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NEUE MITTEILUNGEN.

,,Rostem und Suhrab"

im Nibelungenmass übersetzt von Friedrich Rückert.

Ein Fragment aus dem Nachlasse des Dichters.

Mitgeteilt von

Edmund Bayer.

V

on keiner seiner epischen Schöpfungen fühlte sich dem Anscheine nach Rückert je so wahrhaft befriedigt, wie von der dem Persischen des Firdausi nachgebildeten Heldengeschichte „Rostem und Suhrab" (1838), einem Werke, das er nicht für unwürdig hielt, neben Goethes „Hermann und Dorothea" zu treten und gleich dieser mustergiltigen Dichtung ein Hausbuch des deutschen Volkes zu werden. In den Versen, welche er als die Widmung seiner Arbeit an den ehemaligen Altmeister von Weimar bezeichnete, spricht sich ein edles Selbstbewusstsein aus*):

An Göthe,

Widmung von Rostem und Suhrab.

Dis ist das erste Lied, das mir soweit gelungen,
Dafs ich es hätte dir villeicht zu Dank gesungen.

Nun, wenn nicht dir zu Dank, zum Danke sing' ichs dir;
Ein Zeugnis des, was ich durch dich ward, bring' ichs dir.

Geworden wärst du uns Homer in bessern Zeiten;

O lebte mein Suhrab an deines Hermann Seiten!

*) Dieselben stehen im fünften Buche der „Mailieder" (Mailieder in sechs Büchern. 1838. Haus- und Jahrslieder. Zweiter Band. Gesammelte Gedichte von Friedrich Rückert. Sechster Band. Erlangen. Verlag von Carl Heyder. 1838.) S. 355. Der Ausgabe von „Rostem und Suhrab" sind die Verse nicht vorgesetzt.

Leider zeigte sich das Publikum gegen die meisterhafte Umdichtung des persischen Hildebrandliedes teilnahmlos, ja ablehnend, so dafs der Poet nicht umhin konnte, halb unmutig, halb scherzend auszurufen*):

Zu Rostem und Suhrab.

Dacht' ich Wunder, was ich hätte zu Wege gebracht,
Und hab's euch wieder nicht recht gemacht,

Da ich euch Rostem und Suhrab

Aus Fülle meines Herzens gab.

Ihr sprecht: Auf deutschen Bühnen

Was sollen die fremden Hünen?

Ich hoffte, was ich so menschlich gemacht,
Solltet ihr finden nicht ungeschlacht;

Nun aber sprech' ich kühner:

Statt meiner fremden Hünen empfehl' ich euch deutsche Hüner, Ihr lieben Enkel von Freia,

Lest zum Eiapopeia

Hinkel, Gokel und Gakeleia**)!

Nichtsdestoweniger blieb dem enttäuschten

Verfasser sein

„Rostem und Suhrab“ auch in der Folge teuer. Als er an die poetische Bearbeitung des Lebens Jesu ging, jener „Evangelienharmonie in gebundener Rede", welche 1839 durch den Druck bekannt gemacht ward, schrieb er folgende Verse, in denen er das Verhältnis des persischen Recken zu der Lichterscheinung des Erlösers darlegt ***):

Schule.

In Suhrab hab' ich dis gelernt:
Gestalt von Grübelgeist entfernt,
Gestalt so fest wie Erz und Stein,
Durchsichtig doch kristallenrein.
Nun lern' ich, die dort Alles galt,
Hier auch verlernen die Gestalt,
Da ich das Leben dessen schreibe,
Der höher lebet als im Leibe.

Rückert hätte eigentlich darauf vorbereitet sein sollen, dafs man seinen dem Orient entlehnten Dichtungen nicht mit derjenigen Anerkennung entgegenkam, welche dieselben verdienten; man wandelte damals noch zum Teil in dem Irrgarten der Romantik und sang lieber bei mittelalterlicher Mondscheinbeleuchtung spanische Lieder zur Guitarre oder liefs sich durch ein empfindsames Theaterstück zu

*) A. a. O. S. 355 fg.

