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aber gebrochen war in Folge des Christenthums der alte epische Trieb immerhin. Und zwar war es neben christlicher Anschauung und dem Einflusse der römischen Literatur besonders die Kunst des Schreibens, die das Epos verdrängte. Außerdem noch eine andere, tief eingreifende Ursache. Aechtes Epos gilt stets als Dichtung und Geschichte zugleich. Hätte sich bei den Deutschen das Epos als Dichtung auch erhalten wie es in gewisser Beziehung für ein halbes Jahrtausend noch der Fall war, als Geschichte konnte es nicht mehr gelten. Denn in dieser Beziehung hatte die christliche Bildung eine totale Erneuerung und Erweiterung bewirkt. Jezt begann auf keinen Fall die Geschichte mehr mit Hagen, Siegfried, Wieland, Mime, Gunther und solchen Helden, sondern mit Rom, mit Christus, mit Abraham, ja mit Adam. War doch das neu gewonnene historische Bewußtsein, die Ueberzeugung davon, daß die deutsche Geschichte nur ein letter Ausläufer der alten heiligen und profanen Völkergeschichten sei, so groß, daß Karl der Große sein Kaiserthum unmittelbar an das römische Kaiserthum anknüpfen konnte. So trennt sich sofort mit dem Christenthum die Historie vom Epos und läuft neben der Dichtung ihren eigenen Gang weiter. Daß sich diese Historie der lateinischen Sprache bediente, verstand sich von selbst; sie ist darum nicht minder eine deutsche Historie; denn das Latein war keine fremde Sprache: die Kirche hatte die deutsche Nation zweisprachig gemacht. Zu einem rechten Bilde der deutschen Literatur in den in Rede stehenden Jahrhunderten gehört demnach auch eine Kenntniß ihrer Historien, so gut als wir längst von den Griechen und Römern gelernt haben, die Historie als einen wesentlichen Theil ihrer schönen Literatur anzusehen. Nur wird darum der Zwiespalt zwischen der deutschen Dichtung und der deutschen Historie des Mittelalters nicht aufgehoben; bei den Griechen und Römern wirkten beide als derselben Mutter angehörende Geschwister; bei den Deutschen hatte wenigstens die Historie einen fremden Bathen.

Im Ganzen und Großen war die Kirche dem deutschen Epos feindselig gestimmt, so große Freude auch einzelne ihrer Diener und Bekenner daran haben mochten. Karl der Große, der die Lieder sammeln ließ, hieß nicht vergebens der Große. Sein Sohn, der die Sammlung vernichtete, hieß der Fromme. Nun galt es aber, dem Volke an Stelle der genommenen Dichtung ein neues Epos zu bieten, das Epos des Christenthums.

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Das Christenthum besigt ein Buch, das, wie kein zweites in der Welt, nicht allein der Religion als Offenbarungsurkunde dient, sondern zugleich im höchsten Sinne Geschichte und Epos des Christenthums ist, die Bibel. Daß jene Zeit die Bibel nicht als Epos anerkannte, thut nichts zur Sache: genug, daß das Bibelbuch Geschichte und Epos ist und demnach als Geschichte und Epos wirft. Eine vorzüglichere Waffe zur Verdrängung des einheimi

