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II. Die Ode.

§. 305. Die Ode unterscheidet sich vom Liede durch ihren Inhalt und ihre Form. Alles, was den Menschen über sich selbst erhebt, was ihn seinen Zusammenhang mit den höchsten geistigen und sittlichen Mächten ahnen läst, ist Stoff der Ode. Gott, Natur, die Menschheit in der Erhabenheit ihrer Erscheinung reißen den Dichter zur Begeisterung hin; er schwingt sich zu den höchsten Ideen auf, bemächtigt sich ihrer in leidenschaftlicher Trunkenheit, um sie dann in alle Welt hinauszujauchzen. Deshalb ist eben die Ode in Bezug auf ihren Bau, ihre Sprache und ihren Rhythmus so sehr vom Liede verschieden.

Da der Odendichter in beständiger Erregung, gewissermassen in einem grösseren oder geringeren Grade von Verzückung, sich befindet, so kann er in seiner Unruhe nicht bei einem einzelnen Bilde verweilen, er wird von dem einen zum andern überspringen; diese scheinbare Unordnung, diese Auslassungen und Sprünge werden jedoch von der einen Idee, welche den Dichter begeistert, bewältigt und zu höherer Einheit verklärt.

Was den sprachlichen Ausdruck der Ode anbelangt, so wird er ganz und gar die Kühnheit ihres Baues und das Leidenschaftliche im Schwung der Phantasie widerspiegeln. Großartige Metaphern und Hyperbeln, schlagende Beiwörter, kühne Wortstellung werden die Sprache der Ode kennzeichnen.

Der Rhythmus der Ode endlich ist ein äußerst kühner; die freieste Verknüpfung der Metren, die genialste Verschlingung der Rhythmen tritt in derselben auf. Bisher ist der Reim bei den Odendichtern, jedoch ohne Grund, in Misachtung gestanden.

§. 306. Man theilt die Ode wie das Lied in die weltliche und geistliche ein. Eine Art weltlicher Ode ist die Dith yrambe. Die geistliche Ode heißt auch Hymnus oder Psalm. Der Grad und der Gegenstand der Begeisterung geben den Eintheilungsgrund.

Die geistliche Ode hat Gott und göttliche Dinge zu ihrem Gegenstand; der höchste Grad der Begeisterung durchdringt sie, da sie die höchsten, unerreichbaren Mächte des Lebens und der Welt ansingt. Psalmen heißen vorzugsweise die im Geiste der David'schen Psalmen gedichteten religiösen Oden.

Die weltliche Ode im engeren Sinne besingt hervorragende Persönlichkeiten, das menschlich Nahe und Verwandte; der günstigste Stoff für sie ist das geschichtliche Leben der Menschheit. Stürmisch ausströmende Begeisterung für den Vollgenuß des irdischen Lebens characterisirt die Dithyrambe, die man auch lyrische Rhapsodie nennen könnte.

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Seele der Welt? Kommst du als Hauch in die Brust des
Menschengeschlechts und gebierst ewigen Wohllaut ?
Grosse Bilder entstehn, und grosse

Worte beklemmen das Herz.

Blende mich nicht, willige Kraft, wie ein Traumbild,
blende mich nicht! o und ihr, ziehet umsonst nicht
meine sorgende Stirn vorüber,

wandelnde Strahlen des Lichts!

Liebend bisher leitetet ihr, und ich folgte;

hinter mir ließ ich, was nicht euer Geschenk war:

jeden irdischen Glanz und jede

Stille des häuslichen Glück's.

Immer nach euch klimmt' ich empor, und es rollt' mir,

was ich errang, wie der Kies, unter den Füssen

weg; ich bleibe zurück nicht länger,

klimme nur weiter empor.

Irrt' ich? Es sei. Aber wie sehr des Verständ❜gen
Tadel mich traf, so gewiß (fühl' es, o Tadler!)
war ich strenge mir selbst, so weit es

stürmische Jugend vermag.

Habt ihr umsonst, Sterne, mich nun an der Vorzeit
Reste geführt und gestählt Augen und Herz mir?
Lehrt mich grössere Schritte, lehrt mich

einen gewaltigen Gang!

Gehet hinfort leuchtender auf, und ein Flämmchen wehe von euch, an des Haar's Locke sich schmiegend, sanft herab und erwärme lieblich

jeden Gedanken des Haupt's.

(Platen.)

Der Abend.

(Sapphisches Versmaß.)

Friedlicher Abend senkt sich auf's Gefilde;

sanft entschlummert Natur, um ihre Züge

schwebt der Dämm'rung zarte Verhüllung, und sie lächelt, die holde,

lächelt, ein schlummernd Kind in Vaters Armen,
der voll Liebe zu ihr sich neigt; sein göttlich

Auge weilt auf ihr, und es weht sein Odem
über ihr Antlitz.

(Lenau.)

An die jungen Dichter.

(Asklepiadäisches Metrum.)

Lieben Brüder, es reift unsere Kunst vielleicht,

da, dem Jünglinge gleich, lange sie schon gegährt,

bald zur Stille der Schönheit;

seid nur fromm, wie der Grieche war!

Liebt die Götter und denkt freundlich der Sterblichen!

hasst den Rausch wie den Frost! lehrt und beschreibet nicht!
Wenn der Meister euch ängstigt,

fragt die grosse Natur um Rath!

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