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Lessings „Nathan" in Ungarn.

Von

Anton Herrmann.

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m vorigen Jahrhundert und auch noch in den ersten Dezennien dieses Jahrhunderts war es eben Wien, das die Werke deutscher Dichtung nicht nur nach Ungarn nicht vermittelte, sondern wo

möglich den Einfluss derselben auf das geistige Leben Ungarns hemmte. Statt vieler Beispiele nur das eine: schon 1779 erschien zu Wien ein Nachdruck von Lessings Nathan. Wahrscheinlich war die Wirkung desselben nicht nach dem Geschmack des Wiener Hofes und seiner Regierung voll jesuitischer Tendenz; denn „Nathan“ wurde in den Index librorum prohibitorum (1779-80) aufgenommen und demgemäfs in der ganzen Monarchie, daher auch in Ungarn, verboten. Erst unter Josefs II. freisinniger Regierung wurde dies Verbot aufgehoben und die im Nathan niedergelegten Ideen begannen in Ungarn sich zu verbreiten. Der in der ungarischen Litteratur unter dem Namen „deutschgriechische Schule" bekannte Dichterkreis beschäftigte sich eingehend und mit Vorliebe mit Lessing. Kazinczy übersetzte drei Dramen (Emilia Galotti, Mifs Sara Sampson und Minna von Barnhelm) und erwähnt in seinen Schriften häufig den Nathan. So z. B. erzählt er in seinem Werke: Pályám emlékezete (Erinnerungen an meine Laufbahn), dafs er 1780 seine Übersetzungen aus dem Deutschen einem deutschen Prediger in Raab zeigte. Im Zimmer des Geistlichen hingen an den Wänden die Bilder deutscher Schriftsteller, darunter auch Zollikofers und Lessings Bild. „Jenen mit Ehrfurcht erwähnend, rief er beim Namen des Dichters des Nathan unwillig aus: Ach der gefährliche Feind des Christentums!" Selbst in einem Privatbriefe vom 1. Januar 1805, worin er seinen Freund, den Dichter Johann

Kiss, von seiner Verehelichung mit der katholischen Gräfin Sophie Török verständigt, schreibt er: „Ich schrak auch vor dem Unterschied in der Religion zurück; nicht defshalb, als wenn ich Lessings Nathan und seinen liebenswürdigen Tempelherrn nicht kennen würde, aber aus anderen Gründen."

Von andern älteren ungarischen Dichtern, welche den Nathan erwähnen und zitieren, in deren Werken der Einfluss des Nathan sich offenbart, verdient besonders erwähnt zu werden Kölcsey, den man auch den ungarischen Lessing nannte. Besonders das I. Kapitel seines Werkes: Töredékek (Bruchstücke), dessen Titel lautet: „Mik azon okok, melyek az embereket a vallásra nézve türökké vagy nem türökké csinálják“ (Welches sind die Gründe, welche die Menschen in Bezug auf die Religion tolerant oder intolerant machen) enthält den Grundgedanken des Nathan, aus dem auch eine Stelle (über den Aberglauben) zitiert ist.

In den Vierziger Jahren begann die eigentliche Periode Nathan'scher Ideen in Ungarn. Deák, Széchenyi, Kossuth kämpften mit Wort und Schrift für die allgemeine Toleranz. In dieser Zeit pflog man auch Verhandlungen über die Gleichberechtigung aller Religionen in Ungarn und zahlreiche Flugschriften und Tendenzromane behandelten die Rechtsgleichheit der Menschen, die Emanzipation der Juden u. s. w. (z. B. Péter Vajdas Novellen und Siegmund Ormos ganz in Nathans Geiste gehaltener Roman: „Véres bosszú“ Blutige Rache 1839). In eben dieser Zeitperiode wurde auch Lessings Nathan zweimal ins Ungarische und zwar für Bühnen übersetzt und die Aufführung des Stückes von mehreren Schauspielertruppen an verschiedenen Orten des Landes geplant. Nach des Theaterdirektors, Herrn Miklósys Mitteilung, wurde „Nathan der Weise" zu Anfang der 40er Jahre auf den ungarischen Bühnen zu Szathmár und Debreczin aufgeführt.

