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zusammen und schliefst die Worte ein." Ich reproduziere sehr deutlich die Empfindung in den betreffenden Muskeln und die gespannte widerspruchsvolle Gemütslage der Enite wird mir sehr klar dadurch.

Auf die Mittel zur Darstellung des inneren Lebens müsste ich nun näher eingehen, wobei ich an die Andeutungen in meinem oben zitierten Gottfriedaufsatze anzuknüpfen hätte. Ich mufs indessen einstweilen hier abbrechen.

Würzburg.

Untersuchungen

zur Entwickelungsgeschichte des Stoffes von

Romeo und Julia.

Von

Ludwig Fränkel.

Ilb. Die Gestaltung des Stoffes durch Guyon. Vergleichung mit den anderen Berichten *).

W

ir wenden uns zu Einzelheiten des Guyonschen Textes und knüpfen unsere Ansichten über die litterarhistorische Nutzbarmachung dieses Fundes an ihm entnommene Stichworte an.

,A Veronne. Unsere Fassung geht hiernach auf eine Quelle zurück, die die Sage schon bestimmt in Verona lokalisiert. Ältester nachweisbarer Zeuge dieser Tradition ist Porto.

Juliette'. Die erweiterte Form Giulietta hat schon Porto, daher auch Bandello, demgemäss Boaistuau Juliette und Painter Julietta. Wie letzterer schreibt auch der Engländer Barnabe Rich**). Den

*) Vgl. Ztschr. N. F. III, 171–210.

**) In A right excellent and pleasant Dialogue betwene Mercury and a Soldier (1574) sagt er, dass die ‚pitifull history of Romeo and Juliet was represented upon tapestry'. Zu diesem in Sh.'s England üblichen Brauche vgl. Vatke Jahrb. 23,251 und Kulturbilder aus Alt-England S. 31 f., 35 ff.; Rye, England as seen by Foreigners p. 167 und dazu Cymbel. II 4,68 ff. (vgl. auch II 2, 26 ff.); Voss zu Merch. of V. I 1, 50 Janus u. V 1, 13 Medea. (Tamms,) Alte u. neue Anmkgn. zu Sh. S. 175 f. zu Temp. I 2, 136 Nobody; K. Henry IV. II. II 1, 157 ff.; für die höfische Ritterzeit: Dernedde, Über die den altfranzs. Dichtern bekannten episch. Stoffe des Altertums S. 119 f. u. 115, H. Kupfer, Die Burg in d. dtschn Dchtg. u. Sage I. (Prog. Realsch. Schneeberg 1880) S. 12, Schultz, das höf. Leben z. Zt. der Minnesänger I 63; für 15. u. 16. Jahrh. (,Tristanteppiche'): Dunger i. d. German. 28, 1 ff., Bechstein, Gottfrieds von Strafsbg. Tristan S. XVI f. Shakespeare, der ja oft die unbedeutendsten Hilfsmittel nicht verschmähte, kann derartige Quellen sehr wohl benutzt haben (vgl. Koch für Goethes „Faust" i. ds.

Übergang zum gemeinenglischen Juliet bildet Juliett in,a new ballad' von 1596; Juliet bei Brooke, Thomas (de la) Peend*), Stanyhurst**), Melbancke***) und Shakespeare. Auffallend ist es, dafs die deutschen Bearbeitungen von Shakespeares Tragödie im 17. Jahrhundert Juliet(t)a wiederherstellten, vielleicht durch die gleichzeitigen nach Boaistuau gefertigten Prosafassungen +) beeinflufst; denn die Italiener oder gar I Painter kannten sie gewiss nicht. Clitia gebraucht zuerst Giulia ; Shakespeare bedient sich in Two gentl. der von Lope (und) Rojas aufgenommenen Form Julia.

