Page images
PDF
EPUB

Auch dich werd' ich nicht sehn, wie du dein Leben lebst,

Werd' ich einst nicht dein Genius. 8

Also ordnet es Gott, der in die Fernen sieht,

Tiefer hin in's Unendliche!

Oft erfüllet er auch, was sich das zitternde

Volle Herz nicht zu wünschen wagt.

Wie von Träumen erwacht, sehn wir dann unser Glück,
Sehn's mit Augen und glauben's kaum.

Also freuet' ich mich, da ich das erstema!
Bodmers Armen entgegen kam.

20

25

Ich müßte denn dein Schußgeist werden. Die Joee, daß die Vertorbenen Schußgeister derjenigen Lebenden werden, die ihnen ähnlich sind, ist Klopstocken sehr geläufig. S. die Odc an meine Freunde, Str. 24.

7. Der Zürchersee.
(Zürich 1750.)

Beranlassung zu dieser Elegie gab eine Fahrt auf dem Zürchersee, welche Joh. Caspar Hirzel zu Ehren Klopstocks veranstaltet hatte. Dieselbe fand am 30. Juli statt. Hirzel hat diese Fahrt in einem Briefe an Ch. E. Kleist weitläufig beschrieben; sie erschien später im helvetischen Kalender für das Jahr 1796 und ist daraus wieder abgedruckt worden in Klopstocks Nachlaß, Auswahl aus dessen nachgelassenem Briefwechsel und übrigen Papieren. Leipzig 1821."

"

Die Gesellschaft bestand aus neun meist jungen Männern, deren jeder ein Frauenzimmer mit sich brachte. Klopstock selbst hatte Hirzels Gattin bei sich; doch beschäftigte ihn an diesem Tage am meisten die junge siebenzehnjährige Schinz, nachherige Gattin des bekannten Antistes Heß (Verfasser des Lebens Jesu), von der Klopstock selbst schreibt: Sie erklärte mir in einer entzückenden Stellung und Hiße, ich solle selbst bedenken, wie hoch derjenige von ihr geschätzt werden müßte, der sie zuerst gelehrt hätte, sich würdigere Vorstellungen von Gott zu machen." Die Fahrt begann um 5 Uhr des Morgens. Man stieg nach einer kleinen Fahrt aus bei dem Landgute eines Herrn Keller, dessen Sohn ebenfalls bei der Gesellschaft war. Von diesem Landhause aus hat man eine der prachtvollsten Ansichten über den See.

Man hatte erwartet, daß Klopstock von den schönen Ansichten über den See hin entzückt sein würde. Allein dies war nicht der Fall. „Unser Dichter," schreibt Hirzel, „war weniger davon gerührt, als von der Mannigfaltigkeit der menschlichen Charaktere, die sein Scharfblick auszuspähen vorfand. Da lernte ich einsehen, warum Klopstock

die meisten Gleichnisse in seinem göttlichen Gedichte aus der Geisterwelt hernimmt. Nie sah ich jemand die Menschen aufmerksamer betrachten; er gieng von einem zum andern, mehr die Mienen zu be= obachten, als sich zu unterreden." Nach eingenommenem Frühstück fuhr man weiter. Auf Bitten der Gesellschaft las Klopstock mehreres aus den noch ungedruckten Gesängen des Messias vor. Endlich langte man in Meilen an, einem schönen Dorfe, vier Stunden von Zürich, wo man das Mittagessen einnahm. Dann fuhr man auf die Meilen gegenüber liegende Halbinsel, die Au genannt, und war hier besonders fröhlich. Auf der Rückreise las Klopstock wieder ein Fragment aus dem fünften Gesange des Messias vor (den gefallenen Abadonna), und vergnügt und heiter langte man endlich um 10 Uhr wieder in Zürich an.