**) Ein vortreffliches Märchen von Cl. Brentano, das allen Liebhabern der romantischen Poesie zu empfehlen ist. Rückert.

***) A. a. O. S. 358.

Tränen rühren, falls man es nicht vorzog, sich in den Strudel der Politik zu stürzen, als dafs man dem Morgenland einige Teilnahme gewidmet hätte. Bezeichnend für die angedeutete Stimmung ist der nachstehende Ergufs aus einem Briefe Rückerts an seinen Freund, den Historiker J. F. Böhmer in Frankfurt am Main, welch' letzterem er von Erlangen aus unterm 10. März 1830 schrieb*):

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... Was ich selbst noch zu leisten hoffe, ist eine vollständige Übersetzung der unter dem Namen Hamâsa bekannten Sammlung alt-arabischer Volkspoesieen, ein Schatz, dergleichen kaum sonst ein Volk aufzuweisen hat, nun im Original herausgegeben von Freitag in Bonn, der auch eine lateinische Übersetzung dazu liefern wird, die gewifs ebenso gelehrt auställt als untauglich, den poetischen Gehalt herauszustellen, was ich mir vorbehalten glaube. Ich bin auch wirklich mit der Arbeit schon fertig, und habe vorläufig einen Verleger dazu, wenn auch nur ein Publikum! denn es wurmt mich manchmal, was der unver . . . . . Brentano (den Du schönstens von mir grüssen wirst) mich auf dem Dampfschiff (wenn Du's gehört hast?) fragte, ob denn dergleichen auch noch gelesen werde? Nun, liest er dergleichen nicht, so lese ich nicht seine gespenstischen Romanzen, und so können wir immer gute Freunde bleiben . . . .“

So weit die Briefstelle. Wenn nun selbst ein so hochgebildeter Mann, wie Clemens Brentano, der Mitherausgeber jener unschätzbaren Sammlung deutscher Volkslieder, welche den Namen „Des Knaben Wunderhorn" führt, so oberflächlich von arabischer Poesie reden konnte, wie wollte man es einer an den Genufs litterarischer Wassersuppen gewöhnten Menge verdenken, dafs sie sich von der gediegenen Kost, die man ihr bot, ängstlich abwandte, in der Meinung, dieselbe sei für ihren Magen zu schwer**)? Rückert aber, der gelehrte Kenner der Weltlitteratur, wufste, welche Schätze die orientalischen Goldminen bergen; und speziell das iranische Epos hatte er im Auge, wenn er ausrief***):

Heldenleben.

Das ist des alten Heldenlebens Geist,
Dafs, wie du immer ihm entfremdet seist,
Du dich ergriffen von der Herrlichkeit,
Erschüttert fühlst, erhoben und geweiht,

*) Beyer, Dr. C., Friedrich Rückert. Ein biographisches Denkmal. Frankfurt a. M. 1868. S. 192.

**) Sogar von seiten der wissenschaftlichen Erforscher des Orients scheinen Rückerts Umdichtungen nicht immer bedingungslos acceptiert worden zu sein. So schrieb Heinrich Wuttke 1855 in einer Abhandlung „Über Hammer-Purgstall's Literaturgeschichte der Araber" (Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Band IX, S. 136 ff.): im verwichenen Menschenalter mochten Rückert's Verdeutschungen, von dieser Seite betrachtet [d. h. als Arbeiten, die den Zweck hatten, zum Studium des Orients anzuregen], aufserordentlich schätzenswert und wirkungsreich sein“. Volle Anerkennung wird also auch hier nicht gezollt.

***) A. a. O. S. 356.

Zugleich erkennest, dass, wie frisch und stark,

Es gleichwol schadhaft sei im innern Mark,
Darum dem Tod verfallen rettungslos,

Doch auch im Untergang so schön und grofs,
Dafs so zu leben, auch um so zu sterben,

Das schönste scheint, was könn' ein Mensch erwerben.

Wie angezogen sich der eifrige Orientalist von dem packenden Inhalte des Schahnamekapitels „Suhrab“ fühlte, welchem er im Anschlusse an seine Firdausistudien eine eigene Paraphrase widmete, beweist der Umstand, dafs er sogar den Versuch machte, den dankbaren Stoff in das Gewand der Nibelungenstrophe zu kleiden, allerdings der sogenannten neuen Nibelungenstrophe, welcher sich Uhland. und andere mit Vorliebe in der Weise bedient haben, dafs sie den letzten Vers wie die drei vorhegehenden bauen, also demselben nicht, wie das Mittelhochdeutsche in seinem zweiten Abschnitt eine Hebung mehr geben. Es ist bezeichnend, dafs Rückert im Gegensatze zu diesem Unternehmen sich eine Zeitlang mit dem Gedanken trug, das Nibelungenlied in eine andere Form, nämlich das der majestätischen Oktave, die, wie bekannt, von Tasso und Ariost zu hohen Ehren gebracht ist, umzuschmieden und so, wie er meinte, der Gegenwart geniefsbarer zu machen.

