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den Silberteich daherrauscht, oder die herabfallende reife Frucht verursacht, glaubt er die Geliebte sich nähern zu hören; selbst sein Auge führt ihn irre, dass er die an der Taxuswand flimmernde Bildsäule für ihr Gewand hält. Die frohen, flüchtigen Täuschungen spricht er jedesmal im lebendigen daktylischen Masse, die gleich folgende Enttäuschung in traurig sinkenden Trochäen aus, worauf dann immer in den zärtlich schmachtenden Ottave rime der Eindruck der umgebenen Natur mit dem Gefühl der Sehnsucht zusammenschmilzt. Dieses Auf- und Abwogen der Empfindung mit dem begleitenden Wechsel des Metrums geht bis zum Schlusse des Gedichtes durch; nur dass zuletzt das Erscheinen „der Stunde des Glücks" natürlich nicht wieder durch zwei daktylische und zwei trochäische Verse, sondern durch vier anapästische ausgedrückt ist. In dem Gehalt der einzelnen Stanzen nun ist eine fort währende Steigerung des Gefühls und der Phantasiethätigkeit nicht zu verkennen. In der ersten ist die Aufmerksamkeit des Liebenden noch der nächsten Umgebung zugewandt, die er zum würdigen „Sitz der Liebe" bereitet sehen möchte; in der zweiten verweilt seine Phantasie schon inniger bei der Vorstellung des Liebesglücks, daher die Bitte an die Nacht, ihre Wonne vor der Welt zu verbergen; in der dritten zieht sein Herz aus Allem, was es um sich erblickt, Nahrung seiner Gefühle; in der vierten öffnet es sich kühner, gleich dem Kelche der Nachtblumen; in der fünften endlich, wo die Umgebung, in nächtliches Dunkel versunken, seinen Liebesträumen keine Nahrung mehr bietet, will er sich nicht länger mit dem „Schattenglück," das ihm seine Phantasie gewährt, begnügen und fleht dringend um die Nähe der Lebenden. Ich wüsste dem wunderlieblichen Gedichte, was den Wohllaut der Sprache, die Vollendung der äussern Form und ihren Zusammenklang mit der innern Gliederung, und vor Allem, was die herrliche Musik der Empfindung betrifft, kaum ein anderes von Schiller zur Seite zu stellen. Will man eines daneben halten, worin der Abschluss durch Aufnahme eines mildernden Empfindungselementes erzielt wird, so betrachte man etwa Schiller's „Nänie." Hier spricht sich die Grundempfindung sogleich voll und bestimmt in den Anfangsworten aus: „Auch das Schöne muss

sterben," worauf dann für die Fortbewegung im Innern des Gedichtes sich naturgemäss die Form der. Distribution oder Exemplification ergibt. Der Schluss besteht aber nicht bloss in einem Wiederzusammenfassen zu einem prägnanten Gesammtausdrucke, sondern gibt zugleich der angeregten Empfindung eine tröstlichere, beschwichtigende Richtung, indem er den Gedanken aufnimmt, dass das Schöne nicht klanglos zum Orkus hinabgehe :

Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich.

Ein

Er

10) Betrachtet man die letzgenannten Gedichte näher, so erkennt man, dass bei ihnen der Abschluss eigentlich doch immer auf einer Modification und Umbildung des im Gedicht herrschenden Gefühls beruht. Wir haben mehrere Arten solcher Umbildung kennen gelernt; es giebt ihrer indess noch andere, und von diesen heben wir noch ein Paar der wichtigern hervor. Herrscht im Gedicht eine mehr passive Gemüthsstimmung, so wird ein sehr entschiedener Schluss durch das Eintreten eines mehr activen Elements gewonnen, also indem sich z. B. aus einem unbestimmten Gefühl ein bestimmtes Streben, oder, was einen noch markirtern Abschluss giebt ein bestimmter Vorsatz hervorbildet. Beispiel ist Geibel's "Zigeunerbub' im Norden." vergleicht seine Heimath, das schöne Spanien, mit dem Norden, wo er jetzt mit der Laute umherwandert, in deren Töne sich stets Klänge der Sehnsucht einmischen (Str. 1 bis 3). Dann erinnert ihn (Str. 4 und 5) ein Erntefesttanz an den spanischen Fandango, und über der Vorstellung desselben steigert sich seine Sehnsucht bis zu dem (in Str. 6 ausgesprochenen) Entschlusse heimzukehren. Herrscht im Gedicht ein activeres Gemüths walten, etwa ein Kampf gegen eine Empfindung, so kann der Sieg über dieselbe, oder auch eine willige Unterwerfung unter ihre Macht den Abschluss bilden. Da das Letztere minder leicht eingeräumt werden möchte, so weisen wir auf Goethe's "Rastlose Liebe" hin. Der Dichter sucht sich einer neuen auf ihn einstürmenden

Liebesneigung zu erwehren. Die innere Gemüthsbewegung durchläuft drei Entwicklungsstufen: zuerst Ankämpfen gegen die Herzensaufregung, versteckt hinter einem Kampf gegen

Naturelemente, von deren Streit der Dichter eine Dämpfung des innern Aufruhrs hofft; dann Sinken des Widerstrebens und elegisches Reflectiren über den innern Gemüthszustand; hierauf wieder kurze Erhebung der Kraft und rathloses Umherspähen nach einer Flucht, und schliesslich willige Ergebung in die Liebe:

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Meisterhaft ist die ganze sprachliche und rhythmische Ausführung. Im ersten Abschnitt herrscht die steigende Bewegung, die in Verbindung mit der Verskürze das ruhelose Fortstürmen so trefflich versinnlicht. Dann, im zweiten Abschnitt, wo die Reflexion eintritt, beginnt die sinkende Bewegung, wobei jedoch der fortgehende daktylische Rhythmus die Andauer der lebhaften Gemüthserregung ausspricht. Die enthusiastische Apostrophe an die Liebe, die ihre Macht und Herrlichkeit anerkennt, rundet das schöne Lied vortrefflich ab.

