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Hauptvorstellung, in welcher die im Gedicht herrschende Emfindung wurzelt, ist der Gedanke, dass er dort empfängliche, gleichgestimmte Herzen für seine lodernden Gesänge finden würde, was sich in den Schlussworten der schildernden Partie concentrirt ausspricht:

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Die allmählich sich steigernde Thätigkeit der Einbildungskraft lässt dem Dichter das geträumte Glück als ein wirkliches erscheinen. Während in den Strophen 2 bis 4 noch überall das Verbum in conditionaler Form auftritt (,,Dann zöge ich dann hielte ich dann strömte ich dann hinge ein ganzes Volk" u. s. w.), stellt sich dafür von Str. 5 an plötzlich das Präsens ein („Nomaden sind ja meine Hörer" u. s. w.). Aber eben diese wachsende Lebendigkeit der Einbildungskraft führt nothwendig zur Auflösung der Selbsttäuschung. Der Gegensatz des imaginirten Glücks zur Wirklichkeit wird zuletzt so gross, dass die Freude, womit sich der Dichter an dem vorgespiegelten Zustande weidet, in Schmerz um die Gegenwart und in Sehnsucht umschlägt. Diese Umbildung der Empfindung kündet sich schon in den Ausrufungen der Str. 10 an und spricht sich endlich in Str. 11 bestimmt aus. Auch hier also lässt sich weder der Entwicklungsgang des Gefühls noch die Art des Ausklingens zwanglos unter eine der obigen allgemeinen Formeln bringen. Ein aus einer Phantasie vorstellung herfliessendes Gefühl steigert sich durch wachsende Thätigkeit der Phantasie, endet im Bewusst werden der Realität und bildet ein anderes Gefühl aus sich hervor, mit dessen Ausdruck das Gedicht abschliesst.

3) Es tritt hier der Gedanke nahe, dass eine Metamorphose der Empfindung, wie wir sie in den beiden vorher besprochenen Gedichten beobachteten, wenn auch naturgemäss, doch unter Umständen dem Eindruck des Ganzen nachtheilig sein könne. In der That scheinen sich die Dichter manchmal gegen eine solche schliessliche Umbildung der Empfindung zu sträuben; 80 z. B. Schiller im Gedicht „Herculanum und Pompeji." Vor vielen Jahren hatte ich in einer Erläuterung desselben (Ausgewählte Stücke deutscher Dichter u. 8. w. von H. Viehoff.

Emmerich 1838) über den Abschluss dieses Gedichts folgendes Bedenken geäussert: „Nach meinem Gefühl hätte das Gedicht nicht da abgebrochen werden sollen, wo der Dichter es geschlossen. Durch das ganze Stück zieht sich der Ausdruck einer auf starker Phantasie-Erregung beruhenden Selbsttäuschung hindurch. Beim Anblick des ganzen unveränderten Locals, der Strassen, des Porticus, des Theaters, des Forums u. 8. w. glaubt der Dichter auch jeden Augenblick die Bewohner, die Spaziergänger, das Theaterpublicum, die Richter und Processführenden erscheinen zu sehen. Noch lebhafter, dringender werden diese Erwartungen als er in ein Haus tritt und dort durch Alles an Leben und Lebensgenuss erinnert wird. Dennoch bleibt es einsam und graunvoll stille um ihn her. Muss sich da nicht jene Illusion ausleben? Muss sie nicht in eine elegische Stimmung umschlagen und in dieser ihr Ende finden? Schiller hat uns ein in fortwährender Steigerung begriffenes Gefühl dargestellt, das in dem Stücke keinen Wende-, keinen Beruhigungspunkt findet. Hindeutungen auf ein beginnendes Sichausleben dieser Empfindung hat der Dichter allerdings dem Stücke gegen das Ende hin eingestreut, z. B. die sehnsuchtsvolle Frage: " Warum bleiben die Priester nur aus?" und den dringenden Zuruf: „O kommt und zündet lang schon entbehrte der Gott - zündet die Opfer ihm an!" Aber bis zu einer vollkommenen Enttäuschung, bis zu einer Auflösung der, wenn auch aus freudiger Aufregung hervorgegangenen, doch mit etwas peinlichem Staunen sich mischenden Illusion in ein klarbewusstes Gefühl der Trauer um das längstversunkene grosse römische Leben hätte, nach meiner Ansicht, das Gedicht fortgeführt werden müssen." — Dagegen bemerkte nun Hoffmeister in seinem bekannten Leben Schiller's: In den Göttern Griechenlands hatte Schiller seine Sehnsucht nach der Hellenenwelt rührend und erschütternd ausgegossen; in milderer Klage hatte er in den Sängern der Vorzeit den entschwundenen Volkssinn für Schönheit und Kunst zurückgewünscht; hier, in Pompeji und Herculanum, bewillkomnet er freudig das Geschlecht und die Zeit als neu erstanden. Das ist die Bedeutung des Gedichtes. Und darum ist das Entzücken ganz rein durchgehalten bis zu Ende, und die Illusion der Phantasie nicht am Schlusse des Gedichtes der

