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dringen lässt, betrachtet er dieses „Einfühlen des Menschlichen in die Erscheinungen", den „Anthropomorphismus“ als ein viel weiter reichendes Element, aus welchem die Association vielmehr erst abzuleiten sei. Für sie ist der Anthropomorphismus vielmehr geradezu ,, eine Grundwurzel unseres ganzen Seins in intellectuell-religiöser wie auch ästhetischer Hinsicht". Wir können ihm freilich darin nicht folgen: für uns ist er nur eine Grunderscheinung, während die Grundwurzel doch noch tiefer zu suchen ist. Biese schliefst sich aber ferner an Fr. Vischers Abhandlung „das Symbol" und andere weitere Durchführung durch den Sohn R. Vischer „Über das optische Formgefühl" an: Wir haben das wunderbare Vermögen, unsere eigene Form einer objektiven Form zu unterschieben und einzuverleiben“, so dass wir an dieser Tanne emporklettern, wenn wir sagen: die Tanne klettert empor. Diese sonderbare Verwechselung der eigenen Erregung mit der Erregungsursache" findet nun aber ihren Ausdruck in der Metapher. Die Association giebt nur ein Nebeneinander, die anthropomorphe Einfühlung aber ein Ineinander, eine Verschmelzung von Subjekt und Objekt.

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So richtig nun auch diese Zusammenstellung von Anthropomorphismus und Metapher ist, so müssen wir doch gegen die Vischersche Auffassung der Einfühlung" entschieden Widerspruch erheben: sie ist falsch und führt zu den seltsamsten Konsequenzen. Es ist nicht wahr, dass, wenn der Held in der Tragödie endet, es uns ist, „als

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uns selbst der Dolch ins Herz gestofsen". Solche allgemeine Urteile sind gefährlich; es giebt der Helden in der Tragödie gar mancherlei, so wie auch die Tragödie kaum so ganz schlechthin als ein einheitlicher Begriff zu nehmen ist. Wenn Macbeth, König Richard, Othello enden, so wirkt das als Befreiung, Erleichterung, und es fällt uns nicht ein, uns mit ihnen zu identifizieren. Es ist auch nicht wahr, dass, wenn die Tanne klettert, wir selbst uns in ihr emporrecken, oder wenn die Flut kocht und heult, wir uns in die Flut versetzen und unsrerseits in ihr kochen und heulen. Biese mufs selbst die Seltsamkeit dieser Anschauungsweise gefühlt haben, wenn er das Beispiel Der Baum sinkt sterbend um" so erklärt: „Sage ich z. B.: „„Der Baum sinkt sterbend um““, so bleibt die Erinnerung daran, dass ich wenn auch nicht sterbend auch einmal gesunken bin oder einen anderen habe sinken sehen, völlig verhüllt; sie mag im Geiste schlummern; aber das Wesentliche ist, dafs ich mich dem Baume nicht nur anpasse, sondern mich ihm einfühle und so in ihn verzaubert sinke, bis zum Selbstvergessen, bis zur völligen Verwechselung". Aber wie soll dann die Übertragung der eigenen Empfindung stattfinden, wenn das Gefühl, welches ich einfühlen soll, schlummert oder kann das Gefühl eingefühlt werden ohne dass die Erinnerung an die Vorstellung wach ist? Aber das ginge hier freilich nicht, da ich ja noch nicht sterbend umgesunken bin, also auch das Gefühl noch nicht kenne und doch soll ich es einem Baume, den ich umfallen sehe, einfühlen? Biese hätte besser getan, sich an

