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nahe es ihm lag, eine Tragödie der Maske zu schreiben, daß er gleichsam instinktiv auf dies Thema verfallen mußte. Und wie steht endlich der Hauptheld zum Krystallkern des Ganzen? Daß er dazu die reichsten und mannigfachsten Beziehungen hat, haben wir schon gezeigt. Wir könnten noch manche Einzelheit hinzufügen. Wie würdigt er die Schauspielkunst als Mittel zu entlarven; wie ist er erzürnt, wenn Andere ihm in die Karten zu schauen versuchen; wie wird er in einzelnen Momenten nur durch den dichten Schleier, der über der Zukunft liegt, abgehalten von dem letzten Schritte? Aber alles Dies genügt noch nicht, ihm in der Tragödie der Verstellung die Hauptrolle zu sichern. Doch der Dichter weiß Rath. Er gibt ihm die Naturanlage, die sich wie ein Schleier über und um das Wesen der Menschen lagert. Der Sanguiniker, der Choleriker, der Phlegmatiker, sie alle sind mehr oder minder offen und zeigen für gewöhnlich ihr natürliches Gesicht. Wann Hamlet es zeigt, ist gar nicht zu sagen. Wenn er jäh mit dem Schwerte zustößt, oder zögernd dasteht, wenn er Liebeslieder schreibt, auf Selbstmord sinnt, mit Ophelia scherzt oder über die sittliche Aufgabe des Theaters spricht, der Mutter in das Herz redet, oder sich selbst bitter tadelt, auf dem Gottesacker philosophirt, Horatio die Hand drückt, Polonius verspottet, dem Oheim flucht, des Vaters in tiefer Ehrfurcht gedenkt, in keinem Momente sehen wir den ganzen Hamlet, immer nur ein Stück von ihm, das die anderen Seiten verbirgt. Oder müssen wir nicht wahrhafter sagen: Wie bei den meisten Menschen mit melancholischem Naturell, so ist auch an ihm grade dies sich immer wechselweis Verhüllende in seinem Wesen der Grundzug, der Hauptcharakterzug des Ganzen? Ja, wie im Schauspiel auf der Bühne sich die Maske als Kunst zeigte, und es um deswillen den Ehrenplatz im Drama erhielt, so ward in Hamlet die Maske Hauptaccidenz der Naturanlage und er dadurch die natürliche Hauptperson in der Tragödie der Verstellung. Daher auch kein Wunder, daß man so viele vergebliche Versuche gemacht, seinen Charakter zu ergründen. Es ging wie bei jener berühmten Zeichnung des Vorhanges. Man suchte die Zeichnung hinter dem Vorhange, während er sie doch selbst war. So suchte man auch hinter dem Schleier, der um Hamlet's räthselhafte Gestalt sich wob, nach dem Kerne, und übersah, daß eben dieser dunkle Schleier, das Naturell, welches nie verstattete, Hamlet ganz zu sehen, sondern ihn zwingt, in immer neuer und neuer Form vor uns zu treten, des Räthsels Kern war.

Literarische Uebersicht.

Griggs' Quarto-Reprints. Die neuesten Bände sind: Richard the Third, the first Quarto 1597, with an Introduction by P. A. Daniel, und Venus and Adonis, the first Quarto 1593 with an Introduction by Arthur Symons.

The Tragedie of Hamlet, Prince of Denmark. A Study with the Text of the Folio of 1623. By George Macdonald. London 1885.

The Editor's theory of the relation between the Second Quarto and the Folio is that Shakspere worked upon his own copy of the Second Quarto, cancelling and adding, and that, after his death, this copy came, along with original manuscripts, into the hands of his friends the Editors of the Folio, who proceeded to print according to his alterations; and all the changes of importance from the text of the Quarto the Editor considers should be received as Shakspere's own. Hiermit bezeichnet der Herausgeber seinen Standpunkt der Hamlet-Text-Frage gegenüber.

Unser Mitarbeiter, Herr Dr. Hermann Isaac, hat für den Schulgebrauch Merchant of Venice und Julius Caesar (in Berlin bei Friedberg und Mode) herausgegeben. Für einen wirklichen Shakespeare-Kenner gehört immer ein Stück Entsagung dazu, Texte für den Schulgebrauch zu bearbeiten. Mephisto spricht es aus: „Das Beste, was du weißt, darfst du den Jungen doch

nicht sagen" und hier sind „die Jungen“ nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrer! Man darf dem Vortragenden nicht zu viel vom eigenen Wissen geben; er könnte das übel nehmen, und zum Trotz das Gegentheil sagen! Es ist ein Werk, das viel Selbstverleugnung fordert! Nun! Die vorliegenden Bände sind fein gearbeitet, und zeugen für den Sachkundigen von gründlichem Wissen, so daß selbst mancher Lehrer" davon lernen kann.

Der Text des Wörterbuches, das jedem Bande beigefügt ist, hätte vielleicht unter den Noten Platz finden können.

Shakespeare's Historical Plays, Roman and English, with Revised Text, Introduction and Notes Glossarial, Critical and Historical by Charles Wordsworth. Edinburgh & London. Eine sehr gut gedruckte Ausgabe, welche sich von vielen anderen gleicher Art dadurch unterscheidet, daß die Noten statt unter dem Texte am Rande desselben stehen. Im Uebrigen ein Text wie jeder andere.

