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Sobald also die Latinischen Bauern befreit waren von missverstandener Gottesfurcht, da begann die Blüthe ihres Stammes und dauerte so lange, als die Scheu vor dem wahrhaft Göttlichen in ihnen lebendig blieb. So wie aber diese verschwunden und an ihre Stelle Cärimoniendienst getreten war, so wie ein Augur nicht mehr den andern ansehen konnte, ohne zu lachen, da sank der Stern Roms und in Trümmer fiel das römische Weltreich.

Ein neues Volk trat auf den Weltschauplatz. Neue Reiche entstanden und zwar in anderer Form. Uhland theilt nicht jene abgeschmackte Anschauung von der Entstehung monarchischer Staaten, wie sie im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert gebräuchlich war. Bekanntlich nahm man da an: Ursprünglich habe ein bellum omnium contra omnes stattgefunden, dann sei man dessen überdrüssig geworden und hätte sich dahin geeinigt, man wolle einen Theil seiner Freiheit an eine kräftige, energische Persönlichkeit abtreten, welche dafür den Schutz der Einzelnen übernehmen solle. So weit aber die Geschichte zurückweist, finden wir diese Anschauung nicht bestätigt; durch Vertrag ändern und erneuern schon bestehende Staaten ihre Verhältnisse, neue aber entstehen nicht dadurch. Wo in irgend einer menschlichen Vereinigung eine von Gott höher als die Umgebung begabte Persönlichkeit auftritt, da wird sie zur Herrschaft gelangen und von Gottes Gnaden regieren. In den Wirren der Völkerwanderung sehen wir solcher Herrscher viele heraustreten, die aus den zerbröckelnden Staaten neue Königreiche sich erwarben und dann auf Grund der in ihnen wohnenden göttlichen Kraft herrschten und Dynastieen gründeten. Uhland nun zeigt uns Alles dies in dem zweiten Gedichte: der Königssohn.

Er nennt keinen Namen, er erwähnt keine Zeit und doch hat die Dichtung eine so bestimmte Färbung, dass man das Alles leicht ergänzt.

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Der alte, graue König sitzt auf seiner Väter Throne; er fühlt sein Ende nahen und theilt seine Lande unter seinen ersten und zweiten Sohn.

Mein dritter Sohn, mein liebstes Kind!

Was lass' ich dir zum Pfande?

Gieb mir von allen Schätzen nur

Die alte, rostige Krone.

Gieb mir drei Schiffe! so fahr' ich hin

Und suche nach einem Throne.

Auch Parcivals Vater will, da er jüngerer Sohn des Hauses ist, von seinem Bruder Nichts annehmen, als die Ausrüstung und ein Pergament, wodurch bezeugt wird, dass er ein Spross des Hauses Anjou sei.

Wie mancher skandinavische Seekönig besass Nichts mehr, als einen Thurm am Strande und die weite Salzfluth als sein lustiges Reich. Mit seinen Huskarlen bestieg er dann die Drachen, um auf wunderbaren Fahrten Schätze des Südens zu erwerben.

So fährt auch unser Wiking hin:

Die Sonne strahlt, es spielt die Luft
Mit seinen goldnen Haaren.

Das Ruder schallt, das Segel schwillt,
Die bunten Wimpel fliegen;
Meerfrauen mit Gesang und Spiel

Sich um die Kiele wiegen.

Aber da unten lauert die tückische Ran: die Wogen erheben sich und

Verschlungen ist der Königssohn

Sammt seinem lust'gen Reiche.

Alle Gefährten ertrugen es nicht, dass ihre zweite Mutter, das Meer, in seinen Riesenarmen sie wiegte; nur ihn, den Königssohn trug die Fluth an's Land. Dort nahm ihn, der Alles verloren und nur die Krone gerettet hatte, ein armer Fischer freundlich auf. Die germanische Sage des Nordens erzählt oft von solchen Helden, die nackt und bloss an's Land geworfen, später die Retter und Beglücker des Reiches geworden sind. So kam Lohengrin nach Brabant, der nur Ring, Schwert und Horn mit sich führte. Ipse Scëf, so meldet die alte Sage, cum uno dromone advectus est in insula oceani, quae dicitur Scani, armis circumdatus, eratque valde recens puer et ab incolis illius terrae ignotus, attamen ab eis suscipitur et ut familiarem

diligenti animo cum custodierunt et post in regem eligunt. Leo sagt im Béöwulf S. 34 über diese Sage Folgendes:

Bei Dänen und Angeln, wol auch bei den Frisen an der see kömt der held ausz dem meere; bei Franken, Oberdeutschen und Longobarden ausz binnengewäszern; die dänischen Scildingen bringen den gewafneten auf dem schilde ruhenden heldensprosz in die sage; die fränkischen Merwungen den meerman; etc. Alle diese besonderen Züge sind also accomodationen, sind dasz zufällige an der sage; der dem waszer entsteigende stamheld unbekannter herkunft, welcher dem lande in drangvoller Zeit zu hülfe komt, ist der feste algemeine grund der sage.