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den alten Vischer statt an den jungen zu halten: Jener spricht nur davon, dass wir die Tätigkeit des sehenden Auges ins Objekt verlegen und so in das Tote Leben bringen: es streckt sich der Berg, es dehnt sich die Ebene. Nun genügt das freilich nicht für die Erklärung des Anthropomorphismus. Die Lösung möchte in folgender Weise zu finden sein. Es ist zu unterscheiden zwischen der Tatsache der allgemeinen Belebung des Objektes durch das Subjekt und der besonderen Vorstellung, wie diese Belebung sich äufsert: die erstere nimmt das Subjekt aus sich, die zweite aus seiner Erfahrung in der Welt, zu der es ja auch gehört. Es ist nicht erst eine künstlerischpoetische, sondern eine natürlich - menschliche Auffassungsweise, die sich täglich beim Kinde wie beim Wilden wiederholt, dafs der Mensch das Leblose als lebend ansieht. Von dem Bewusstsein des eigenen Lebens aus ist es ihm undenkbar, dafs etwas anderes nicht lebe: dies mufs erst gelernt werden. Der Poet aber bewahrt sich mit Bewusstsein die Anschauungsweise, welche der kindliche Mensch unbewusst hat. Hier findet also tatsächlich eine Übertragung des Subjektes in das Objekt, oder, wenn es denn so genannt werden soll, die „Einfühlung" statt. Ist aber das Objekt lebend gedacht, so überträgt der Mensch aus seiner Erfahrung, und zwar in erster Linie aus seiner Erfahrung an Objekten, die Vorstellung der besonderen einzelnen Tätigkeit auf das fragliche Objekt. Dafs der Baum lebt, nimmt das Subjekt aus sich, dafs er umsinkt, sieht das Subjekt als Tatsache. An anderen Objekten hat es aber beobachtet, dafs das Umsinken beim Sterben eintritt. So gewinnt das Umsinken des Baumes, welches allgemein als Äufserung einer Lebenstätigkeit betrachtet wird, die besondere Vorstellung des Sterbens. Wenn die Tanne, die auf steilem Abhange steht, den Berg emporzuklettern scheint, so wird die allgemeine Tätigkeit, die aus dem Leben mit Notwendigkeit hervorgeht, aus dem Subjekt genommen. Die Erfahrung, dafs jemand, der am steilen Abhange sich befindet, mit dem Streben nach oben, wie es in dem Wachstum der Pflanze sich ausspricht, den Berg emporklettert, nimmt das Subjekt aus der Beobachtung Anderer: wenn es selbst hinaufklettert, beobachtet es nicht, wie das aussieht und was das äusserlich für einen Eindruck macht. Ein Kind sieht, wie ein Kellner, der sich versäumt hat, die Teller mit besonderer Geschwindigkeit hinsetzt, und ruft aus: „Die Teller fliegen!" Die Bewegung der Teller betrachtet das Kind als Äufserung der Lebenstätigkeit, die es von sich selbst kennt und die es bei jedem anderen Wesen als gleichfalls vorhanden mit Notwendigkeit voraussetzt; dafs aber diese Bewegung ein Fliegen sei, kann das Kind nicht aus eigener Erfahrung in das Objekt „einfühlen“, sondern es nimmt diese Vorstellung von den Beobachtungen, die es an anderen Objekten gemacht hat. Dafs es aber bis zum Selbstvergessen, bis zur völligen Verwechslung, verzaubert" in die Teller durch das Einfühlen sinke, wäre allerdings recht seltsam". Die hiergegen aufgestellte Auffassungsweise ist nicht nur natürlicher und einfacher sie läfst auch

den Kern der Bieseschen Untersuchung bestehen, dafs der Anthropomorphismus von dem allerdings fragwürdigen Fechnerschen Grundsatz der Association unterschieden werden mufs, dafs er vielmehr in höherem Grade als diese . Grundsatz ist, dafs er geradezu eine Grundwurzel, richtiger wohl eine Grunderscheinung der poetischen Auffassungsweise ist und dafs die Metapher den sprachlichen Ausdruck für ihn bildet. Dafs die Abhandlung im Übrigen reich an guten Beobachtungen ist, dafs sie die Belesenheit Bieses in den verschiedenen Litteraturen aufs Neue bewährt, wodurch es ihm besonders im letzten Abschnitt, einem Beispiele für die feine Darlegung, „der Eindruck des Sternenhimmels im Spiegel alter und neuer Poesie“, möglich wird ein farbenreiches Bild zu geben, ist bei dem Verfasser der Entwickelung des Naturgefühles" selbstverständlich.

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Frankfurt a. M.

Veit Valentin.

