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Der Hiatus ist in der deutschen Sprache sehr häufig nicht zu vermeiden, und klingt dann entweder hart: süsse Empfindungen, du Unselige, oder weich: die er, so oft.

§. 277. Die Versfüsse lassen sich in solche eintheilen, die selbständig versbildend sind, und in solche, die nur als Ersatz zur Bereicherung des Rhythmus oder in Nachahmungen antiker Formen eine Stelle finden.

Selbständig versbildend sind:

1. der Trochäus (~~): Berge, Thäler, tausend. 2. der Jambus (~): hinweg, berührt, Gebirg.

3. der Dactylus (~~): singende, klagende, heilige, Länderchen.

4. der Anapäst (~~): des Gebirgs, ein Gebüsch, in der Nacht, er entkam.

Den Uebergang zu den unselbständigen Versfüssen bildet der Choriambus (-~~-): Sphärengesang, seliges Herz.

Unselbständige Versfüsse sind:

1. der Spondäus (--): Meerschiff, Geldgier, griesgram. 2. der Creticus (--): Mondbeglänzt, Zaubernacht. 3. der Molossus (---): Holzklotzpflock, Urweltstraum. 4. der Amphibrachys (~~~): Gebrüder, Genossen, o folgt mir! 5. der Bacchius (~): Gesang tönt, der Hund bellt. 6. der Antibacchius (-): Sackpfeifer.

7. der Antispastus (~--~): Triumphzüge, Geheimhaltung, 8. der erste Jonicus (~~): in des Kaufherrn.

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9. der zweite Jonicus (--~~): Weltstürmende, Gottmenschliche. 10. die vier Epitrite, aus drei Längen und einer Kürze bestehend, und je nach der Stellung der Kürze in vier Klassen getheilt (~. ~): Gewölk droht schwer, schwer Gewölk droht, schwer droht Gewölk, hochaufsteigend. 11. die vier Päone, wie die Epitrite nach der Kürze, so sie nach der einen Länge in vier Classen gebracht (~~~~; ༦; ;-): seligere, geheimere, eines Tages,

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in dem Gebirg.

Anmerkung. Zwei oder mehr Kürzen, das heißt im Deutschen, zwei oder mehr unbetonte Sylben lassen sich zu Anfang eines Verses

nicht rein darstellen: des Gebirgs kann auch als Creticus oder als Doppeltrochäus gelesen werden. Wird nämlich der Trochäus, Jambus oder Spondäus verdoppelt, so entsteht der Doppel-Trochäus, Jambus oder Spondäus, auch trochäische, jambische und spondäische Dipodie genannt.

§. 278. Aus den Versfüssen gehen die Verse hervor. Ein Vers ist nämlich eine durch den Rhythmus oder den Reim abgeschlossene Reihe von Rhythmen. Die rhythmische Reihe erscheint nun entweder als vollbeendete, oder sie bricht mitten im Tacte ab. Man nennt Verse, welche die Tacte vollständig enthalten, acatalectisch, diejenigen, bei denen dies nicht der Fall ist, catalectisch. Die Arsis oder Hebung kann nie fehlen; daher kann ein Trochäus nur um eine Sylbe, ein Dactylus hingegen um eine oder zwei Sylben zu kurz kommen; Jamben und Anapästen können um gar keine Sylbe verkürzt werden; hingegen können die Jamben um eine, die Anapästen um zwei unbetonte Sylben über die Arsis hinausschreiten. Man nennt derlei Jamben und Anapästen hypercatalectisch. Verse, die mit der Thesis beginnen, um zur Arsis aufzusteigen, haben steigenden, Verse, die mit der Arsis beginnen und zur Thesis gelangen, haben fallenden Rhythmus, daher man auch sagen kann, Verse mit steigendem Rhythmus seien entweder acatalectisch oder hypercatalectisch, Verse mit fallendem Rhythmus entweder a catalectisch oder catalectisch.

§. 279. Metrum oder Versmaß ist eine bestimmte Verbindung und Abwechselung von kurzen und langen Sylben. Es erhält Namen und Character von dem im Vers vorwiegend erscheinenden Versfuß, so daß man ein trochäisches, jambisches, dactylisches und ana pästisches Versmaß unterscheidet. Jedes Versmaß hat seinen eigenen Character, der bedingt ist durch die Zahl der Füsse, welche den Vers bilden, durch die Catalexis oder Acatalexis und endlich durch den Reim, da er zwei oder mehrere Verse aneinander zu knüpfen im Stande ist.

§. 280. (Da s trochäische Versmaß.) Als kleinste Einheit wird in der Regel die trochäische Dipo die (-|=~) genommen. In ihr lassen sich schon kleinere Gedichte bilden. Der

acatalectische Vers wird bisweilen durch einen catalectischen unterbrochen,

Die einfache trochäische Dipodie tritt nicht selten mit Doppeldipodien abwechselnd auf:

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Die dreifüssigen Trochäen erscheinen sowohl mit männlichem als weiblichem Schluß. (=|==|=~)

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Vierfüssige Trochäen erscheinen acatalectisch und catalectisch; ja sie wechseln selbst mit dreifüssigen catalectischen Trochäen nach folgenden Schemen:

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In Göthe's Zauberlehrling ist der vierfüssige Trochäus mit dem zwei- und dreifüssigen in Anwendung gebracht nach diesem Bild:

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daß im Schutz geschloss'nen Mundes
doch mein Herz erschrickt,
das Geheimnis heil'gen Bundes
fester an sich drückt.

(Lenau.)

Heimlich nur das Bächlein schlich;
denn der Blüten Träume
dufteten gar wonniglich
durch die stillen Räume.

(Lenau.)

Fünffüssige Trochäen kommen nicht häufig, sechs- und siebenfüssige noch weniger in Anwendung. Sie haben alle zu wenig Leben und werden deshalb gerne mit Dactylen aufgefrischt.

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Könnt' ich dem Adler gleich, ins Firmament mich schwingen,

fröhlich und frei, ein Gott, in's blaue Weltall singen,

trät' ich, bespritzt mit Blut, ein Mann aus Kampf und Schlacht,
dann würd', o Welfe! dir ein würdig Lob gebracht.

So aber bin ich nur ein weinend Kind gleich allen;

so Schwert als Harfe würd' der schwachen Hand entfallen;
doch denk ich dein und dein, wallt auf dies träge Blut
und, sieh', dem Kinde wächst noch alter deutscher Muth!

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Spaltender mit Liljenschwerte Winters frost'ge Panzer, lächelnder mit Sonnenblicken, Gramgewölkzerstreuer! Sitze mit den Strahlenkronen auf dem Strahlenthrone, deinem Reich das Strahlenantlitz zeigend, Welterfreuer! Jugendfürst! die Huldigung der Deinen nimm und segne, die sich deinem Dienste weihn mit Kraft, vereinter, treuer! Högelsberger, d. Sprachwissenschaft.

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