,Montesches'. Dafs hier Julia aus diesem Hause, Romeo aber ein Capulet ist, beruht gewiss nur auf Flüchtigkeit und Verwechslung. Porto, Clitia, Bandello schreiben Montecchi; Boistuau Montesches (Singular Montesche), ebenso Painter und Peend. Boaistuaus Form stehen Nyenborgs Montesces, Lopes Monteses und Rojas' Montescos nah. Brooke anglisiert zuerst vollständig oder besser, er setzt einen geläufigen englischen Namen: meist Montagew oder auch Montagewe, in der Mehrzahl Montagewes (z. B. 1038), einmal (582) Montague, was Shakespeare übernahm++), bei dem K. Henry VI. 2. Teil (in der älteren Fassung wenig jünger als R. a. J.) ein Marquis of Montague, der Sprössling eines alten Geschlechts, erscheint. Von Shakespeares Freund und Gönner, Graf Southampton, war der Grossvater mütterlicherseits Anthony Browne,(fair) Viscount Montague'+++). Auf

Ztschr. I 190). B. Rich',duke Apolonius and Silla' (1581 mit 7 andern Novellen gedruckt) ist Quelle von,What you will', nach einigen auch zu two gentl, of Ver. II 7 (dagegen Zupitza Jahrb. 23, 12).

*) 1565 in Pleasant fable of Hermaphroditus and Salmacis', s. unten S. 53. A. t. **) 1582 in,An Epitaph Entitvled Commvne Defunctorum e. t. c. hinter seiner Übersetzung von Vergil Aen. I IV. Englische und deutsche Forscher geben Juliet an; bei Warton - Hazlitt IV 287 lautet aber der betreffende (4.) Vers:,Also Julietta, with Dido, ritch Cleopatra'. Er schrieb auch eine Geschichte und Topographie Irlands.

***) 1583 in dem Stück,Philotimus, the Warre betwixt Nature and Fortune' (,nor Romeo thou hast cause to weepe for Juliets losse'), das ein von Halliwell (Popular rhymes and nursery tales p. 258) mit dem aus Mids. ns. dr. bekannten zusammengestelltes Wiegenlied enthält.

†) Vgl. L. H. Fischer im Jahrb. 25, 124 ft.

††) T. Mommsen,,Sh.'s Romeo u. Julia. Krit. Ausgabe des Doppeltextes' S. 128, nahm diese,Anglisierung' für Shakespeare in Anspruch.

ttt) Gerald Massey, Sh.'s Sonnets never before elucidated (1866) p. 471. Dazu bietet George Gascoigne folg. Anspielungen (Complete poems, ed. by W. C. Hazlitt, Lond. 1869 f.) in dem Gedichte (1571),A deuise of a Maske for the right honorable Viscount Mountacute (I p. 77 ff.), p. 85: And for a further proofe he shewed in his hat

Ztschr. f. vgl. Litt -Gesch. u. Ren.-Litt. N. F. IV.

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dunkle Anspielungen in den Sonetten gestützt, hat Kraufs *) dieser Beziehung weiter nachgespürt und nach Massey einen Zusammenhang mit bestimmten Situationen in R. a. J. herzustellen gesucht. Seinen Angaben füge man R. a. J. II 2, 98 hinzu, wo man am allerehesten eine Erinnerung an persönliche Verhältnisse erkennt, die bei ,fair Montague' vorgeschwebt haben sollen. Der Familienname war in England nie selten. Diese modernere Namensform findet man schon bei Jacob Ayrer in einem nicht ganz klaren Montagus (?).

,Son pere ne l'ayant voulu marier'. In schroffem Widerspruch mit der sonstigen Überlieferung wird hier zweifellos eine stattgehabte Bewerbung (Romeos?) vorausgesetzt **). Ebenso wird bei Sevin, dem Guyons Fassung stofflich nahe zu rücken ist, der Hader zwischen beiden Familien sogar ausdrücklich durch die abgewiesene Werbung begründet. Auch die Spanier schliefsen eine solche nicht aus. Denn

bei Rojas erklärt Julia schon früh ihren Angehörigen die Liebe zu Romeo, und auch bei Lope scheinen diese von dem Verhältnisse unterrichtet. Die ganze Situation, dadurch auf einen ganz anderen Boden gestellt, spitzt sich von vornherein auf einen vollbewussten Kampf beider Parteien auf Leben und Tod zu.