Ausführliche Beschreibungen der Fahrt finden sich in Mörikofers schweizerischer Literatur des 18. Jahrhunderts; in Mörikofers Monographie: Klopstock in Zürich im Jahre 1750-1751; in Klopstocks Jugendgeschichte von David Strauß (Kleine Schriften. Neue Folge.) und in einer Monographie von Jacob Frey, Klopstock in der Schweiz (in der Illustrirten Schweiz", Bern, Jahrg. 1873). Schon im Anfang der Fahrt rief ein Mädchen „Wer wird uns die Schönheit der glänzenden Wasserfläche und dieser reizenden Landschaft würdig schildern?" Klopstock, dem diese Aufforderung galt, fand es unmöglich, beim Anblick der Naturschönheiten eine Schilderung anzubringen, welche rühren könnte, weil die Natur jedes Gemälde weit übertreffe.-Allein die Fahrt gab ihm doch Gelegenheit zu unserer Elegie, in welcher er seinen Zürcher Freunden dankt und zugleich seiner alten Freunde innig gedenkt. Sie ist nichts weniger als eine Beschreibung der Fahrt oder des Sees, wozu Klopstocks Muse sich durchaus nicht hinneigte, und offen gesteht er gleich im Anfange, daß ihn die frohen Gesichter der Menschen mehr rühren, als die schönste Natur. Der Plan der Elegie ist folgender: Nachdem er (Str. 1) seine Erklärung gethan, ruft er (Str. 2, 3) die Erinnerung genossener Freuden als seine Muse zurück, erwähnt nun (Str. 4—8) kurz der Fahrt und dessen, was ihn vorzüglich dabei gefreut hat: die Aussichten, der Gesang und die frohe Gesellschaft, freut sich der schönen Natur (Str. 9, 10), besonders des Weines (Str. 11, 12) und der Ehren, die man ihm brachte (Str. 13–15) und schließt nun damit, daß alles dies ihn doch nicht so erfreuen könne als das Bewußtsein, innige Freunde zu besigen.

[ocr errors][ocr errors][merged small][merged small][ocr errors][merged small][merged small]

1. Schön ist, Mutter Natur, deiner Erfindung Pracht, Auf die Fluren verstreut, schöner ein froh Gesicht, Das den großen Gedanken

Deiner Schöpfung noch einmal denkt. '

1

2. Von des schimmernden See's Traubengestaden her, Oder, flohest du schon wieder zum Himmel auf, Komm in röthendem Strahle

Auf dem Flügel der Abendlust,

3. Komm, und lehre mein Lied jugendlich heiter sein, 3
Süße Freude, wie du! gleich dem beseelteren
Schnellen Jauchzen des Jünglings,
Sanft, der fühlenden Fanny gleich!

