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Tagen in Klängen wie „Was liegt an mir? Doch er sein Heil!" an unser Ohr und lehrt uns eine ganz andere Mission des Weibes kennen, als sie die in dem Drachenwagen auffahrende Medea geübt hat. Doch näher als die im Schmerz um den schuldbeladenen Geliebten dahinsterbende Elisabet steht uns hier die bei „des Speeres Spitze" Rache an dem Verräter schwörende, dann aber als „wissend gewordenes Weib" für ihn sterbende und mit ihm in Flammen aufsteigende Walküre. „Das Feuer, das mich verbrennt, rein'ge den Ring vom Fluch!" das ist die Katharsis des Wagnerschen Kunst

werkes, und mit dieser Katharsis fällt die Grundidee des über ein Vierteljahrhundert zuvor gedichteten „Goldenen Vliesses" genau zu

sammen.

Mag auch der in starken Effekten arbeitende Dramatiker oder Dramaturg die letzte Szene in Grillparzers Trilogie „matt“ finden, nach unserer Ansicht ist das nochmalige Auftreten des in seiner Kraft gebrochenen und dennoch mit dem vollen Anspruch dieser Kraft auftretenden Jason („Ich bin der Jason, des Wunder-Vliefses Held! Ein Fürst! Ein König! Der Argonauten Führer, Jason ich!") neben der in Schmerz versunkenen, aber in ihrem Schmerze wie vordem willensstarken Medea, die sich auf dem Wege nach Delphi befindet, um dem Gotte das Vliess und mit ihm die Entscheidung ihres Schicksals in die Hand zu geben, ein Ausgang, der das „Vliefs“ in eine Reihe neben den „Ring" stellt; und der (freilich nicht komponierte) Weihegesang der Walküre: „Nicht Gut, nicht Gold, noch göttliche Pracht etc." verbindet sich uns mit Medeas Worten: Was ist der Erde Glück? Ein Schatten! Was ist der Erde Ruhm? Ein Traum!" zu einem Akkorde, dem allerdings die Walküre noch den Jubelruf von der Seligkeit der Liebe anzufügen hat. Und wenn Medea dem den Tod ersehnenden Jason die drei Worte: „Trage! Dulde! Büsse!“ zuruft, so denken wir noch über den „Ring“ hinaus an die Erfüllung des Testamentes der Walküre in der Kundry des dritten Aktes des „Parsifal" und an das eine Wort, das sie in demselben singt oder spricht:

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„Dienen . . . dienen!"

Den in ihrer Begeisterung für das klassische Altertum so einseitig urteilenden Philologen aber möchte ich angesichts der hundertjährigen Geburtstagsfeier Grillparzers die Frage zur Erwägung anheimgeben, ob sie sich selbst und ihr Volk damit ehren, wenn sie immer und immer wieder die Besten unseres Jahrhunderts in ihrem

Ringen nach Versöhnung des klassischen Ideals mit den Anschauungen einer in allen sonstigen Lebensäufserungen unendlich weit vorgeschrittenen Zeit ihren Lieblingen gegenüber für arme Stümper erklären.

Darmstadt.

Die Reisen

der drei Söhne des Königs von Serendippo.

Ein Beitrag zur vergleichenden Märchenkunde.

Von

Georg Huth.

III. (Schlufs.)*)

m vierten Tage hörte Kaiser Behram im vierten Schlosse folgende Erzählung.

Απ

Vierte Erzählung.

Einst herrschte in Babylon ein Sultan, dem seine Gemahlin einen Sohn namens Rammo geschenkt hatte. Nach ihrem Tode aber nahm er eine neue Gemahlin, die jedoch auf ihre und ihres Gatten Ehre wenig achtete und sich mit seinem Vezier einliefs. Der Prinz bemerkte dies, beobachtete das Tun und Treiben der beiden Ungetreuen, sprach aber nie mit jemandem über seine Wahrnehmung. Als er sie nun eines Tages wieder bei ihrem heimlichen Liebesgenufs belauschte, wurde er von ihnen bemerkt. Um nun einer Anklage beim Sultan seitens des Jünglings vorzubeugen, beschlossen sie, ihn bei demselben des von ihnen begangenen Frevels anzuklagen.

Als nun der Vezier sich abends zur Besprechung einiger Staatsgeschäfte beim Sultan befand, stellte er sich sehr betrübt und veranlafste so seinen Herrn, nach dem Grunde seiner Traurigkeit zu fragen. Er erklärte ihm, was ihn betrübe, sei die Untreue des Prinzen, der die Sultanin, in die er heftig verliebt sei, mehrere Male gewaltsam habe zwingen wollen, sich ihm hinzugeben, freilich ohne Erfolg. Er habe dies mit seinen eigenen Augen mit angesehen. Übrigens werde die Sultanin seine Aussage bestätigen. Aufs höchste erzürnt, begab sich der Sultan zu dieser, die er weinend und klagend antraf, und die

*) Vgl. N. F. II, 404; III, 220 und 303.

