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7. Laß dein sinkendes Haar mich, Hermann, heben, Daß es über dem Kranz in Locken drohe! Siegmar ist bei den Göttern!

Folg du, und wein' ihm nicht nach!"

Borte dieser Strophe spricht natürlich Hermann. Thusnelda bekränzt_ihn und legt sein Haar in Locken, die über den Kranz herabhängen sollen. Hermann entgegnet, daß diese Siegesfreude sich nicht zieme, da sein Vater Siegmar in der Schlacht gefallen sei. Folge den Rathschlägen Siegmars und seinem Hasse gegen die Römer! dies ehrt ihn mehr als Thränen.

10. Fragen.
(1752.)

(Alkäische Strophen.)

1. Veracht' ihn, Leier, welcher den Genius 1 In sich verkennet, und zu des Albion,

2

Zu jedem edlern Stolz unfähig,

4

Fern, es zu werden, noch immer nachahmt!

2. Soll Hermanns Sohn und Leibniz, dein Zeitgenoß,
(Des Denkers Leben lebet noch unter uns!) 5
Soll der in Ketten denen nachgehn, '

8

Welchen er, kühner, vorüberflöge?

7

3. Und doch die Wange niemals mit glühender
Schamvoller Röthe färben?" nie feuriger,
Sieht er des Griechen Flug, ausrufen:
Wurde zum Dichter nur er geboren? 10

1 Die schöpferische Kraft eigener Natur. In der Darmstädter Ausgabe heißt die Zeile:

Veracht' ihn, Leier, wer der Natur Geschick

Das Wort Genie war gerade damals erst im Deutschen aufgenommen worden und an die Stelle des früher gewöhnlichen Wiz getreten. Werke des Genie's sagte man nun, wie man früher gesagt hatte: Werke des Wizes und Geschmackes. 2 Nicht fühlet, nicht sieht. 3 Der Name von Britannia major (Großbritannien) unter den Römern. 4 Falsche Beziehung, wie in der Elegie an Giseke, 3. 22. Dieses es bezieht sich auf die Hälfte des Wortes unfähig, auf fähig. 5 Leibniz war 1716 ge= storben. Der Geist seines Systems lebte aber damals in Philosophie und Dogmatik noch fort. Als Sklave, in sklavischer Nachahmung. 7 Den Franzosen. 8 Wenn er kühner wäre. 9 Verwandlung des gewöhn= lichen Ausdruckes anstatt: Soll sich seine Wange u. s. w. Darmstädter Ausgabe:

Bin ich zum Dichter nicht auch geboren?

Und diese Frage ist der spätern vorzuziehen.

10 In der

4. Nicht zürnend weinen, weinen vor Ehrbegier,
Wenn er's nicht ausrief? gehen, um Mitternacht
Auffahren? nicht an seiner Kleinmuth

Sich durch unsterbliche Werke rächen?

11

5. Zwar, werther Hermanns, 12 hat die bestäubte Schlacht
Uns oft gekrönet! hat sich des Jünglings Blick
Entflammt! hat laut sein Herz geschlagen,
Brennend nach kühnerer That gedurftet.

6. Deß Zeug' ist Höchstädt, 13 dort wo die dunkle Schlacht
Noch donnert,14 wo mit edlen Britanniern,
Gleich würdig ihrer großen Väter, 15
Deutsche dem Gallier Flucht geboten.

16

7. Das Werk des Meisters, 1 welches, von hohem Geist
Geflügelt, hinschwebt, ist wie des Helden That
Unsterblich wird gleich ihr den Lorbeer
Männlich verdienen und niedersehen. 17

Soll er nicht seine Kleinmuth beschämen, indem er selbständige Werke erzeugt. 12 Er knüpft hier an Str. 2 an. Die Construction ist aber etwas verworren, so daß die Anknüpfung ganz versteckt wird: „Zwar Her manns sind wir werther (als Leibnizens); als Hermanns Söhne haben wir uns besser bewiesen, denn als Zeitgenossen Leibnizens; denn die bestäubte Schlacht," 13 u. s. w. In der Schlacht bei Höchstädt (13. August 1704) wurden die vereinigten Franzosen und Bayern von den verbündeten Desterreichern, Preußen und Engländern unter Eugen, Leopold von Dessau und Marlborough aufs Haupt geschlagen. — Das Beispiel scheint unpassend, da ja auf beiden Seiten Deutsche und Nichtdeutsche standen; allein leider hätte der Dichter gar keine Schlacht, die noch im Andenken gewesen wäre, nennen können, als eine solche, worin Deutsche anf beiden Seiten fochten.14 Noch im Andenken fortlebt. 15 Beide gleich würdig. — 16 Hier fehlt aber, welches dem zwar in Str. 5 entspräche. Im Kriege zwar haben sich die Deutschen als Söhne Hermanns immer bewiesen; aber nicht in Geisteswerken als Landsleute Leibnizens, und auch hier sollten wir 17 die Franzosen besiegen und auf sie niedersehen.

11. Die beiden Musen.
(1752.)

(Alkäische Strophen.)