Wirklichkeit zur Beute gegeben. Die Composition wäre durch einen elegischen Ausgang abgeschwächt worden." Dass der Dichter das Festhalten der Illusion vielleicht angestrebt, mag eingeräumt werden; aber es fragt sich, ob dies mit dem nothwendigem Entwicklungsgange des dargestellten Gefühls vereinbar, ob es nicht naturwidrig und darum zugleich kunstwidrig war. Der Dichter bewillkommnt nicht, wie Hoffmeister behauptet, das Geschlecht als wiedererstanden; vielmehr vermisst er überall entschieden die Menschen. Schon V. 5 zeigt, dass er sie nicht vor sich sieht. In V. 8 wiederholt er dringender die Einladung an sie, zu erscheinen. Er erblickt das Theater und wünscht, dass sich die Menge hineinstürzen möge. Auch die Mimen bleiben aus (V. 11). So säumen auch die Knaben (V. 33); die Männer, die Alten (V. 45), die Priester (V. 50) wollen nicht erscheinen. Entbehrt aber der Dichter die Menschenwelt, so kann auch sein Entzücken nicht rein bleiben, und die Illusion muss zuletzt nothwendig in einer klarbewussten elegischen Stimmung ihr Grab finden.

4) Wie über den Ausgang des eben besprochenen Gedichts zwei Interpreten, so sind über das Ende von Goethe's „Alexis und Dora," was freilich mehr in's Gewicht fällt, zwei Dichter, und zwar unsre beiden grössten Dichter verschiedener Meinung. Als Goethe das Stück an Schiller übersandt hatte, sprach dieser ihm in einem Briefe Bewunderung und Beifall aus; nur an dem Schlusse nahm er Anstoss. Um dies näher zu erläutern, wird es nöthig sein, den Inhalt zu überblicken. Wir treffen den Helden des Stücks im Anfange schon auf offener See:

Vorwärts dringt der Schiffenden Geist, wie Flaggen und Wimpel; Einer nur steht rückwärts traurig gewendet am Mast.

Dann geht die Erzählung sogleich in leidenschaftlichen Monolog über. Wir erfahren, dass Alexis eine Geliebte daheim lässt, aber nur einen Augenblick beglückt gewesen. Erst gegen V. 40. beginnt er das Vergangene in mehr geordneter Reihenfolge sich vorzuführen. Er erinnert sich, wie er sie Jahre lang schon beobachtet:

Oefter sah ich zum Tempel Dich gehn, geschmückt und gesittet, Und das Mütterchen ging feierlich neben Dir her.

