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einige Punkte, ganz wie die alten Kantianer festgehalten, worüber Fichte und Schelling hinausgegangen sind. Dies der Grund warum er sich Kantianer nennen und lange Zeit von eifrigen Kantianern als Geistesverwandter angesehn werden konnte. Auf der andern Seite ist er vollkommen in seinem Recht, wenn er sich einen Kantianer nennt, der nicht auf dem Standpunkt der Kategorienlehre und Kritik der Urtheilskraft stehe, so dass also diese Lehren Kant's als Verirrungen von ihm bei Seite gelegt werden. Wenn er endlich an derselben Stelle sagt: er sey ein Kantianer des Jahres 1828, so ist er auch in dieser Beziehung in seinem Recht, indem er fortgebildet hat, was er dem Kriticismus entlehnte. Es ist hier nun auf die Hauptpunkte der Kantischen Lehre hinzuweisen deren Festhalten, Verwerfen, Ausbilden ihn in die negative Stellung zu den Systemen brachten, in welchen die nothwendige Consequenzen des Kriticismus nachgewiesen wurden. Der Fortschritt, dessen sich Fichte gleich anfangs am Meisten gerühmt hatte, war dass die Wissenschaftslehre indem sie die gemeinschaftliche Wurzel der theoretischen und praktischen Vernunft untersucht, sich des Dinges an sich entledigt habe. Beides hing in der That aufs Genauste zusammen; denn wenn Kant gesagt hatte, dass das praktische Interesse dahin bringe Grenzen des Erfahrungsgebietes und darum des Wissens anzunehmen, so folgt von selbst dass sobald die Vernunft nur praktisch ist, von einem solchen Begrenzen nicht die Rede seyn kann. Hier hält nun Herbart den Gegensatz des Theoretischen und Praktischen auf das aller Entschiedenste fest, eben darum ist ihm aber auch eines der grössten Verdienste Kant's, sein Ding an sich, welches wirklich ein Grenzbegriff sey, ein Wegweiser nämlich welcher anzeige, dass jenseits des Gebietes der Erscheinungen ein Reales sey, nicht nur gewollt werde. In so weit ist Herbart viel mehr Kantianer als Fichte. Auf der andern Seite war ihm die intellectuelle Anschauung des Identitätssystems ein Gräuel, und die ganze Naturphilosophie desselben eben so. Er konnte nicht leugnen dass sowol jene (in den Sätzen über den intuitiven Verstand) als diese (in den Schlusspunkten beider Theile) in der Kritik der Urtheilskraft enthalten war. Ihm erscheint weiter die ganze Nachkantische Philosophie als Idealismus, welcher bei der Absurdität ankommt, dass die Naturphilosophie die Natur schaffen müsse. Andrerseits weiss er dass dieser Satz von dem Kantischen: der Verstand macht die Natur und gibt ihr Gesetze, nicht sehr weit entfernt ist, dass aber dieser Satz die nothwendige Consequenz der Kategorienlehre und der Lehre von Zeit und Raum ist, darum verwirft er jene und sagt, die letztere sev der schwächste

Punkt in Kant's Lehre. Hier sind Fichte und Schelling viel mehr Kantianer als Herbart, der sich namentlich in der Lehre vom Raum, Leibnitz viel näher stellt als Kant. Es verhält sich ganz eben so hinsichtlich jener intelligiblen That welche den Character bestimmt bei Kant, in welcher Herbart sowol die Keime der verhassten Freiheitslehre als auch des, eben so verhassten, Pantheismus sah, und die er eben deswegen als Fiction abweist, während er auch hier sich den Vorkantischen Philosophen näher stellt. Wird endlich darauf gesehn, dass nach Kant die Psychologie ein Theil der Naturwissenschaft, Naturwissenschaft aber nur in so weit Wissenschaft war als sie Mathematik enthält, dass endlich Kant selbst, wenn auch in minimo, in der Seele Vorgänge statuirt, die Grössenunterschiede darbieten, so konnte ein Mann, der nun Ernst damit machte die Natur, welche Object des innern Sinnes ist der wissenschaftlichen d. h. mathematischen Betrachtung zu unterwerfen, mit Recht sich als Einen bezeichnen, der fortgebildet habe, was Kant angedeutet hatte, und also Kantianer sey einer fortgeschrittenen Zeit. Ja die Anknüpfung von Herbart's mathematischer Psychologie an Kant erscheint fast natürlich, wenn unmittelbar vor jener, Kant's Schriftchen über die negative Grösse wieder durchliest, und dort nicht nur dem Rathe begegnet mehr Mathematik in die Philosophie zu bringen, sondern auch der Bemerkung dass einige Vorstellungen sich negiren können, während bei andern dieses negative Verhältniss nicht Statt finde.

