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diese ganz bestimmte Quanta extensionis seyn, d. h.

jede

wird aus einer bestimmten Summe von Aneinander bestehn. Verbindet man nun aber in Gedanken die beiden Endpunkte, indem man von dem einen in der Richtung zum andern eine diagonale Linie zieht, die Hypotenuse so ist, weil der Endpunkt gegeben ist, kein Grund vorhanden dass, indem man die Diagonale durch Hinzufügen neuer Aneinander von Punkten entstehn lässt, ihr letzter mit jenem gegebnen Punkt völlig zusammenfallen wird, ja die Erfahrung lehrt in dem Factum der Incommensurabilität das Gegentheil. Was wird die Folge seyn? Offenbar dass ein Bruchtheil des kleinsten Raumtheils gedacht werden muss, oder dass die gezogene Hypotenuse als ächtes Quantum des Aussereinander um eine undenkbar kleine Grösse zu klein oder zu gross ist für die Grenzpunkte wozwischen sie passen soll. Wo nun auf der ganzen Linie dieser imaginare Theil zu finden * ist, dies ist unbestimmt, man kann ihn überall auf der Linie suchen, und eben deswegen gibt es nun auf ihr keinen Theil wo man mit Sicherheit ein ächtes Aneinander zweier Punkte setzen könnte, daher wird die Linie an jeder Stelle als fliessend zu betrachten seyn, als ein Continuum, welches uns nöthigt einfache Punkte weder aneinander noch: ineinander zu setzen, sondern sie dergestalt schwinden zu lassen, dass sie nicht Eins, nicht Zwei, vielmehr ein unendlich theilbares Ganzes und doch nicht streng ausser einander seyen 2. Wenn aus dem angeführten Grunde das Continuum eine Ungereimtheit ist, so ist es doch eine solche, wie die imaginäre Grösse, welche innerhalb gewisser Grenzen brauchbar ist; werden daher seine Ansprüche nicht über diese Grenzen hinausgetrieben, so ist es kein Gegenstand des Tadels sondern eine für Geometrie und Metaphysik nothwendige Vorstellungsart. Der psychologische Mechanismus lässt im gewöhnlichen Denken diese Grenzen überschreiten, und gibt dem Begriff der Stetigkeit Platz in dem ursprünglichen Begriff des Aussereinander, welcher als bestimmte Sonderung kein Zusammenfliessen verträgt. Ort, wo das Stetige Platz findet ist ein andrer: Da nämlich in dem angeführten Fall die Hypotenuse zwar der Kathete incommensurabel doch aber ihre Function ist, so ist ein Begriff gegeben, welcher beibehalten werden muss, da er mit bekannten Begriffen in festem Zusammenhang steht, und man wird als Regel aufstellen können: keine reine oder selbstständige Linie ist als Continuum anzusehn, nur abhängige Linien soll man als stetig betrachten. (Darum z. B. die Kreislinie.) Oder anders: Jede Linie muss entweder

1) Allg. Met. II. p. 247. 248. 2) Ebend. p. 253. 245.

Der

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starr seyn oder zwischen, ohnehin schon festgestellte, Punkte eingeschoben. Hierin liegt nun der Grund warum wir uns hüten werden je von einer Linie zwischen zwei Punkten zu behaupten, wir wüssten die Summe der Aneinander aus den sie besteht, oder gar im sinnlichen Raum die Punkte einer Linie abzuzählen. Liegen (wie dies in beiden Fällen ist) die Punkte ohne unser Zuthun fest, so kann nicht bestimmt werden, ob eine starre Linie hineinpasst. Wenn aber die Geometer die Linie als Grenze der Flache definiren, so gehn sie immer von solchen festen Punkten aus, und darum ist es erklärlich warum sie nur stetige, ins Unendliche theilbare, Linien statuiren 2. Indem aber so das Element des geometrischen und sinnlichen Raumes, das Stetige, begriffen worden, hört auch die Nothwendigkeit auf, den intelligiblen Raum von dem des Geometers streng zu dern, und die Construction der Ebene als einer Kreisfläche aus der durch Abschneiden die verschiedenen Figuren, und des körperlichen Raumes als einer Kugel aus der, gleichfalls durch Abschneiden, die verschiednen Körper gebildet werden, ist beiden gemeinschaftlich, wie denn auch der psychologischen Unmöglichkeit dem sinnlichen Raum eine vierte Dimension zuzuschreiben, eine ganz analoge metaphysische Unmöglichkeit hinsichtlich des intelligiblen entspricht 3. Ueberhaupt muss man immer festhalten, dass intelligibler und sinnlicher Raum nur verschiednen Gedankenkreisen angehören, so dass man den einen ignorirt, um den andern zu denken *. Als das Wesentlichste der ganzen Untersuchung aber muss dies festgehalten werden, dass der Raum eine Form der Zusammenfassung ist, welche, wenn keine weitere Bestimmung hinzukommt, den Dingen gar kein Prädicat, für jeden Zuschauer aber eine in vielen Fällen unentbehrliche Hülfe darbietet, so dass also die gewöhnliche Ansicht, nach welcher der Raum ein von den Dingen (deren blosse Relation er ist) unabhängiges Seyn habe, eben so falsch ist als die Kantische, nach welcher nur der Mensch das Reale räumlich anzuschaun hat und nach der etwa ein andres Wesen der RaumVorstellung gar nicht bedürfte, oder einen andern Raum zur Anschauungsform haben könnte. Der Raum ist die Möglichkeit dass Etwas seyn könne, darum ist er, wo Etwas ist nicht wegzudenken, ohne Etwas aber wäre er Nichts. Mit dem bisher Gefundenen aber, mit Raum und Causalität ist auch gegeben, worauf die Untersuchung eigentlich hingeht, was man nöthig hat, um die Materie in ihren ersten Gründen zu erkennen,

