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zum Ausdruck kommen, wenn gleich, so oft sie Ursache und Wirkung der dramatischen Handlung sind, ein Ausdruck voll lyrischer Kraft ihnen gestattet ist.

§. 328. Unter Character versteht man bekanntlich (§. 215) die sittliche Beschaffenheit des Menschen. Je nach seinem Character wird der Mensch diesen oder jenen, guten oder bösen, Zweck verfolgen. Aus der Wirkung und Gegenwirkung der Charactere ersteht nun die Handlung, d. h. ein Zustand der Dinge, der nie so bleibt, wie er liegt. Das Lebenselement des Drama's ist aber die Handlung, die aus freier Entscheidung des Menschen hervorgehende That. Das Endziel der dramatischen Handlung geht aus dem kräftigen Zusammenstoß der Zwecke hervor, welche die Personen verfolgen. Alles, was im Drama geschieht, z. B. die Sitten schilderung, ist nur der Handlung wegen da; diese bildet den Mittelpunct desselben; an ihr und durch sie entwickeln sich die Charactere. Diese müssen im Drama mit Energie ihre Zwecke verfolgen, da nur auf solche Weise die dramatische Spannung nach der Zukunft hin und das Interesse an der Handlung zuwege gebracht wird.

Die Charactere des Drama's treten als edel, angemessen, gleichartig und consequent gezeichnete auf. Der Dramatiker entspricht der ersten Forderung, der einer edlen Zeichnung, dadurch, daß er gleich dem Portraitmaler seine Menschen frappant ähnlich den wirklichen, aber eben nicht völlig gleich denselben macht. Eine angemessene Characteristik gibt jedem Stand, jedem Alter, jedem Geschlecht, jeder historischen Person das, was ihnen gerade in dieser Beziehung allgemein Characteristisches zukommt. Die Gleichartigkeit der Charactere besteht darin, daß dieselben die Signatur des allgemein Menschlichen, dann aber auch die ihrer Zeit und ihrer Nation an sich tragen. Consequent ist ein Character gezeichnet, wenn das, was ihn eben zum Character macht, der Schwerpunct, worauf er ruht, vom Dichter stets im Auge behalten worden ist.

Der Inhalt der dramatischen Handlung wird von der Fabel, dem Stoffe des Stückes, gebildet. Dieselbe kann reine Erfindung des Dichters sein, oder der Geschichte, dem Mythos, der erzählenden Litteratur entnommen werden. Ob der Dichter

das eine oder das andere thut, ob er erfindet oder entlehnt, gilt völlig gleich; der Wert des Drama's wird nicht darnach, sondern nach der Grösse der darin niedergelegten Weltanschauung und nach der Kraft der Darstellung bemessen. In jedem der obigen Fälle muß die Handlung möglich, innerlich wahrscheinlich sein. Diese Möglichkeit ist aber die sogenannte poëtische, d. h. die Handlung muß nach der einmal vom Dichter gemachten Annahme, die ihm zugegeben worden ist, nicht aber gerade an sich möglich sein. Wunderbares, Uebernatürliches, Geister vorzuführen, ist dem Dichter gestattet, wenn er es für seinen Zweck bedarf.

Aber nicht nur der Stoff, die Fabel, kann erdichtet oder gegeben sein; auch die Charactere kann der Dichter erfinden oder entlehnen, so daß wir einen gegebenen Stoff und erfundene Charactere, oder einen erfundenen Stoff und entlehnte Charactere oder endlich beide erfunden im Drama vorfinden können. Alleiniges Gesetz für den Dichter bleibt dabei, daß beide, Character und Stoff, zu einander passen.

