Page images
PDF
EPUB

So trägt er kein Bedenken, seine Schulgesellen Rosenkranz und Güldenstern, die vom König dazu ausersehen sind, den Prinzen nach England zu schaffen und ihn dort dem Henkerbeil zu überliefern, mit einem Uriasbrief auszurüsten und die Ueberbringer des Hinrichtungsbefehls selbst dem ihm zugedachten Schicksale verfallen zu lassen. — Aus dieser Passivität der ihm auferlegten That gegenüber tritt Hamlet erst am Schlusse der Tragödie heraus, als ihm selbst der Tod bereits im Nacken sitzt, und er, von der vergifteten Degenspitze des Laertes getroffen, vor die Alternative gestellt ist, entweder als vollendeter Schwächling aus der Welt zu gehn, oder doch wenigstens noch im letzten Augenblicke das zu thun, wozu er bisher in geistreichem Gedankenspiele Zeit und Gelegenheit vertrödelt hat.

Einen ebenso natürlichen wie entschuldbaren Grund für dieses dilatorische Verhalten Hamlet's findet Ulrici in des Prinzen Gewissenhaftigkeit, die ihn nöthige, die ihm gebotene That nicht allein nach ihrer faktischen Seite, d. h. nach der Schuldfrage hin, sondern auch in sittlicher Richtung, d. h. auf die Frage nach Recht und Unrecht zu prüfen. Da das Ganze auf den Boden der christlichen Sittenlehre gestellt sei, meint der Interpret, müßten die moralischen Bedenken des zur Blutrache Berufenen als wohl gerechtfertigt gelten.

Von derlei Bedenken dürfte wohl kaum eine Spur in Shakespeare's Hamlet aufzufinden sein: nirgends richten sich die Zweifel des Spekulirenden gegen das, was Ulrici die moralische Seite der That nennt; nirgends ist der grübelnde Prinz mit sich darüber uneins, daß der Mörder seines Vaters den Tod verdiene; nirgends kommt es ihm in den Sinn, daß die christliche Anschauung dem richtenden Gotte und seiner Fügung die Rache anheimstelle, nirgends bemängelt er seine eigene richterliche Legitimation zur Vollstreckung des Vergeltungsakts er beklagt nur in richtiger Selbstkritik, daß die ihm auferlegte Pflicht für seine Schultern zu schwer sei und versteigt sich hierbei zu den unzweideutigsten Schmähungen seines schwachgemutheten Naturells. Im Uebrigen möchte es wohl mehr als bedenklich erscheinen, die Gewissenhaftigkeit eines Menschen zu betonen, der sans façon ein schuldloses Mädchen, wie Ophelien, verläßt, weil das Liebesverhältniß seiner Laune nicht mehr zusagt1), der es sich nicht sonderlich übelnimmt, wenn er den Vater dieser ehemaligen Geliebten aus Versehen aufspießt, der

[ocr errors]

1) cf. Jahrbuch XIX, S. 84 u. 85.

sich endlich keine Skrupel macht, ein königliches Handschreiben zu fälschen und mit Hilfe dieses Falsifikats die Häupter zweier Schulgenossen auf den Richtblock zu legen. Gewissenhaftigkeit ist wohl eben so sehr die schwache Seite Hamlets, wie solche in seinem antiken Gegenstück Orestes unzweideutig und gewaltig hervortritt. Der griechische Königssohn, gleich dem dänischen zur Blutrache berufen und von der Schwester Elektra dazu aufgestachelt, wie der Däne von des Vaters Geist, geht ohne Zögern an das Rachewerk. Das Gewissen packt ihn jedoch nach der That: die Erinnyen verfolgen den Muttermörder für seine Ueberhebung über die Schranken der Natur. Die Erinnyen, die den lässigen Hamlet geißeln, d. h. seine Selbstanklagen, quälen diesen für die zu schwächliche Vertheidigung der Natur. —

[ocr errors]
[ocr errors]
[ocr errors]
[ocr errors]

an

Gervinus führt die Thatenlosigkeit des Dänenprinzen auf sein Naturell zurück, das zwischen phlegmatischer Trägheit und in einer lodernden Phantasie wurzelnden Leidenschaftlichkeit, zwischen Schlaffheit und Ueberspannung herüber und hinüber schwanke und so den Vorsatz, den Sinn für praktisches Handeln abstumpfe. Kreyssig findet den Schlüssel zu Hamlet's Zaudern in seiner Unfähigkeit, sich zu konzentriren, in dem Mangel an heroischer Bornirtheit". Beides ist sicher zutreffend; es dürfte vielleicht noch hinzuzufügen sein, daß Naturell und Neigung in den Studien des jungen Prinzen einen wesentlichen Stützpunkt gefunden haben mögen. Der Dichter läßt seinen Helden des Gedankens eben von der Hochschule von Wittenberg zurückgekehrt sein, von derjenigen Universität, welche wie schon erwähnt zur Zeit Shakespeare's für den Sitz und die Pflanzstätte der freien Forschung galt welcher Giordano Bruno seine Lehre von den Atomen und der Weltseele vortrug. Wenn dieser Umstand schon die Richtung andeuten dürfte, welche der Bildungsgang Hamlet's genommen, so legen die metaphysischen Betrachtungen, in denen er sich ergeht, ein deutliches Zeugniß dafür ab, wie sich seine Gedankenwelt wesentlich in der Sphäre der Skepsis bewegt. Nicht überblickendes Erkennen, nicht ein spekulatives Aufbauen ist der Zielpunkt seines Grübelns; sein ganzes Denken treibt mit vollen Segeln in die Negation hinein: der metaphysische Zweifel ist in ihm endemisch geworden, zum skeptischen Hang. Aus diesem gehen ihm die „bösen Träume" auf, seine Melancholie" d. h. der Pessimismus, mittels dessen er die Welt für ein Gefängniß ansieht, worin es viele Verschläge, Löcher und Kerker giebt, die Erde ihm nur ein kahles

