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Die Wiederholung

als Urform der Dichtung bei Goethe.

Von

Woldemar Freiherrn v. Biedermann.

D

er schöpferische Gedanke, mit dem in häufigen Hinweisen Goethe, dann endlich in wissenschaftlicher Ausbildung Darwin den Entwickelungsfortschritt als Weltgesetz erkannten, hat für alle Zweige der Wissenschaften die künftig zu wandelnden Bahnen vorgeschrieben. Wenn auch schon vor Darwins durchschlagendem Werke die Wissenschaften nicht mehr nach früherer kindlicher Auffassung nur als Beschreibung des Bestehenden behandelt wurden, so war es doch etwas ganz anderes, im Einzelnen den Wandel der Dinge als Tatsache anzuerkennen, als ihn als allgemein gesetzmässige Erscheinung zu erkennen. Der Zielpunkt der Behandlung veränderte sich hierdurch.

Neuerdings sind die Grundsätze der Entwickelungslehre auch mehrfach auf litteraturgeschichtliche Erscheinungen angewandt worden; dem Schreiber dieses haben vorgelegen zunächst zwei Schriften von Eugen Wolff: Das Wesen wissenschaftlicher Litteraturbetrachtung und Prolegomena der litterar-revolutionistischen Poetik*); sodann: Die Anfänge der Poesie. Grundlegung zu einer realistischen Entwickelungsgeschichte der Poesie von Ludwig Jacobowski**); ferner: Goethes Bildkraft im Lichte der ethnologischen Sprach- und Mythenvergleichung: Von Hermann Brunnhofer***), endlich: Professor-Dr. H. Curto. Die Figur des Mephisto im Goetheschen Faust†).

*) Beide: Kiel und Leipzig, 1890.

**) Dresden und Leipzig, 1891.

***) Leipzig, 1890.

†) Turin, 1890.

Ztschr. f. vgl. Litt.-Gesch. u. Ren.-Litt. N. F. IV.

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Wolffs zuerst genannte Schrift tritt dafür ein, die Geschichte der Litteratur nicht nur mit Rücksicht auf die bewegenden Ideale der Zeit, sondern auch auf die geringeren Lebensverhältnisse, welche Einflufs auf die Litteratur üben, zu behandeln, wodurch dann die Entwickelungsgesetze derselben hervortreten würden. Sowohl Wolffs zweitgenannte Schrift, als die von Jacobowski, letzte gründlicher, führen aus, wie die Entstehung der Dichtung aus seelischen Zuständen, ihre Entwickelung aber aus äufseren Einwirkungen herzuleiten sei.

Curto geht in seiner Untersuchung, die bisher in den Fausterläuterungen gemachten Versuche, die Doppelnatur Mephistos zu erklären, einzeln durch, weist das Ungenügende derselben nach und findet seinerseits - ausgehend von der Annahme, dafs der Grundgedanke des „Faust" der der Evolution sei im Mephistopheles „das ewig Eine, das sich vielfach offenbart". Brunnhofer endlich verfolgt den Zusammenhang von Goethes Dichtungen überhaupt an die Sanskritdichtung in fleissig zusammengesuchten Anklängen an dieselbe, und macht die Übereinstimmung als Atavismus geltend.

Es liegt nicht in der Absicht, diese ungenügenden Versuche hier eingehend zu besprechen, ihre Aufführung hatte nur den Zweck zu zeigen, nach wie verschiedenen Richtungen schon das Bedürfnis empfunden worden ist, die Litteratur vom Standpunkte der Entwickelungslehre aus zu behandeln. Nur Brunnhofers Schrift bietet Anlass zu weiterer Betrachtung und zwar mit Rücksicht auf seine Annahme, dass in Goethes Gedichten die Vererbung auf die Dichtung der Indier und der Arier überhaupt zurückzuführen sei. Es dürfte indessen nicht schwer halten, ebenso zahlreiche Stellen aus Goethes Gedichten, wie Brunnhofer beibringt, mit solchen aus chinesischen, turanischen und sonstigen nichtarischen Dichtungen zusammenzustellen; das Gleichmässige, das Brunnhofer hervorhebt, liegt mitunter in so allgemeinen, ja unbedeutenden Gedanken, dafs schlechterdings kein Gewicht darauf zu legen ist, z. B. wenn er (S. 32) die Wiederholung desselben. Adjektivattributes zu Verstärkung des Attributbegriffes im Chorgesang bei Mignons Bestattung:

Und in ernster Gesellschaft ruhe
Das liebe, liebe Kind

mit einer Stelle im Rigveda:

Preist euern lieben, lieben

Gast mit Lobgesang

in Verbindung bringt.

Insofern Atavismus hier vorliegt, geht er aber nicht allein auf Indier, sondern überhaupt auf die Urzeit der Dichtung zurück. In dieser Beziehung ist auf meine Untersuchung über Entstehung und Entwickelung der sprachlichen Formen der Dichtung im II. Bande dieser Zeitschrift (S. 415 ff.) zu verweisen.*) Dieser sogenannte Atavismus ist nichts anderes, als der Wiedergebrauch der urersten dieser Formen, der Wiederholung, die dadurch, dafs die im Gehalt sich vertiefende Dichtung höher entwickelter Formen zu ihrem Ausdruck bedurfte und sie fand, dennoch die Berechtigung ihres Daseins nicht verloren hat. Der Grund, welcher diese Formen in der Urzeit entstehen liefs, wirkt noch heute fort und bestimmt gelegentliche Wiederbenutzung.

