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Sind zu Karls des Großen Zeit -wir benutzen eine Stelle aus Gözingers deutscher Literaturgeschichte noch eine Reihe solcher Dichtungen vorhanden gewesen, so ist ihr Verlust nicht genug zu beklagen. Wer nur irgend Sinn hat für einfache, rein epische Darstellung, der muß unser Bruchstück zum Besten zählen, was es in dieser Art giebt, und ich stehe nicht an, es weit über die spätere mittelalterliche Poesie zu setzen, auch über das Nibelungenlied. Welche Einfachheit und Ruhe, und doch welcher innige Ausdruck menschlichen Gefühls in diesen wenigen, uoch dazu verstümmelten Zeilen; welche gleichmäßige Klarheit in der Erzählung und im Gespräche; welche Mäßigung, und zugleich welche Kraft bei den Ausbrüchen des Schmerzes, der Liebe, des Zornes! Ueber= all zeichnet sich das Lied vortheilhaft aus, sowohl vor dem Unbändigen, Ungeheuerlichen, in Bildern Schimmernden der nordidischen Poesie, wie vor dem bisweilen Matten und Weitschweifigen des Nibelungenliedes. Hier oder nirgends ist Homer wieder. Freilich aber auch welcher vortreffliche Stoff! Zusammenstoß rein menschlicher Zustände mit äußern Mächten und zwingenden Verhältnissen. Theoderich von Bern (der also schon so früh durch die Sage in ganz unhistorische Verhältnisse gesetzt wurde) ist vor Odoaker geflohen; Hildebrand hat ihn begleitet und Frau und Kind daheim verlassen. Nach langen Jahren kehrt er heim, geräth aber an der Grenze (?) mit dem bestellten Wächter in Streit, und beide rüsten sich zum Zweikampfe. Hildebrand fragt seinen Gegner, wer er sei, und hofft (das deuten die Worte an: ,,mit klugen Worten") so von Weib und Kind etwas zu erfahren. Er muß hören, daß sein eigener Sohn ihm gegenüber stehe, will nun nicht kämpfen und giebt sich zu erkennen. Hadubrand aber sieht einen Betrüger in ihm, höhnt und verspottet den Alten. Erbittert nimmt nun dieser den Kampf an." Der Schluß des Ge

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1 Eher scheint man annehmen zu müssen, daß die beiden Helden einen Zweikampf im Angesicht ihrer Heere unternehmen wollen, der als Gottesurtheil dienen soll..

dichtes ist verloren, und wir dürfen aus einem spätern Hildebrandsliede, das aus dem 15. Jahrhundert erhalten ist, kaum den Schluß ziehen, daß Vater und Sohn sich schließlich mit einander verföhnten. Vielmehr scheinen ähnliche Epen aus der persischen und serbischen Sage darauf hinzudeuten, daß der Vater den Sohn erschlug.

Wir fügen zum Schlusse der ersten Periode eine Stelle aus Wilhelm Jordans Nibelunge (zweiter Gesang) bei, welche den epischen Vers der Germanen in seiner Erneuerung, und zugleich aus bewährtestem Munde ein Gesez der epischen Dichtung vorweist.

Ein Ehrengejet im Orden der Sänger

Verbeut es dem Barden, das bunte Gewebe
Des Liedes gelockert in Fäden zu lösen,

Ja, rückwärts zum Rocken, zu Flachs zu zerrupfen,
Um vom Zettel und. Zuschlag den Ursprung zu zeigen.
Es muß der Sänger als Mund der Sage

Alles und nichts sein eigen benennen.
Wem bei der Geburt ein Gott sie gebildet,
Bei dem sind Gedächtniß und Dichtungsgabe
Gleich ungeschieden wie Schaffen und Schauen;
Der mischt, um die Mären der Vorzeit zu malen,
Ermerkte Farben aus eignem Gemüthe

Und nimmt für Gemälde der Götter und Menschen
Zu Mustern lebendige Männer und Frauen.
Was er fündet von Kämpfen und kühnem Wagniß,
Von Leiden und Lust, von Haß und Liebe,
Von hehren Helden und Höllensklaven,
Nicht er selbst ersann's: Die unsterbliche Sage
Sagt es ihm ein. Doch die Seele der Göttin
War niemals leiblos. Ihr lichtes Wesen
Formt sich beständig aus irdischem Staube
Die Gestalt und die Stimme sterblicher Menschen.
Mehrend und mindernd im ächten Meister
Schaltet drum frei mit der früheren Kunde
Unfraglich sie selbst und nicht ein Fremdes.
Er fühlt der Göttin befehlende Almacht
Als erbauliche Bildkraft in sich lebendig.
Wen sie so gewürdigt in ihm zu wohnen,
Dem ist es verpönt, der erpichten Frage:
Wer Dieses erzählte, wer Das hinzuthat,
Was alt sei, was neu," Genüge zu leisten.
Das ist fruchtlose Mühe.