2

3

1 Es ist eine dem Dichter eigenthümliche Joee, sich die Naturals denkende, planvolle Künstlerin vorzustellen (s. Ode I. Str. 71). Selbst_in einem Briefe sagt er vom Rheinfalle bei Schaffhausen: „Welch ein großer Gedanke der Schöpfung ist dieser Rheinfall. Ich kann ist davon weiter nichts sagen: ich muß diesen großen Gedanken sehen und hören." Die Ode hat eigentlich zwei Eingänge, einen in der ersten Strophe, den andern in Str. 2 u. 3. Der erste spricht die Ueberzeugung aus, daß es zwei Duellen der Freude gebe, Naturschönheit und geistige Menschenschönheit, und zieht diese jener vor; der andere ruft die Erinnerung an die genossene Freude zurück. Der Sinn der Strophe ist: „die Natur ist schön und erhaben und mannigfaltig; schön und erhabener ist das Vertiefen des Menschen in die Wunder der Natur: mannigfaltiger der Ausdruck des Entzückens auf dem menschlichen Antlig." Daß Klopstock nicht so entzückt war von den Schönheiten der Gegend selbst, als die Freunde gehofft hatten, ist in der Einleitung erwähnt worden, und diese Strophe ist eigentlich ein feines, heimliches Geständnis von ihm, daß Naturschönheiten als solche, ohne Bezug auf den Schöpfer und auf den Menschen, ihn nicht so ansprechen, als viele andere. 2 Nach dem ersten Eingange folgt hier der zweite, der die Erinnerung an die genossenen Freuden auf begeisternde Weise anruft. Die Sabfügung ist etwas verwickelt, da der Vokativ Freude so spät kommt und fie doch von vorn herein durch Du angeredet wird. In natürlicher Wortfolge würde es heißen: Süße Freude, komm von den Traubengestaden des Sees her, oder, wenn du schon wieder zum Himmel aufflogst, so komm auf den Flügeln der Abendlust, komm und lehre mein Lied jugendlich heiter sein, wie du selbst bist. Von den Traubengestaden", die sie nämlich auf der Fahrt sahen und besuchten; die Freude, welche sie damals empfanden, ruft er jezt zurück. Die Stelle ist offenbar eine Nachahmung des Einganges von Miltons verlorenem Paradies, wo es nach Bodmers Ueberjebung heißt: Singe von dem ersten Ungehorsam des Menschen 2c., himm lische Dichterin, welche auf Sinai und auf dem geheimen Gipfel des Berges Horeb den Schäfer unterwiesen 2c.: komme von da oder von dem angenehmern Berge Sion und dem Bache Siloa auf mein Rufen herunter und regiere meinen kühnen Gesang." 3 Jugendlich heiter soll sein Lied sein im Gegensaß des ernsten, erhabenen Tones seiner vorhergebenden Oden und Elegieen. Das Lied soll heiter und lebhaft sein wie das Jauchzen des Jünglings, zugleich aber sanft, wie Fanny, des Dichters Geliebte.

4

4. Schon lag hinter uns weit Uto, an deffen Fuß
Zürch in ruhigem Thal freie Bewohner nährt;
Schon war manches Gebirge 5

Boll von Reben vorbeigeflohn.

6

5. Jezt entwölkte sich fern silberner Alpen Höh',
Und der Jünglinge Herz schlug schon empfindender,
Schon verrieth es beredter

"

Sich der schönen Begleiterin. 7

9

6. Hallers Doris", die sang, selber des Liedes werth, Hirzels Daphne, den 10 Kleist innig wie Gleimen liebt; Und wir Jünglinge fangen

Und empfanden, wie Hagedorn. 11

7. Jeho nahm uns die Au in die beschattenden
Kühlen Arme des Walds, welcher die Insel krönt;
Da, da kamest du, Freude!

Volles Maßes auf uns herab!

8. Göttin Freude, du selbst! dich, wir empfanden dich! 12
Ja, du warest es selbst, Schwester der Menschlichkeit,
Deiner Unschuld Gespielin,

Die sich über uns ganz ergoß!

6

£ In Zürich der Uetli- oder auch Hüetliberg genannt, der den Namen jedenfalls von einem Uoto, Uto hat. 5 Rebengebirge hat man übrigens feine, sondern Rebhügel und Rebberge. „Ein vor: hergegangenes Donnerwetter hatte die allzuschwüle Luft gereinigt und die brennende Hize dieser Jahreszeit gemildert. Sanft blasende Weste folgten uns nach, trieben unser Schiff sachte fort und heiterten den Himmel, der anfangs noch mit leichtem Gewölk bezogen war, vollends auf, so daß wir bald die Notur im hellsten Sonnenglanze prangen sahen." Hirzels Brief an Kleist. 7 Deren jeder eine bei sich hatte. 8 Hallers Doris“ ist Objekt, ein Lied von Haller an seine nachherige Gattin Mariane, die er unter dem Namen Doris besingt. Der Sinn ist: Hirzels Daphne, die selber werth eines solchen Liedes ist, sang Hallers Doris." 9 Daphne ist Hirzels Gattin, Johanna Maria Ziegler (sie starb 1790). Der Gesang gefiel Klopstocken so wohl, daß sie ihn auf der Heimfahrt wiederholen mußte, und Klopstock half ihr. 10 Eine üble Construction; das Fügewort den fann man nicht so beziehen, wie es hier der Dichter will, da das Substantiv Daphne dazwischen steht. Die Freundschaft zwischen dem Dichter Kleist (Ch. E.) und Gleim ist bekannt; Hirzel hatte Kleisten wäh rend seines Aufenthaltes in Berlin und Potsdam kennen und lieben gelernt. 11 Klopstock sang der Gesellschaft Lieder von Hagedorn vor. Haller, Hagedorn; Kleist und Gleim die Lieblinge der damaligen lyrischen Welt.— 12 Der Sat: dich, wir empfanden dich!" ist Parenthese; besser ist er gewiß in der frühern Form: „Dich, dich empfanden wir." Du selbst, o Freude, warst es, die sich über uns ergoß: denn wir empfanden es. Aber, was für eine Freude? Die mit Menschlichkeit (Humanität) sich verschwistert. Menschlichkeit ist die Gespielin der unschuldigen Freude. Deiner Un schuld Gespielin", Apposition von Menschlichkeit.