Wiederholung des Gesprochenen zur Hervorhebung dessen, was besonderen Eindruck machen soll, ist ja auch in die Prosarede übergegangen, zwar seltener durch Wiederholung ganzer Redeteile, aber häufig einzelner Worte, was namentlich bei Italienern zu fast stehender Form geworden ist, wie bei: presto, presto! oder molto, molto! und dergleichen. In Volksdichtungen ist die Wiederholung gleichfalls eine noch lebendige Form. Franz Miklosich hat in einer wertvollen Abhandlung: „Die Darstellung im slavischen Volksepos" (Wien 1890), Seite 7—26, zahlreiche Beispiele mannigfacher Art von verschiedenen, sonderlich slavischen Völkern aufgeführt. Diese Form drängt sich aber auch jedem, der nicht blofs Dichter nach gegebenem Schema, sondern aus angeborener Anlage ist, auf. Derselbe wird darin ebenso wie der Urmensch das Kennzeichen erhöhten Nachdrucks erblicken wobei nicht die zu conventioneller Form erstarrte Wiederholung, wie im Refrain, gemeint ist, die man aber auch Atavismus nennen könnte. So erscheint die Wiederholung denn auch häufig bei Goethe, vorzugsweise in seinen Jugenddichtungen, in denen er nach den Künsteleien damaliger Zeit zuerst wieder nach Natur suchte. Und sie erscheint da nicht gewissermassen als Flickwort, wie oft bei anderen, sondern an Stellen, die für das ganze Gedicht, in denen sie vorkommt, von Bedeutung sind. Das „Mailied", welches beginnt:

Wie herrlich leuchtet

Mir die Natur

schildert in den ersten Strophen die Schönheit des Frühlings, es ist aber die lieberfüllte Seele, welche den Dichter zu voller Empfänglichkeit für den Genufs derselben befähigt. Und dies kommt zu

*) Vgl. ferner I, 34-91: Richard M. Meyer „Über den Refrain" und N. F. II, 9-40: Veit Valentin „Die Dreiteiligkeit in der Lyrik“.

leidenschaftlichem Ausdruck, sobald der Dichter auf seinen Zustand übergeht unter Wiederholung des entscheidenden Wortes:

O Lieb', o Liebe!

und weiterhin noch bestimmter auf den eigentlichen Gegenstand seines Liedes hinweist mit:

O Mädchen, Mädchen,

Wie lieb' ich Dich!

In „Rastlose Liebe“ spricht sich das Unaufhaltsame des Liebestrebens gleicherweise aus:

Dem Schnee, dem Regen,

Dem Wind entgegen,

Immer zu! immer zu!

Das tiefe Schmerzgefühl in „Wonne der Wehmut“ erklingt ergreifend in der Verdoppelung des Ausrufes am Anfang:

Trocknet nicht, trocknet nicht,

Tränen der ewigen Liebe!

und ebenso hört sich innigstes Bedürfnis nach Seelenfrieden heraus in: Süfser Friede,

Komm', ach komm in meine Brust!

Im Lied „An den Mond" wird das Gefühl herber Entsagung, die Ergebung in das Unabänderliche betont durch die Wiederholung des ewig Gleichmässigen:

Fliefse, fliefse, lieber Flufs!

Nimmer werd' ich froh.

In dem Gedicht „Einschränkung" drückt sich das Bestreben, die Versicherung des Behagens an der engen kleinen Welt, tiefernst gemeint darzustellen, in der Wiederholung aus:

Vergefs' ich doch, vergess' ich gern,

Wie seltsam mich das Schicksal leitet.

Die Bitte an das Schicksal in „Hoffnung“ erscheint inbrünstig durch das:

Lafs, o lafs mich nicht ermatten!

und nicht minder dringlich die Bitte an die Sorge in dem so überschriebenen Gedicht:

Gönn', o gönne mir mein Glück!

In Die Freude" kommt der Jubel des der flatternden Libelle Nachstrebenden nach dem Erhaschen derselben zum Ausbruch durch: Da hab' ich sie! da hab' ich sie!

In „Feindseliger Blick" giebt sich das niederdrückende Gefühl beim Nahen eines Bebrillten zu erkennen durch:

So bin ich stille, stille!

und die Pflicht der Verschwiegenheit im so benannten Logengedicht wird aufs Eindringlichste eingeschärft mit:

Leise, leise! Stille, stille!

Ebenso findet sich die Wiederholung zur Hervorhebung des Bedeutenderen häufig in Goethes dramatischen Dichtungen, worauf hier nur allgemein hingewiesen werden mag. Aber auch in lyrischen erscheint sie nicht nur so einfach wie in den angeführten Fällen, sondern auch in manchen anderen Gestaltungen wie als Pallilogie unter Wiederholung von Versanfängen. Das schon gedachte „Mailied“ schildert im Beginn das Strahlende der Natur im ersten Frühling; die verschiedenen Weisen, in denen dies geschieht, werden auf einen Punkt zusammengehalten durch solche, die Einheitlichkeit betonende Wiederholung:

Wie herrlich leuchtet

Mir die Natur!

Wie glänzt die Sonne!

Wie lacht die Flur!

Im anderen „Mailied" wird gegenteils das Verstreute der Stellen, an denen das Liebchen gesucht wird, durch die Wiederkehr des den Trennungsbegriff ausdrückenden Wortes gekennzeichnet:

Zwischen Waizen und Korn,

Zwischen Hecken und Dorn,

Zwischen Bäumen und Gras -.

Wenn in „Gewohnt, getan" jede erste Zeile der einzelnen Strophe in gleicher Satzbildung sagt, was der Dichter getan hat und was er nun tun will,

Ich habe geliebet, nun lieb' ich erst recht!

Ich habe geglaubet, nun glaub' ich erst recht!
Ich habe gespeiset, nun speis' ich erst gut!

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