Zweite Periode.

Die chriftlich-kirchliche Dichtung.

Das deutsche Epos war in voller Lebenskraft begriffen, der= gestalt, daß sich noch keine Spur seiner Kristallisation zu einer cyklischen Epopöe, womit das Epos zu verbleichen beginnt, vorzeigt: da trat eine Macht an dasselbe heran, welche ihm frühes Ende bereitete, ein früheres jedenfalls, als ihm bei ungestörter Fortentwicklung gegönnt gewesen wäre. Die Christianisierung der Deutschen hat dem alten Epos den Todesstoß gegeben. Nicht die christliche Idee; es giebt Völker, wie die Serben, welche erst nach ihrer Christianisierung das lebensvollste Epos entwickelten; auch mit den Dichtungen des klassischen Alterthums hat sich ja das Christenthum nicht allzuschlecht vertragen; und zwischen dem innern Gehalte des Christenthums und der nationalen Lebensauffassung unserer Vorfahren bestand kein so diametraler Unterschied, der nicht Brücken von Einem zum Andern zu finden vermocht hätte.

Freilich, ihrem mythologischen Epos standen die Germanen zur Zeit der Ankunft des Christenthums in ihrer Mitte sehr anders gegenüber, als dies bei den Griechen und Römern der Fall gewesen war. Ihr Götterglaube war ihnen noch ganzer und voller Glaube und nichts weniger als bloßes Schmuck- und Spielwerk der Einbildungskraft, mit ihm vertrug sich der christliche Kirchenglaube nicht. Dennoch machte ein großer Mythenbestandtheil weiter keinen Anspruch auf religiöse Wahrheit, besonders nicht Derjenige, der ins Menschenepos, in die Sage Aufnahme gefunden hatte und selber Menschenepos geworden war. Anderseits lag mehr als ein Bestandtheil des germanischen Mythus zu Tage, der unverkennbare Verwandtschaft mit christlicher Anschauung trug - wir erinnern an die Weltschöpfung und das Weltende -, und da konnte das Christenthum geradezu für sich Hülfstruppen werben. Aber nicht das reine, unverfälschte Christenthum kam ja zu uns; nicht Christus hat den Deutschen das Evangelium gepredigt; sondern die Kirche des sechsten, siebenten, achten Jahrhunderts war es, die unter ihren Formen den Deutschen das Christenthum brachte, ein Gemisch von Judenthum, Heidenthum und Christenthum; die römische Kirche faßte vor allen Dingen Grund und mit ihr das ganze Gefolge von Priesterschaft, Concilien und theologischen Zänfereien.

Auch erschien die römische Kirche mit ihrem Anspruche der einzigen Wahrheit nicht bloß im Gefolge ihres ganzen weitläufigen Apparates der Kirchenverfassung, sondern sie brachte zugleich eine Kirchenliteratur mit: Bibel, Exegese, Kirchengeschichte, Philosophie, Epos, Lyrik, Rhetorik, Didaktik in jeglicher Form, dies

Alles geworden und gewachsen am Baum der absterbenden griechischrömischen Literatur, in manchen Dingen auch darin der nationalen germanischen Denkart nicht absolut unvereinbar - wie hätte sonst Ulfilas die Bibel mit so bewundernswürdiger Virtuosität ins Gothische übersehen können, aber doch in sehr vieler Hinsicht den Deutschen total unverständlich. Wer fühlt nicht Mitleid mit den befehrten alten Deutschen, wenn er die deutschen Uebersetzungen des athanasianischen Glaubensbekenntnisses anschaut, einen Wust theologischer Grübelei, der uns heute noch wie faltes Wasser über den Rücken läuft.

Endlich erschien im Gefolge der römischen Kirche auch ein Stück der antiken Kultur und Literatur. Nicht zwar die Blüthe der alten Welt; wer kannte und verstand diese damals noch? sondern das Beste unverstanden, viel Schlechtes und Halbschlechtes hoch bewundert. Und alles dies im Gewande einer fremden Sprache, der lateinischen, welche von der Kirche schlechterdings als Bindemittel der Einzelheiten festgehalten wurde und sich geradezu als zweite Landessprache einbürgerte. Nicht vergebens hat später unser Volk von seiner Volkssprache, der diutisken zungen, das ist der volksmäßigen Sprache, von diut, diet, Volt, den Namen bekommen, gegenüber der Sprache der Kirche und des Kaiserreiches, der lingua latina.