11) Wollen wir die wesentlichern Ergebnisse des Bisherigen kurz zusammenfassen, so können wir sagen:

A) Es gibt eine Classe lyrischer Gedichte von mehr verstandesmässiger Anlage, die mit dem bestimmten und vollen Ausdruck des darzustellenden Gefühls einsetzen,

dann im Innern durch Zerlegung und Ausbreitung des Inhalts sich gliedern und den Abschluss durch ein Wiederzusammenfassen bilden.

B) Die ächt lyrischen Gedichte laufen aber, weitaus der Mehrzahl nach, eine Reihe von Entwickelungsstufen der Empfindung oder Stimmung durch und gewinnen ihren Abschluss entweder

a) dadurch, dass die Empfindung einen Culminationspunkt erreicht, oder

b) wenn das Gefühl anfangs dunkel und unbestimmt ist, durch Aufhellung desselben, oder

c) dadurch, dass sich aus der im Gedicht herrschenden Empfindung zuletzt ein Gefühl von verschiedenem Charakter hervorbildet.

Die zuletzt bezeichnete Art (c) hat uns vorzüglich beschäftigt, und von ihr haben wir eine Reihe von Unterarten kennen gelernt, deren Aufzählung nicht einmal als ganz erschöpfend betrachtet werden kann. Der kundige Leser wird sich aber ohne Zweifel auch noch mancher anerkannt schönen lyrischen Gedichte erinnern, die weder, was ihre Gliederungsweise, noch besonders, was ihren Abschluss betrifft, sich füglich einer der bezeichneten Rubriken einordnen lassen. Um auch diesen ihre Stelle anzuweisen, haben wir noch zu betrachten:

A) Lyrische Gedichte von ganz geringem Umfange, elementare Gefühlsäusserungen, die wirklich der Entfaltung und Metamorphose entbehren,

B) Gedichte, denen dieselben nur scheinbar mangeln, C) eine Classe lyrischer Gedichte, die nicht nach der in ihnen herrschenden Empfindung, sondern nach dem Object, an das sich der Ausdruck der Empfindung anlehnt, organisirt und abgegrenzt sind,

D) endlich eine Reihe mehr äusserlicher, oder herkömmlicher und stereotyper Abgrenzungsarten.

12) Es ist einleuchtend, dass an lyrische Gedichte von ganz kleinen Umfange nicht die Forderung einer Reihe von Entwickelungsstufen der Empfindung gestellt werden kann; der Reiz solcher elementaren Seelengebilde, solcher halb- oder unerschlossenen Knospen beruht oft gerade in dem Mangel der

Entfaltung. Auch bedürfen sie, als Ausdruck eines einzelnen, sich nicht entwickelnden Gefühls, keines besonders markirten Abschlusses, während in dem Masse, wie der Umfang eines lyrischen Gedichtes wächst, auch das Bedürfniss eines entschiedenen Schlusses, der sich als solcher deutlich zu erkennen gibt, immer stärker sich geltend macht. Zu jenen Gedichten, die fast nur Empfindungslaute sind, gehört „Wanderers Nachtlied" von Goethe; ein Sehnsuchtshauch eines Glücklich-Unglücklichen nach Frieden:

Der Du von dem Himmel bist,

Alles Leid und alle Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,

Doppelt mit Erquickung füllest,

Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll all der Schmerz und Lust?

Süsser Friede,

Komm, ach komm in meine Brust!

Indess lassen meist sogar die kleinsten Gedichte schon Andeutungen innerer Organisation und eines Schlussgliedes erkennen, wie denn auch im eben angeführten der Schluss durch eine besondere Prägnanz des Ausdrucks sich fühlbar macht. Ganz deutlich tritt die dreitheilige innere Rhythmik und die Abrundung durch Anschluss des Endes an den Anfang in Goethe's "Wonne der Wehmuth" hervor, wenn gleich das Gedichtchen nur aus wenigen Zeilen besteht;

Trocknet nicht, trocknet nicht,
Thränen der ewigen Liebe!

Ach, nur dem halbgetrockneten Auge,
Wie öde, wie todt die Welt ihm erscheint!
Trocknet nicht, trocknet nicht,

Thränen unglücklicher Liebe!

13) Es begegnen uns aber auch lyrische Gedichte von grösserm Umfange, worin die anfängliche Stimmung in ruhiger Schwebung zu verharren und zuletzt ganz unverändert auszuklingen scheint. Dahin gehört z. B. Matthisson's, Abendlandschaft:"

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