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Bundesbuche des Hainbundes stehende ältere, durchaus abweichende Recension des Gedichtes mit.

Auch hier wieder Vorgefühl des Todes. Joh. Martin Miller, ein Geistesverwandter Hölty's, war geb. den 3. Dez. 1750 zu Ulm und starb als Prediger daselbst den 21. Juni 1814. Er ist bekannt als Verfasser des zu seiner Zeit sehr bekannten und beliebten, und dann oft bis zur Ungebühr verspotteten Romans: der zärtliche Siegwart. Unbestrittenen Werth haben viele seiner Gedichte, von denen mehrere Volkslieder geworden sind, z. B. Was frag' ich viel nach Geld und Gut? Auf, ihr meine deutschen Brüder! Traurig sehen wir uns an. Das ganze Dorf versammelt sich u. a. m. Miller scheint übrigens nur durch den Umgang mit seinen Freunden in Göttingen zum Dichten angetrieben worden zu sein, denn in Ulm schwieg seine Leier fast ganz.

Hölty's schöne Elegie erinnert an Klopstocks beide Elegien: an Ebert und an Giseke, und es scheint mir selbst Klopstocks Sprache nachgeahmt zu sein, was auch kaum anders möglich war, da sich die Göttinger Freunde ganz nach Klopstocks Muster bildeten. Die „Seelen der Abende", das wiederholte und ach, umsonst!" (Epipher), „die einherwandelnde Stunde mit dem Dolche“ u. a. sind ganz Klopstockisch. Das Versmaß hat das Schema:

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5. Elegie auf ein Landmädchen.
(Im Mai 1774.)

1. Schwermuthsvoll und dumpfig hallt Geläute
Vom bemoosten Kirchenthurm herab.
Väter weinen, Kinder, Mütter, Bräute;

Und der Todtengräber gräbt ein Grab.

Angethan mit einem Sterbekleide,

Eine Blumenkron' im blonden Haar,
Schlummert Röschen, so1 der Mutter Freude,
So der Stolz des Dorfes war.

2. Ihre Lieben, voll des Misgeschickes,
Denken nicht an Pfänderspiel und Tanz,
Stehn am Sarge, winden naffen Blickes
Ihrer Freundin einen Todtenkranz.

1 Form der Klopstock'schen Schule.

Ach! kein Mädchen war der Thränen werther,
Als du gutes, frommes Mädchen bist!
Und im Himmel ist kein Geist verklärter,
Als die Seele Röschens ist!

3. Wie ein Engel, stand im Schäferkleide
Sie vor ihrer fleinen Hüttenthür;
Wiesenblumen waren ihr Geschmeide,
Und ein Beilchen ihres Busens Zier;
Ihre Fächer waren Zephyrs Flügel,
Und der Morgenhain ihr Busgemach;
Diese Silberquellen ihre Spiegel,
Ihre Schminke dieser Bach.

4. Sittsamkeit umfloß, wie Mondenschimmer,
Ihre Rosenwangen, ihren Blick;

Nimmer wich der Seraph, Unschuld, nimmer
Von der holden Schäferin zurück.

Jünglingsblicke taumelten voll Feuer
Nach dem Reiz des lieben Mädchens hin;
Aber keiner, als ihr Vielgetreuer,

Rührte jemals ihren Sinn.

5. Keiner, als ihr Wilhelm! Frühlingsweihe Rief die Edeln in den Buchenhain;

Angeblinkt von Maienhimmelbläue,

Flogen sie den deutschen Ringelreih'n.
Röschen gab ihm Bänder mancher Farbe,
Kam die Ernt', an seinen Schnitterhut,
Saß mit ihm auf einer Weizengarbe,
Lächelt' ihm zur Arbeit Muth.

6. Band den Weizen, welchen Wilhelm mähte,
Band und äugelt' ihrem Liebling nach,
Bis die Kühlung kam, und Abendröthe
Durch die falben Westgewölke brach.
Ueber alles war ihm Röschen theuer,
War sein Taggedanke, war sein Traum;
Wie sich Röschen liebten und ihr Treuer,
Lieben sich die Engel kaum.

7. Wilhelm! Wilhelm! Sterbeglocken hallen,
Und die Grabgesänge heben an;

Schwarzbeflorte Trauerleute wallen,
Und die Todtenkrone weht voran.
Wilhelm wankt, mit seinem Liederbuche,
Naffes Auges, an das offne Grab,
Trocknet mit dem weißen Leichentuche
Sich die hellen Thränen ab.

Gözinger, Deutsche Dichter, 5. Aufl., I.

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8. Schlummre sanft, du gute, fromme Seele,
Bis auf ewig dieser Schlummer flieht!
Wein' auf ihrem Hügel, Philomele,
Um die Dämmerung ein Sterbelied!
Weht wie Harfenlispel, Abendwinde,
Durch die Blumen, die ihr Grab gebar!
Und im Wipfel dieser Kirchhoflinde
Nift' ein Turteltaubenpaar!