[ocr errors]

Vorgebirge erscheint, der herrliche Baldachin, die Luft, dies wackre umwölbende Firmament, dies majestätische Dach mit goldnem Feuer ausgelegt ihm nicht anders vorkommt, wie ein fauler verpesteter Haufe von Dünsten. Und der Mensch? Was ist ihm diese Quintessenz vom Staube? Er hat keine Lust am Manne und am Weibe auch nicht.

Der skeptische Hang läßt allerdings das Pathos der Leidenschaft, aus dem heraus ein freies, großes Handeln nur möglich wird, in der That nicht aufkommen. Einen reichen Geist wie Hamlet's treibt er auf die schiefe Bahn des Bizarren. Daher die wunderliche Wahnsinnskomödie, mit der er alle Welt über sein Vorhaben zu täuschen sucht, sein extravagantes Wesen bei der Unterredung mit der Mutter (in der sogenannten Klosetscene), wo er „Dolche" sprechen will, sein übernommenes Benehmen an Ophelien's Grabe. Statt wahrhafter, nachhaltiger Empfindungen begegnen wir in ihm nur nervös sensitiven Wallungen, die in ihren fieberhaften Erregungen der noch so glänzenden Erscheinung immerhin etwas Unvermitteltes, Unharmonisches geben. Dem Zwiespalt pessimistischer Anschauung verfällt auch der Witz des Zweiflers, der weit entfernt von dem gemüthvollen Wohlwollen des Humors sich lediglich in bittern Sarkasmen bewegt und als Hang zur Ironie, als Spottsucht sich geltend macht, gewöhnlich wie es nicht anders sein kann in recht herber Weise.

In keinem andern Stück tritt der Subjektivismus des Dichters mehr zu Tage, als im Hamlet. Wie bei Shakespeare fast durchweg die Handlung als Produkt der Charaktere zur Erscheinung kommt, so auch hier. Bei der skeptischen Veranlagung des Helden, bei seinem Ausweichen vor der That,1) nimmt dem entsprechend die Handlung einen mehr negativen Verlauf, und verfällt folgerecht ins Unbestimmte, Nebelhafte. Und bei alledem stellt sich der Aufbau der Tragödie so überaus planvoll dar. Wo sonst die Thatkraft des Helden auf die Katastrophe hindrängt, wird hier in der Verzögerung derselben die zerstörende Macht des Zweifels, das Entkräftende des. Skepticismus klar und überzeugend vor Augen gestellt. Daß wir nichtsdestoweniger an der verzögerten Handlung sowie an dem Träger derselben, dem so gearteten Hamlet den regsten Antheil nehmen, der uns wünschen läßt, ihm immer und immer wieder auf der Bühne zu begegnen, zeigt von der innern poetischen Wahrheit

1) Gervinus II, S. 111.

des Ganzen. Mag uns in diesem Nachtstück Manches wie ein kaum lösbares Räthsel und darum fremd berühren, mag es dem Zuschauer kaum vergönnt sein, die problematische Erscheinung des von Erregung zur Schlaff heit vibrirenden Zweiflers fest und bestimmt zu fassen, wie die übrigen heroischen Gestalten des Dichters: der Held des Gedankens ist und bleibt dazu angethan, für sein Schicksal ebensoviel Furcht und Mitleid zu erregen, wie die Männer der That. In der Sympathie für Hamlet, den Dänenprinzen, spiegelt sich so recht eigentlich das Goethe'sche Wort:

Unserer Fehler groß Geheimniß

Schwankt zwischen Uebereilung und Versäumniß.

Geld und Geldwerth in Shakespeare's England.

Von

Dr. Vatke.

Beginnen wir mit den Theaterpreisen, so tritt uns der

Unterschied des Geldwerthes im Shakespeare'schen und im heutigen England bereits sehr deutlich entgegen.

Give me the penny.... let me have good ground, heißt es in Ben Jonson's The Case is alter'd I, 1. Für einen Penny also erlangte der „Gründling" des Parterres seinen Stehplatz. Ben Jonson erwähnt ferner die two pence galleries. Und in der Induction zu Cynthia's Revels sagt 3. Child: A stool, boy! - 2. Child: Ay, sir, if you'll give me sixpence I'll fetch one. - 3. Child: For what, I pray thee? what shall I do with it? 2. Child: O lord, sir! will you betray your ignorance so much? why throne yourself in state on the stage, as other gentlemen use, sir?

[ocr errors]

Die Worte im Prolog Shakespeare's zu Henry VIII endlich: if they be still and willing

I'll undertake may see away their shilling

werden auch von Genée (Shakespeare S. 61) gewiß mit Recht auf die „besseren Plätze" der feineren Theater bezogen.

Für twopence nun konnte das Volk sich auch dort belustigen, wo sein wahrer Himmel in London war, in Parish-Garden*): for at Putney I'll go to Parish-Garden for twopence. (Thomas Lord Cromwell II, 3)

*) In Henry VIII, V, 3 sagt der Pförtner: You'll leave your noise anon, ye rascals. Do you take the court for Paris-Garden? Dort fanden auch die Bärenhetzen statt.

« PreviousContinue »