Eine andere Art des Klopstockschen Patriotismus als seine Lobpreisung vergangener Helden ist die Gegenüberstellung der deutschen Nation mit andern Nationen, Griechen, Römern, Franzosen, Engländern. Solche Vergleichungen lagen im Zeitgeiste und sie sind es ja gewesen, die z. B. den jugendlichen Klopstock zu seinen Epos begeisterten. So schaute Bodmer nach England, Gotsched nach Frankreich. In seiner Abschiedsrede aus Schul-Pforta hatte Klopstock, da

mals einundzwanzigjährig, folgendes gesprochen (Cramer I, 85): So (nachdem er ausgeführt, wie alle Völker Europens ihren Epiker befizen), ist auch Belgien nun mit dem Ruhme eines epischen Dichters verherrlicht! Dieser Ruhm, ihr Deutschen, nahet sich also immer mehr unsern Gränzen, aber überschreitet sie nie! Er wird, dent' ich, die nördlichern kältern Länder der Erde eher besuchen, bevor er die unserigen erblickt. Ein jedes Volk von Europa wird mit dem Verfasser eines Heldengedichtes prangen, und wir werden, träge, und gleichsam, was dieses Gefühl der Ehre betrifft, schamlos, seiner auch alsdann noch entbehren. Unwillen ergreift meine Seele, wenn ich, von dem gerechtesten Zorne entbrannt, die Schlafsucht unjers Volkes darinnen erblicke. Mit niedrigen Tändeleien beschäftigt, suchen wir, ach! ganz unwerth des deutschen Namens! den Ruhm des Genius; und wagens, durch Gedichte, die zu keinem andern Endzweck zu ent stehen scheinen, als daß sie untergehen und nicht mehr da seien, jene heilige Unsterblichkeit verewigen zu wollen. Nicht so träge donnerten einst unsere Vorfahren mit ihren Waffen, und auch jetzt bearbeiten wir die Philosophie und jede Art von Wissenschaften nicht so laß und ruhmlos! Wir schwingen uns empor; wir werden geschäßt; selbst die stolzen Ausländer verehren uns, warum ist es denn nur das unglückliche Schicksal der Poesie, dieser göttlichen Kunst, von ungeweihten Händen betastet werden, und an der Erde zu kriechen?

Der jezigen Kühnheit der Gallier muß ich erwähnen! Wo ist, ihr Deutschen, das stolze Urtheil eures Öhrs? Hört so nicht noch die zwar stolze, aber doch vielleicht wahre und gerechte Stimme eines Galliers (lettres françoises et germaniques): Nennt mir auf eurem Parnasse einen Schöpfer, das heißt einen deutschen Dichter, der aus sich ein ehrenvolles und unsterbliches Werk hervorgebracht hat!" Ihr hört es, hoff' ich, und faßt es tief in eurer Seele auf, das nicht ganz ungerechte! Schmähen dieses Mannes, so viel eurer sind, die noch die edle Liebe zum vaterländischen Namen spornt. Doch was werden wir ausrichten, wenn wir, auch diesem Geguer, wie bei andern schon geschehen ist, mit vielem Wortgepränge darthun, daß es den Deutschen weder an Genius noch an erhabenem Geiste mangle? Durch die Sache selbst, durch ein großes unvergängliches Werk müssen wir zeigen, was wir können! wie wünscht' ich, es würde mir so gut, dieses in einer Versammlung der ersten Dichter Deutschlands zu sagen! Die größe Freude würde mich dann durchdringen und ganz überströmen, wenn ich die Würdigsten zu diesem Werke dahin brächte, daß sie wegen der so lange vernachlässigten Ehre des Vaterlandes von edler und heiliger Schamröthe glühten. Wofern aber unter den jezt lebenden Dichtern vielleicht keiner noch gefunden wird, welcher bestimmt ist, sein Deutschland mit diesem Ruhme zu schmücken: so werde geboren, großer Tag! der den Sänger hervorbringen, und nahe dich schneller, Sonne! die ihn zuerst erblicken und mit sanftem Antlige beleuchten soll! Mögen ihn doch, mit der himmlischen Muse, Tugend

und Weisheit auf zärtlichen Armen tragen! Möge das ganze Feld der Natur ihm sich eröffnen, und die ganze, Andern unzugängliche Größe der anbetungswürdigen Religion. Selbst die Reihe der fünftigen Jahrhunderte bleibe ihm nicht gänzlich in Dunkel verhüllt; und von diesen Lehrern werd' er gebildet, des menschlichen Geschlechtes, der Unsterblichkeit und Gottes selbst, den er vornehmlich preisen wird, werth!"

Was könnte edler sein als ein Jüngling, der so für sein Vaterland empfindet! Aber etwas Anderes ist ein Jüngling, etwas Anderes ein Mann, und Klopstock ist nie über die Vergleichung seiner Nation mit den Fremden herausgekommen. Wie anders Lessing in der Dramaturgie!

1

1. Ich sah o sagt mir, sah ich, was jezt geschieht?
Erblickt' ich Zukunft? mit der britannischen
Sah ich in Streitlauf Deutschlands Muse

Heiß zu den krönenden Zielen fliegen.