Außer dem Stoff, d. h. dem, was geschieht, und den Personen, von denen es geschieht, sind noch die Zeit, wann, und der Ort, wo es geschieht, im Drama in Betracht zu ziehen. Jede Handlung muß irgendwann und wo beginnen, muß sich fortspinnen und endlich zum Abschluß kommen; im Drama muß sich die Handlung mit steter Spannung nach der Zukunft hin entwickeln, d. h. der Anfang muß die Mitte und die Mitte das Ende erklären. Dieses Fortspinnen des dramatischen Fadens, das während des ganzen Drama's nicht sistirt werden darf, bewirkt eben, was wir die Einheit der Handlung nennen. Wir müssen aus dem Drama mit Nothwendigkeit erkennen, warum das Ende der Handlung nicht früher erfolgte, und, als es eintrat, warum es jezt gerade kommen muste. Es wird uns das klar, weil wir mit unsern Sinnen das Ineinandergreifen der Handelnden, die Collision ihrer Zwecke, verfolgen können. Aus der Collision der Zwecke geht das Endziel der dramatischen Handlung hervor. Damit aber diese Collision eben erfolge, dürfen die Personen weder der Zeit, noch dem Orte nach weit von einander entfernt sein, und das ist es, was man unter Einheit der Zeit und des Ortes versteht, eine Einheit, die nur eine Folge

der Einheit der Handlung sein kann. Diese darf nie verletzt werden. Alles im Drama muß auf sie Bezug, alles aus ihr mit Nothwendigkeit fließen.

§. 329. Die dramatische Form entspricht der Entwickelung der Handlung. Zuerst treten die Personen auf; man lernt sie und ihre Zwecke zum Theil kennen. Da sie dieselben verfolgen, so müssen diese in Collision und die Personen in Situationen gerathen. Eine ungewisse Lage der Dinge zeigt sich und erreicht ihren Höhepunct. Der Glücksumschwung findet statt und das Rad hört nicht eher auf zu rollen, bis die Göttin das ganze Füllhorn des Segens über den Glücklichen ausgegossen, oder sich völlig vom Helden abgewendet hat. Die Spannung hat ihr Ende erreicht, und Ruhe tritt ein. Daraus ergeben sich mit Nothwendigheit fünf Glieder der dramatischen Kette: die Exposition, die Verwickelung, die Entwickelung, die Peripetie und die Katastrophe. (Vergleiche §. 261.) Den Anfang des Drama's bildet die Exposition, das Ende die Katastrophe, in die Mitte theilen sich Verwickelung, Entwickelung und Peripetie. Es kann nun jedem dieser Glieder ein sogenannter Act (Aufzug) als grösserer Einschnitt des dramatischen Organismus entsprechen, so daß wir fünf Acte des Drama's zu unterscheiden bekämen, oder es können Anfang, Mitte und Ende in Acte sich vertheilen, und wir würden sodann drei Acte als naturgemässe Abschnitte erhalten. Jede andere Gliederung hat geringeren Wert. Halten wir uns an das fünfactige Schema, so enthält der erste Act die Exposition. Der Zuschauer soll sich in der Welt, in die er vom Dichter wie mit einem Zauberschlage versetzt wird, orientiren und in diejenige Stimmung gebracht werden, mit der er dem weitern Verlauf der Handlung zu folgen vermag. Der erste Act bringt also den Zuschauer in die Situation des Drama's, zeigt ihm die Keime der Handlung in ihrem Wachstum und führt ihn so weit, bis sich ihm ein Reich von Möglichkeiten erschließt, innerhalb dessen die Handlung sich abspinnen kann. Der zweite Act bringt die Verwicklung durch Steigerung des Conflicts, in den der Held des Drama's in Bezug auf seinen Zweck mit seinem Innern oder der Außenwelt geräth, und endet mit einem Entschluß desselben, oft auch schon mit einer That, die beide für die weitere Handlung grosse Bedeutung haben.

Der dritte Act erhebt den Conflict auf seinen drohendsten Standpunct, die Spannung gedeiht in ihm auf's Höchste, und die früher gesondert neben einander herlaufenden Handlungen greifen nunmehr ineinander; der vierte Act aber bringt erst diejenige Veränderung mit den handelnden Personen, wodurch sie in einen dem früheren entgegengesetzten Zustand gerathen, er. bringt die Entwickelung der dramatischen Krise zur Peripetie, dem Glücksumschwung. Der fünfte Act beschließt sodann mit der Katastrophe das Drama.