HEINRICH JUNKER: Grundris der Geschichte der französichen Litteratur von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Münster i. W. Heinrich Schöningh. 1889. XX, 436 S. 8° M. 4

Das vorliegende Werk bildet den 2. Band von Serie I der „Sammlung von Kompendien für das Studium und die Praxis", welche der H. Schöninghsche Verlag zu Münster i. W. veranstaltet.

Zur Beurteilung der bisher vorhandenen Darstellungen der französischen Litteratur haben wir zu unterscheiden zwischen Einzeldarstellungen und Gesamtdarstellungen. Was die ersteren anlangt, so sind zahlreiche mustergiltige, ihren Gegenstand nahezu nach allen Seiten hin zum Abschlufs bringende Arbeiten vorhanden, während wir in bezug auf Gesamtdarstellungen der französischen Litteraturgeschichte vor der merkwürdigen Tatsache stehen, dafs eine die litterarischen Erscheinungen aus den nach Zeit, Ort, politischer und sozialer Lage gegebenen Verhältnissen objektiv beurteilende Gesamtdarstellung trotz der grofsen Anzahl französischer Litteraturgeschichten noch immer mangelte.

Zur Erklärung dieses Umstandes, müssen wir freilich daran erinnern, dass ebenso wie die Naturwissenschaft nicht im Stande ist, ein Gesamtbild der Welt zu entwerfen, ehe sie nicht alle Einzelerkenntnisse zusammenstellte, auch unsere Wissenschaft zunächst darauf angewiesen war, die Materialien zu sammeln und zu sichten, ehe sie mit Erfolg daran denken konnte, den Entwurf eines Gesamtbildes zu versuchen. Wir wiederholen mit Erfolg", denn die Versuche an und für sich sind ja zahlreich genug. Andererseits dürfen wir freilich nicht aufser acht lassen, dafs die Arbeit des Sammelns von Einzelerkenntnissen

niemals ihr Ende erreichen wird, während das Bedürfnis die jeweilig vorliegende Menge von Erscheinungen methodisch zu ordnen, zu einem wohlgegliederten Ganzen zu vereinen, in unserem Erkenntnisdrang begründet ist und somit die Berechtigung zu dem Versuche ein Gesamtbild zu entwerfen, jeden Augenblick als gegeben erscheint.

Aus alle diesem und aus dem ferneren Umstand, dafs die Wissenschaft mit ihren Zwecken wächst, ergiebt sich von selbst, dass solche Ubersichten, die den Bedürfnissen eines gewissen Zeitabschnittes genügten, für einen späteren nicht mehr als ausreichend erscheinen können und so ist es am Ende mehr die Schuld der Verhältnisse als der Verfasser, wenn uns die Werke von Gerusez, Demogeot, Nisard, Kreyssig, Engel u. A. ungenügend erscheinen.

Junkers Kompendium um das gleich von vornherein auszusprechen bezeichnet einen entschiedenen, höchst anerkennenswerten Fortschritt auf dem richtigen Wege und hebt sich von den bisher erschienenen Gesamtdarstellungen auf das Vorteilhafteste ab. Der Verfasser hat die Erscheinungen von Anfang an bis auf die jüngste Zeit gleichmässig beachtet und war bestrebt dieselben aus den Zeitverhältnissen heraus zu erklären. In dieser Hinsicht sind seine Charakteristiken und Einteilungen der Zeiträume ganz besonders beachtenswert. Immerhin aber wäre es unserem Erachten nach von hoher Wichtigkeit gewesen, ähnlich wie das G. Körting in seinem Grundrifs der englischen Litteratur getan die entsprechende politisch-soziale Kennzeichnung der Zeitabschnitte den allgemeinen Betrachtungen vorauszustellen.

Für den Studierenden und dessen Zwecken soll doch das Werk in erster Linie dienen sind gerade diese geschichtlichen Angaben von ungemeinem Wert, im Anfang, um ihn auf Schritt und Tritt an die unlösbare Verknüpfung von Litterargeschichte und politisch-sozialer Geschichte zu erinnern, ihn dadurch zum Studium der einschlägigen Kapitel in gröfseren Geschichtswerken anzuregen, späterhin um als Merksteine zu dienen, nach denen eine leichte und schnelle Orientierung bewerkstelligt werden kann.