,Aage nubil. Julia bedeutet nach lateinischer Etymologie,die Jugendliche ***). Wenn Shakespeare dies auch entgangen sein mag, obwohl viele seiner Personen im Namen das Siegel ihres Verständnisses tragen, so hat er doch den italienischen Brauch der Zeit, in die er versetzen will, mit der früheren Ansetzung von Juliens Alter richtiger getroffen†), als seine nichtitalienischen Vorgänger. Sie steht mit ihren

This token which the Mountacutes dyd beare abwaies, for that They couet to be knowne from Capels where they passe, For auncient grutch which long a go twene these two houses was (Am Rande: The Actor had a token in his cap like to the Mountacutes of Italie). Hazlitt bemerkt II 353: „Montacute or Montagu, Anthony Browne, Viscount, a devise of a masque at the double marriage of his son and heir Anthony with . . .“ Bei Erasmus steht Mons acutus = Montague (vgl. Birch-Hirschfeld, Gesch. d. franz, Lit. I 232 f. A.).

*) Jahrb. 11, 242 f. Vgl. Shakespeares Southampton - Sonette. Deutsch von F. Kraufs. Leipzig 1872.

**) Auch in der schottischen Ballade,The jolly goshawk' verbietet der Vater die ihm mifsfallende Liebschaft.

***) J. G. Th. Gräfse, Unsere Vor- und Taufnamen in ihrem Ursprung und ihrer Bedeutung erklärt (Dresd. 76) S. 25 b.

†) s. Bartsch, Ges. Vortrg. u. Aufs. S. 391 (Italienisches Frauenleben im Zeitalter Dantes).

kaum 14 Jahren (I, 2, Ges. I, 3, 12) neben Marina in Pericles und der 15jährigen Miranda*) in The Tempest, welche beiden Dowden anführt zu dem Satze, Shakespeare „liebte die Knospenzeit des Weibes“. Mommsen**), Wagner***) und Elze+) vergleichen sie mit der Abigail in Marlowes, Jew of Malta' die,scarce fourteen years of age' und auch sonst ähnlich wie sie geschildert ist: vgl. z. B. (ed. Cunningham p. 95 b) But stay, what star shines yonder in the east?

The loadstar of my life, if Abigail

mit R. a. J. II 2, 2 f.

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But, soft! what light through yonder window breaks?
It is the east, and Juliet is the son.

Nach alledem betrachtet Shakespeare zwar mit Recht die Südländerin für früher heiratsreif als etwa seine Landsmännin++), da er ja auch der nurse (R. a. J. I 3, 2) und sogar der Gräfin Capulet (ebd. 72 f.) die,maidenhead' nur bis ins 13. Jahr wahrt. Aber daneben gehört auch das ungebändigte Liebesfeuer dieses Mädchenalters zur Charakteristik seiner Juliet +++). Man erblicke hier eine bezeichnende Abweichung von Brooke, der ihr 16 Jahre giebt. Painter, der die Überlieferung weit unselbständiger abschreibt als Brookes Versifikation, läfst sie 18 Jahre alt sein, wie auch die Italiener sie als ausgereifte Jungfrau vorführen: Clitia z. B. teilt ihr 20 Jahre zu. Diese bedeutenden Schwankungen sind für die Erkenntnis der schriftstellerischen Unterschiede höchst lehrreich. Während z. B. Guyon ausdrücklich betont, dass der Vater sie trotz,aage nubil' nicht verheiraten will, versteift sich Shakespeares Capulet (I 2, 10 f.) gerade auf ihre Unreife,to be a bride' und der Dichter schildert sie hier als das kindlich harmlose Mädchen, in dessen Unschuld und Seelenfrieden urplötzlich der verderbliche Funke verzehrender Liebesglut hineinfällt, die sie willenlos

*) Auch G. Fletcher, Studies of Shakespeare (1847) p. 329 vergleicht Julia und Miranda; Frenzel, Renaissance u. Rococo S. 150 stellt Mirandas Liebe zwischen die Juliens und Perditas.

**) Marlowe und Shakespeare (Progr. Realgymn. Eisenach) 1854, S. XXIII. ***) Jahrb. 11, 75.

†) Abhandlungen zu Shakespeare S, 185 Anm.

††) Moore's Life of Byron II p. 303. 338 (4. ed.) bringt eine Bemerkung Byrons über die italienischen Frauen, die Mrs. Jameson (Characteristics of Women, Bielef. 1840, p 86 note) auf Julia anwendet. Vgl. Fletcher, Studies in Shakespeare p. 290 u. 315.. †††) Auch Schillers Luise Millerin zählt erst 16 Jahre (Kab. u. Liebe III 7: „der erste Puls dieser Leidenschaft") und die Italienerin Berta Verrina nur 15 (Fiesco V 8).

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