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Werk,,Clara Militsch" oder „Nach dem Tode"; eine Menge kleinerer theils realistischer, theils phantastischer Novellen wie „Die Erscheinungen“, „Mumu", „Assja", „Der Jude", Petuschkoff", „Das Gasthaus an der Landstraße", „Drei Portraits", „Drei Begegnungen", „Der Hund“, „Toc, Toc, Toc", „Lieutenant Jergenoff", „Der Brigadier", „Der Sohn des Popen", „Eine seltsame Geschichte“, „Die lebende Mumie“, „Der Traum“, „Der Thriumphgesang der Liebe", und die Skizzen und Bilder seiner „Gedichte in Prosa" oder „Senilia" Jede seiner großen und kleinen Geschichten hat ihr besonderes Stimmungskolorit, das sich unsrer Phantasie ebenso wie das ganze Wesen und Aussehen der darin auftretenden Persönlichkeiten unauslöschlich einprägt. Durch alle diese Dichtungen aber klingt eine tiefe poetische Schwermuth, der Schmerz der Vergänglichkeit alles Glücks, aller Schönheit und alles Lebens. Turgenjew kennt keinen Trost dafür, keine Versöhnung damit.

Auch zu dramatischen Versuchen hat es ihn wiederholt getrieben. Von den von ihm verfaßten Stücken nenne ich als die bedeutendsten: „Ein Monat auf dem Lande" (neuerdings von F. Zabel unter dem Titel „,,Natalie" für die deutsche Bühne sehr frei bearbeitet), „Das Gnadenbrot", „Die Provinzialin", die köstliche Posse, „Die Erbschaftstheilung". Er kannte den gewaltigen Großmeister dramatischer Dichtung, William Shakespeare, auf's Ganaueste, er hatte ihn in seinen letzten Tiefen durchdrungen. Zu Hamlet vor Allem fühlte er sich immer wieder so mächtig hingezogen wie zu Göthe's Faust. In seinem eignen Ich und in vielen seiner russischen Genossen glaubte er die charakteristischen Züge dieser Gestalt wiederzufinden. Man kennt die unschätzbare Figur in jener mit prächtigem Humor gesättigten Skizze des Jägertagebuchs, die er den Hamlet des Stschigorow'schen Kreises nennt, und die interessante vergleichende Charakterstudie „Hamlet und Don Quixote". Er blickte zu Shakespeare hinauf wie zu einem übermenschlichen Wesen. Aber er fühlte jederzeit auch, daß dessen Götterkraft ihm selbst versagt sei, und ließ sich nie bethören, ihm nachzuahmen wie er räuspert und wie er spuckt; was so Mancher schon gethan hat und noch thut in der Meinung, jenem Einzigen damit näher zu kommen und bei Andern für seines Gleichen zu gelten. Eines allerdings hat Turgenjew auch in seinen Dramen mit diesem Gewaltigen gemein. Zwar nicht die Kraft und Kunst des mächtigen, kühnen dramatischen Aufbaues, nicht die tragische Macht, welche den Menschen erhebt, wenn sie den Menschen zer

malmt, nicht die Göttersprache der Poesie, nicht das Gefühl der theatralischen Wirkung; wohl aber die Gabe, in den Seelen der Menschen zu lesen, wie in einem offnen Buch, sie wahr und jeden seiner eigensten Natur entsprechend und konsequent im Drama wie in der Novelle reden und handeln und so die Konflikte herbeiführen zu lassen. In Bezug darauf übertrifft ihn kein Dramatiker in alter und neuer Zeit. Die innere Wahrhaftigkeit galt ihm jederzeit als erstes oberstes Gesetz seiner und jeder Kunst. Die aber fand er inmitten aller rauschenden Pracht der Sprache, oder der ungebändigten Leidenschaftlichkeit der Handlung, und der oft phantastischen Verwegenheit der Komposition, immer und überall bei Shakespeare. In dem letzten Jahrzehnt seines Lebens, wenn er, als ,,Altmeister" verehrt, in Paris saß, oder in seiner Heimath erschien, sah er sich unaufhörlich überlaufen von jungen russischen vermeintlichen Poeten, die ihm ihre ersten Versuche brachten, sein Urtheil, seinen Rath erbaten. Junge Dramatiker waren häufig darunter, -die Shakespeare nicht kannten! Deren Talent und Empfindung für die Wahrheit unterwarf er dann gern einer eigenthümlichen Probe. Er erzählte ihnen die Vorgänge eines Shakespeare'schen Dramas bis zu einem gewissen entscheidenden Punkt der Handlung, zeichnete ihnen die Charaktere anschaulich und lebendig und gab den selbst vertrauenden Dichtern dann auf, niederzuschreiben, was diese oder jene Gestalt des Dramas nach solchen Prämissen oder unter solchen Umständen in jenem entscheidenden Moment, sagen und thun würden. Ach, kaum Einer bestand die Probe. Bei Shakespeare thaten oder sprachen sie immer ganz etwas Anderes. Wo jene Poeten ihnen die meisten Worte liehen, - ließ Dieser sie oft gar Nichts sagen, sondern stumm dastehen. Und immer war, wie die jungen Dichter dann beschämt gestehen mußten, gerade Das das einzig Richtige, weil das Wahre.

