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der halb gelehrten Ratte: c'est quelque victuaille. Die Freundschaft ist bekanntlich etwas seltenes: deshalb versetzt er zwei treue Freunde in das wildfremde abgelegene Land Monomotapa VIII. 11. So weiss er überall mit einer Parenthese oder einzelnen Worten etwas Komisches einzuflechten und die Erzählung zu würzen.

Nicht minder versteht er es aber, einen ernsten erhabenen Ton anzuschlagen, z. B. in Eiche und Schilfrohr I. 22.

...

Comme il disait ces mots,

Du bout de l'horizon accourt avec furie

Le plus terrible des enfants

Que le nord eût portés jusque-là dans ses flancs.
. . . . il déracine

Celui de qui la tête au ciel était voisine,

Et dont les pieds touchaient à l'empire des vents. Wie majestätisch der Anfang der pestkranken Thiere VII. 1:

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Was uns bei Lafontaine, den andern Dichtern seiner Zeit gegenüber, besonders in Erstaunen setzt, das ist die reiche Abwechslung und Lebendigkeit; bei ihm keine Spur von der Trockenheit und Einförmigkeit, welche die Deutschen der französischen Versification so oft vorwerfen. Er gebraucht allerdings in mehreren Stücken, im Adonis, im Traume von Vaux, in Philemon und Baucis, den sechsfüssigen jambischen Vers (oder nach der französischen Metrik den zwölfsylbigen Vers), den die Cäsur hinter dem dritten Fusse in zwei gleiche Theile theilt, das heisst also den verpönten Alexandriner. Allein, wie er ihn in den genannten Gedichten durch Wechsel der Casur freier behandelt, so weiss er ihn auch in den Fabeln auf eine ganz eigene Weise, welche freilich Lamartine getadelt, aber ohne alles Recht getadelt, durch kürzere, vier-, zweioder einfüssige Verse zu unterbrechen; und dies führt er so taktvoll aus, dass er keinen Verstoss gegen die prosodischen Regeln sich zu Schulden kommen lässt. Z. B. Wolf und Lamm I. 10.

Un agneau se désaltérait

Dans le courant d'une onde pure.

Un loup survient à jeun, qui cherchait aventure,
Et que la faim en ces lieux attirait.

Der Gebrauch der kürzeren Verse ist sogar so häufig, dass die zwölfsylbigen Verse nur sporadisch unter sechs-, acht- oder zehnsylbigen auftauchen. Wie nun überhaupt der französische Alexandriner selten die langweilige Eintönigkeit des deutschen haben kann (vorausgesetzt dass er schön gebildet sei), weil die stummen Sylben der französischen Sprache nie so bestimmt hervortreten können, wie die kurzen der deutschen, und überhaupt das französische Ohr keine Scansion kennt, sondern einen über den ganzen Vers sich erstreckenden Tonfall (cadence) sucht,*) so versteht es Lafontaine meisterhaft, dem Verse durch die Mannigfaltigkeit der Cäsur jene gemüthliche Einfachheit zu geben, welche der Erzählung sogleich den Charakter naturgetreuer, ungeschminkter Wahrheit und Ueberzeugung verleiht, ohne dadurch in das andere Extrem, in gereimte Prosa zu fallen. Nur zwei Beispiele dieser so einfachen und doch schönen Versification: der Gärtner und sein Herr IV. 4:

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Häufig bringt Lafontaine, sei es durch die Wahl der Worte, sei es durch Rhythmus oder Cäsur onomatopoetische Effekte hervor. Die Reisekutsche und die Fliege VIII. 9. Dans un chemin montant, sablonneux, malaisé,

Et de tous les côtés au soleil exposé

Six forts chevaux tiraient un coche.

*) Wir erinnern an die bekannte schöne Cadenz im Columbus des Delavigne:

Et son doigt le montrait, et son oeil, pour le voir,
Perçait de l'horizon l'immensité profonde etc.

Und weiterhin, wie treffend ist die Beschwerlichkeit des Weges durch den Wortklang und die dreifache Theilung des Tonfalls bezeichnet:

L'attelage suait, soufflait, était rendu.

Dann der Sturmwind VI. 3:

.. Notre souffleur à gage

Se gorge de vapeurs, s'enfle comme un ballon,
Fait un vacarme de démon,

Siffle, souffle, tempête et brise. .

Die Frösche IV. 12:

Et le gouvernement de la chose publique

Aquatique.

In Waldstrom und Fluss VIII. 23, glaubt man das wilde Geräusch und Tosen des Steine mitfortreissenden Bergwassers zu hören:

Avec grand bruit et grand fracas

Un torrent tombait des montagnes:

Tout fuyait devant lui: l'horreur suivait ses pas;
Il faisait trembler les campagnes.

Im Schatze IX. 16, wird des Geizhalses Erstaunen treffend durch den zweisylbigen Vers ausgedrückt:

L'homme au trésor arrive, et trouve son argent

Absent.

Ein ähnlicher Effect in den pestkranken Thieren VII. 1.
Même il m'est arrivé quelquefois de manger

Le berger.

