Page images
PDF
EPUB

§. 29. Schleiermacher's Dialektik,

sein Standpunkt ein andrer zu seyn brauchte als der der Dialektik, die Religion in das Gefühl des Universums, und in die Hingabe an die Welt zu setzen. Dort hatte er nicht die dialektische Aufgabe, beide Ideen zu sondern, sondern nur das religiös-anthropologische den Zustand der Hingabe zu beschreiben. So grosse Mühe sich Schleiermacher einige Mal gibt, um die Gottes-Idee nicht a leere Einheit erscheinen zu lassen, so wird man doch wohl sagen müssen, dass sie sich zur Welt-Idee wie die Indifferenz zur Identität der Gegensätze verhalte und es ist daher weder zu verwundern dass er zu erklären versucht, warum Vielen das Absolute mit dem Nichts, d. h. der Negation adies Wirklichen, unter Gegensätzen Stehenden, zusammenfalle, noch auch dass er, offenbar mit einer Anspielung auf Hegel, unter den synonymen Ausdrücken für das unbedingte Sevn nicht nur die Ausdrücke Gottheit, höchstes Wesen, Absolutes, sondern auch Nichts anführt 1. Wenn so Gott and die Welt nicht sowol Begriffe sind als Ideen — (ein Ausdruck gegen den Kant Nichts einwenden könnte) — so ist es begreiflich, dass sie besonders von Wichtigkeit sind fur das methodische zu Stande kommen des Wissens (Kant würde sagen von regulativem, nicht constitutivem Gebrauch). Darum bilden diese beiden Ideen den Uebergang von den bisherigen Untersuchungen, welche Schleiermacher in dem ersten, oder transscendentalen Theil der Dialektik behandelt hatte zum

zweiten oder technischen Theil derselben, dessen Darstellung sich viel kürzer fassen kann, da er nur die methodologische Anwendung von dem enthält was im ersten Theile entwickelt worden war. Es soll nämlich der techische Theil der Dialektik das Wissen in seiner Bewegung der das Werden desselben betrachten. Je nachdem ein Wissen wird aus vorhergehender Receptivität der organischen Function zu der die Form des Wissens gesucht wird, oder umgekehrt aus einer zu Grunde gelegten Form, welche sich nach ihrer Materie umsieht, je nachdem entsteht es durch Construction oder Combination. Dass bei der erstern die Idee der Gottheit, als die Form alles Wissens die leitende ist, folgt aus dem frühern und wird durch das Ganz eben Factum bestätigt dass man geneigt ist die Reinheit der Auffassung durch das Beschwören zu constatiren 2.

ist bei der Combination oder dem systematischen Ordnen des Wissens die Idee der Welt (System), als die Verkettang und Verknüpfung des Wissens, leitend. Ein Versuch von diesen correlaten Ideen nur die eine geltend zu machen,

1. Dial. §. 225. Beil. C. (1822) p. 416. 2) Dial. §. 230. 231. 226. 232.

2

Am

würde das Wissen in Theosophie verwandeln, d. h. in den Versuch Alles aus dem Absoluten abzuleiten, welcher dann das Wissen als Weltweisheit gegenüber stünde. Da die Richtigkeit der Construction sich auf die richtige Begriffsund Urtheilsbildung reducirt, die der Combination aber sich auf heuristisches und architektonisches Verfahren gründet, so sind es diese vier Abschnitte, in welche der ganze technische Theil zerfällt. Die Betrachtung der Begriffsbildung zeigt, dass der Inductionsprocess allein keine Begriffe sondern Schemata gibt, eben so der Deductionsprocess 3 für sich genommen nur Formeln; erst aus der Verbindung beider ergibt sich der wahre Begriff, welcher immer zugleich die Theilungsgründe d. h. Arten enthalten muss. Endlich wird darauf hingewiesen, dass wegen der sinnlichen Seite jedes Begriffs eine Irrationalität der Begriffe der Einzelnen Statt findet, welche ihre Grenze an der Einheit der Sprache hat, wie andrerseits die Irrationalität der Sprachen durch die Einheit der Vernunft ausgeglichen wird. Die Lehre von der Urtheilsbildung kritisirt theils die sonstigen Eintheilungen der Urtheile (u. A. in synthetische und analytische), theils setzt sie andere in ihre Stelle. Wichtigsten ist hier die Stufenfolge vom ersten (unpersönlichen) Urtheil, in welchem das Chaos die Subjectstelle einnimmt, hinauf durch das unvollständige Urtheil (wo das Prädicat ein intransitives Verbum ist) zum vollständigen (Transitivum mit Object) endlich zum absoluten Urtheil wo die Welt das Subject ist und Subject und Prädicat, Seyn und Thun identisch sind, so dass also alles Denken in Urtheilsform ein Fortschreiten vom primitiven zum absoluten Urtheil, d. h. vom Chaos zur Welt ist. In Bezug auf das heuristische Verfahren wird gezeigt dass es auf divinatorischer Kunst beruhe, aber an der Congruenz und Analogie Principien für Induction und Deduction habe, so wie hinsichtlich der Urtheilsbildung an dem Versuch. Bei Weitem wichtiger sind die Lehren über das architektoniche Verfahren, weil sie nämlich zeigen wie sich nach Schleiermacher alles Wissen zu einem System gliedert. Hier ist nun von der äussersten Wichtigkeit der Satz, dass eine jede Ableitung das Ganze nur durch einen positiven Gegensatz theilen kann und zwar durch einen zusammengewetzten, so dass jedes Glied des Gegensatzes dieselben Momente mit dem andern enthält, nur mit verschiedenem, relativen Uebergewicht. Macht man nun von diesem Satz, dass

[blocks in formation]