Eine lange qualvolle Krankheit zerstörte dies reich erfüllte Dichterleben. Der Tod, welcher am 2. September 1883 zu Bougival den noch nicht fünfundsechszigjährigen herrlichen Menschen hinwegraffte, war ihm ein Erlöser von unerträglichen Leiden. Sein Volk und die ganze gebildete Welt trauert um ihn und weiht seinem Genius eine dankbare Verehrung, die auch in Zukunft so wenig untergehen wird, wie die Spur von seinen Erdentagen in der poetischen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts. L. P.

II. Karl La Roche,

der Nestor der deutschen Schauspieler, wurde am 12. Oktober 1794 zu Berlin geboren und starb als k. k. Hofschauspieler am 11. März 1884 in Wien, im 90. Lebensjahre. Den 10. Juni 1811 betrat

er zum ersten Mal die weltbedeutenden Bretter, auf denen er 68 Jahre thätig war (im Jahre 1879 trat er zum letzten Mal auf). Seine künstlerische Ausbildung erhielt er in Weimar, wo 12. März 1823 debütirte und bis zum 1. März 1833 als Schauspieler wirkte. Goethe's Einfluß auf La Roche war entscheidend für seine Entwickelung. Von Shakespeare-Rollen spielte er in dieser Zeit Edmund und Hofnarr im Lear, Osrick und Polonius in Hamlet, Rosse in Macbeth, Mercutio in Romeo, Shylock im Kaufmann. Nach einem glänzenden Gastspiele in Wien wurde er 1833 an die Burg engagirt, der er bis zum Tode, als Liebling des Wiener Publikums, angehörte.

Laube sagt von ihm:

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Wir würden eine Hekatombe von wirklich blos denkenden Künstlern opfern, wenn wir dem alten Herrn die 35 Jahre vom Scheitel abstreifen und ihn wieder jung machen könnten."

Miscellen.

I. F. J. Furnivall.

Dem so hochverdienten Forscher auf dem Gebiete altenglischer Literatur, einem der wichtigsten und thätigsten Mitglieder der Early English Text Society, dem Begründer und Direktor der New English Shakspere Society, F. J. Furnivall, ist die wohlverdiente Auszeichnung zu Theil geworden, daß die Berliner Universität ihm das Doktor-Diplom verliehen hat. Wir beglückwünschen unsern englischen Fachgenossen von ganzem Herzen.

II. Ueber die Bedeutung des Mandrake bei Shakespeare, sowie über die historische Entwickelnng dieses Begriffes. Von Dr. R. Sigismund.

Unter den Schrecken, welche die arme Julia zu finden fürchtet, wenn sie von dem Schlaftrunke des Mönchs Lorenzo in der Gruft ihrer Ahnen früher erwachen sollte, als ihr der liebende Romeo zu Hilfe kommen könnte, nennt sie auch

Romeo und Julia IV, 3:

Weh, weh! könnt' es nicht leicht geschehn, daß ich
Zu früh erwachend und nun ekler Dunst,

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Gekreisch wie von Alraunen, die man aufwühlt,
Das Sterbliche, die's hören, sinnlos macht

O wach' ich auf, werd' ich nicht rasend werden,
Umringt von all' den gräuelvollen Schrecken...

Der englische Text:

shrieks like mandrakes' torn out of the earth,

That living mortals, hearing them, run mad

bezeichnet näher, worauf es ankommt. Nicht beim Aufwühlen der Alraune (mandrakes) geschieht es, daß sie jene Schreie von sich geben; wesentlich ist das Herausziehen derselben aus der Erde (torn out of the earth), wie ich noch näher ausführen werde.

Die Alraune waren Wurzeln, deren Besitz den Menschen mancherlei übernatürliche Gewalt gewähren sollte, aber sie waren nur mit großer Gefahr zu erlangen, da sie sich ihrer Entfernung aus der Erde widersetzten. In Romeo und Julia macht das Geschrei, welches sie hierbei ausstoßen, den Menschen wahnsinnig. Nach einer anderen Stelle aber tödtet es sogar:

Heinrich VI. II. ш, 2:

Suffolk.

Weh ihnen! Warum sollt' ich sie verfluchen?
Wär' Fluchen tödtlich wie Alraunen-Aechzen,
So wollt' ich bittre scharfe Wort' erfinden

Und zwar enthält der Vers:

...

Would curses kill, as doth the mandrake's groan

die allgemein giltige Meinung. Derjenige, welcher die Wurzel selbst auszog, war dem Tode verfallen, deshalb mußten besondere Maßregeln getroffen werden, wenn man sich derselben ohne eigene Gefahr bemächtigen wollte. Da aber die Alraunwurzeln als Gold-, Heck-, Galgen-, Erd- oder Alraunmännchen von Abergläubischen wegen der vermeintlichen Kraft, Glück und Geld zu gewähren, viel

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