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TAYLOR

INST

OXFORD;

Erste Periode.

Die epische Beit.

Die ältesten Formen des Rechts und der Sitte, das Maß des Könnens, Wissens und Glaubens, die Uebung des Handwerks, des Ackerbaues und der Viehzucht, die Weise des Gesanges und der Dichtung bei den Germanen, alles das ist wie die Sprache gemeinsames Erbtheil von der uralten asiatischen Erbschaft des indogermanischen Stammvolkes her, und die Geschichte der Entstehung dieser Erbtheile wäre zugleich die Geschichte der Entstehung der Menschheit, wenigstens eines hervorragenden Theiles derselben. Alle diese Früchte am Lebensbaum unsers Volkes haben das Gemeinsame, daß sie ohne hervorragenden Antheil Einzelner aus dem Bedürfniß und der Kraft der Gesammtheit heraus geworden und erwachsen sind; die mehr physischen Errungenschaften meist vom Bedürfniß, das geistige Besitzthum meist von der Einbildung abhängig. So • ist die älteste Dichtung des germanischen Volkes einestheils Gemeingut der Gesammtheit, anderntheils Epos in dem Sinne, als die epische Dichtungsform diejenige ist, in welcher der Einbildungskraft die wirksamste Thätigkeit zufällt; nicht aber in dem Sinne späterer Anschauung, welche das Epos als ausgebildete bewußte Kunstform der Lyrik und dem Drama entgegenstellt; denn auch ein Drama kann die epische Zeit recht wohl besessen haben, aber ein episches Drama, und so eine Lyrik, aber eine epische Lyrik. Besser würde man darum vielleicht mit Anwendung der Schillerschen Ausdrücke sagen, die älteste Dichtungsart sei die naive gewesen, gleichgültig, in welcher Form sie aufgetreten sei. Die Hauptform aber war die epische.

Man unterscheidet im alten oder ächten Epos Sage, Mythus und Thiersage, oder Menschenepos, Naturepos und Thierepos, je nachdem die dichterische Einbildung das Verhältniß des Menschen zum Menschen selber, zu den elementaren Naturkräften oder zum Thiere erfaßt. Das mythologische Epos, welches sich an die in der Natur vermittelst der Einbildungskraft beobachteten Vorgänge des planetarischen Lebens knüpft, erzählt im charakteristischen Unterschiede späterer Dichtungsarten nur solche Ereignisse, die sich regelmäßig oder unregelmäßig wiederholen, während alle spätere Dichtung im Wesentlichen nur Einmalgesehenes zur Darstellung bringt. Denn der Wechsel der Tages- und Jahres

zeiten, der Monde, dessen, was in den Wolken und am bestirnter Himmel vorgeht, alles das wird als wiederkehrende Thatsache von der Phantasie angeschaut, erhält aber erst dadurch poetisches Leben, wenn es als Einmalgeschehenes erscheint. Darum hat auch diese älteste Poesie ein anderes Maß der Zeilen, als der spätern Dichtung zukömmt, und der alte Spruch: Vor mir sind tausend Jahre wie ein Tag, erfüllt sich hier buchstäblich. Wo in geschichtlicher Zeit ein einziges Ereigniß stets einen beschränkten Zeittheil in Anspruch nimmt, sind es bei den ältesten Poesien unübersehbare Reihen von Thatsachen, die eben darum, weil sie stets dieselbe Anschauung veranlassen, später als ein Ereigniß wiedergegeben werden, als eines jedesmal, dieses eine aber in reichster Variation.

Der Uebergang des bloßen Naturereignisses als wiederholt geschehene Thatsache in eine einmal geschehene That bedingt zugleich den Uebergang der bloßen mythischen Naturanschauung in das mythische Epos oder den Mythus. Anders ausgedrückt: Epos wird die mythologische Thatsache, sobald sie sich als ein einziges Ereigniß; Held oder Gegenstand des Epos wird der mythische Naturgegenstand, wie Sonne, Mond, Tag, Nacht, Licht, Finsterniß, sobald es sich als eine einmal im Leben vorhanden gewesene Person oder Ding darstellt. Uebrigens besißt ja die Natur selbst mehr als ein Geschöpf, das ohne Nebenbuhler lebt, Sonne und Mond, Himmel und Erde. Aber Tag und Nacht, Frühling und Herbst, Wolken und Winde, Stürme und Hagel, Donner und Blig und was dergleichen Erscheinungen mehr sind, erscheinen in immerwiederholter Gestalt.

Ganz ähnlich, nur viel einfacher, verhält es sich mit dem Thierepos. So lange bloß das Bärengeschlecht als plump und schleckerhaft, das Wolfsgeschlecht als gierig und geil und das Geschlecht der Füchse als listig und verschlagen dem Menschen sich darstellte, gab es noch kein Thierepos. Erst als Braun der Bär, Fegrimm der Wolf und Reineke der Fuchs die wiederholt er schauten Bären, Wolfs- und Fuchsthaten als einmalige Handlungen sich aneigneten, entstand das Thierepos.

