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III.

Die einzelnen Autoren.

Autoren des 16. und 17. Jahrhunderts.

Montaigne.

Johnson führt Montaigne nur ein einziges Mal an. Die Erregung, in die er dabei gegen den französischen Essayisten gerät, läßt nicht gerade auf eine große Hochachtung seitens Johnsons schließen, wie ja auch Addison diesem Franzosen ziemlich kühl und kritisch gegenüberstand (vgl. Sander S. 75).

Im R. 13 spricht Johnson über die Tugend der Verschwiegenheit, die nach seiner Erfahrung eine äußerst seltene unter den Menschen ist.1) Er unterscheidet zwei Arten von Geheimnissen: solche, deren Offenbarung niemandem nachteilig ist, und die uns ganz allein betreffen sie zu er= zählen, sei Torheit; solche, die uns von andern anvertraut wurden - ihre Enthüllung verurteilt er unter allen Umständen als Verrat. Es hätten sich zwar einige begeisterte, unvernünftige Eiserer für die Freundschaft" ge= funden, die den Satz verfochten und vielleicht auch geglaubt hätten, daß ein Freund auf alles Anspruch habe, was dem andern gehört, und daß es daher eine Verlegung der Freundschaft sei, ihm irgend ein Geheimnis vorzuenthalten. So habe Montaigne behauptet, daß es kein Treubruch wäre, einem Freunde ein Geheimnis zu erzählen, denn die Zahl der Leute, die es teilten, werde dadurch nicht vermehrt, da zwei Freunde in Wahrheit eins feien (V 84).

Solche Anforderungen an echte Freundschaft stellt Montaigne in der Tat. Was der eine besißt, gehöre auch dem andern, 2) bis zu dem Grad, daß bei dem Tode des einen die Pflicht der Erziehung und Versorgung

1) Der gleichen Ansicht war La Bruyère: Il n'y a guère qu'une naissance honnête, ou qu'une bonne éducation, qui rendent les hommes capables de secret (Oeuvres I 244,78).

2) Johnson hielt Gemeinsamkeit des Besizes unter Freunden für unmöglich, vgl. Adv. 62: Serenus was one of those exalted minds who thought community of possessions the law of friendship (IX 40). Über Johnsons Anschauung von der Freundschaft siehe sein Verhältnis zu La Bruyère S. 71.

seiner Kinder dem andern zufalle; denn zwei Freunde seien zwei Körper mit einer Seele. Solche Freundschaft hebe daher alle andern Verpflichtungen und Versprechen auf: Si l'un commettoit à votre silence chose qui feust utile à l'aultre de sçavoir, comment vous en desmeslierez-vous? L'unique et principale amitié descoust toutes aultres obligations: le secret que j'ay iuré de ne deceler à un aultre, ie puis sans pariure communiquer à celuy qui n'est pas l'aultre, c'est moy (De l'amitié, Oeuvres I 178). Eine solche Auffassung der Freundschaftspflichten verwirft Johnson als einen Trugschluß. Daß sich ein Schriftsteller finden könnte, der eine Behauptung, die soweit von Wahrheit und Vernunft entfernt sei, zu stüßen wagte, hätte er nicht für möglich gehalten, und kann er sich nur so erklären, daß dieser zeigen wollte, wie weit seine Phantasie reiche, und mit welcher Kraft er einen Grundsatz durchzuführen verstehe. Johnson entgegnet ihm: Nur solche Dinge können unter Freunden gemeinsam sein, die jeder als eigen besitzt, und die er vernichten oder veräußern kann, ohne einem dritten zu schaden. Ohne diese Einschränkung könne es überhaupt kein Vertrauen und kein Geheimnis unter den Menschen geben; denn der erste Freund könne sich dann berechtigt glauben, dem zweiten und dieser dem dritten und sofort ein Geheimnis mitzuteilen, bis es schließlich den wieder erreiche, von dem es ausging, und der es geheim gehalten wissen wollte.

Malherbe.

Die Kenntnis, die Johnson in seinen Schriften von Malherbe (1555-1628) verrät, machen die Annahme, daß er die Werke dieses Dichters gekannt hat, nicht notwendig. Was er über ihn berichtet, kann er in der Biographie, die Malherbes Schüler Racan (1589–1670) uns geliefert hat, gelesen haben. Daß diese Biographie tatsächlich die Quelle ist, aus der er schöpfte, wird durch die Kritik, die er an ihr in einem RamblerAuffag (Nr. 60) übte, unzweideutig bewiesen.

