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Der Kuss erlöst die Brunhilde; er ist das Zeichen der Verlobung, der Ehe; dadurch verliert die Jungfrau ihre übernatürliche Kraft, sie wird nach Odins Rathschluss ein Weib wie die andern; sie geht ein zu allen Freuden und Leiden des gewöhnlichen Menschenlebens.

Nun beginnt ein hoch poetisches Fürstenleben, wie bei Heinrich dem Löwen, bei Herman von Thüringen, bei den edlen Babenbergern oder wie in Schwaben, wo einst so hell vom Staufen die Ritterharfe klang." Edle Ritter umdrängen den Thron, „sie können ihre Augen nicht vom lichten Throne wenden." Wie die Templeisen sich um den Parcival und um die Konduiramur schaaren, so hier die Krone und die Blüthe der Ritterschaft um den Königssohn und um die Rose sonder Dornen, um die Taube ohne Gallen.

Aber wenn auch der Königssohn daheim in der Halle erwachsen war:

Mit Linden schälen,

Sehnen winden,

Bogen spannen

Und Pfeile schäften,

Spiesse werfen,

Lanzen schwingen,

Hengste reiten,

Hunde hetzen,

Schwerter ziehen,

Den Sund durchschwimmen,

80 war doch auch zu ihm der Gott gekommen und hatte ihm Runen gelehrt, Zeitrunen und Zukunftsrunen.

Er stritt mit Rigr
Dem Jarl in Runen,
In allerlei Witz
Erwarb er den Sieg.

Nicht allein Fülle der Heldenkraft ist ihm gegeben, sondern auch volles Verständniss des geistigen Lebens. Er ehrt die Sänger und Dichter, er würde auch einen edlen Taillefer aus unwürdiger Knechtschaft befreien. Nun ist die Zeit erschienen, welche die Dichter so lange ersehnt haben. Meine Augen haben.

den Herrn gesehen, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, so sprach der alte Sänger an den Füssen des Thrones:

Er greifet in sein Saitenspiel,
Das ist gar hell erklungen,
Er hat in Licht und Seligkeit
Sein Schwanenlied gesungen.

So ist ein mittelalterliches Reich gegründet, unter einem solchen Fürsten hat es geblüht; er sprach zur rechten Stunde das rechte Wort und „aus den alten Trümmern ist ein Königsschloss gestiegen."

Das dritte Gedicht, „,des Sängers Fluch," zeichnet uns den Verfall der Monarchie.

Wenn das erste Gedicht, dem ernsten Charakter des latinischen Volkes und dem Ernste des Stoffes entsprechend, in längerem, jambischem Versmass geschrieben ist, das zweite dagegen in muntern springenden Weisen dahinrollte, so geht diese dritte Dichtung in dem ernsten Ton der Nibelungenstrophe einher.

Inmitten der Wonne irdischen Glanzes wohnt

... ein stolzer König, an Land und Siegen reich,
Er sass auf seinem Throne so finster und so bleich;

Denn was er sinnt, ist Schrecken und was er blickt, ist Wuth,
Und was er spricht, ist Geissel, und was er schreibt, ist Blut.

Ein Sängerpaar ziehet zum Schlosse und singt dort:

von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit, Von Freiheit, Männerwürde, von Treu und Heiligkeit.

Sie singen so, dass die Höflingsschaar im Kreise allen Spott verlernt und des Königs trotzige Krieger sich vor Gott beugen. Da wirft der König, erzürnt auf die Verführer des Volkes, sein Schwert,

....

das blitzend des Jünglings Brust durchdringt,

D'raus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hochauf springt.

Aus dem Schlosse zieht der Sängergreis, der die gemordete Jugend mit sich führt; doch am Thore hält er still und ruft über Schloss und Gärten den schauerlichsten Fluch:

Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehört,
Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört,
Nur Eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht,
Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.

Und rings statt duft'ger Gärten ein ödes Haideland,
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand,
Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch;
Versunken und vergessen, das ist des Sängers Fluch.

Ja, verachtet nur erst Kunst und Wissenschaft, des Menschen allerbeste Kraft, spricht Mephistopheles, dann seid ihr mir verfallen. Es ist wohl nicht weiter nöthig durch historische Bilder des Sängers Fluch zu illustriren; ich glaube, was der Dichter damit hat sagen wollen, liegt klar zu Tage.

Aber nicht schliesst der Dichter mit so trostlosem Bilde; er zeigt uns im vierten Liede, ,,die versunkene Krone" betitelt, was an die Stelle jener düstern Pracht getreten ist. Auf dem Hügel droben, da steht nicht eine Ritterburg, ein stolzes Schloss, sondern ein kleines Haus, von dessen Schwelle man weit in's Land hinaussieht.

Dort sitzt ein freier Bauer
Am Abend auf der Bank,
Er dengelt seine Sense

Und singt dem Himmel Dank.

Und drunten, am Fusse des Hügels, da liegt in der Dämmerung ein Teich, in dem eine Krone versunken ist.