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Die erste ungarische Übersetzung des Nathan wurde 1839 verfertigt und das Manuscript derselben befindet sich gegenwärtig in der Bibliothek des Budapester Nationaltheaters sub Zahl 685. 18. (Erwähnt auch in Koloman Benkös Werk: „Magyar színvilág" Ungarische Theaterwelt, S. 95.) Der ungarische Titel der Handschrift in 4° lautet deutsch genau also: Nathan. Dramatisches Gedicht in 5 Aufzügen. Geschrieben von Lessing. Nach der Einrichtung des k. k. Wiener Hoftheaters (Nathan. Drámai költemény 5 felvonásban. Irta: Lessing. A bécsi cs. kir. Udvari színház elrendezése után.) Die letztere Bemerkung mag irrig sein, denn der Text der

Übersetzung stimmt Wort für Wort mit dem Lessingschen Originaltext überein, während im Wiener Hoftheater der Nathan wohl in Überarbeitung aufgeführt worden ist. Auf dem Titelblatte befindet sich das alte Siegel der Bibliothek und die Bemerkung in ungarischer Sprache: „Zur königl. Censur eingesendet am 3. Sept. 1839. Fáncsy, Regisseur." Am Schlusse steht ungarisch die Bemerkung: „Mit Weglassung der ausgestrichenen Stellen, wird die Aufführung dieses Stückes im Theater erlaubt. Ofen, am 11. Okt. 1839. Gabriel Pap m. p. König. Statthalterei-Secretär."

Die für Bühnenzwecke verfertigte Übersetzung ist in schlechter, verschwommener Prosa gehalten und voll von Germanismen. Der unbekannte Übersetzer war der deutschen Sprache nur in geringem Masse mächtig und hat daher sehr viele Stellen gänzlich missverstanden. Obendrein hat die gewissenslose Censur mit wahrem Vandalismus das ganze Drama sinnlos zugestutzt und mehr als den dritten Teil desselben gestrichen. Alle die Stellen, wo von Gott, Engeln, Religion, Christentum, Gewissen, Wundern, Juden, Pfaffen und Fürsten u. s. w. die Rede ist, sind unbarmherzig getilgt. Ja selbst ganz unschuldige Partieen, wie z. B. die ganze Schachspielszene und die der Mameluken sind ausgemerzt worden. Selbst im Personenverzeichnis ist: Hospitalita Patriarcha (Hospitaliten-Patriarch) in: Hospitalita Comthurja (Comthur der H.) korrigiert, für: ein Mönch ein Klosterdiener gesetzt und: Ein Emir und Saladins Mameluken, in: Sklaven und Sklavinnen korrigiert.

Nach der Mitteilung des gewesenen Bibliothekars des Budapester Nationaltheaters ist die Aufführung des Nathan in den Geschäftsbüchern der Anstalt nicht erwähnt. Nach einer anderen Mitteilung aber soll das Stück im Jahre 1841 auf der ungarischen Bühne zu Pest aufgeführt worden sein (den Sultan spielte: Bertha, den Nathan: Megyeri, den Tempelherrn: Fáncsy). Ich habe die Pester ungarischen Theaterzettel und Zeitschriften aus dieser Zeit durchgesehen, aber nirgends eine Spur vom Nathan gefunden.

Ein gleichfalls interessantes Moment in der Geschichte des Nathan ist seine vom Klausenburger ungarischen Nationaltheater im Jahre 1844 geplante Aufführung und die zu diesem Zwecke verfertigte zweite ungarische Übersetzung dieses Stückes. In der ungarischen Zeitschrift: „Erdélyi Híradó" (Siebenbürger Bote) steht unter dem Datum: Klausenburg, 5. März 1844 (Nr. 19) folgendes: „Benachrichtigung. Das p. t. Publikum wird aufmerksam gemacht auf die am 10. dieses

Monats das ist am Sonntag auf unserer Bühne aufzuführende Stück: „Nathan der Weise" von Lessing, einem vorzüglichen Dichter der klassischen Periode; gleichwie ein gelangweiltes Gemüt nach tiefem Atem, ebenso sehnt man sich, nach den vielen den vielen derben französischen Stücken, ein ernstes herzergreifendes zu geniessen."

Der Stil dieser Benachrichtigung ist absonderlich, der Sinn aber richtig und zutreffend, besonders die letzte Bemerkung, die auch noch auf unsere Tage angewendet werden kann.

Das Manuscript der für diese Vorstellung verfertigten ungarischen Übersetzung des Nathan befindet sich in der Bibliothek des Klausenburger Nationaltheaters unter Zahl B 14. Auf dem Umschlag des Manuscriptes in 4° befindet sich das Siegel des Klausenburger Nationaltheaters und das der Lehnhard'schen Theateragentur (Pest). Der Titel dieser Übersetzung lautet deutsch also: „Nathan der Weise. Historisches Drama in fünf Aufzügen, ein klassisches Werk Lessings übersetzt im Jahre 1844 von Julius Kovács zu Klausenburg" (Bölcs Nathan. Történeti Dráma öt felvonásban Lessing remekje forditatott 1844-ik évben Kovács Gyula által Kolosvárt). Auch hier ist der Patriarch in ein Oberhaupt wandernder Pilger-Tautologie!) und der Mönch in einen Pilger-Gefährten verwandelt. Die Bemerkung des Censors lautet in deutscher Übersetzung: „Kann aufgeführt werden. Klausenburg, am 3. März 1844. Gyulay.“ (= Graf Ludwig Gyulay).