schen Epos existierte nicht. Jede missionarische Thätigkeit, die vom Christenthum ausgeht, begann und beginnt deßhalb mit der Uebertragung der Bibel. Das erste zusammenhängende Schriftstück auf dem Gebiete der germanischen Literatur ist die gothische Bibelübersegung, welche im vierten Jahrhundert der Bischof Ulfilas für sein Volk ausarbeitete. Es darf auffallen, warum den Deutschen die Bibel verhältnißmäßig spät übersetzt worden ist; wenigstens besitzt man jetzt noch bloß das Bruchstück einer Uebersetzung des Evangeliums Matthäi aus dem achten und die sogenannte Evangelienharmonie des Ammonius oder Tatian aus dem neunten Jahrhundert. Vielleicht, daß die irische und angelsächsische Nationalität der ersten Befehrer einem solchen Werke nicht gewachsen war. Wohl eben darum, weil die Kirche die Bedeutung der Bibel als Epos nicht verstand, meinte sie aus ihr besondere Epen erst noch dichten zu müssen. Es sind zwei solcher christlicher Epen dieser Zeit erhalten. Beide wählen als Helden Christus selber; und was konnte die Kirche der germanischen Heidenwelt oder den im Glauben noch unsichern Gläubigen Höheres bieten, als das Epos von Christus ? Beide Epen von Christus stammen aus Ludwig des Deutschen Zeit. Der Heliand, in altsächsischer Sprache verfaßt, verbindet mit rührender christlicher Glaubensinnigkeit eine nicht minder rührende Pietät gegen die Denk- und Dichtweise der Vorfahren. Wenn es Ernst galt, das Epos Christi zu dichten: Hier war die That in die Erscheinung getreten. Schon die rhythmische Form des Gedichtes, stabreimende Verse, sind die des alten, ächten Epos, ein Beweis mehr, daß dieses damals noch in Gängen war. Auch der übrige Ton des Gedichts, vornehmlich wo fortschreitende Handlung vorliegt, ist in die epische Weise umgedeutet und dabei weder der Würde und Heiligkeit der christlichen Urkunde noch der Wahrheit der nationalen Dichtung etwas vergeben. Vilmar hat mit Recht den Heliand für das vollendetste Epos von Christus erklärt. Tief unter dem Heliand steht die Evangelienharmonie des Otfried, eines Benediktiners aus Weißenburg im untern Elsaß. Wir können nicht glauben, daß Otfried, wie man will, kein altes Epos mehr gekannt habe und mit seinem Epos nur im Allgemeinen dem unzüchtigen Gesang der Laien entgegentreten wollte; auch die Reformationszeit verstand unter der Rubrik unflätige und unzüchtige Lieder" neben wirklich gemeinen Reimen auch die zartesten Blüthen der Volkslyrik. Sicher ist, daß Otfried, wie sein unbekannter Zeitgenosse, der Helianddichter, ein Epos vom Helden des Christenthums schrieb, aber was für ein Epos! So plump, hölzern und. aller Einbildung baar hat kaum wieder ein Dichter gesungen, wie Otfried. Otfried war ein frommer und fleißiger Mann; aber von genialischem Dichtergeiste besaß er nicht die Spur. Das Gedicht ist in seiner ledernen Unbeholfenheit geradezu unübersetzbar. Und doch hat es Großes gewirkt. Nicht als erster, aber unter den An

fängern der bedeutendste und einflußreichste hat Otfried den stabreimenden epischen Vers fallen lassen und an seine Stelle eine durch den Endreim paarweis gebundene, vierzeilige Strophe nach einem neuen rhythmischen Geseze in die deutsche Literatur eingeführt.