In dieser Abhandlung spricht Johnson über die Bedeutung und den Wert der Biographie. Von einer guten Lebensbeschreibung, die dem Leser auch Vorteile in moralischer Hinsicht zu bieten vermag, verlangt Johnson, daß sie uns weniger von den äußeren Ereignissen und den Taten und Erfolgen des Menschen erzähle, als vielmehr von seinen häuslichen Tugenden und Gepflogenheiten. Es gäbe jedoch viele Verfasser von Lebensbeschreibungen, die diese Aufgabe nicht erfüllten, die selten einen andern Aufschluß geben, als aus öffentlichen Dokumenten gewonnen werden könnte, die eine Lebensgeschichte zu schreiben glauben, wenn sie eine chronologische Reihenfolge von Handlungen und Beförderungen bieten", ohne daß wir etwas über die

Eigenart des Menschen selbst erfahren. Wenn sie dann und wann sich herbeiließen, die Welt über besondere Tatsachen (particular facts) zu unterrichten, so seien sie in ihrer Auswahl nicht immer glücklich. Als Beispiel für eine solche Biographie, wie sie nicht sein soll, führt er die Schilderung des Lebens Malherbes an.1) Es könne ihn unmöglich befriedigen, wenn er von dem gelehrten Biographen“ erfahre, daß Malherbe 2) zwei vorherrschende Ansichten gehabt habe: one, that the looseness of a single woman might destroy all her boast of ancient descent; the other, that the French beggars made use very improperly and barbarously of the phrase,,noble Gentleman", because either word included the sense of both (V 385).

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Mit dem gelehrten Biographen" meint Johnson Racan, dessen Lebensbeschreibung Malherbes diese beiden Mitteilungen bietet. Doch ist Johnsons Wiedergabe, was die Art der Erwähnung und Aufzählung betrifft, ungenau, insofern als sie dazu angetan ist, einen ungünstigeren Eindruck von Racans Mémoires sur la vie de Mr. de Malherbe" zu geben, als sie verdienen. Racan hat was zu seiner Verteidigung gesagt sein mag feine Lebensbeschreibung im strengen Sinne des Wortes, sondern nur eine Zusammenstellung von Gedanken und Aussprüchen Malherbes bieten wollen, deren Auswahl allerdings meist eine wenig glückliche ist. Aber er hat die beiden Äußerungen, die Johnson aus vielen andern willkürlich herausgegriffen hat, mit keinem Wort als zwei vorherrschende Ansichten" (two predominant opinions) Malherbes bezeichnet. Ohne jedes eigene Urteil und ohne auf Vorausgehendes Bezug zu nehmen, erzählt er, einen neuen Absaß beginnend : II [Malherbe] ne pouvoit souffrir que les pauvres, en demandant l'aumône, dissent: „Noble gentilhomme"; et disait que cela était superflu, et que s'il étoit gentilhomme il étoit noble (Oeuvres I, LXXII).

Vier Seiten später begegnen wir der andern Äußerung. Racan erwähnt sie als Beispiel dafür, wie sehr Malherbe die Dinge verachtete, die sonst von den Menschen gewöhnlich am höchsten geschäßt würden: Tout son contentement étoit d'entretenir ses amis particuliers....... du mépris qu'il faisoit de toutes les choses que l'on estime le plus dans le monde. En voici un exemple: il disoit souvent à Racan que c'étoit folie de se vanter d'être d'une ancienne noblesse, et que plus elle étoit ancienne, plus elle étoit douteuse, et qu'il ne fallait qu'une

1) Ganz entsprechend lautet übrigens das Urteil, das Lalanne über diese Biographie gefällt hat: Les mémoires que Racan a rédigés...... sont une précieuse source de renseignements sur la vie de Malherbe; mais..... il faut convenir qu'ils ne font guère honneur à son tact et à son discernement (Oeuvres de Malherbe I, XLIV).

2) Johnson schreibt Malherb, in den Lives richtig Malherbe.

femme lascive pour pervertir le sang de Charlemagne et de saint Louis; que tel qui se pensoit être issu d'un de ces grands héros étoit peut-être venu d'un valet de chambre ou d'un violon..... (Oeuvres I, LXXVI).

Johnson ist demnach bei der Wiedergabe ein Fehler aus der Feder geflossen, der den Gedanken sinnlos macht, und der ihm bei nochmaligem Durchlesen hätte auffallen müssen. 1) Was kann es bedeuten, daß durch die Leichtfertigkeit einer Frau ihr Stolz auf eine alte Abkunft zunichte wird? Ihre Abkunft bleibt doch immer dieselbe, wie sie auch leben mag; nur diejenige ihrer Nachkommen wird durch ihren Fehltritt eine andere, als sie wähnen.

Daß sich neben unbedeutenden und nichtssagenden Beobachtungen in Racans Biographie auch solche finden, die der Erwähnung wert sind, gibt Johnson stillschweigend dadurch zu, daß er sich noch zweimal auf Urteile Malherbes stüßt - ohne ihre Quelle näher anzugeben, die er ebenfalls in Racans Memoiren gelesen haben muß.