Aber er hatte sie ohne den Wunsch des Besitzes betrachtet, Wie man die Sterne sieht, wie man den Mond sich beschaut. Erst im Moment der Abfahrt erwachte die beiderseitige, tief im Herzen schlummernde Neigung wie auf einen Zauberschlag und ward zur leidenschaftlichsten Liebe. Er hatte von den Eltern bereits Abschied genommen und sprang nun, das Reisebündelchen unter dem Arm, in's Freie hinaus; da fand er sie, die Nachbarin, an an der Thüre ihres Gartens stehen. Freundlich ersuchte sie ihn, in der Ferne einen Einkauf für sie zu besorgen, und lud ihn dann ein, noch einige Früchte aus ihrem Garten mitzunehmen. Als sie diese nun in der Gartenlaube zierlich in ein Körbchen geordnet hatte und im Begriff stand, ihm das Geschenk zu überreichen, „drückte Amor's Hand sie gewaltig zusammen." Von dem suchenden Knaben fortgetrieben kam er wie ein Trunkener auf das Schiff, und hier nun versenkte er sich zuerst in die Erinnerung an das eben Erlebte; dann richtete er (V. 113) seine Gedanken auf die Zukunft und beschliesst, der Geliebten den kostbarsten Brautschmuck und zugleich Gaben, wie sie ein häusliches Weib liebt, mitzubringen. Aber diese lieblichen Bilder der Hoffnung werden plötzlich vom Gespenst der Eifersucht verscheucht --und mit dieser Wendung des Gedichtes war Schiller nicht zufrieden. „Dass Sie die Eifersucht," schrieb er an Goethe, „so dicht neben die Hoffnung stellen, und das Glück so schnell durch die Furcht wieder verschlingen lassen, weiss ich vor meinem Gefühl noch nicht ganz zu rechtfertigen, obgleich ich nichts Befriedigendes dagegen einwenden kann. Dieses fühle ich nur, dass ich die glückliche Trunkenheit, mit der Alexis das Mädchen verlässt, gern immer festhalten möchte." Goethe, in seinem Antwortschreiben, nahm einen Rechtfertigungsgrund für sein Verfahren aus der Natur," weil wirklich jedes unerwartete und unverdiente Liebesglück die Furcht des Verlustes auf der Ferse nach sich ziehe; und damit übereinstimmend äusserte er noch in späten Jahren im Gespräch mit Eckermann: An diesem Gedicht tadelten die Menschen den starken leidenschaftlichen Schluss und verlangten, dass die Elegie sanft und ruhig ausgehen solle, ohne jene eifersüchtige Aufwallung. Allein ich konnte nicht einsehen, dass jene Menschen Recht

hätten. Die Eifersucht liegt hier so nahe und ist so in der Sache, dass dem Gefühl etwas fehlen würde, wenn sie nicht da wäre." Man sieht, das in der Natur begründete, das psychologisch Wahre ist für Goethe das Massgebende; aber dennoch liegt dem Bedenken Schiller's ein wohlberechtigtes Gefühl zu Grunde. Nicht jede dem natürlichen Entwicklungsgange einer Empfindung entsprechende Evolution ist darum auch schon den Zwecken der Kunst entsprechend, und man darf wohl als allgemeine Regel aufstellen, dass keine Umbildung eines Gefühls, die den durch das Gedicht hervorgebrachten Gesammteindruck beeinträchtigt oder gar (wie dies so oft in Heine'schen Gedichten der Fall ist) vernichtet, zum Abschluss desselben verwendet werden darf. Goethe scheint im vorliegenden Falle auch selbst das Gefühl gehabt zu haben, dass die Darstellung der Eifersucht das Gedicht nicht zweckmässig abrunde. Er nahm daher eine mehr äusserliche Abgrenzungsart, worüber später noch die Rede sein wird, zu Hülfe, eine Anrede an die Musen:

,,Nun, ihr Musen, genug! Vergebens strebt ihr zu schildern,
Wie sich Jammer und Glück wechseln in liebender Brust.
Heilen könnet die Wunden ihr nicht, die Amor geschlagen;
Aber Linderung kommt einzig, ihr Guten, von euch."

Er nennt diese Verse in einem der Briefe an Schiller „die Abschiedsverbeugung des Dichters, wodurch das Leidenschaftliche wieder in das Leidliche und Heitere zurückgeführt wird.“

5) Man kann, nach der Betrachtung der vorhergehenden Gedichte, fragen, ob denn zum festen Abschluss eines lyrischen Gedichtes jedesmal eine Art von Umbildung des Gefühls, ein Uebergang in eine Stimmung von verschiedenem Charakter, erforderlich sei. Darauf ist zu erwiedern, dass in vielen Fällen eine Entwickelung der Empfindung bis zu ihrem Culminationspunkt, oder, wenn die Empfindung anfangs dunkel und unbestimmt ist, eine Aufhellung derselben bis zu völliger Klarheit uud Bestimmtheit einen durchaus befriedigenden Abschluss des Gedichtes herbeiführt. So ist Geibel's Morgenwanderung" ein schönes Beispiel allmäliger Hervorbildung und Steigerung des Gefühls bis seinem Höhenpunkte. Erst Kirchenstille des Waldes in Str. 1.

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