Das war für die Entwicklung der deutschen Poesie von einschneidenden Folgen. Einmal war dadurch für das alte Epos in seiner hergebrachten Form ein wichtiger Lebensnerv abgeschnitten; sobald man die rhythmische Form der alten Gejänge nicht mehr verstand, sie nicht mehr, wie der alte Ansdruck ist, singen konnte, verlor das Ganze seinen Werth, es wäre denn, daß es sich in die neu erfundene Form umschmelzen ließ. Dieses lettere war möglich, aber äußerst schwierig nud blieb beim größten Theile des Epos unversucht. Einiges rettete sich in die neue Form hinüber; anderes blieb inhaltlich dauernd im Gedächtnisse der Volksgenossen, ohne daß man von seiner Abkunft etwas wußte; unsere Volks- und Kindermärchen führen theilweise dahin ihren Ursprung zurück. Zweitens hat hier die formenreiche Ausbildung der deutschen Metrik und Rhythmik begonnen. Woher zwar die Otfriedische Strophe kommt, ist noch ungewiß: ob ihr Langvers mit den sich reimenden Halbversen dem Stabreime entspricht, oder ob die Form damals gebräuchlicher lateinischer Kirchenhymnen Vorbild für sie war; genug, daß Otfried statt der alten Takte, deren zwei auf den Halbvers giengen, jetzt aus vier grammatischen Accenten seinen Vers bildete, wobei die Senkungen fehlen oder vorhanden sein konnten, und das mit Anlaß zu der später aufgekommenen Mejjung nach Versfüßen gab. Durch seine Strophe ist Otfried der Anfänger der deutschen strophischen Verskunft geworden und hat durch Einführung des Endreimes ein ganz neues Reimprinzip uns zugebracht. Der Stabreim nämlich findet das musikalische Band am Kopfe des Wortes, meist im anlautenden Consonanten, dessen Ton in engstem Zusammenhange mit der Bedeutung, also dem innern Kern des Wortes steht; denn unsere Sprache bewahrt den Anlaut meist zäher als Binnenund Auslaut. Der Endreim dagegen findet das musikalische Band im Vokal und der ihn abschließenden Consonanz, und dieser Theil des Wortes symbolisiert nicht, nach dem Ausdrucke Jordans, den Gedanken, die Vorstellung wie der anlautende Consonant, sondern die Empfindung und den Affekt.

Mehreres von wesentlichem Belang als die beiden christlichen Epen hat die zweite Periode der deutschen Literatur auf dem Gebiete christlicher Dichtung nicht hervorgebracht.

Dritte Periode.

Die hövische Dichtung.

Der Geist der Romantik war durch den Zusammenstoß der nationalen und der christlich-kirchlichen Lebensanschauung und Lebensthätigkeit bedingt; ihn hatte schon die vorige Periode in's Leben gerufen, wenn auch im Gebiete der Dichtung noch wenig entwickelt. Nun tritt eine neue Kraft in die Kultur und Literatur der germanischen Welt ein, die im Bunde mit der Romantik eine neue eigenartige Dichtung schafft; diese Kraft ist der hövische Stand.

Sein Entstehen verdankt der hövische Stand jenem Umschwunge in der sozial bürgerlichen Stellung der Volksgemeinde, der in Deutschland in Folge der Lehensverfassung eingetreten ist. Noch zur Zeit der Karolinger bestand die Hauptmasse der deutschen Bevölkerung aus Freien; diese besaßen im Allgemeinen alle dasselbe Maß von Bildung, Glauben, Recht und Pflicht; dem vorhandenen Geburtsadel stand wohl ein größeres Maß äußerer Ehre zu Gebot; im übrigen kam dieser alte Stand den Gemeinfreien an Bildung gleich. Denn die Elemente der Bildung bestanden ja in nichts anderm, als dem gemeinsamen Schaße der Volkserinnerungen und des Volksglaubens. Das ideelle Christenthum änderte hierin nicht allein nichts, sondern machte im Gegentheil, was das Leben des Geistes betrifft, ausdrücklich alle Stände, Geschlechter und Lebensalter zu Genossen eines Glaubens, einer Taufe, eines Herrn und Vaters. Dadurch aber, daß das Christenthum, als es nach Deutschland kam, schon so viel verarbeitetes Wissen und verarbeiteten Glauben auf dem Gebiete des religiösen, wie des wissenschaftlichen und künstlerischen Lebens mitbrachte, daß es unmöglich allen gleich zugänglich gemacht werden konnte, vermittelte es sofort eine Scheidung in Wissende und Unwissende, Lehrer und Hörer, Eingeweihte und Uneingeweihte, Geistliche und Laien, in solche, welche die Kirchensprache verstanden und solche, die bloß der Volkssprache mächtig waren. Indem es ferner innerhalb der Kirche schon eine weitgehende Stufenreihe von Lehrenden und Lernenden, Obern und Untern, Hohen und Niedrigen aufstellte und in's Land brachte, reizte es zu ähnlicher Scheidung auf dem Gebiete des natürlichen Lebens. Wirklich nimmt auch das Lehnswesen seinen Anfang bei den geistlichen Stiftungen. Wo Fülle des Glaubens und Wissens war, fonnte der Drang nach Fülle äußerer Macht nicht ausbleiben. Dieselben christlichen Glaubensboten, welche den Deutschen die Lehre von der christlichen Demuth und Gleichheit predigten, wurden die Stifter mächtiger Bischofssitze und vielvermögender Abteien.