Johnson führt im R. 118 aus, daß die meisten Menschen so von den täglichen Sorgen des Lebens in Anspruch genommen seien, daß sie nicht verstehen könnten, weshalb Tage und Nächte über Studien zugebracht werden sollten, die immer wieder zu neuen Studien führen, und die, nach Malherbes Bemerkung, doch nicht den Preis des Brotes herabzuseßen imstande seien (VI 303)." Hierbei hat Johnson zwei von Racan erzählte Äußerungen Malherbes im Sinn: Un jour que M. de Mésiriac,) avec deux ou trois de ses amis, lui apporta un livre d'arithmétique d'an auteur grec nommé Diophante, que M. de Mésiriac avoit commenté et ses amis lui louant extraordinairement ce livre, comme un travail fort utile au public, M. de Malherbe leur demanda s'il feroit amender le pain et le vin. Il fit presque une même réponse à un gentilhomme de la religion qui l'importunoit de controverse, lui demandant pour toute réplique si on boiroit de meilleur vin, et si on vivroit de meilleur blé à la Rochelle qu'à Paris (Oeuvres I, LXIX).

Bei der Besprechung einiger Verse Drydens, deren Vergleiche und Bilder er als unnatürlich verwirft, erinnert sich Johnson der Kritik, die Malherbe an Versen mit einem ähnlichen Bilde geübt hat. In dem Jubel

1) Über das hastige und flüchtige Entstehen der meisten Ramblernummern vgl. Boswell: [Johnson] told us, ,,almost all his Ramblers were written just as they were wanted for the press; that he sent a certain portion of the copy of an essay, and wrote the remainder, while the former part of it was printing. When it was wanted, and he had fairly sat down to it, he was sure, it would be done" (Bosw. 300).

*) Bachet de Mésiriac lebte von 1581-1638.

gedicht, in dem der vielseitige Dryden den König Karl II. begrüßte, in ,,Astraæa Redux" (1660), sagt er hyperbolisch:

And welcome now, great monarch, to your own!
Behold the approaching cliffs of Albion.

It is no longer motion cheats your view;
As you meet it, the land approacheth you,
The land returns, and in the white it wears
The marks of penitence and sorrow bears.

Johnson bemerkt zu dieser Beweglichkeit des Landes, er wisse nicht, ob dieser minderwertige Einfall nicht auch noch entlehnt sei: A French poet read to Malherbe some verses in which he represents France as moving, out of its place to receive the king. Though this" said Malherbe, was in my time, I do not remember it" (Lives, II 393). Racan berichtet über diesen Spott seines Meisters: [Malherbe] avoit aversion contre les fictions poétiques, et en lisant une épître de Régnier) à Henri le Grand qui commence:

,,Il étoit presque jour, et le ciel souriant... . . .

et où il feint que la France s'enleva en l'air pour parler à Jupiter et se plaindre du misérable état où elle étoit pendant la Ligue, il demandoit à Régnier en quel temps cela étoit arrivé, et disoit qu'il avoit toujours demeuré en France depuis cinquante ans et qu'il ne s'étoit point aperçu qu'elle se fut enlevée hors de sa place (Oeuvres I, LXXI).

Es wird nötig sein, Régniers Verse zum Vergleich heranzuziehen, um die Ähnlichkeit der Darstellung bei ihm und Dryden prüfen zu können. Régnier spricht in dem Discours au Roy", der mit dem von Racan zitierten Verse beginnt, von einer Nymphe, die in größter Not den König um Hilfe fleht. Aus der Schilderung geht hervor, daß niemand anders als Frankreich diese Nymphe ist; von ihr sagt der Dichter:

Apres quelque priere en son coeur prononcée

La Nimphe en le quittant au ciel s'est elancée,

Et son corps dedans l'air demourant suspendu etc. (Oeuvres S. 161). Auf diese Stelle dürfte sich wohl die Kritik Malherbes beziehen. Aus Johnsons Worten, einer freien Version des Racanschen Berichtes, scheint hervorzugehen, daß er selbst die Verse Régniers nicht kannte, sondern sich bei der Vermutung der Entlehnung nur auf Racan stüßte; denn die Verse der beiden Dichter weisen so wenig Ähnlichkeit auf, daß von einer Nachahmung nicht die Rede sein kann.2)

1) Mathurin Régnier, Satyrendichter, lebte von 1573—1613.

*) Boileau hat übrigens ein ganz ähnliches Bild gebraucht. Er läßt in der ,,Epître au Roi" (1675) Felsen sich bewegen:

Je crois voir les rochers accourir pour m'entendre (Oeuvres II 105). Diesen Vergleich hat Dryden, dessen ,,Astræa. redux" 1660 erschien, nicht gekannt.

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