1) Allg. Met. p. 245. 251. 248.
3) Ebend. p. 253–262.
5) Ebead. p. 263–267.

2) Ebend. p. 252.
4) Ebend. p. 317.

so dass sie ein beharrlich Wirkliches und weder ein ewig Fliessendes, noch eine blosse Erscheinung ist. Der wichtigste Begriff bei dieser Construction ist der des unvollkommnen Zusammen. Aus dem Begriff des Irrationalen und Incommensurablen nämlich erhellt, dass das Nicht-zusammen nicht braucht eine rationale Distanz (d. h. eine bestimmte Summe des Aneinander) zu betragen. Der Widerspruch der allerdings darin liegt, betrifft nicht das Seyende, sondern ihre Stellung bleibt in der Raumbestimmung und ist darum zu dulden. Eben so kann nun auch ein Zusammen gedacht werden, das unvollkommen ist, d. h. in welchem zwei reale Wesen in der Lage sind wie die beiden letzten Punkte einer Hypotenuse die theilweise einander decken sollen, als ob ein Punkt theilbar wäre, eine Fiction die, weil sie auch die Qualität der Wesen nicht trifft, hier zulässig ist wie in vielen Fällen 1, weil der Raum nur Form des zusammenfassenden Denkens ist 2. Vermöge des Begriffs vom unvollkommnen Zusammen wird es nun möglich, eine Aufgabe zu lösen, mit welcher die Naturphilosophie beginnt, und welcher Herbart schon frühe eine eigne kleine Schrift gewidmet hat 3, nämlich: auf synthetischem Wege einen Zustand der einfachen Wesen zu construiren, aus welchem Bewegung folgt, die das Ansehn hat, Folge von Anziehungskraft zu seyn, da dergleichen in der Erfahrung gegeben, der gewöhnliche Begriff der Anziehungskraft aber unhaltbar ist. Denkt man vermöge der bekannten Fiction, nach welcher Punkte dichter liegen als an einander, zwei einfache Wesen unvollkommen zusammen, so durchdringen sie sich theilweise; rief nun die Durchdringung oder das Zusammen Selbsterhaltung hervor, so scheint es als wenn bei unvollkommenem Zusammen nur ein Theil des Wesens zur Selbsterhaltung veranlasst werden würde, da aber dies nicht möglich ist, indem in ihm kein Unterschied der Theile ist, so ist im unvollkommenen Zusammen ein Widerspruch gesetzt, der nicht bestehn kann, und es bleibt also nicht beim unvollkommenen Zusammen, sondern wenn einmal zwei reale Wesen in diese Lage gerathen, so ist die Nothwendigkeit vorhanden dass sie vollends in einander eindringen. Wie hierin der Grund der (scheinbaren) Attractionskraft gefunden ist, so wird die scheinbare Kraft der Repulsion construirt, indem man mehrere reale Wesen denkt. Seyen es auch nur drei, und zwei unter ihnen gleichartig, so würde bei unvollkommenem Zusammen jedes derselben in das dritte ganz eindringen müssen,

1) Allg. Met. II. p. 268. 3) Theoriae de attractione (Kl. phil. Schr. I. p. 410 seq.)

2) Ebend. p. 269. 270. elementorum principia metaphysica. 1812. 4) Allg. Met. II. p. 270-274.

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§. 39. Herbart.