„Unter einem blühenden Birnbaum gedichtet", berichtet Voß zu dieser Elegie, die den Ruf des Dichters vorzugsweise begründete. Hölty hatte schon im Jahr 1771 zwei Elegien ähnlichen Inhalts, ,,Elegie auf einem Dorfkirchhof“ und „Elegie auf einem Stadtfirchhof" gedichtet, zu welchen ihm eine Elegie des englischen Dichters Thomas Gray, 1716-1771 die Anregung gab; Grays Elegie auf einem Kirchhofe", 1749 vollendet, erwarb dem Dichter den Namen des brittischen Pindar; Gotter hatte sie 1771 überseßt, eine andere Uebersetzung steht in Kosegartens Dichtungen. Wir theilen hier den lezten Drittheil der englischen Elegie nach Kosegarten mit:

Und du, der hier in schlichtem Liede preist,
Was sonst zu preisen nie das Lied gewagt,
Vielleicht wenn einst ein dir verwandter Geist,
Hieher verirrend, sehnend nach dir fragt,

"

Daß dann der grauen Hüttner einer spricht:

Wir sehn ihn öfter in der Dämmrung Graun
Den Berg erklimmen, der das Echo bricht,
Und stieren Augs der Sonn' entgegenschaun.

"

Dort unterm Buchbaum, an des Bächleins Rand,
Wo Schatten winkt und grüne kühle Ruh,
Warf er sich hin in schwülem Mittagsbrand,
Und sah des Bächleins Rieseln sinnig zu.

Oft irrt' er murmelnd längs des Haines Saum,
Bleich wie die Liebe, wie der Gram gebückt.
Jest fuhr er auf, wie aus dem tiefsten Traum,
Jest starrt' er hin, als wär' sein Geist entzückt.

Ein's Morgens mißt' ich auf dem Hügel ihn,
Ihn auf der Haid', ihn unterm Buchendach.
Der zweite Morgen dämmert; er erschien
Nicht auf dem Berg, im Busch nicht, nicht am Bach.
Am dritten trugen sie mit Sang und Klang
Den Kreuzgang ihn daher durchs hohe Korn.
Du kannst ja lesen... lies dann den Gesang
Auf jenem Stein mir unterm Hagedorn."

Die Grabschrift.

Dem Glücke nicht, und nicht dem Ruhm bekannt,
Schläft hier ein Jüngling in dem stillen Staub,
Sein Herz hat für die Weisheit früh gebrannt,
Doch frühe ward sein Geist der Schwermuth Raub.

Fromm war sein Sinn, und harmlos sein Gemüth,
Und füß das Loos, das ihm der Himmel gab.
Er gab dem Himmel, was er hatt', ein Lied!
Ihm gab der Himmel, was er wünscht', ein Grab!

Nicht ferner decke du sein Gutes auf,
Nicht seine Schwächen, nicht sein trübes Loos.
Bang harrend ruht er nach durchmess'nem Lauf
In seines Gottes, seines Vaters Schooß!

Es ist begreiflich, daß Hölty sich durch dieses tiefempfundene Gedicht, das ihn selbst vor Augen gehabt zu haben schien, anregen ließ; man findet Anklänge an die Gray'sche Elegie bei Hölty in ziemlicher Anzahl.

6. Elegie bei dem Grabe meines Vaters.

(1775.)

1. Selig alle, die im Herrn entschliefen!
Selig, Vater, selig bist auch du!

Engel brachten dir den Kranz, und riefen;
Und du giengst in Gottes Ruh!

2. Wandelst über Millionen Sternen,
Siehst die Handvoll Staub, die Erde, nicht;
Schwebst, im Wink', durch tausend Sonnenfernen,
Schauest Gottes Angesicht!

3. Siehst das Buch der Welten aufgeschlagen;"
Trinkest durstig aus dem Lebensquell;
Nächte, voll von Labyrinthen, tagen,
Und dein Blick wird himmelhell.

4. Doch in deiner Ueberwinderkrone
Senkst du noch den Engelblick auf mich;
Betest für mich an Jehova's Throne,
Und Jehova höret dich.

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5. Schwebe, wann der Tropfen Zeit verrinnet,
Den mir Gott aus seiner Urne gab,
Schwebe, wann mein Todeskampf beginnet,
Auf mein Sterbebett' herab!

6. Daß mir deine Palme Kühlung wehe,
Kühlung, wie von Lebensbäumen träuft;
Daß ich sonder Graun die Thäler sehe,
Wo die Auferstehung reift;

7. Daß ich mit dir durch die Himmel schwebe,
Wonnestrahlend und beglückt, wie du;

Und auf Einem Sterne mit dir lebe,
Und in Gottes Schoße ruh!

8. Grün' indessen, Strauch der Rosenblume,
Deinen Purpur um sein Grab zu streun.
Schlummre, wie im stillen Heiligthume,
Hingesäetes Gebein.

Von 1775, in welchem Jahre sein Vater starb. Die Elegie drückt tiefe Empfindung und eigne Sehnsucht nach dem Tode aus, doch scheint sie mir etwas zu geschmückt und bilderreich. In seiner Einfachheit höher steht doch das Gedicht von Claudius: Am Grabe meines Vaters (Friede sei um diesen Grabstein her!).

7. Der alte Landmann an seinen Sohn.
(1775.)

1. Ueb' immer Treu und Redlichkeit

Bis an dein kühles Grab,

Und weiche keinen Finger breit

Von Gottes Wegen ab!

Dann wirst du, wie auf grünen Au'n,

Durchs Pilgerleben gehn;

Dann kannst du, sonder Furcht und Graun,

Dem Tod ins Auge sehn.

2. Dann wird die Sichel und der Pflug

In deiner Hand so leicht;

Dann singest du beim Wasserkrug,

Als wär' dir Wein gereicht.

Dem Bösewicht wird alles schwer,

Er thue, was er thu;

Der Teufel treibt ihn und her,
Und läßt ihm keine Ruh.

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