Zu diesen nicht gerade im Wesen des Christenthums liegenden. Einflüssen der Kirche gesellten sich andere Verhältnisse, welche die

Bewohner Deutschlands noch mehr in Stände theilen mußten. Die Aufnahme und Verwaltung des fränkischen Reiches, das nach und nach alle einzelnen, nicht selbständigen Stämme sich einverleibte, bedingte eine große Anzahl durch Macht und Beruf sich auszeichnender Träger der öffentlichen Gewalten. Die den Germanen eigene Art der Vertheilung des eroberten Landes zu bedeutend größern Quoten an die Edelinge, und deren Verwendung zur Schaffung von Vasallen vermehrte den Umfang eines über den gemeinfreien Mann erhobenen höhern Standes. Dazu kam die Umwandlung des alten, meist zu Fuß kämpfenden Heerbannes. in Reiterei. Endlich wirkte anderer Ursachen mehr nicht zu gedenken die christliche Lehre und Predigt von der sündhaften Verderbnis des Menschen ganz gewaltig auf das Gemüth_vieler großer und kleiner Schuldiger und trieb sie zu ganzen Haufen unter den Schutz und Schirm der kirchlichen Stiftungen. Es gieng lange, bis die Umwandlung der alten Volksgemeinde fertig war, und wenn wir aus den drei Jahrhunderten nach Karl dem Großen überhaupt wenig Spuren dichterischer Arbeit finden, so ist gewiß das mit ein Grund, daß während jener Uebergangsperiode überhaupt Sinn und Lust am Dichten fehlte und daß es der Kirche, scheinbar wenigstens, desto eher gelingen mochte, die alte Volksdichtung ganz zu verdrängen. Es war eben bloß Schein, und sobald die Volkskraft aus der verlorenen Form in eine neue Form fertig eingetreten war, kam zum Vorschein, was während jener Zeit geschlummert hatte.

Um 1050, mit Beginn des Kampfes zwischen Heinrich IV. und Gregor VII., scheint die Bildung eines zusammenhängenden hövischen Standes sich vollendet zu haben; wenigstens erscheinen um diese Zeit die ersten Namen der neu aufgekommenen ritterbürtigen Geschlechter, um von da an stetig und schnell ihre Zahl auszufüllen. Von dieser Zeit an hört die alte, ernste, wissenschaftliche Thätigkeit und das religiös beschauliche Leben der alten Benediktinerabteien auf und treten diese geistlichen Stiftungen in den Stand weltlicher Mächte ein, während sich eine neue Art religiösen Lebens, das Cluniacenser Mönchthum, in Deutschland einbürgert. Von 1050 an weisen die Abts- und Bischofskataloge ziemlich übereinstimmend nur adelige Namen auf. Es geht aber noch über ein Jahrhundert, bis der neue Stand sich so weit in feiner Eigenart gekräftigt und ausgebildet sieht, daß er der Träger einer neuen, eigenartigen Nationalliteratur werden fann.

Denn das ist nunmehr das erste durchgreifende Merkmal dieser hövischen Dichtung, daß sie national wirkt. Hatten einst alle Freien zusammen die Reichspflichten, die Reichsrechte und damit die Reichsinteressen vertreten, so war jetzt der weitaus größere Theil der Nation, alle diejenigen, die im Schweiße ihres Angesichts auf Acker und Weide ihr und ihrer Herren Brod verdienten, von

Götzinger, Deutsche Dichter. 5. Aufl. I.

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