Jeder Act enthält ebenfalls Einschnitte, die Scenen genannt und durch das Auftreten einer neuen Person daher der Name Auftritt für Scene bedingt werden. Diese Gliederung der Acte in Scenen kann nicht willkürlich, sondern muß nothwendig erfolgen; jede auftretende Person muß einen bestimmten, in die Handlung eingreifenden, Zweck haben. In der Regel ist die Scene nicht leer von Personen; nur in solchen Augenblicken, in denen hinter der Scene sich etwas für die Entwickelung der Handlung Bedeutendes begibt, findet sich eine Ausnahme von dieser Regel.

Die Sprache im Drama muß dem Stoffe und den Characteren völlig angemessen sein. Da diese in beständiger Wirkung und Gegenwirkung auf einander sich befinden, so kann die sprachliche Form, in der sie mit einander verkehren, nur die Wechselrede, der Dialog, sein. Dieser Umstand bedingt für den Dialog augenblickliches Entstehen der Rede jedes Einzelnen und Abhängigkeit dieser Einzelreden von einander. Die Zahl der sprechenden Personen, die Länge der Reden richtet sich nach dem Zwecke der Handlung. Uebrigens hat auch der Monolog, das Selbstgespräch, im Drama sein gutes Recht; nur muß er als den Dialog organisch ergänzend, also die Handlung nicht hemmend, sondern fördernd, erscheinen. Die Charactere wirken auf einander ein; der eine oder der andere findet Zeit zur Sammlung, zur Einkehr in sein Inneres, nicht aber, um den Eindruck des so eben Erlebten in sich austönen zu lassen, sondern denselben von sich abzuschütteln, sich zur consequenten Weiterführung seiner Lebensaufgabe zu ermannen und zu einem Entschluß zu kommen. Diese Enthüllung der inneren Gährung und selbständig erfolgenden Klärung des Characters durch den Monolog läst den Zuschauer das Motivirte der darauf folgenden Handlung

erkennen, hat aber noch den Vortheil, daß ein allzu rascher und eben deshalb verwirrender Scenenwechsel unnöthig, sowie das Eintreten eines unmotivirten Theatercoup's fern gehalten wird. Lezterer ist nämlich die wider Vermuthen eintretende Begebenheit, hat also an und für sich keine Berechtigung und ist eben nur dann gestattet, wenn er motivirt ist.

Aus der oben angegebenen Bedingung für die dramatische Gesprächsform, daß die Reden der dramatischen Personen wie im Moment entstanden erscheinen müssen, ergibt sich der Vorzug, den die poëtische Form des Dialogs vor der prosaischen verdient. „Behandelt der Schauspieldichter," so sagt August Wilhelm von Schlegel, „den Dialog poëtisch, so wird er durch die unumschränktere Gewalt über die Sprache, wodurch die Poësie alles, was im Menschen vorgeht, anschaulicher zu machen geschickt ist, in den Stand gesetzt, die Zeichen der unmittelbaren Entstehung noch entschiedener hervorzuheben. Schon wegen der sonstigen Stärke und Schönheit des Ausdrucks müssen sie die Aufmerksamkeit mehr an sich ziehen, weil man nicht gewohnt ist, sie in solcher Gesellschaft anzutreffen; so wie hinwieder jene Vorzüge dadurch, daß sie freiwillige Gaben des Augenblicks scheinen, einen ganz eigenen Zauber gewinnen; das Sylbenmaß selbst, wenn es nicht an eine steife Regelmässigkeit gebunden ist, kann durch einen geschickten Gebrauch die Täuschung vermehren helfen."

Der Dialog ist übrigens aus dem Monolog organisch hervorgegangen und kann, da dieser von uns als Urform aller Darstellung angesehen wird, in der schlichtesten Prosa eben so gut, wie in der schönsten poëtischen Form erscheinen. (Vergleiche: §. 257-260 und §. 296.)

§. 330. Das Drama ist entweder Tragödie oder Komödie, je nachdem der Held des Drama's grosse, welterschütternde oder kleine, nichtige Zwecke verfolgt, der Stoff also entweder eine erhabene oder eine unbedeutende Handlung ist. Zu unterscheiden vom Stoff ist die, vom Dichter dem Drama zu Grunde gelegte, Idee, und diese zugleich mit der ihr entsprechenden Behandlungsweise des gewählten Stoffes, so wie der Stoff selbst, je nachdem er ein gegebener oder erfundener ist, geben sodann die weiteren Unterarten des Drama's.

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