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sind, so wird diese auch von den hervorragendsten Kritikern des neunzehnten getheilt. Joubert findet „in Lafontaine eine solche Fülle von Poesie, wie in keinem andern französischen Schriftsteller." Sainte-Beuve beginnt seine Betrachtung Lafontaine's mit den Worten: „Ueber Lafontaine sprechen, erzeugt nie Langeweile, auch wenn man sicher wäre, nichts Neues über ihn beizubringen." Weiter sagt er: „Namentlich geniesst man ihn mit erhöhter Lust, wenn man ihn in vorgerückterem Alter, à la quarantaine, wieder aufschlägt; er ist wie alter Wein, mit dem Voltaire den Horaz verglichen. . . Je mehr die Jahre vorwärts schreiten, desto glänzender wird sein Ruhm und grösser sein Name." Ebenso spricht sich in Vinet, der die französische Literatur mit eingehender, gewissenhafter Kritik und fast deutscher Wissenschaftlichkeit behandelt hat, wenn er auch in Frankreich selbst wegen seines philosophischen und gedankenschweren Stiles erst nach und nach zur verdienten Anerkennung gelangt ist, eine unwillkürlich sich hervordrängende Liebe zu Lafontaine aus. Nicht minder lassen die deutschen Werke über französische Literatur demselben das vollste Recht widerfahren. Namentlich hebt Arnd in seiner mit grosser historischer Sachkenntniss und philosophischem Blicke geschriebenen französischen Literaturgeschichte Lafontaine's Feinheit des Urtheils, Wahrheit und Lebendigkeit der Darstellung" hervor, wie Niemand vor oder nach ihm auf diesem Gebiete bewiesen." Allein stehen Lamartine und Lessing da mit ihrer Verurtheilung: sie werden uns weiter unten beschäftigen.

I.

Wie Molière, dem Lafontaine schon durch seine bloss ein halbes Jahr frühere Geburt nahe gestellt, mit dem er im Leben durch die treueste Freundschaft, und im Tode durch dasselbe Grab vereint ist, in den vornehmen Reihen der gespreizten Marquis, Herzoge und Prinzen in seiner bürgerlichen Figur seiner Würde bewusst ist und seine Selbständigkeit behauptet, so steht auch Lafontaine neben den hoffähigen Dichtern und den gewichtig einherschreitenden Akademikern in seiner bürgerlichen Naturwahrheit und dichterischen Begabung einzig da. Wenn Molière in Folge seiner bezorzugten Stellung beim Könige

dem herrschenden Geschmacke zu dienen sich nicht immer entziehen konnte, so weiss Lafontaine die liebenswürdige und naturwüchsige Richtung seines poetischen Genies in höherem Grade zu bewahren. An dem französischen Parnasse, wo die Dichter, Redner und Philosophen sich in ihren geregelten Abstufungen um den gnadenspendenden König herumdrängen, wandelt unser Dichter, in seine Träumereien versunken und das festliche Treiben um sich herum nicht beobachtend, einsam in seinen Lieblingspfaden umher, die sich durch Wiesen und Gehölz hindurchschlängeln.