Bei dem Fischer weilt der Königssohn eine Zeit lang; er treibt das Gewerbe; aber er erangelt Nichts:

Ich angle nicht nach Fischen!
Ich sah im Meeresschacht,
Wohl jeder Angel allzutief,
Viel königliche Pracht.

Und wie erwirbt er das so heiss Ersehnte?

Der Dichter schildert uns das in den folgenden Theilen des Gedichtes; während er in den vier ersten Abtheilungen Jamben gebraucht hat, geht er im fünften Abschnitt in ein lebendigeres Versmass über, weil hier die Schilderung der Heldenthaten beginnt. Er gebraucht drei Hebungen und gewöhnlich hinter jeder Hebung zwei Senkungen, so dass das Versmass dem daktylischen ähnlich wird.

Der Königssohn vernimmt, dass ein wilder Leu das Land verwüstet;

Doch werd' ich ihn stürzen

Mit dem Speer in starker Hand,
Um die Schultern mir schürzen
Sein Goldgewand.

Der Aar, ein König, schwebet auf,
Er rauschet in Wonne,
Will langen sich zur Kron' herab
Die goldne Sonne.

Doch in den Wolken hoch
Soll ihn fahen und spiessen

Mein geflügelter Pfeil,

Dass er mir sinke zu Füssen.

Wie Alexander den Bucephalus, so bändigt er ferner ein. wildes Ross und wie er auf ihm vom Gebirge her in's Thal herabsprengt:

Da drängt sich alles Volk herzu

Mit Jubel und Gesange:

„Heil uns, er ist's, der König ist's,

Den wir erharrt so lange."

Erworben ist dem Jarl die Herrschaft; er herrscht nun, wie die Edda singt, in hohen Hallen und weiten Burgen und theilt Gold und Geschenke mit vollen Händen aus. Aber es fehlt noch die Herrin des Hauses. Das Rigsmal beschreibt uns sehr naturgetreu, wie verschieden die Stände bei Eingehung der Ehe sich benehmen. Der Thräl, Der Thräl, oder Schalk, also der Knecht, schliesst die Ehe in folgender Weise: Zu ihm kommt in den Bau

Die Gängelbeinige,
Schwären am Hohlfuss,
Die Arme sonnverbrannt,
Gedrückt die Nase,

Thyr die Dirne

Breit auf die Bretterbank

Sass sie alsbald,

Ihr zur Seite

Des Hauses Sohn,

Redeten, raunten,

Ein Lager bereiteten,
Da der Abend einbrach,

Der Enk und die Dirne.

Zum Karl aber, zum freien Bauern:

Da fährt in den Hof

Mit Schlüsseln behängt

Im Ziegenkleid

Die Verlobte Karls;

Snör geheissen

Sass sie im Linnen.
Sie wohnten beisammen
Und wechselten Ringe,
Spreiteten Betten

Und bauten ein Haus.

Zuletzt der Jarl. Nachdem der Jarl viel Abenteuer bestanden, die Lanze oft geschwungen und den Wiesenplan geröthet hat, da fahren Edle auf feuchten Wegen zur gürtelschlanken, adligen, artlichen Erna und freien sie für den Jarl. Nach Kampf und Streit erst winket dem Edlen der Liebe Lohn. So singt auch Wolfram von Eschenbach: er hielte die Frau für krank am Witze, die ihn freie um seines Sanges willen; er wünsche nur der Liebe Lohn für sein Schildesamt; versagen möge ihm jede holde Frau ihre Gunst, wenn sie ihn im Kampfe weichen sehe. Und ich meine: das ist Recht. Die wahre Frau kann nur den Mann lieben, der wirklich ein Mann ist und nicht nur ein Sänger, Gelehrter oder Künstler. Des Mannes Bestimmung soll immer, wie Wolfram singt, Schildesamt sein. Der wirklich edle Germane freit anders wie der Romane und Orientale. Ihm steht sein Ideal, seine hohe Fraue gegenüber, unantastbar, wie gefeit in der Kraft ihrer Jungfräulichkeit. Hinter der webenden Lohe, der Schildburg, hinter der Dornenhecke, auf dem Glasberge oder auf dem Drachenfels, da ruht die Brunhilde, die Schildjungfrau, das Dornröschen, der unnahbare Drache. Nur der rechte Held kann durchdringen, nur der Königssohn, der Auserwählte ist ohne Schwert und Schild

....gar keck hinaufgedrungen,

Die Arme wirft er um die Schlang'
Und hält sie fest umrungen.

Er küsst sie dreimal in den Schlund,
Da muss der Zauber weichen,

Er hält im Arm ein holdes Weib,
Das schönst' in allen Reichen.

Die herrliche, gekrönte Braut,
Hat er am Herzen liegen,
Und aus den alten Trümmern ist

Ein Königsschloss gestiegen.

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