Auch mit dem Menschenepos scheint es zum Theil ähnliche Bewandtniß zu haben. Die ersten Thaten der Menschen wie der Völker sind nicht als einmal geschehene Thaten und Ereignisse angeschaut worden, sondern als sich wiederholende Begebenheiten. Leben und Tod, Sieg und Fall, Ankunft und Wiederkehr, Rache und Verzeihung sind lauter Dinge, welche, von vielen Geschlechtern an vielen Orten und in ähnlicher Weise erkannt, nicht bloß diesen Dingen ihre Namen, sondern zugleich die Möglichkeit dichterischer Gestaltung gaben. Noch heute spielen unsere Kinder ihre ersten dramatischen Kinderspiele in Nachahmung solch wiederholter Ereignisse: Vater und Mutter, Schule, Taufe, Hochzeit und Begräbniß ist, was ihrem jungen Auge als neu vorkommt und zur Darstellung

reizt, und die Namen ihrer Helden sind weiter keine andern als unsere gewohnten Gattungsnamen.

Sonst pflegt man das Menschenepos, soweit es ächtes Menschenepos ist, als Gestaltung einmal geschehener Ereignisse anzuschauen, wie sie der kindlichen Phantasie der jugendlichen Völker sich anboten. Mag dem jedoch sein, wie ihm wolle: so viel ist gewiß, daß die historischen Namen, unter deren Ueberschrift die Ueberbleibsel dieser Epen auf uns gekommen sind, noch keinen Beweis dafür bieten, daß ihr Inhalt wirklich ihren namentlichen Trägern von Rechts und Ursprungs wegen angehöre. Es wird vielmehr mit diesen alten Erinnerungen so beschaffen sein, daß von ältesten Zeiten her unser Stamm wie seine Bruderstämme sein bestimmtes Maß von episch überlieferter Erinnerung gehabt hat, welches sich je nach dem Geschicke des Volkes ausdehnte oder verkürzte. Ein ältester bleibender Kern epischer Ueberlieferung erhielt sich durch alle Zeiten hindurch. Aber die Namen der Sagenträger, die lokalen Besonderheiten und allerlei sonstiges Beiwerk wechselten mit den befondern Stufen der geschichtlichen Ueberlieferung. Die legte dieser Stufen vor dem Ausgang der epischen Periode ist die der Völkerwanderung; aus ihrem Kreise hat die Sage zuletzt ihre Namen genommen, soweit sie, durch bestimmte Thatsachen dazu veranlaßt, überhaupt historische Namen aufgegriffen hat. Wir hätten aber auch ohne diese Namen ein Epos, und es wird kaum mehr auszumachen sein, wie groß der besondere Einfluß der Völkerwanderung auf das vorhandene epische Kapital gewesen sei.

Verlangt schon der Begriff des Epos als einer Dichtung eine schöne, das ist symmetrisch gegliederte Form, so verlangt eben dasselbe noch mehr das Gedächtniß; denn wie die Einbildungskraft die wirksamste Bildnerin des Epos ist, so übernimmt das Gedächtniß die Pflicht seiner Aufbewahrung und Fortpflanzung. Alle indogermanischen Völker besigen für ihr ächtes Epos einen einzigen Vers, den fie den epischen Vers nennen können; er ist mit dem Epos geworden, und so alt als das Epos. So verschieden nun aber jedes Einzelvolk jener großen Völkerfamilie seinen epischen Vers aus- und weitergebildet hat, darin gleichen sich alle epischen Verse, daß sie bloße Verszeilen von mäßiger Länge sind, welche durch einen Einschnitt in zwei Hälften zerfallen. Das ist das erste Gewand künstlich gegliederter Rede, nichts anders als ein mäßig ausgedehnter Satz, innerhalb welchem zwei Glieder sich die Stange halten. Das ist der Fall beim epischen Verse der Griechen, der Römer, der Inder, der Germanen; überall ein mäßig ausgedehnter Einzelvers, aus zwei Stücken bestehend. Die besondere Art rythmischer Form des germanischen epischen Verses ist die, daß er aus vier Takten besteht, so zwar, daß jeder Takt eine Hebung mit so viel Senkungen ausmacht, als sich an die Hebung anflammern mögen, sei's daß die Senkungen gänzlich fehlen oder

vor und hinter die Hebung treten. Meist werden die vier Takte Raum für vier Satglieder bieten; füllt ein Saß den Vers, so hat Subjekt, Prädikatsverb, Objekt unv Adverbiale im Verse Play, oder Subjekt, Prädikatsverb, Objekt, wovon das erste oder dritte Glied ein Attribut trägt; oder zwei Subjekte, Prädikatsverb und Objekt; zwei Objekte, Prädikatsverb und Subjekt: doch mögen auch zwei Säge im Verse Raum finden, wie umgekehrt natürlich der Saz eine willkürliche Zahl von Versen ausfüllen kann.