Neben den astrophischen Fabeln, welche die überwiegende Mehrzahl bilden, kommen einige wenige in vier- oder sechszeilige Strophen abgetheilte vor; der Rhythmus ist gewöhnlich jambisch, selten trochäisch. Trochäisch sind I. 1 (astrophisch): La cigale ayant chanté

dann I. 9 in Vierzeilen:

Autrefois le rat de ville
Invita le rat des champs,
D'une façon fort civile
A des reliefs d'ortolan.

I. 20 (sechszeilig), IV. 6 (astrophisch), V. 2. 7 (vierzeilig),

VIII. 13, die Einleitung; VIII. 20, IX. 1, Einleitung; IX. 6, ist in vierzeiligen jambischen Strophen, ebenso XII. 9. Manchmal, wie in den genannten VIII. 13, IX. 1, wechseln in derselben Fabel jambische und trochäische Rhythmen. Auch kommen manchmal poetische Licenzen vor, welche Vers oder Reim hervorgerufen.*) Eigentliche Nachlässigkeiten sind sehr wenige; wir haben bloss folgende gefunden.

In der Fabel der Hof des Löwen, VII. 7, haben die Commentatoren als Fehler hervorgehoben, dass ein Vers ohne Reim auf drei mit männlichem Reime ausgehende Verse folgt: Sa grimace déplut: le monarque irrité L'envoya chez Pluton faire le dégoûté. Le singe approuva fort cette sévérité;

Et flatteur excessif, il loua la colère.

Sonderbarer Weise aber hat Niemand meines Wissens die durchaus fehlerhafte Construction in der Fabel vom Greise und den drei Jünglingen hervorgehoben, die als Anakoluth gewiss ihres Gleichen sucht, und durchaus nicht, wie Walkenär meint, durch eine Ellipse sich entschuldigen lässt:

Et pleurés du vieillard, il grava sur leur marbre
Ce que je viens de raconter.

Viel leichter lassen sich folgende, in der Volkssprache häufige Licenzen entschuldigen:

VII. 18: Je ne suis point d'intelligence

Avec mes regards peut-être un peu trop prompts,
Ni mon oreille . . .

ebenso VIII. 56:

Ces gens étaient les fous, Démocrite le sage,

und in der Epistel an den Herzog von Bouillon:

J'étais lors en Champagne,

Mon procureur dessus quelque autre point.

Wer wollte aber bei den Schönheiten der zweihundertzweiundvierzig Fabeln sich an diesen wenigen Fehlern aufhalten!

II.

Wenn man von den Erzählungen und übrigen Dichtungen

*) Wir haben sie im Anhange zusammengestellt.

Lafontaines absieht, und die Fabeln allein betrachtet, auf die sich ja hauptsächlich sein Ruhm gründet, so wird stets die Frage aufgeworfen, in wie weit er eigentlich auf schöpferisches Verdienst Anspruch machen kann, und wie sich eigentlich sein grosser Ruhm rechtfertigen lässt. Und in der That, bedenkt man, dass er den Stoff zu seinen Dichtungen bereits vorgefunden und theils aus Aesop und Phädrus,*) theils aus den altfranzösischen Ysopets und Fabliaux hat schöpfen können, möchte man leicht geneigt sein, unserm Dichter alle Erfindung und Selbstständigkeit abzusprechen. Vinet hat diese Frage also beantwortet: „Besass Lafontaine die Gabe der Erfindung? Man verweigert sie ihm; allein was will man damit sagen? Dass er seine Stoffe nicht erfunden? Was ist denn im Grunde ein Stoff? Es sind nicht nur die Thatsachen, deren Aufeinanderfolge, den ersten Gegenstand der Fabel liefert, es ist auch noch die Absicht, der Zweck, die Idee, welche der Dichter zu verwirklichen sucht. Allerdings hat Lafontaine die Stoffe zu seinen Fabeln nicht erfunden, und das ist, wenn man will, ein Verdienst weniger; es ist nicht erlaubt, die erfinderische Kraft gering anzuschlagen. Allein es ist nicht diese Art der Erfindung, welche die grössten unter den Dichtern so hoch gestellt hat. Einige haben sogar dieses Talent nicht beachtet: sie schöpften in der Geschichte, in den Volkstraditionen, in irgend einer früheren Quelle. Ihr Genie nahm diese erste Gabe an; allein indem sie Aermeren als sich die Grundlage ihres Werkes entlehnten, stellten sie ihren Gegenstand in ein anderes Licht, verschönerten und veredelten ihn durch eine Idee, durch ein neues Ziel, das seine Bedeutung und seinen Werth erhöht; sie gaben den ihnen von Aussen herzugekommenen Wesen einen Leib, eine Seele, ein Leben, und das war vielleicht nicht das Leichtere noch das geringere Verdienst.“

Der Ruhm der eigenen Erfindung ist allerdings kein geringer und herrlich strahlen die Namen derjenigen Dichter, welche zuerst eine Bahn eröffnet, und die Stoffe, welche sie behandelt, aus der Tiefe des eigenen Gedankens geschöpft und nicht von

Fabeln.

Aus Aesop entlehnte er den Stoff zu 89, aus Phädrus zu 48 seiner

Archiv f. n. Sprachen. XXXV. !!

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