Pseudo-Shakespearian Plays. II. The Merry Devil of Edmonton. Revised and edited, with Introduction and Notes by Warnke and Proescholdt. Halle 1884.

Dieser Publikation ist, wie bereits ihrem Vorgänger im I. Bande, die gewissenhafte Zusammenstellung der vorhandenen Drucke zu Grunde gelegt. Die fertige Sammlung wird werthvollstes Material für Vergleichung des Textes mit den Werken zeitgenössischer Autoren bieten. Aus dieser Gegenüberstellung müssen sich dann Schlüsse auf den Verfasser ziehen lassen.

Des Shaksperean-Show-Book, das während des Shakespeare-Show in der Albert Hall in London vertheilt wurde, sei hier nur flüchtig Erwähnung gethan. Eine wunderliche, echt englische, aber doch lustige und anmuthige Mischung von ernsten Shakespeare-Gedanken und wirrstem Reklamethum. Und daß selbst letzteres hier berechtigt ist, sagt das hübsche Vorwort:

The Showman's Note.

The Shaksperean Show-Book. „A Book, oh rare one!" I borrow from the Bard the words of Posthumous, not „in self

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glorious pride", but to do ample grace and honor" to those „who hath writ“ „for Charity", „,this precious Book of love", - for Charity is love.

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"Tis merely a Beggar's Book" a professional beggar indeed, a Hospital Secretary but the rarity of it is that writers and artists of good name and fame" have joined, with me, their servant" in the production of such a Book without fee or reward.

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Ask of the contributors, ,,How comes this gentle concord?" and each will answer, This was but a deed of Charity," ,,Your cause doth strike my heart with pity", and "those poor breathing orators of miseries", the patients in your Hospital, were mute appeals unto me.

"Twas even so. The patients in this Hospital bear those sufferings which are the heritage of womankind, be they rich or poor, lowly or exalted. But the poor, though needing more, cannot have at home the special care and treatment which the rich can purchase. It is ,,such suffering souls that welcome" the comfortable bed in a Woman's Hospital.

A long-standing mortgage of £5,000 has been „a grievous burden" on the Hospital. Its most munificent benefactor is the holder of the deed, which is veritably a charitable deed", seeing that he has taken „,little payment for so great a debt.“ Yet, knowing how the debt grows", we would act on Portia's advice ,,pay him the five thousand and deface the bond." ,,With so great an object" "I took a thought“, and the Shaksperean Show came of it. The event has been received ,,with most prosperous approbation", and "befriended with aptness of the season;" we may accept as an earnest of success" Richard's assurance to Bolingbroke that they well deserve to have that know the strongest and the surest way to get." "Tis a custom that our Charitable Institutions are in part maintained by pleasure-giving entertainments, and what better custom than ,,that a sweet society of fair ones" should lend their graceful energies in so good a cause?"

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,,As many arrows loosed several ways fly at one mark", these several arrows, ,,which hit but hurt not", have been placed in the quiver of the Show: Shaksperean Tableaux, Concerts and Dramatic Recitals, Exhibition of Shaksperean

Relics, Military Bands, etc., and may each be ,,a hit, a very palpable hit."

„We have been advertised by our loving friends" the Press, on terms,,most wondrous kind" ,,purchased by the merit of the cause", not by payment, „for woman's griefs cry louder than advertisement.“

The Show has proved the Stage, too, possessed of a charitable soul, On the 24th day of May, in all the chief London, and some of the provincial Theatres, a special announcement of the Show was placed in every Box, Stall, and Dress Circle seat, by the kind courtesy of the proprietors or managers.

And now „Farewell, and thanks" to every one who plays a part" in the Shaksperean Show. "Description cannot suit itself in words to demonstrate" the grateful thanks due to you from all associated in the management of the Chelsea Hospital for Women. In the name of the General Council "I give you thanks in part of your desert", and for the rest you will be content, I know, to take the reward for the service in the doing of it.

May 29th, 1884.

J. S. W.

Samuel Taylor Coleridge's Lectures and Notes on Shakspere and other English Poets, now first collected by T. Ashe (Bell).

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sind erschienen. Nicht nur in der Kunst und in den Lebensanschauungen hat der Realismus die Romantik verdrängt - - auch die Art des wissenschaftlichen Arbeitens, die Art der Forschung ist realistischer geworden. Wenn dies ein Gewinn für die Sache ist, so geht durch das Zersetzende und Jagende der heutigen Zeit die anmuthige und beschauliche Ruhe, das ästhetische Sich-Ergötzen am Kunstwerke, wie an seinem Werden verloren. -- Coleridge lebte in einer ruhigeren Periode, und wenn die Shakespeare-Forschung in ihren materiellen Resultaten weit über ihn hinweggegangen ist, so hatte er doch Gelegenheit, seinem feinen Empfinden, seinem geistreichen, wenn auch subjektiven Eindringen in die Dichterwerkstatt freien Spielraum zu lassen. Dem Arbeiten eines so subtil konstruirten Geistes zu folgen, muß allen Denen von Interesse sein, denen es zum Bedürfnisse wird, ihr eignes Empfinden durch dasjenige höher begabter Naturen klären zu lassen.

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