Und doch war auch in den schlimmsten Zeiten die humane Idee des Christenthums nie bloß zur Karrikatur geworden, immer lag in der christlichen Lehre ein Keim neuen, unvergänglichen Lebens, das bestimmt war, die Welt umzugestalten und eine unendliche Fülle des Lebens aus sich hervorgehen zu lassen. Nur stand zu erwarten, unter welchen Bedingungen dieses neue Leben zu seiner Ausbildung kommen werde.

Man denke sich einen gesunden, kräftig zum Lichte aufstrebenden Baum in seinem besten, noch jugendlichen Wachsthum, dessen Wurzelsäfte seiner angestammten Natur nach die Pflanze ihrer Vollendung entgegenführen sollen; da erscheint mit einem Mal eine Quelle neuer, fremder, nicht minder kräftiger, aber aus höchst selt= samer Mischung entstandener Säfte, um sich mit den ersten zu ver einigen. Was soll aus dem Baume werden? Er stirbt nicht ab, aber er sett nach allen Seiten wunderliche Keime und Schößlein an, die in phantastischen Formen sich kreuzen und Zwittergebilde entwickeln, wie sie die natürliche Lebenskraft nie hätte hervorbringen mögen. Erst wenn die ungleichartigen Kräfte sich wieder zu einer neuen bleibenden Grundkraft vereinigt haben, scheint der Baum in ein einheitliches Wachsthum wieder eintreten zu können. gieng es dem geistigen Leben der Deutschen, als das Reis des Christenthums dem einheimischen Baume aufgepfropft wurde. Kirchliches, religiöses, tiesinniges, aber auch phantastisches Leben kreuzte und mengte sich mit der alten angestammten, derben Volkskraft,

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die hinwieder zu Zeiten in einem höchst sinnlichen und rohen Leben zu Tage trat. Das ist das Wesen der Romantik. Die Griechen haben sie nicht, weil ihre Entwicklung nie durch einen übermäßig fremden Einfluß gestört worden ist; sie haben nur zwei Entwicklungsstufen, da wir ihrer drei haben. Aber gerade die Romantik scheint es zu sein, die den neuern Völkern die Möglichkeit ungleich tieferer und weiterer Entwicklung gegönnt und ermöglicht hat, als den Griechen gegeben war.

Vorläufig ist in den ersten Jahrhunderten während und nach der Christianisierung Deutschlands der Kampf des kirchlich-christlichen und des nationalen Lebens ein mehr äußerlicher; beide Elemente gehen unvermittelt neben einander her; mit Mühe bricht sich christlicher Glaube, christliche Sitte, christliche Bildung Bahn, und nur langsam weicht das unverfälschte nationale Leben vor dem Christenthum zurück. Das Hildebrandslied ist von einem Christen aufgeschrieben worden; Karl der Große sammelte deutsche Heldenlieder. Brauchte es jedoch längere Zeit, bis die beiden Literaturen in einander wuchsen, so verband sich desto schneller die christlichkirchliche Sitte und Denkart mit der nationalen Sitte und Denkart. Die heidnisch- nationalen Elemente innerhalb des christlichen Kultus sind ja überaus reich; vom Weihnachtsbaume an und dem Feste der Frühlingsgöttin Ostara spielt altgermanisches Leben noch heute in alle Zweige des Volkslebens hinein, in die Feste der Heiligen, vornehmlich der Maria, in unsere Gebräuche bei Geburt, Tod und Begräbnis, in alle möglichen Jahrestage, in Jahreszeiten und Tageszeiten, in den Ackerbau, in's Handwerk, in die Wartung des Viehs, in Ort und Zahl, in die Himmelserscheinungen, in's Auge und in's Ohr; wo wäre das Gebiet des natürlichen Lebens, das nicht durchsäuert wäre von jenem Urstoff unserer Ahnen? Nicht allein, was man Aber- und Volksglaube nennt, auch ein gutes Stück allerchristlichsten Glaubens ist unzertrennlich mit solchen Elementen verbunden. Denn wenn gleich in jenen Jahrhunderten die offizielle Kirche alles, was nicht von ihrer Gnade ausgieng, Heidenthum nannte, so steht ja unser germanisches Heidenthum auf keinen Fall dem Christenthum so gegenüber, daß das eine das andere nothwendig ausschlösse. Lag im Geiste des Christenthums eine lebendige Kraft zur Verklärung des natürlichen Lebens, so lag gerade bei den Germanen dieses natürliche Leben einer Verklärung auf die würdigste Weise offen; und trug umgekehrt die Kirche so viel natürliche Elemente in sich, die selber der Verklärung erst entgegensahen, daß beide Auffassungen einander an zahllosen Punkten berühren mußten.

Ungleich langsamer gieng die Entwicklung einer neuen Literatur von Statten. Das alte Epos erhielt sich vorläufig noch einige Zeit; in's 8. Jahrhundert sett man die Aufzeichnung des Hildebrandsliedes, und Karl der Große ließ die Heldenlieder aufzeichnen;

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