz.

Sebastian Münster's (gest. 1552) Kosmographie, 1543.

Von 1620-1720.

Birken's österreichischer Ehrenspiegel, 1668.

Phil. von Chemnitz's Geschichte des schwedischen, in Deutschland geführten, Krieges, 1648.

J. Mascov's (1689-1761) Geschichte der Deutschen.

Von 1720-1770.

J. Joachim Winkelmann (1717-1768): Geschichte der Kunst des Altertum's. 1764. Sämtliche Werke. Dresden, 1838. 2 Bde. Iselin (1728-1782): Geschichte der Menschheit. 1764.

Von 1770-1830.

Just. Möser (1720-1794): Osnabrückische Geschichte. (Sämtliche Werke, 10 Theile, neu herausgegeben von Abeken, Berlin 1842.)

M. J. Schmidt (1736-1794): Geschichte der Deutschen.

A. L. von Schlözer (1735-1809): Allgemeine nordische Geschichte, 1771.

J. von Müller (1752-1809): Vier und zwanzig Bücher allgemeiner Geschichte. Schweizergeschichte. (Sämtliche Werke, 40 Bde. 1831-1835.)

L. Tim. Freiherr von Spittler (1752-1810). Gesamtausgabe seiner Werke, 15 Bde. 1827-1837.

J. W. Baron von Archenholtz (1745-1812): Geschichte des siebenjährigen Krieges.

P. H. Sturz (1736-1779): Briefe eines Reisenden, 1777. (Schriften, 1786.)

J. G. A. Forster (1754-1794): Reise um die Welt, 1772-1775. Ansichten vom Niederrhein, Brabant, Flandern etc. 1804. (Sämtliche Schriften, 1843.)

S. G. Gmelin (1744-1774): Reisen durch Rußland, 1768-84. 4 Bde.

Fr. von Gentz (1764-1832): Ausgewählte Schriften, 1838-40· 5 Bde.

A. K. L. Heeren (1760-1842): Historische Werke, 1821–26. 15 Bde.

K. Fr. Eichhorn (1781-1854): Deutsche Staats- und Rechtsgeschichte, 1845. 4 Theile.

B. G. Niebuhr (1777–1831): Römische Geschichte, 1831-36. 3 Bde.

Karsten Niebuhr's Leben, 1817.

Fr. Wilken (1777-1841): Geschichte der Kreuzzüge, 1807 bis 1832. 7 Bde.

K. W. Fr. v. Schlegel (1772-1829): Philosophie der Geschichte, 1829. 2 Bde.

Geschichte der alten und neuen Litteratur, 1842-43. 2 Bde. (Sämtliche Werke, 15 Bde. 1845-46.)

Ch. C. W. von Dohm (1751-1820): Denkwürdigkeiten meiner Zeit oder Beiträge zur Geschichte des lezten Viertels des 18. und des Anfangs des 19. Jahrhunderts (von 1778—1806). 1814-19, 5 Bde.

Fr. Leopold Graf zu Stollberg (1750-1819): Geschichte der Religion Jesu. 15 Bde. 1807-1818.

Reise in Deutschland, der Schweiz, Italien und Sicilien in den Jahren 1791-92. 4 Bde.

(Gesammelte Werke der Brüder Chr. und Fr. L., 1822, 20 Bde.)

Von 1830 bis in die neueste Zeit.

E. M. Arndt (geb. 1769): Geist der Zeit, 1806-18, 4 Bde. Germanien und Europa, 1803.

Reise durch Schweden, 1804. 4 Theile.

Versuch in vergleichender Völkergeschichte, 1843.

Erinnerungen aus dem äußern Leben, 1842.

Schriften für und an seine lieben Deutschen, 1845-55. 4 Theile. Meine Wanderungen und Wandelungen mit dem Reichsfreiherrn H. K. F. von Stein, 1858.

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