Die Angaben der litterarischen Hilfsmittel, sowie die AusgabenVerzeichnisse am Ende der einzelnen Werke oder Schriftsteller sind ungemein vollständig und, im Gegensatz zu Körtings Grundrifs der englischen Litteratur, vor allem auch nahezu erschöpfend in Bezug auf die Werke französischer Arbeiter auf dem Gebiete der Litteraturgeschichte. Gerade durch diese Nachweise erhält das Kompendium für den Studierenden einen hohen Wert. Die einzelnen litterarischen Erscheinungen, beziehungsweise die einzelnen Schriftsteller und deren Werke sind in angemessener Weise besprochen. Dafs die Darstellung des altfranzösischen und des mittelfranzösichen Zeitraumes abgerundeter erscheint als die der zwei letzten Perioden des neufranzösischen Zeitraumes ist eigentlich eine notwendige Erscheinung.

Alles in Allem, wir haben Junkers Kompendium nicht aus der Hand gelegt ohne einen gewissen Neid anf die junge neu-philologische

Generation, die nun neben Gröbers kostbarem Grundrifs auch für das Studium der Litteraturgeschichte ein so treffliches Werk zur Verfügung hat.

Neu-Ulm.

Georg Hermann Moeller.

Erlanger Beiträge zur englischen Philologie. Herausgegeben von Hermann Varnhagen, 1890. Erlangen und Leipzig. A. Deichertsche Verlagsbuchhandlung Nachf. (Georg Böhme) Heft VIII. IX. WILLI HAECKEL: das Sprichwort bei Chaucer. Zugleich ein Beitrag zur vergleichenden Sprichwörterkunde. - XII, 77 S. 8°. M. 1,80. JULIUS RIEGEL: die Quellen von William Morris Dichtung The Paradise. 75 S. 8. M. 1,60.

Man mag sich vielleicht wundern über die zahlreichen neuen Serien, die in den letzten Jahren an deutschen Universitäten begründet wurden und anscheinend noch begründet werden dürften u. zw. namentlich auf dem Gebiete der sogenannten „neueren Philologie“, d. h. der Germanistik, Anglistik, Romanistik. Man hört von einer Überproduktion sprechen, die namentlich für die Verleger verhängnisvoll werden kann, weil wohl zahlreiche Arbeiter und auch zahlreiche Interessenten für diese Unternehmungen vorhanden sind, jedoch die Käufer in Deutschland niemals im richtigen Verhältnisse zum Angebote zu finden waren. Dafs, wenn hier die Bezeichnung Überproduktion wirklich begründet wäre, die Schuld nicht die Verfasser treffen kann, scheint mir aber aus der interessanten Tatsache hervorzugehen, dafs auch solche Publikationen, die in keiner Weise als buchhändlerisch-geschäftliche Unternehmungen gelten können, nämlich Doktordissertationen und Schulprogramme in unverhältnismäfsig grofser Anzahl den Gebieten der „neueren Philologie" angehören.

In Focks bibliographischem Monatsbericht über neu erscheinende Schul- und Universitätsschriften vom Sept. 1889 bis Sept. 1890, also in einem Jahre, finden sich nicht weniger als 304 Nummern aus dem Gebiete der „neueren Philologie“ verzeichnet. Daraus dürfte doch hervorgehen, dafs auf diesen Gebieten nicht deshalb soviel erscheint, weil etwa der Betrieb derselben ein ungesunder ist, sondern vielmehr dafs in denselben verhältnismässig noch ungleich mehr lohnender, und notwendiger Arbeit zu tun ist als in älteren Disziplinen. Und wenn die Veranstalter solcher Unternehmungen und ihre jüngeren Mitarbeiter sich durch mannigfache praktische Schwierigkeiten und Widerwärtigkeiten in ihren Bestrebungen nicht entmutigen lassen, so dürfen sie wenigstens der Anerkennung der folgenden Generationen sicher sein, in denen die äusseren Verhältnisse doch voraussichtlich andere sein werden als heute.

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