Heinrich Rückert, der würdige Sohn des grofsen Vaters, spricht sich darüber in seinem Aufsatze: Friedrich Rückert als Gelehrter"*), wie folgt, aus: . . . Als eine Art von Curiosität sei hier noch erwähnt, dass einige Bruchstücke eines Versuchs, Rostem und Suhrab', ehe es seine jetzige Gestalt erhielt, in die frei behandelte und umgeformte Nibelungenstrophe zu giefsen, sich vorgefunden haben, während andererseits in einer früheren Periode Rückert daran dachte, dem Inhalte der ,Nibelungen' dadurch zu seiner wahren Wirksamkeit zu verhelfen, dass er ihn in einer völlig anderen Kunstform wiedergab, wobei er eine freie Umbildung der itailienischen epischen Stanze verwandte".

Weder der eine noch der andere Plan wurde durchgeführt. Die Nibelungen blieben liegen; und die Bearbeitung der Geschichte von Rostem und Suhrab im Nibelungenmafse gedieh nur bis etwa zum sechsten Teile des Ganzen**), um dann zu Gunsten einer andern metrischen Form beiseite getan zu werden. Das erhaltene Fragment lässt es lebhaft bedauern, dafs die Arbeit nicht zu Ende geführt worden ist, denn dasselbe ist von hoher Schönheit und verdient wohl in weiteren Kreisen bekannt zu werden.

Die Güte des Herrn Medizinalrat Dr. Karl Rückert zu Koburg, zweiten Sohnes des Dichters, ermöglicht es, den Torso einer mehr

*) Grenzboten, 1866, 2. Hälfte. Wiederholt im zweiten Teile von Heinrich Rückerts „Kleineren Schriften" (1877).

**) Sie reicht bis zu III, 29 der späteren Nachdichtung, welche zwölf Bücher und 118 Kapitel zählt, und bis etwa Vers 300 des Mohlschen Grundtextes.

als fünfzigjährigen Vergangenheit zu entreissen und an das Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Das Manuskript ist von Friedrich Rückert eigenhändig mit der ihm eigenen Sauberkeit, welche auch durch die hier und da vorgenommenen Änderungen nicht beeinträchtigt wird, auf je zwei und zwei zusammenhängenden Quartblättern ordinären Papiers deutsch geschrieben, trägt die Signatur,,XII. 5" und auf der Rückseite des letzten Blattes die Aufschrift, welche an die Spitze des mitgeteilten Fragments gesetzt ist. Die Orthographie weicht zum Teil von der in dem später veröffentlichen ,,Rostem und Suhrab", sowie in der Schahnameübersetzung*) gebrauchten nicht nur hinsichtlich der andern Wörter, sondern auch der Eigennamen ab. Eine Anzahl Strophen sind warum? ist unersichtlich unterstrichen und demgemäss im Druck durch gesperrte Schrift hervorgehoben. Von einer Mitteilung der ursprünglichen, später durch andere Wendungen ersetzten Lesarten ist an dieser Stelle abgesehen worden.

Versuch

Suhrabnâme im Nibelungenmass.

Erstes Abentheuer.

Rustem reitet in die Mark Turan auf die Jagd, und verliert sein Rofs Rachsch.

Die Sag' ist aus den Büchern der Weisen mir verliehn,

Wie Rustem eines Morgens sich rüstet' auszuziehn;

Sein Herz war ihm voll Kummer, der Jagd begehret' er,

Er band den Gurt, den Köcher macht' er von Pfeilen schwer.

Er gieng und auf den Rücken des Rachsch der Held sich schwang, Den elefantengleichen, den Hengst, setzt' er in Gang,

Und hielt im Ritt das Antlitz gewandt zur Turans-Mark,

Hin eilt' er jagdbegierig als wie ein Löwe stark.

Und als der Mark von Turan er war gekommen nah,
Da ringsum er die Haide voll wilder Elke sah;
Aufblühte wie'ne Rose der kronenwerthe Held,
Rasch setzt er in Bewegung sich und sein Ross im Feld.

Mit Bogen und mit Pfeilen, mit Kolb' und Fangeschnur,
Gleich ein'ge Stücke Wildpret erlegt' er auf der Flur.
Sodann aus Dorn und Buschwerk und manchen Baumes Ast
Entzündet' er ein Feuer, und hielt daneben Rast.

*) Firdosi's Königsbuch (Schahname) übersetzt von

Friedrich Rückert.

Aus

dem Nachlass herausgegeben von E. A, Bayer, Sage I-XIII. Berlin, Georg Reimer, 1890.

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