3) §. 278-285. 6) §. 330-334.

aller Gegensatz fliessend (quantitativ) ist, die Anwendung auf das was über das Wissen gesagt war, und was in unserm Selbstbewusstseyn gegeben ist, so zerfällt das ganze Gebiet des Wissens in die beiden Wissenschaften der Einbeit des Realen und Idealen mit vorwiegender Realität und vorwiegender Idealität, d. h. der Wissenschaft der Natur und der Vernunft. Weil Natur und Vernunft beide Einheit des Realen und Idealen sind, deswegen wäre es sicht unmöglich Alles unter den einen oder den andern Gesichtspunkt zu stellen, so dass dann das Ethische nur gesteigertes Physisches würde. Immer würde dabei der Mensch als der Wendepunkt erscheinen, sey es dass er als der Blüthepunkt des Irdischen, sey es dass er als Naturwerden des Vernünftigen gefasst würde. Natur und Verunft bilden also einen fliessenden (quantitativen) Gegensatz 2. Nimmt man nun aber dazu was früher über den Gegensatz des empirischen und speculativen Wissens gesagt war, welcher gleichfalls mit dem Gegensatz des Realen und Healen zusammenhing, so wird sich die Wissenschaft wie Alles systematisch Gegliederte, in einer Viertheilung als Naturlehre und Naturwissenschaft, als Geschichtskunde und Ethik restalten, von denen immer je zwei, sey es nun durch ihren Gegenstand, sey es durch ihren empirischen oder speculativen Character, zusammen gehören. Da unter Welt die Einbeit von Natur und Vernunft zu verstehn ist, so wäre die vollendete Weltweisheit nicht nur speculative sondern auch empirische Wissenschaft sowol des Physischen als des Ethischen, wie denn auch wegen dieser Zusammengehörigkeit seine der vier Disciplinen vollendet werden kann ohne die anderen, und alle in gleichem Werden begriffen sind 3. Ausserdem aber enthält die Philosophie als vollendet gedacht noch einen Theil welcher die Form des Wissens betrachtet, and der, könnte er Wissenschaft seyn, Transscendentalphilosophie wäre, jetzt aber nur Kunstlehre, Dialektik ist. Das Carrelat derselben bildet die Mathematik, die sich zur Dialektik verhält wie die Form des Einzelnen zur Form des Allgemeinen d. h. wie das Zeit - Räumliche zum Ewigen. Beide aber begründen das reale Wissen so, dass man sagen muss dass in jedem realen Denken nur so viel Wissenschaft nd das Wissen nur in sofern vollendet ist, als sich darin (im Speculativen) Dialektik und (im Empirischen) Mathematik findet *.

12. Von den vier Disciplinen, in welche nach Schleiermarker die Weltweisheit zerfallen würde, hat er nur die

1; Dial. §. 341. 2) §. 213.
4)} 344-346. Aam.

3) §. 197. 290. 341 — 343.

$55

[merged small][merged small][graphic][subsumed][subsumed][subsumed][ocr errors][ocr errors][subsumed][subsumed]

ieden lässt ob es von der Naturwissenrden kann, oder ob es den Gegenstand ischer) Erörterungen bildet, die zwischen urwissenschaft fallen. Der Zielpunkt des nunft, wo sie weil ihr Handeln vollendet, elte, welcher reine Vernunft und seliges werden kann, fällt eben so ausserhalb der · natürliche Vernunft und irdisches (widerben kennt. Das Handeln der Vernunft auf ein Gestalten und Organisiren derselben, desdie ausserhalb der Ethik fallende Vorauserselben: ein ursprüngliches Organisirtseyn der die Vernunft, nämlich die Vernünftigkeit der en Natur als Gattung, und eben so fällt ausserder Zielpunkt, die Versittlichung alles mit der hen Natur in Verhältniss Stehenden d. h. der ganzen Natur, auf welche immer nur hingewiesen wird 2. ber die Ethik das sich vollendende Handeln der it und Organisirtwerden der Natur behandelt, worin en ist dass es vollendet sey und zugleich nicht sey, es klar dass es für sie keinen (absoluten) Gegensatz Gut und Böse, von Freiheit (Organisation) und Nothdigkeit (Mechanismus) gibt, indem Alles was sie darit gewordene und nicht gewordene Einigung, vollendete ganisirung und Rest von Mechanismus ist, so dass die thik Darlegung beider in ihrem Zusammenseyn ist 3. Verteht man unter gut die Einigung von Natur und Vernunft, so wird da es, trotz der Einheit der Vernunft, wegen der Mannigfaltigkeit welche die Natur darbietet, viele solche Einigungen gibt, die Ethik als Güterlehre dargestellt werden müssen. Man kann auch sagen als die Lehre vom höchsten Gut wenn darunter nicht irgend ein besonderes Gut verstanden wird, von dem wir ein besonderes Wissen hätten, sondern die Totalität aller Güter von der als Einheit des Seyns der Vernunft in der Natur, wir nur im In- und Durcheinander aller einzelnen Güter wissen. Eben so aber wird sie Tugendlehre seyn müssen, da sie die Kraft der Vernunft über die Natur darzustellen hat, in solcher Kräftigkeit aber die Tugend besteht. Endlich aber wird nicht nur das Resultat, nicht nur das woraus es herForgeht, sondern auch das Hervorbringen desselben dargestellt werden und darum die Ethik Pflichtenlehre seyn müssen, wenn Pflicht von Tugend so unterschieden wird, wie

der Sprachgebrauch richtig thut, wenn er den Menschen tugendhaft seyn, pflichtmässig handeln lässt. Was Schlei

1) Sittenl. §. 80-88. 2) §. 98-101. 123. 3) §. 91.92. 104. 105.

« PreviousContinue »