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das getreueste Spiegelbild der Weltanschauung. Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis, ein Gleichnis des Ewigen, Unwifsbaren: auch nur im Gleichnis der Sage und der Poesie vermag der Mensch das Tiefste und Höchste, was seine Brust füllt, zum Ausdruck zu bringen. Hiob, Herakles und Faust sind aber solche Gleichnisse, wie sie in ähnlicher Tiefe und Geistes verwandtschaft aus alter und neuer Zeit die Weltlitteratur nicht wieder bietet.

Kiel.

Ein hebräischer Reiseroman.

Von

Marcus Landau,

E

rwin Rohde hat in seinem vortrefflichen Werke: „Der griechische Roman und seine Vorläufer", den Reiseromanen, ethnographischen Utopien und Fabeln ein umfangreiches Kapitel gewidmet, in welchem er diesen Zweig der griechischen Litteratur von der Odyssee ausgehend bis zu den Byzantinern behandelt und auch die orientalischen, vorzüglich indischen Einflüsse berücksichtigt.

Von einem hebräischen Werke dieser Gattung erwähnt er aber nichts. Es sind ihm entweder die hiervon existierenden ungenügenden Übersetzungen ins lateinische und französische unbekannt geblieben oder er hat darin zu wenig Handlung gefunden, um es noch als Roman betrachten zu können.

Wenn der griechische Roman nach Rohde aus einer Verschmelzung des erotischen Elements mit einer ethnographisch-philosophischen Idylle oder einer eigenen Gattung abenteuerlicher Reisedichtung entstand, so erscheint uns diese hebräische Reisedichtung als eine chemische Verbindung ähnlicher Gattung, in welcher aber das erotische Element durch ein religiöses ersetzt ist. Ich will jedoch damit nicht gesagt haben, dass der hebräische Autor die Griechen nachahmte, von denen manche jünger als er sind, während er von den ältern höchst wahrscheinlich nicht die geringste Kenntnis gehabt hat.

Aber der Jude sowohl als der Grieche, so wenig sie auch sonst miteinander harmonierten, lebten doch im frühern Mittelalter in derselben geistigen Atmosphäre und die orientalischen Einflüsse, die sich in den byzantinischen Romanen wahrnehmen lassen, wirkten auf den

Juden noch direkter und kräftiger. So brachten ähnliche Ursachen ähnliche Wirkungen hervor. Aus im Altertum und frühen Mittelalter verbreiteten, zum Teil durch mündliche Tradition fortgepflanzten abenteuerlichen Schilderungen von fernen Ländern und Völkern, aus teils speziell jüdischen, teils internationalen Sagen und Mythen setzt sich das dem Daniten Eldad zugeschriebene Reisewerk zusammen, dem sein Autor oder vielleicht ein späterer Bearbeiter manches zugesetzt hat, was er von den Riten und religiösen Bräuchen der Juden in Abessynien entweder selbst beim Besuche dieses Landes oder durch andere Reisende erfahren hat.*)

Das Werk selbst giebt sich als der Reisebericht des Juden Eldad vom Stamme Dan aus, der unter allerlei Abenteuern auch zu den übrigen der verlorenen zehn Stämme gelangte und was er dort von den frühern Schicksalen und den gegenwärtigen Zuständen derselben erfahren hat, seinen Glaubensbrüdern in Nordafrika erzählte.

Dieser Bericht ist in mehreren von einander in Einzelheiten verschiedenen aber im allgemeinen Plan ziemlich übereinstimmenden Versionen verbreitet und in einigen sehr selten gewordenen Ausgaben von Konstantinopel und Venedig aus der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts erhalten. Ein erster Druck vom Jahre 1480 ist nicht mehr aufzufinden. Die vorhandenen Handschriften scheinen auch nicht älter als die Drucke zu sein, nur eine unvollständige in Parma ist vom Jahre 1289 datiert. Das Werk selbst ist aber um ungefähr vierhundert Jahr älter, da sich die erste Kunde davon in einem Briefe der Judengemeinde von Kairwan (im Gebiete von Tunis) an einen berühmten Gelehrten, den Gaon Rabbi Zemach in Sura in Persien, welcher am Ende des neunten Jahrhunderts lebte, findet.

Nachdem bereits Rabbiner Dr. Jellinek in seinem Sammelwerke Bet ha-Midrasch (Leipzig und Wien 1853-1877) einige Recensionen des „Eldad“ veröffentlicht hat, giebt uns jetzt Herr Abraham Epstein eine kritische Ausgabe aller Recensionen, welche ihm in Drucken und Handschriften erreichbar waren, bereichert mit einer ausführlichen Einleitung, zahlreichen Anmerkungen und einem Anhang über die Juden in Abessynien. **)

*) Der neueste Herausgeber will aus manchen Umständen und besonders aus den vielen Arabismen schliessen, dass der Verfasser aus Südarabien oder aus der gegenüberliegenden afrikanischen Küste, am Golfe von Aden, stammte. Für ein Werk, das zu einer Zeit entstand, in der Araber von Persien bis Spanien herrschten, sind aber Arabismen im Hebräischen kein Beweis für dessen Entstehung in Arabien.