13

9. Süß ist, fröhlicher Lenz, deiner Begeistrung Hauch, Wenn die Flur dich gebiert, wenn sich dein Odem sanft In der Jünglinge Herzen,

Und die Herzen der Mädchen gießt.

10. Ach, du machst das Gefühl siegend, es steigt durch dich Jede blühende Brust schöner und bebender,

Lauter redet der Liebe

Nun entzauberter Mund durch dich!'

14

11. Lieblich winket der Wein, wenn er Empfindungen, Beßre sanftere Lust, wenn er Gedanken winkt,

Im sokratischen Becher,

Von der thauenden Ros' umkränzt;

12. Wenn er dringt bis in's Herz, und zu Entschließungen,
Die der Säufer verkennt, jeden Gedanken weckt,
Wenn er lehret verachten,

Was nicht würdig des Weisen ist. 15

13. Reizvoll klinget des Ruhms lockender Silberton In das schlagende Herz, und die Unsterblichkeit 16 Ist ein großer Gedanke,

Ist des Schweißes der Edlen werth!

14. Durch der Lieder Gewalt bei der Urenkelin

Sohn and Tochter noch sein; mit der Entzückung Ton
Oft beim Namen genennet,

Oft gerufen vom Grabe her,

15. Dann ihr sanfteres Herz bilden und, Liebe, dich, Fromme Tugend, dich auch gießen in's sanfte Herz, Ist, beim Himmel, nicht wenig!

Ist des Schweißes der Edlen werth!

16. Aber süßer ist noch, schöner und reizender,

In dem Arme des Freunds wissen ein Freund zu sein!
So das Leben genießen,

Nicht unwürdig der Ewigkeit!'

17

13 Mit der vorigen Strophe geht die Darstellung der Fahrt, die hier eigentlich Nebensache ist, zu Ende, und der Dichter beginnt, die Süßigkeit der Freundschaft zu verherrlichen. Str. 9-15 enthalten aber nur einräumende Vordersäge dazu. 14 Der Frühling und der Anblick der schönen Natur entfesselt die Lippen, und das Gefühl spricht sich freier aus. 15 Str. 11 u. 12. Lieblich ist auch der Wein, so genossen, daß er das Ge= fühl, die Heiterkeit, das Gespräch und (Str. 12) den Muth belebt. Ber kennen hier: nicht kennen. 16 Unsterblichkeit des Namens, Fortdauer im Andenken der Nachwelt. 17 Nach- und Hauptsaß aller vorhergehenden Bordersäße. Str. 9-16 bilden zusammen eine Periode, deren Vordersäße aber durch Hauptsäße ausgedrückt sind: Schön ist der Frühling, lieblich der Wein, erhebend der Gedanke des Nachrühms: süßer und schöner ist

[ocr errors]

"

"

« PreviousContinue »