nach heuchlerischem Zögern des Veziers Aussage vollständig bestätigte. Darauf befahl der Sultan diesem, den Prinzen am folgenden Tage hinrichten zu lassen. Auf die Fürbitte des Veziers wurde er jedoch auf Lebenszeit des Landes verwiesen und ihm nur für den Fall seiner Rückkehr der Tod angedroht. Der Prinz, welcher wohl wufste, dass er bei seinem Lauschen im Garten bemerkt worden sei, ahnte den Grund seiner Verbannung. Nur wenige Kleinodien mitnehmend, machte er sich auf den Weg und wanderte, bis er in das Land eines anderen Herrschers kam. Hier schlofs er sich drei Jünglingen, die er auf dem Wege traf, an. Von diesen besafs jeder eine zauberische Fähigkeit, die sie ihm mitteilten: Der eine war im Besitz eines Geheimnisses, mittelst dessen er für alle Menschen unsichtbar werden konnte, während er sie selbst sah: der zweite konnte, so oft es ihm gefiel, alle Geister zu seinem Dienst herbeirufen; der dritte konnte sich mit Hilfe einiger geheimnisvoller Worte ein ihm beliebiges Gesicht und Ansehen geben und mit Hilfe anderer Worte jeden einschläfern. Der Prinz liefs sich nun für seinen ganzen Vorrat an Kleinodien in diesen Fertigkeiten unterweisen und nahm zugleich den Jünglingen das Versprechen ab, sich derselben nie mehr selbst zu bedienen. Schliefslich gab er sich ihnen als Sohn des Sultans von Babylon zu erkennen und erzählte ihnen sein Unglück. Dann verabschiedete er sich von ihnen und liefs sich von einem vermittelst seines eben erworbenen Geheimnisses zitierten Geist in die Residenz seines Vaters bringen. Am nächsten Morgen aber zur Audienzstunde begab er sich, mit Hilfe seines Geheimnisses allen Leuten unsichtbar, in den Palast, wo er seinen Vater im Gespräch mit dem Vezier fand. Sogleich beschwört er den Geist und befiehlt ihm, dem Vezier zwei kräftige Schläge ins Gesicht zu geben. Getroffen von den Schlägen, stürzt dieser zu Boden. Er erhebt sich, erhält aber von dem Geiste noch einmal einen so gewaltigen Hieb, dass er ohnmächtig hinsinkt und auf Geheifs des über den Unfall von tiefstem Schmerz ergriffenen Sultans in seine Wohnung geschafft werden muss. Die schnell herbeigerufenen Ärzte verordnen einen Trank, der die Krankheit heben solle. Der Prinz, welcher unsichtbar in die Wohnung des Veziers mit eingedrungen, läfst den Geist dem Vezier von neuem einen fürchterlichen Schlag versetzen. Doch hat er an dieser Rache noch nicht genug. In weiblicher Kleidung und mit dem Aussehen einer alten Frau erscheint er im Hause des Veziers unter dem Vorgeben, er habe die Krankheit erkannt und wolle sie heilen. Zu dem Kranken zugelassen, erbietet er sich, ihn in einem

Ztsch. f. vgl. Litt -Gesch, u. Ren.-Litt. N. F. IV.

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Tage zu heilen. Er läfst Feuer anzünden, macht einen eisernen Stempel in dem Feuer rufsig und drückt ihm demselben auf die Hinterbacken. Der Vezier, obwohl besorgt, es könnte ihm dies einmal Schaden bringen, lässt sich dennoch das alles gern gefallen, um nur von seiner Krankheit zu genesen. Der Jüngling verbietet dem Geist, den Kranken noch weiter zu schlagen, und verabschiedet sich. Nach acht Tagen erscheint er wieder als alte Frau, findet den Vezier gesund und munter, wird von ihm reich beschenkt und verspricht ihm auf seine dringende Bitte, über das von ihm angewandte Mittel gegen jedermann Schweigen zu beobachten.

Den Jüngling aber verlangte nach weiterer Rache. Unsichtbar schleicht er mehrere Male nachts in das Haus des Veziers zu dessen Töchtern und ergötzt sich mit ihnen. Sie teilen es einander und schliesslich auch ihrer Mutter mit, die es, aufser sich vor Schmerz, ihrem Gatten wieder erzählt. Der läfst, in der Meinung, ein Geist hätte die Tat begangen, die Alte, die ihn geheilt [d. h. eben den Prinzen], zu sich rufen, erzählt ihr den Vorfall und bittet sie, auch gegen dieses neue Unglück ein Mittel ausfindig zu machen. Sie lässt sich zu den Mädchen führen und sich von ihnen den ganzen Vorgang ausführlich erzählen, dann teilt sie dem Vezier mit, der nächtliche Besuch seiner Töchter sei ein Jüngling, der, im Besitz einer unsichtbar machenden zauberischen Kraft, nach Belieben in ihr Schlafzimmer dringe. Jedoch auch hiergegen hätte sie ein Mittel gefunden. Sie giebt den Mädchen eine Karte mit einigen darauf geschriebenen Worten, mit der Weisung, sobald sie nachts wieder belästigt würden, dieselbe in ein zu diesem Behufe in dem Schlafgemach anzuzündendes Feuer zu werfen, worauf der sie besuchende Jüngling sichtbar sein werde. - Die Nacht kommt heran, der Prinz schleicht sich unsichtbar in das Schlafzimmer der Mädchen und legt sich zu ihnen. Sobald sie es merken, erheben sie sich, zünden ein Feuer an und werfen die Karte hinein. Sie erblicken nun den Prinzen Rammo, den sie aber nicht als Sohn des Sultans kennen. Sie führen ihn gebunden zu ihrem Vater, der ihn aber auch nicht wiedererkennt, da er unterdefs schnell sein Gesicht verändert hat. Der Vezier will auf ihn losgehen, erhält aber von dem den Prinzen bedienenden Geist auf Befehl desselben einen so heftigen Schlag, dafs er zu Boden stürzt und zu Bett gebracht werden mufs. Er lässt den Jüngling ergreifen und am nächsten Morgen zur Hinrichtung in ein anderes Haus bringen. Dieser schläfert jedoch mit Hilfe seines Zaubermittels die Schergen ein und schneidet ihnen Haupthaar und Bart ab;

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