**) Eldad ha Dani, seine Berichte über die X Stämme und deren Ritus in verschiedenen Versionen nach Handschriften und alten Drucken mit Einleitung und An

Ich will hier keine Kritik der Arbeit des Herausgebers liefern, der sich mit der neuern wissenschaftlichen Litteratur seines Gegenstandes ganz vertraut zeigt und dessen Leistung eine recht tüchtige ist. Doch glaube ich, es wäre praktischer gewesen, wenn er seiner Ausgabe nur eine Redaktion des Eldadbuches zu Grunde gelegt und die Varianten und Zusätze der andern angemerkt hätte, wodurch dem Leser erspart wäre eins und dasselbe zwei, ja mitunter auch dreimal zu lesen. Auch hätte er seiner Ausgabe viel grössern Wert verliehen, wenn er eine deutsche Übersetzung des Textes beigegeben und die Einleitung in deutscher Sprache geschrieben hätte, anstatt in einem Hebräisch, das mitunter den Eindruck einer wörtlichen Übersetzung aus dem Deutschen macht.

Und nun zum Werke Eldads selbst. Der Verfasser giebt sich, wie gesagt, für einen Abkömming Dans, des fünften Sohnes des Patriarchen Jakob aus, und teilt zur Bekräftigung dieser Angabe seinen ganzen Stammbaum mit. Für die ersten drei Generationen bot ihm die Bibel (Genesis XLVI 23, Exodus XXXI 6, XXXVIII 23) die erforderlichen Namen für die Nachkommen Dans, bei den spätern blieb er auf seine Phantasie angewiesen und wählte daher teils sonst in der Bibel vorkommende, teils bei den Juden seiner Zeit gebräuchliche Namen, darunter auch die von Abraham, Jakob und Hiob. Dieser Umstand allein würde genügen, um den Stammbaum als Fälschung zu erweisen, denn wie Dozy und andere Bibelforscher und Religionshistoriker nachgewiesen haben, wurden die Namen der halbmythischen Patriarchen in älterer Zeit respektiert und erst ziemlich spät von den Juden als Personennamen für gewöhnliche Menschen gebraucht. Ein Jude nannte sich ebensowenig Abraham oder Jakob als ein Grieche sich Zeus, ein Römer Saturn oder Jupiter nannte*). Die Namen von Eldads Ahnen sind nicht in allen Redaktionen seines Werkes ganz übereinstimmend, in keiner aber zählt er mehr als 39 Generationen auf. Da Eldad am Ende des neunten Jahrhunderts auftauchte und eine Generation durchschnittlich zu dreifsig Jahren gerechnet wird so resultiert aus seinen Angaben, dass Erzvater Jakob lange nach

merkungen, nebst einem Exkurse über die Falascha und deren Gebräuche von Abraham Epstein. Prefsburg 1891, Kommissionsverlag von Ch. D. Lippe in Wien, LI und

192 S. 8°.

*) Vergl. Dr. Ignaz Goldzieher, Der Mythos bei den Hebräern. Leipzig 1876, Seite 277.

der Rückkehr der Juden aus dem babylonischen Exil, etwa zur Zeit Alexanders des Grofsen, gelebt hat! _*)

Der Name Eldad kommt nur einmal in der Bibel (Numeri XI, 26. 27) vor und wurde meines Wissens auch in nachbiblischen Zeiten von den Juden nicht gebraucht; doch ist es nicht von entscheidender Bedeutung, ob der Verfasser des Reisewerks wirklich so geheifsen oder nur den altertümlich klingenden Namen zu einem bestimmten Zwecke angenommen hat. Wenn er sich für einen Spröfsling aus den seit anderhalb Jahrtausenden von den andern Juden getrennten zehn Stämmen ausgab, so konnte es ihm rätlich erscheinen sich einen bei Jenen ungebräuchlichen Namen beizulegen. Ebenso geringe Wichtigkeit hat für uns der Zweck, zu dem das Buch verfasst wurde, oder vielmehr, wir glauben, dafs es gar keinen andern Zweck als den der Ausdruck tut dem Werke vielleicht zu viel Ehre an rein künstlerischen hatte. Es sollte unterhalten, von wunderbaren und aufserordentlichen Dingen berichten, die Neugier der Leser befriedigen und, indem es ihnen von dem glücklichen Zustande ihrer verschollenen Glaubensgenossen erzählte, sie trösten und erheben, ihrem Nationalgefühle schmeicheln.

Wir können den Verfasser weder mit Grätz (Geschichte der Juden V, 256-62) für einen Missionär der Karäer, noch mit Fränkel für einen Schwindler und Charlatan halten. Die Riten und religiösen Gebräuche, die er als bei den zehn Stämmen üblich schildert, sind nicht die der Sekte der Karäer, sondern, wie Herr Epstein überzeugend nachgewiesen hat, die der Juden in Abessynien und den Nachbarländern, und auch manches andere in dem Buche ist nicht blofs Erzeugnis der Phantasie des Autors. Es ist eben aus Wahrheit und Dichtung gemischt und der Verfasser mag wohl manches von dem Erzählten, das er von Andern gehört hatte, für wahr gehalten haben. Dazu gehört freilich nicht was er von seinen eigenen Abenteuern erzählt. Er berichtet nämlich, dafs er mit noch einem Gefährten aus dem Stamm Ascher eine Seereise in Handelsangelegenheiten unternahm, wobei er Schiffbruch litt. Während die ganze Schiffsmannschaft zu Grunde ging, gelang es ihm und seinem Gefährten sich zu retten und an einer unbekannten Küste zu landen. Dort fielen sie in die Gewalt schwarzer nackter Menschenfresser, welche den einen der Schiffbrüchigen, da er feist und appetitlich war, sofort schlachteten und verzehrten, während sie den magern schwachen Eldad erst mästen

*) Das Matthäus-Evangelium (1,17) zählt 42 Generationen von Abraham bis Christus.

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