Sie lässt zur Nacht wohl spielen
Karfunkel und Saphir;

Sie liegt seit grauen Jahren,

Und Niemand sucht nach ihr.

Solches Alles ist in der Schweiz geschehen und darum feiert Uhland in dem fünften Gedichte „Tells Tod" den Helden, der das vollbracht. Erinnerte nicht schon der freie Bauer, den er geschildert, an Werner Stauffacher, der da vor seinem neugebauten Hause sitzt, welches von schönen Stammholz gezimmert und mit sinnreichen Sprüchen geziert ist. Und der finstre König, ist es nicht Schillers Don Philipp? Dass Uhland hier

Schiller'sche Dichtungen vor Augen gehabt hat, zeigt eine Stelle dieses Liedes, in der er den Tell also anredet:

Weithin wird lobgesungen
Wie du dein Land befreit,
Von grosser Dichter Zungen
Vernimmt's noch späte Zeit.

Deshalb will er dem grossen Dichter nicht nachsingen die grosse That, sie möchte für sein einfaches Lied zu gewaltig sein. Er will nur nach dem grossen das schlichte Heldenthum noch preisen, denn:

Der ist ein Held der Freien,

Der, wenn der Sieg ihn kränzt,
Noch glüht, sich dem zu weihen,
Was frommet und nicht glänzt.

Uhland benutzt zu diesem Zwecke die schöne Sage von der Art, wie Tell sein Leben verlor.

Der wilde Schächen brauste aus der Schlucht hervor, brach die Brücke und spülte den Knaben weg, der auf dem Stege ging. Des Weges kam der Tell, sprang hinein in die tobende Fluth und rettete das Kind. Aber ihn, den Helden, trug der wirbelnde Gischt davon und

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... als nun ausgestossen Die Fluth den todten Leib,

Da stehn um ihn ergossen

In Jammer, Mann und Weib.

Der Tell ist todt, der Tell!

Solche Helden, meint der Dichter, sind die rechten Helden der Neuzeit! Ich glaube nicht, dass ich den schlichten Mann falsch verstanden habe, den ernsten, schweigsamen Schwaben, der Nichts wissen will von mittelalterlichem Prunke in der Neuzeit. Er weiss ja sehr wohl, dass auch jene Vergangenheit herrlich gewesen ist, er hat ja eifrig die Zeit der Hohenstaufen studirt, aber er weiss auch, dass nach jenen Kaiserrittern aus der Schweiz der Graf von Habsburg kam; jener Graf, der sein schlichtes graues Wamms sich selbst flickte, der seinen Hunger mit einer rohen Rübe stillte, welche er aus dem Acker zog.

Uhland weiss wohl, dass mit ihm eine neue Zeit begann, in der jene glänzenden Tugenden der Ritterzeit von untergeordnetem Werthe sind. Trauer aber ergreift den Dichter, wenn er im Vaterlande umherblickend sieht, wie man die Nothwendigkeit der neuen Zeit noch nicht erkennen will. Eine Sage seines Vaterlandes benutzend (Schwab, Schwaben S. 128.) singt er in dem sechsten Gedichte von einer Glockenhöhle. Sie ist mit Bergkrystall gewölbt und von einem Gotte mit seltnem Hall begabt. Alles Hohe und Reine klingt lieblich und reizend in ihr wieder, so wenn zwei Liebende unschuldigen Herzens ihr erstes Ja tauschen. Wenn trunkne Lieder in ihr erschallen, dann rauscht es in ihr wie in Empörung, dann klingt es wie Feuerlärm und Sturmgeläut. Die Glockenhöhle ist unser Vaterland; für alles Hohe und Edle hat unser Volk Sinn, von allem Gemeinen wendet es sich mit Abscheu ab; nur eins fehlt ihm: der rechte Sinn für's Vaterland:

Zween Männer, ernst und sinnig,
Vereint durch heil'ge Bande,
Sie reden dort so innig
Vom deutschen Vaterlande;

Da tönt die tiefste Kluft entlang

Ein dumpfer Grabesglockenklang.

Ein Mann wie Uhland, der so tief von dem Gedanken durchdrungen ist, dass die Zeit des Mittelalters vorüber sei, dass eine neue Zeit begonnen hat, der kann unmöglich die Kirche des Mittelalters als die rechte anerkennen, er wird und muss von Grund seines Herzens aus Protestant sein. Und das ist er auch. Wenn er im siebenten Gedichte, „in der verlorenen Kirche" seine Sehnsucht nach dieser ausspricht, so meint er nicht, wie Einige geglaubt haben, damit die vergangene Herrlichkeit der katholischen Kirche, nein, er meint vielmehr, dass durch die Missbräuche in dieser Kirche die wahre, unsichtbare Kirche verloren ist und deutet diese seine Ansicht in dem neunten Gedichte das versunkene Kloster" betitelt, sehr verständlich an. Die unsichtbare Kirche also sucht er, deren Haupt und Führer Christus ist.

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In beiden Gedichten, im siebenten und achten, benutzt der Dichter alte Sagen, so namentlich im ersten derselben eine

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