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und hätte hier der Dichter geendet, so wäre das Lied vortrefflich abgerundet. Aber nun lässt er noch in drei Strophen die Tauben ihre Lebensansicht darlegen und hebt damit das innere und äussere Gleichgewicht im Ganzen auf, abgesehen davon, dass es nicht wohlgethan war, dem Edlen das Gewöhnliche, dem Grossen das Kleine nachfolgen zu lassen. Gemildert wird dieser Fehler an dem sonst vortrefflichen und formvollendeten Gedichte dadurch, dass auch in der den Tauben zugetheilten Partie die Hinweisung auf den Tod zur Abschliessung benutzt wird; und dies veranlasst uns zu der allgemeinen Bemerkung, dass überhaupt in Lebensliedern die Dichter mit der Andeutung des Todes abzuschliessen pflegen.

17) In den zuletzt besprochenen Gedichten finden wir bloss das Sinnbild ausgeführt; die Deutung wird dem Leser als selbstverständlich überlassen. Wird aber zum Bilde auch die Deutung gegeben, so gestaltet sich das Gedicht in der Regel zweigliedrig, und zwar gewöhnlich so, dass das Sinnbild das erste, aufsteigende, die Deutung das zweite, absteigende Glied bildet. Eines besondern Schlussgliedes bedarf es in diesem Falle nicht. Nach diesem Schema ist z. B. Lamartine's Schmetterling" organisirt:

,,Mit dem Frühling entstehn,
Mit dem Sommer vergehn,
Auf des Westes Schwingen
Den Aether durchdringen,
Am Busen von Blüthen,
Die eben entglühten,
Sich wonnevoll wiegen,
In durstigen Zügen

Den Azur der Luft

Und Farbenglanz trinken,

Abschütteln den Staub von den jungen Schwingen,

Im Flug zu des Himmels Gewölbe dringen,

Das ist des Schmetterlings zauberisch Loos.

Ihm gleichet das Sehnen;

Vom Schönen zum Schönen

Schwebt's ohne Rast

In ewiger Hast,

Und naschend und fliegend,

Mit Nichts sich begnügend,

Sucht's endlich die Ruh' in des Himmels Schoose."

Doch ist auch die umgekehrte Folge von Bild und Gegenstand statthaft, wie z. B. Schiller im „Abschied vom Leser" das Bild dem zu Veranschaulichenden nachfolgen lässt.

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18) Eine eigene, und zwar eingehendere Betrachtung, als hier gegeben werden kann, verdienen sowohl in Beziehung auf innere Organisation als auf Abschluss, Schiller's culturhistorische Gedichte, diese grossartigen Prachtstücke im Bildersaal unserer Lyrik, denen eine andere Nation kaum etwas Aehnliches gegenüberzustellen hat. Es gehören dahin die Künstler, der Spaziergang, das eleusische Fest, das Glockenlied und die vier Weltalter. Sie durchlaufen eine ganze Tonleiter von Empfindungen und sind eine Welt voll Scenen," wie Herder vom Spaziergang insbesondere sagt. Desto dringender machte sich aber für sie das Bedürfniss sinnlicher Handhaben und Unterlagen geltend, um sie übersichtlich und leichtfasslich zu gliedern und ihnen eine feste Einrahmung zu geben. Am kunstreichsten, ja fast überkünstlich ist das „Lied von der Glocke" organisirt, und die mannigfaltigen Theile desselben sind durch eine Menge von Fäden fest aneinander und zu einem grossen Ganzen verkettet. Die sinnliche Folie bildet der Guss einer Glocke, dessen fortschreitende Reihe von einzelnen Vorgängen sowohl für die einzelnen Theile als für das Ganze zum begrenzenden Rahmen dient. Der Hauptabschnitt in dieser Reihe ist da, wo die Form gefüllt ist, und der Meister zu den Gesellen spricht:

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Mit dieser Haupteintheilung des sinnlichen Gerüstes fällt auch die des innern Gehaltes zusammen. Die vorhergehenden Betrachtungen und Gemälde beziehen sich auf das Familienleben, die nachfolgenden auf das Leben in der Gesellschaft und im Staate; und wie innerhalb beider Abschnitte die einzelnen Processe des Glockengusses sachgemäss einander folgen, so bilden auch die angeknüpften Betrachtungen und Lebensbilder eine logisch geordnete Reihe. Aber die Congruenz des Aeussern und Innern geht noch weiter. Der Dichter hat nicht bloss jede Betrachtung zu dem technischen Meisterspruch, wor

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auf sie folgt, in eine sinnbildliche Beziehung zu setzen gewusst, sondern jede Betrachtung steht auch mit der nächstfolgenden in Verbindung, wie in meinem Commentar zu Schiller's Gedichten im Einzelnen nachgewiesen ist. Dadurch stellt sich die Dichtung, trotz des steten Wechsels der Bilder und Empfindungen, als ein streng geschlossenes Ganzes dar. In der Elegie „der Spaziergang" knüpft der Dichter seine culturhistorischen Betrachtungen an die wechselnden landschaftlichen Bilder, die ihm auf einer Lustwanderung entgegentreten, und auch hier ist überall auf Congruenz des Aeussern und Innern Bedacht genommen. „Das Gemüth," schrieb W. von Humboldt über das Gedicht an Schiller, wird hier nach und nach durch alle Stimmungen geführt, deren es fähig ist. Die lichtvolle Heiterkeit des bloss malenden Anfangs ladet die Phantasie freundlich ein und gibt ihr zunächst eine leichte, sinnlich angenehme Beschäftigung. Das Schauervolle der darauf veränderten Naturscene bereitet zu grösserem Ernste vor und macht die Folge noch überraschender. Mit dem Menschen (von dessen Dasein bis dahin noch keine Spur erschien), tritt die Betrachtung ein. Aber da dieser, noch in grosser Einfachheit, der Natur getreu bleibt, braucht sich der Blick noch nicht auf viele Gegenstände zu verbreiten. Allein der ersten Einfalt folgt nun die Cultur, und die Aufmerksamkeit muss sich auf alle mannigfaltigen Gegenstände des gebildeten Lebens und ihre vielfachen Wechselwirkungen zerstreuen. Der Blick auf das letzte Ziel des Menschen, auf die Sittlichkeit, sammelt den herumschweifenden Geist wieder auf einen Punkt." Am Schlusse des Gedichtes findet sich der Lustwandelnde in einer wilden Gebirgslandschaft, die zu der Naturscene des Anfangs einen starken Contrast bildet, aber desto grössere Verwandtschaft mit den Phantasiebildern und Gefühlen hat, die ihn zuletzt beschäftigten, mit den Betrachtungen über die Entartung der Staatsgesellschaft und die daraus entspringende Revolution. Das Gefühl der Einsamkeit ergreift ihn mächtig in der schauerlichen Gebirgsstille, und bringt ihm auch schnell zum Bewusstsein, dass jene Schreckensbilder menschlichen Unglücks, die eben an ihm vorübergegangen, nur Phantasiegebilde gewesen. Er fühlt sich wieder an dem Herzen der Natur, deren Unver

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änderlichkeit, dem Wechsel menschlicher Dinge gegenüber, der Schluss der Elegie so rührend schildert. Hier vermisst nun Hoffmeister einen rechten Abschluss der sinnlichen Folie. „Das Gedicht," sagt er, lässt uns beim Wanderer in der Einöde, ungeachtet er doch ebensowohl, als die Menschheit, zum Anfangspunkte zurückkehren musste." Dagegen habe ich schon in meinem Commentar eingewandt, dass auch die Menschheit nach der Auffassung unsers Dichters nicht zum Ausgangspunkte zurückkehrt. Der Zustand derselben nach dem Umsturz der Staatsgesellschaft ist zwar wieder eine Art von Naturzustand, aber nicht jener friedliche, sanfte, entzweiungslose, aus dem Schiller die Menschheit sich heraufentwickeln lässt. Auch ist nirgendwo am Schlusse die Herstellung der Natur in der Menschheit in einer neuen, veredelten Gestalt angedeutet, und eben darin scheint mir ein Mangel zu liegen, so dass ich nicht sowohl an der sinnlichen Unterlage, als im Gedanken- und Empfindungsgehalte den rechten Abschluss vermisse. Schiller gibt eben so wenig von den ferneren Aussichten der Menschheit, von ihrer nun weiter zu durchlaufenden Bahn nähere Andeutungen, als er den Spaziergang des Wanderers, den er ja auch in der Wildniss verlässt, zu einem festen Ziele zurückführt. Und doch fühlt Jeder sogleich, dass die Menschheit den eben beschriebenen Kreis nicht noch einmal durchlaufen kann, da an dem nun beginnenden Entwicklungsprocess neue Factoren betheiligt sind.