Es war der innersten Natur Lafontaine's angemessen, dass er in seinem eigenthümlichen Bildungsgange sich vorzugsweise mit den älteren französischen Schriftstellern beschäftigte, mit den Trouveres des nördlichen Frankreichs, ihren heitern Ysopets und wenn auch lasciven, doch witzigen Contes und Fabliaux, mit dem lustigen Marot, dem in seiner Unbändigkeit genialen Rabelais, den Novellen der Königin von Navarra, welche alle, theils vor der Renaissance, theils noch unter Franz I. im Gegensatze zur überhandnehmenden Nachahmung der Antike, den alten Volkston anschlagen und der gallischen Muse huldigen. So sehr auch seit Franz I die alte Volkspoesie von der gelehrten in den Hintergrund gedrängt, und vollends seit Richelieu und Ludwig XIV die fremden Einflüsse und der hochclassische Stil herrschend wurden, konnte jene doch nie völlig zu Grunde gehen; haben doch die beiden ersten Repräsentanten der classischen Epoche, Racine seine Plaideurs, und Boileau den Lutrin, wenn auch ohne Wissen, in ihrem Geiste gedichtet. Bei Lafontaine ist indess der Volkston nicht Einzelerscheinung, sondern er zieht sich von der ersten bis zur letzten seiner Fabeln hindurch. Wie nun in der Volkspoesie der meisten Nationen das lyrische Element sich mit dem epischen gerne verbindet und überhaupt beide Elemente nebeneinander einhergehen, so hatte sich der alte Apolog, womit der Orient die Wiege der Menschheit besungen, in Frankreich eingebürgert, nachdem er durch die griechischen und römischen Dichter den westlichen Völkern war übergeben worden. Auch in der deutschen Literatur geht die volksmässige Thiersage neben der gelehrten Dichtung der Höfe einher, und lässt sich bis zu Fischart und weiter

hinab verfolgen. In der mehr der Epik sich hinneigenden Literatur der Trouvères hatte nun die Thierfabel sich in den Chansons de gestes, contes und fabliaux das ganze Mittelalter hindurch erhalten, und das sechzehnte Jahrhundert bearbeitete noch öfter diese Stoffe. Es war aber nicht allein des Stoffes, der Fabeln wegen, dass die Volkspoesie diese Gattung mit Vorliebe pflegte, sondern eben so sehr aus Liebe zur Natur, der sie ja immer näher stand. Diese Liebe zur Natur, das Verständniss derselben, das Naturgefühl in einem Worte ist es, das Lafontaine's Genie anzog, und das wir auch an ihm so bewundern. Er ist in dieser Hinsicht eine sehr auffallende Erscheinung mitten in der Zeit, wo fremde Einflüsse von allen Seiten her auf Frankreich einwirken, wo Italien, Spanien und namentlich die antikisirende Richtung der Renaissance herrschend geworden, wo von oben herab Alles verbannt wurde, was den einseitigen, beengenden und pedantischen Lehren der Gesetzgeber über die drei Einheiten, die historischen, mythologischen und allegorischen Erfordernisse widersprechen mochte, wo in der prunkvollen, nach strenger Etikette sich bewegenden Gesellschaft jede freiere Regung von dem regierenden Formalismus unterdrückt war, mitten in dieser Periode der raffinirten Ueberbildung erscheint ein poetisches Genie, welches der ihn umgebenden Welt der Convention und Abstraction sich entzieht und in reizender Naivität der Natur in die Arme wirft. Nicht dass Lafontaine sich in weitläuftigen Beschreibungen von Naturscenen gefällt; weit entfernt, sich so zu verirren, begnügt er sich gleich den Alten mit wenigen Worten, kurzen Andeutungen, und sein Gemälde ist fertig; aber durchweg fühlt man die Liebe zur Natur und den Sinn für landschaftliche Scenerie. Sein Naturgefühl ist halb epikureisch, halb melancholisch, aber immer weit entfernt von unserer modernen Sentimentalität.*) Er steht in dieser Hinsicht den Alten, die er viel gelesen hatte, sehr nahe. Für die moderne Sentimentalität fehlte ihm das schwärmerische, religiöse Gefühl und die Sehnsucht nach dem

*) Siehe den Aufsatz des Verfassers über das Naturgefühl der Alten und der Modernen in der Bibliothèque universelle de Genève, 1860 October,

Unendlichen, kommt sie doch überhaupt in allen modernen Literaturen erst mit der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts deutlicher zum Vorschein, um erst im neunzehnten, mit und nach der Romantik sich vollends zu entfalten. Lafontaine nimmt die Natur in ihrer concreten Erscheinung; was er in ihr personifiziert, das sind nicht ihre dunkeln Kräfte, sondern ganz bestimmte und bekannte Geschöpfe, und das Leben, die Sitten derselben schildert er als ein treuer und scharfsehender Beobachter.