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Auch diese Übersetzung ist in schlechter Prosa geschrieben, wenn auch besser als die Pester ungarische Übersetzung. Der Text des Drama ist teils durch den Übersetzer selbst, teils durch den Censor bedeutend gekürzt, wenn auch nicht so barbarisch wie die Pester Übersetzung. Die nächste, vom 8. März datierte Nr. der erwähnten ungar. Ztschr. „Erdélyi Híradó“ berichtet, dafs statt Nathan am 10. März ein anderes Stück: „Még egy tisztujitás" (Noch eine Beamtenwahl) gegeben werde. Am 14. März war die letzte Vorstellung, worauf sich die Schauspielergesellschaft von Klausenburg entfernte und daher auch die Aufführung des Nathan unterblieb. Nach Koloman Benkös Mitteilung wollte in den fünfziger Jahren Josef Tóth den Nathan in Pest auf die Bühne bringen, aber seine Absicht verwirklichte sich wahrscheinlich infolge des vandalischen Verfahrens der Censur nicht. —

Ich will nun kurz die auf Lessing und nebenbei auch auf seinen Nathan bezügliche ungarische Bibliographie der Vollständigkeit halber

mitteilen. Nach dem Erscheinen von Stahrs Lessing-Biographie begann man sich in Ungarn von neuem mit Lessing zu beschäftigen. Einen Auszug aus Stahrs Werk teilte in ungarischer Übersetzung Dionysius Majthényi in der Ztschr. „Budapesti Szemle" 1863. Bd. 17 und 18 mit. Am eingehendsten behandelt den Nathan Georg Bartóks Aufsatz: „G. E. Lessing mint theologus“ (G. E. Lessing als Theologe) in der ungar. Ztschr. „Egyházi Reform" (1872 Nr. 8 und 10 S. 229-274). Siegmund Bodnárs Aufsatz über Viktor Cherbuliez Lessing-Studie in der Ztschr. „Budapesti Szemle“ (1873), Mitrovicz' Lessing-Studie in der ungar. Ztschr. „Sárospataki füzetek (1869) und Josef Szinnyey's ungar. Studie: „Plautus und Lessing“ (in der Ztschr. Philologiai Közlöny 1877) enthalten sozusagen Nichts über den Nathan.

Als das hundertjährige Jubiläum des Nathan gefeiert wurde, trat auch in Ungarn eine neue Bewegung ein. Anton Zichy las in der Sitzung der ungar. Akademie am 4. Februar 1877 eine Abhandlung über „Lessing" vor (erschienen im VII. Bd. Nr. III. der von der I. Klasse der Akademie herausgegeben Abhandlungen); ebenderselbe reichte der Kisfaludy-Gesellschaft seine ungarische Übersetzung des Nathan ein, die im Verlag der Franklin-Buchdruckerei zu Budapest in zwei Ausgaben erschien: die eine mit Lessings Bildnis 1879, 8o; die andere in der Kollektion: „Olcsó könyvtár" (Billige Bibliothek) 72. Bd. 1879, 16o. Die Übersetzung ist im Versmafs des Originals gehalten und trotz mancher Fehler und Mifsverständnisse eine Bereicherung der ungarischen Litteratur zu nennen. Zichys Übersetzung wurde eingehend rezensiert von Joh. Wigand in der ungar. Ztschr. „Philologiai Közlöny“ (1879. Heft 3, Seite 210-215), ebenso von Dr. Gustav Heinrich in der Ztschr. „Budapesti Szemle" (1879, Nr. 38, Seite 454—458), ferner erwähnt in der ungarischen Zeitschrift „Vasárnapi Ujság“ (1878, Nr. 50). Dr. Georg Bartók veröffentlichte in seinem ungarischen Kirchenblatte: „Egyházi és iskolai szemle" (1879, Nr. 12-15, 17 und 18) eine ausführliche Studie über den Nathan, wobei er gerade in den Fehler verfiel, gegen den der Nathan gerichtet ist, nämlich in die Intoleranz.

In der ungarischen Zeitschrift „Egyetértés" (1879, Nr. 131, 134, 135 und 136) veröffentlichte D. Scozza in ungarischer Übersetzung die Nathanstudie von Julius Fürst. Im Feuilleton der Zeitschrift,,Magyarország" (1879 Nr. 5) veröffentlichte Friedrich Hoffmann einen interessanten Aufsatz über Nathan, ebenso schrieb Ignatz Virányi einen

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