19) Anderer Art sind wieder die sinnlichen Unterlagen, die Schiller im eleusischen Fest und in den vier Weltaltern gewählt hat, um für seine culturhistorischen Bilder und Betrachtungen ein gliederndes und einrahmendes Gerüst zu gewinnen. Jenes Gedicht, das die Entwicklung des bürgerlichen Vereins aus der Einführung des Ackerbaues zum Gegenstande hat, soll seiner äussern Form nach als ein Festhymnus für die Eleusinien gelten. Es beginnt mit einer daktylischen Chorstrophe, die zu festlicher Freude aufmuntert, und schliesst mit derselben, im Inhalt nur wenig veränderten Strophe, und somit läuft das Gedicht zu seinem Anfangspunkte zurück. Im Innern wird nun in mehr epischer Art die Einführung des Ackerbaues und die Entwicklung der Gesittung in trochäischen

Strophen besungen, und zwar in zwei Haupttheilen von je zwölf Strophen, die durch eine daktylische Chorstrophe scharf voneinander abgesondert sind, so dass also das Ganze eine zweigliedrige, vollkommen symmetrische, sehr leicht aufzufassende Anlage hat. In den vier Weltaltern, dem letzten Glied der culturhistorischen Gedichtgruppe, ist zum einfassenden Rahmen das Bild eines frohen geselligen Kreises gewählt, vor dem der Dichter sein weltgeschichtliches Gemälde zu ästhetischem Genusse aufrollt; und dem entspricht auch der im Gedicht herrschende Ton. Die Stimmung in allen diesen Gedichten ist eine verschiedene. Das Lied von der Glocke durchwandert die ganze Stufenleiter menschlicher Gefühle; der Spaziergang hat einen rührend elegischen Charakter; in eleusischen Fest herrscht begeisterte Freude; Heiterkeit und Freiheit charakterisirt die vier Weltalter. Dieses Gedicht ist wieder sehr fest umschrieben und symmetrisch gegliedert. Die Anfangsstrophe veranschaulicht das frohe gesellige Mahl, die Schlussstrophe huldigt den daran Theil nehmenden Frauen. Zwischen diesen Endpunkten gliedert sich das Gedicht zunächst zweitheilig: Str. 2 bis 5 stellen des Dichters Verhältniss zur Weltgeschichte, die weiter folgenden Strophen die vier Weltalter dar.

20) Um nicht die Abhandlung über Gebühr anschwellen zu lassen, erlaube ich mir, in Betreff der innern Organisation und Abgrenzung didaktisch-lyrischer Gedichte auf die bezüglichen Erörterungen in Hoffmeister's trefflichem Werk über Schiller, oder auf meinen Commentar zu Schiller's Gedichten hinzuweisen, und stelle schliesslich noch eine Anzahl einzelner, theilweise schon im Vorhergehenden gelegentlich angedeuteter Abgrenzungsarten zusammen.

a) Bisweilen nimmt der lyrische Dichter, um den Schluss des Gedichtes bestimmter zu markiren, Abschied von seinem Liede. Diese Schlusswendung ist für die Canzone ziemlich stereotyp geworden; die Italiener pflegen nämlich einer in Canzonenform verfassten Dichtung eine kürzere (siebenzeilige) Strophe, „Abschied" genannt, anzufügen, worin der Dichter sein Lied anredet, um ihm einen Auftrag zu geben, ihm Dank zu sagen, oder sonstwie sich von ihm zu beurlauben.

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