da aber dieses nicht sich doppelt selbsterhalten kann, so ist, dies unmöglich und so scheint es eine zurückstossende Gewalt auszuüben, die wir Repulsion nennen, und welche also die Attraction voraussetzt. Durch das Gleichgewicht beider Nothwendigkeiten besteht die Materie, deren Begriff also allerdings jene Grundkräfte voraussetzt, nur dass diese nicht als den realen Wesen immanent gedacht werden dürfen, sondern nur beim (zufälligen) Zusammenkommen derselben erscheinen. Diese Construction der Materie, die allerdings imaginäre Begriffe zu Hülfe nehmen musste, die aber nothwendig ist weil die Materie gegeben ist, und anders nicht gedacht werden kann, ergibt nun sogleich sehr wichtige Folgerungen: Denkt man sich eine Vielheit von Wesen in ein anderes unvollkommen eindringend, so werden je nach der Zahl derselben und ihrer Stärke, welche zusammen die körperliche Masse geben, schon die ersten ausgedehnten Klümpchen (moleculae) eine bestimmte Configuration haben müssen. (Man denke an die Krystallisation.) Da ferner die Lage der Elemente sich nach dem inneru Zustande richtet, so wird dem Versuch, dieses Entsprechen zu hindern, (z. B. dem Versuch Masse mechanisch zu trennen) ein Widerstand entgegentreten müssen, und es ergibt sich dass alle Materie elastisch ist. (Auch das Factum, dass unmittelbar vor dem Zerreissen der Widerstand am Stärksten ist, folgt daraus, dass das geringste Zusammen mit der stärksten Attraction verbunden ist.) Endlich folgt aus der Construction dass die Materie nicht ein Continuum ist, sondern ursprünglich eine starre Materie, deren nächste Elemente allemal einen bestimmten Bruch der Raumeinheit d. h. das Aneinander darstellen; eben so strebt sie zur Starrheit in bestimmter Gestaltung wenn sie verhindert ist, dieselbe anzunehmen. Wie der Begriff des Continuums, obgleich er widersprechend ist, doch beibehalten werden durfte, weil er gar nicht das Seyende betraf, sondern nur die Form des Zusammenfassens, und also blosse Gedankendinge, so gilt dasselbe von einem andern auch nur formalen Begriffe, welcher mit dem Begriff der Stetigkeit untrennbar verschmolzen ist, dem BeDas Fehlerhafte in der gewöhngriff der Bewegung 3. lichen Auffassung derselben ist, dass man die Fortdauer der Bewegung auf einen gewissen Trieb oder nisus gründet, ohne zu bedenken dass dieser, wie jeder andre Trieb zu einer Befriedigung und also gerade zum Erlöschen der Bewegung führen müsste, während das Bewegte nur

1) Allg. Met. II. p. 274. 276. 288.
3) Theor. de attr. elem. §. 22. 23.

2) Ebend. p. 277–281.

darum gleichmässig fortrückt, weil es an jedem Punkte gerade so sich verhält wie an dem andern, d. h. weil die Bewegung gar nicht Prädicat des Bewegten, weil sie ein Wechsel ist, der ausser dem Bewegten gesucht werden muss. Weil nämlich die Bewegung bloss relativ ist, indem jedes reale Wesen einzeln genommen als ruhend, dann aber ihm gegenüber das andere als bewegt, betrachtet werden muss, oder was dasselbe ist: weil jedes reale Wesen in seinem eignen Raume ruht, jedes aber sammt seinem Raume in dem Raume des andern sich bewegt, deswegen braucht man sich gar nicht zu scheuen dem Zeno zuzugeben, dass die Bewegung ein Widerspruch sey. Sie ist es weil ihr Element, deren Multiplication durch die Zeit die Bewegung gibt, die Geschwindigkeit nämlich, d. h. das Zugleichseyn in mehrern Punkten einen entschiednen Widerspruch enthält 2. Die Geschwindigkeit ist das Element oder der allgemeine Begriff der Bewegung, welches multiplicirt mit der Zeit die Bewegung gibt, welche darum von den Mechanikern mit Recht = ct gesetzt wird. Der Multiplicandus, die Geschwindigkeit, ist eine intensive Grösse. Nun kann eine intensive Grösse in dreierlei Weise multiplicirt werden: erstlich so dass die Intensität gesteigert wird (z. B. wenn ein Zimmer wärmer wird) zweitens so dass die Zahl der Gegenstände gemehrt wird und sie also ohne Steigerung mehrmals dargestellt wird (z. B. wo ein grösserer Raum den Wärmegrad des kleinern enthält) drittens aber so, dass die Intensität vielmal an demselben Gegenstand vorkommt ohne gesteigert zu werden. Da im Ansammeln der intensiven Grösse offenbar eine Steigerung gesetzt wäre, so ist diese letzte Multiplication nur so zu denken dass wenn der zweite Grad gesetzt wird, der erste aufgehoben wird u. s. f. Dieses Verhältniss, in welehem die Dauer und ihr Correlat, der Wechsel, enthalten ist, kann auf Reales dessen Setzung ja nicht aufgehoben werden konnte (s. p. 332) natürlich nicht angewandt werden, wohl aber auf die Bewegung, deren Element sich wiederholt d. h. multiplicirt wird. Darum ist die Zeit nichts Anderes als eine Zahl, aber mit besonderer Beziehung auf einen Multiplicandus von solcher Art, dass seine Vervielfältigung sich nicht anhäufen darf, vielmehr jedem Exemplar die andern weichen müssen. Ganz wie die Zahl überhaupt leicht mit der Anzahl verwechselt wird, indem man den von der Zahl zwar unzertrennlichen aber unterschiedenen Beziehungspunkt (den allgemeinen Begriff des zu vervielfältigenden Gegenstandes) in die Zahl hineinzieht und Einheit nennt, eine Ansicht bei welcher der Begriff der

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1) Allg Met. II. p. 293 295.

2) Ebend p 296. 297. 305. 308.

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