Die beiden Vershälften des deutschen epischen Verses werden nun musikalisch an einander gebunden durch den Stabrein, den Gleichtlang der Anfangskonsonanten oder, was seltener vorkommt, der Anfangsvokale. Man nennt deßhalb unsern epischen Vers den alliterirenden, obschon die Alliteration eben nicht sein erstes Geset ist. Die Alliteration oder der Stabreim kann nur auf den Stäben, das ist auf den Hebungen der Takte ruhen, und der ganze Vers kann höchstens vier Stabreime und muß wenigstens zwei Stabreime haben.

Unsere Ueberbleibsel des deutschen Epos sind im Verhältniß zur Fülle dessen, was vorhanden war, sehr gering. Die nordische Literatur hat in den beiden Edden, und die Literatur der Angelsachsen im Beowulf und in andern Dichtungen mehr bewahrt, immerhin in einer nicht mehr ganz alten Ueberlieferung. Für das deutsche Gebiet im engern Sinne müssen wir uns im Wesentlichen mit dem Hildebrandsliede begnügen. Ist dasselbe auch lückenhaft überliefert und fehlt ihm besonders der Schluß, so haben wir doch in ihm ein unschäßbares Denkmal einer reichen vergangenen Literatur und Kulturepoche erhalten, welche uns den Verlust alles Uebrigen um so schmerzlicher vermissen läßt. Das Fragment lautet in freier Ueberjezuug, mit Aufgeben des Stabreims :

Das Hildebrandslied.

Daß heraus sich hießen zum Einzelkampfe
Hildebrand und Hadubrand

Das hört' ich sagen,

zwischen zwei Heeren.

gürteten Schwerter

da sie giengen zum Kampf.

Sohn und Vater legten die Rüstung an,
Warfen das Waffenhemd über,
Ueber die Panzer, die Helden,
Hildebrand sprach,
An Geist der Stärkre;
Mit klugen Worten,

Aus den Männern im Volke

der Edlere war er,

zu fragen begann er

wer sein Vater wäre

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,, oder welches Geschlechts bist du? 10

Wenn du mir einen nennst, weiß ich die andern auch,

Du Kind im Königreiche,
Hadubrand sprach,
So haben erzählt mir
Alte, verständ❜ge,

fund ist mir alles Volk.“ Hildebrands Sohn:

unsere Leute,

die früher gelebt:

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Hadubrand heiß ich.

floh Otachers Haß, und seiner Degen viel. leidvoll sizen

Mein Vater hieß Hildebrand,
Längst zog er oftwärts,
Zog hin mit Dietrich
Er ließ im Lande
Die Gattin im Hause,
Des Erbes beraubt.
Und Dietrichen traf
Das war ein freud -
Stachern war er
Der Degen bester

den Sohn unerwachsen,
Er zog oftwärts hin.
meines Vaters Verlust;
verlagner Mann.
unmaßen verhaßt;

unter den Dietrichsmannen.
stand er allzeit,

An der Spize des Volkes
Ihm war immer der Kampf
Kühne Männer

Nicht glaub ich,
Hildebrand sprach,
Verhüt es Gott

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nur allzulieb.

fannten ihn wohl.

daß er am Leben noch ist.“
Hadubrands Sohn: 1
im Himmel droben,

mit dem Blutsverwandten!"
gewundene Ringe

die der König ihm gegeben,

"

mit Hulden geb' ich sie dir."
Hildebrands Sohn:
der Mann

du bist dir, alter Hunne,

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Gabe entgegen,

lockest mich an

mit dem Speere mich werfen.

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so lang übst du Betrug.
die über das Meer

Daß in Kampf du gehst
Und er zog vom Arme
Aus Kaisermünze,
Der Herr der Hunnen:
Hadubrand sprach,
„Durch den Ger nimmt
Epiße wider Spize;
Du bist gar listig,
Mit Worten, willst
So alt du bist,
So sagten mir,
Westwärts über den
Schifften, das ihn
Todt ist Hildebrand,
Hildebrand sprach,
An deiner Rüstung
Daß du hast daheim
Sonst wärst du vertrieben.
Alwaltender Gott!
Ich wanderte der Sommer
Immer geschaart

"

Wendelsee
der Krieg hinnahm.
Heribrands Sohn."
Heribrands Sohn:
nehm ich's wahr,
einen guten Herrn.

längst aus dem Lande.

Weh des Frevels!

und Winter sechzig,

zum Volke der Schüßen,

hat der Tod mich gefaßt!
das eigne Kind

Schwert
mit dem Beil mich erlegen,
soll ich ihm werden.

Und vor keiner Stadt
Und nun soll mit dem
Schlagen auf mich,
Oder zum Mörder
Doch magst du nun leicht,
Von so edlem Mann
Beute dir holen,

wenn die Kraft dir taugt, Rüstung gewinnen,

hast du dazu ein Recht.

1 Diesen Vers haben wir von uns aus eingeschoben.

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