2. Zwei Ziele gränzten, wo sich der Blick verlor, 2
Dort an die Laufbahn. Eichen beschatteten
Des Hains das eine; nah dem andern
Weheten Palmen im Abendschimmer. 3

4

3. Gewohnt des Streitlaufs, trat die von Albion
Stolz in die Schranken, so wie sie kam, da sie
Einst mit der Mäonid' und jener

Am Kapitol in den heißen Sand trat. 5

6

4. Sie sah die junge bebende Streiterin; "
Doch diese bebte männlich, und glühende
Siegswerthe Röthen überströmten

Flammend' die Wang', und ihr goldnes' Haar flog.

5. Schon hielt sie mühsam in der empörten Brust Den engen Athem, hieng schon hervorgebeugt

1

Dem Ziele zu; schon hub der Herold

Ihr die Drommet, und ihr trunkner Blick schwamm.*

Ich hatte eine Erscheinung. Darf ich diese auf die Gegenwart deuten, oder erst auf die Zukunft? Darf die deutsche Poesie schon jezt mit der englischen wetteifern, oder wird es erst später geschehen? Klopstock meint natürlich die Gegenwart, und als Vertreter der deutschen Dichtung sich selber. - 2 Am Horizont. 3 Die Eiche ist das Sinnbild der vaterländischen Dichtung, die Palme das der heiligen 4 Weil sie schon viel Siege errungen. Die neuere englische Poesie beginnt unter Elisabeths Zeit. 5 In die arena, den Kampfplay. Sie hatte mit der Homerischen Muse (der Mäonide) und der Virgil'schen gewetteifert. 6 Mitstreiterin, bebend, weil sie jung war und zum erstenmal auftrat, aber männlich bebend, nicht kindisch; d. d. nicht vor dem Wagestück zitternd, sondern aus ungeduldiger Sehnsucht nach dem Kampfe. 7 Blondes. 8 Sie sah schon im Geist, wie der Herold für sie die Drommete hob, um ihren Sieg zu verkünden.

6. Stolz auf die kühne, stolzer auf sich, bemaß"
Die hohe Britin, aber mit edlem Blick,
Dich, Thuistone: 10 Ja, bei Barden

"

"

"

Wuchs ich mit dir in dem Eichenhain auf;

7. Allein die Sage kam mir, du seist nicht mehr! 12
„Verzeih', o Muse, wenn du unsterblich bist;
„Verzeih', daß ich's erst jetzo lerne;

,,Doch an dem Ziele nur will ich's lernen!

8. Dort steht es! Aber siehst du das weitere

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13

11

Und seine Kron' auch? Diesen gehaltnen Muth,
Dies stolze Schweigen, diesen Blick, der

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14

Feurig zur Erde sich senkt, die tenn' ich! 1+

9. Doch wäg's noch einmal, eh' zu gefahrvoll dir
„Der Herold tönet. 15 War es nicht ich, die schon
Mit der an Thermopyl die Bahn maß,

"

"

Und mit der hohen der sieben Hügel?"

10. Sie sprachs. Der ernste, richtende Augenblick Kam mit dem Herold is näher.

"

Ich liebe dich!"
Sprach schnell mit Flammenblick Teutona
„Britin, ich liebe dich mit Bewundrung!

11. Doch dich nicht heißer, als die Unsterblichkeit
Und jene Palmen! Rühre, dein Genius,

"

"

Gebeut er's, sie vor mir; 17 doch fass' ich

„Wenn du sie fassest, dann gleich die Kron' auch. 18

12. Undo wie beb' ich! O! ihr Unsterblichen! „Vielleicht erreich' ich früher das hohe Ziel!

„Dann mag, o dann an meine leichte

H

Fliegende Locke dein Athem hauchen!"

19

9 Verstärkende Form für messen. 10 In der Darmstädter Ausgabe: Thuistons Tochter. Offenbar beffer, denn der spätere Vokativ will sich nicht recht schicken. Tuisco ist nach Tacitus Germania 2 ein Stammgott der Deutschen. 11 Zur Bardenzeit waren Briten (Angelsachsen) und Deutsche ein Volk. 12 Früher einfacher: ich glaubte, daß du gestorben seist. Europa hatte von der deutschen Poesie seit langen Jahrhunderten nichts mehr vernommen. 13 Das Ziel der Palmen, das der heiligen Poesie, wonach Milton, Young, Waller, die Singer u. a gestrebt

batten.

14 Kontraste, welche das Bild einer Verschmelzung von Bescheidenheit und Entschlossenheit geben: gehaltener Muth stolzes Schweigen Niederschlagen der feurigen Augen. 15 Gefahrvoll (beschämend) für dich, wenn er mir den Sieg verkündet. 16 Mit in zeitlicher Auffassung: cer Augenblick kam näher, indem der Herold sich rüstete. sucht ist: berühre, wenn es dein Genius erlaubt, sie vor mir. werd' ich dir immer nahe bleiben. 19 Dann mögst du mir ganz nahe fommen.

Götinger, Deutsche Dichter. 5. Aufl I.

17 Etwas ge 18 Doch

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