Wie geschickt führt er zum Beispiel den Hasen vor (Fabeln VII. 16):

Il était allé faire à l'aurore sa cour

Parmi le thym et la rosée.

Après qu'il eut brouté, trotté, fait tous ses tours,

Jeanot Lapin retourne aux souterrains séjours.

Welch frisches Bild des frühen Morgens, und wie naturgetreu das Umherhüpfen des jungen Häschens, das durch den familiären Namen Jeanot gleichsam als ein alter Bekannter vorgeführt wird.

Wie hübsch das ländliche Bild in der Milchfrau VII. 10:

Perrette, sur sa tête ayant un pot au lait

Bien posé sur un coussinet

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Légère et court-vêtue, elle allait à grands pas,

Ayant mis ce jour-là, pour être plus agile,

Cotillon simple et souliers plats .

und die ganze übrige Fabel.

...

Dann in Eiche und Schilfrohr wie klar die Darstellung einer sumpfigen Gegend, und des Sturmes, der die Eiche entwurzelt.

In unzähligen andern wird mit wenigen Worten, oft sogar nur durch den Geist des ganzen Gedichts die Einbildungskraft des Lesers in die Natur versetzt. Der Rabe, welcher, um dem Adler es gleich zu thun, sich auf den wolligen Rücken des Schafes setzt und darin verwickelt, wird ergriffen und - getödtet? o nein; der Hirte verübt keine so unnöthige Grausamkeit, sondern er denkt an die kleinen Kinder zu Hause

le prend, l'encage bien et beau,

Le donne à ses enfants pour servir d'amusette.

-

Aber auch gefühlvolle Worte, welche die Liebe zur Natur und zur Einsamkeit aussprechen, finden wir bei Lafontaine. Während die meisten Dichter seiner Zeit von der Natur nur aus hergebrachter Tradition sprechen und mit dem obligaten Aufwande mythologischer Namen, deren Bedeutung ihnen verschlossen war; während für sie und dies bezeichnet so recht ihre Entfremdung von der Natur ein einsames Thälchen eine abscheuliche Einöde und ein Fels ein trostloses Chaos ist, vor welchem sie zurückweichen, sagt Lafontaine : „Ich kann sagen, dass mir Alles unter dem Himmel zulächelte. Für mich war die ganze Welt voll Herrlichkeiten, ich war gerührt von den Blumen, den Liedern, den schönen Tagen." Es klingt etwas wie die Melancholie der Méditations poétiques aus folgenden Versen hervor:

Solitude où je trouve une douceur secrète,

Lieux que j'aimais toujours, ne pourrai-je jamais,

Loin du monde et du bruit, goûter l'ombre et le frais!
Oh! Qui m'arrêtera sous vos doux asiles!

que les ruisseaux m'offrent de doux objets, Que je peigne en mes vers quelque rive fleurie!

Für seine Zeitgenossen war die Natur tódt; durch ihre ideale aber kalte Verstandespoesie war ihnen das Verständniss für die sinnliche Welt abhanden gekommen. Lafontaine allein repräsentirt den Realismus, der die nahe liegende Welt der alltäglichen Erscheinungen zum Gegenstande seiner Betrachtung erhebt und sie künstlerisch gestaltet. So verbindet er, sowohl durch die Stoffe, die er wählt, als durch seine realistische, aber durchaus poetische Behandlung derselben, das Mittelalter mit der Neuzeit, er verknüpft, wie Ste. Beuve nicht unpassend sagt, das siebenzehnte Jahrhundert mit der Vergangenheit und der Zukunft.

Auf den ersten Anschein mag es nun sonderbar erscheinen, wie ein moderner französischer Dichter, der mit hoher Begeisterung und tiefem Gefühle der Schönheit der Natur, den melancholischen Reiz der Wälder, Thäler und Seen besungen, wie Lamartine über den ebenso naturliebenden Lafontaine den Stab hat brechen können. Im ersten Buche seiner Selbstbiographie schreibt

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