2. Johann Friedrich Herbart wurde zu Oldenburg am 4 Mai 1776 geboren. Schon als Knabe ward er theils im Religionsunterricht theils durch Lectüre mit philosophischen Lehren der Wolfianer, später der Kantianer, bekannt, so dass er nicht unvorbereitet die Universität Jena bezog gerade in dem Jahr, wo Fichte dort zu dociren anfing. Die persönliche Berührung mit diesem, so wie die Theilnahme an einer literarischen Gesellschaft unter den Studirenden, diente ausser dem ernsten Studium zu seiner wissenschaftlichen Ausbildung. Eine kurze Zeit scheint er wirklich Anhänger der Fichte'schen Lehre gewesen zu seyn, den wissenschaftlichen Ernst des Lehrers hat er stets gerühmt und z. B. gegen Schopenhauer in Schutz genommen. Seine Kritik der Schelling'schen Schriften:,, Ueber die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt," und ,,Vom Ich zeigt, dass schon im J. 1796 jene Scheidung Herbart's von allem Idealismus begonnen hatte, die seinen Standpunkt characterisirt. Von jener Zeit beginnt auch sein

1) Herbart's kleinere philos. Schriften herausg. v. Hartenstein. Einl.

Studium der griechischen Philosophie. Im Jahre 1797 nahm er eine Hauslehrerstelle in der Schweiz an um,, lehrend zu lernen;" mit sich selbst verleugnender Gewissenhaftigkeit trieb er immer für sich nur das, was jedes Mal Hauptgegenstand der Zöglinge war, darum zuerst besonders Mathematik. Dabei aber beschäftigten ihn philosophische Fragen, vor allen sehr begreiflicher Weise der Begriff des Ich. Die ersten Spuren von quantitativer und mathematischer Betrachtung des Psychischen finden sich in Fragmenten aus jener Zeit. Im J. 1800 verliess Herbart die Schweiz, verbrachte einige Jahre auf dem Landgute seines Freundes Joh. Smidt bei Bremen theoretisch und praktisch mit pädagogischen Arbeiten beschäftigt, und ging dann nach Göttingen, wo er sich im J. 1802 als Docent habilitirte. In demselben Jahr erschienen seine ersten Schriften, alle die Pädagogik betreffend. Seine Habilitationsthesen zeigen übrigens, dass er mit den Principien der einzelnen philosophischen Disciplinen, mit Ausnahme der Metaphysik im Reinen war. Auf diese wandte sich jetzt Herbart's Aufmerksamkeit und im J. 1806 gab er, zunächst als MS. für seine Zuhörer seine Hauptpunkte der Metaphysik heraus, die dann im J. 1808 dem grössern Publico geboten wurden. Im J. 1809 nahm Herbart den Ruf nach Königsberg als ordentlicher Professor der Philosophie und Pädagogik an, in welcher Stelle er zugleich ein pädagogisches Seminar gründete. Neben seinen akademischen Vorlesungen, neben seiner Wirksamkeit im Seminar und in der wissenschaftlichen Prüfungs-Commission, war er auch als Schriftsteller sehr thätig, und sein Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie, seine Psychologie, seine allgemeine Metaphysik, d. h. seine Hauptwerke sind hier geschrieben. Im Jahre 1833 ward ihm die Professur der Philosophie in Göttingen welche G. E. Schulze verwaltet hatte, angeboten. Der Verdruss, die durch Hegel's Tod erledigte Professur in Berlin nicht erhalten zu haben, trug wenigstens dazu bei, dass er den Ruf annahm. Der Anklang, den seine Vorlesungen fanden war hier grösser als in Königsberg, dagegen die schriftstellerischen Arbeiten dieser Zeit begreiflicher Weise denen nachstehn, die in der Blüthe der Jahre geschrieben wurden. Am 14 Aug. 1841 starb Herbart, vom Schlage gerührt; er hat in allen Verhältnissen in welchen er gelebt, den Ruhm eines edlen und festen Characters erworben. Nach seinem Tode ist von seinen Schülern erst eine Sammlung kleinerer Schriften, dann eine Gesammtausgabe seiner Werke veranstaltet 1.

1) Hartenstein's Ausgabe von Herbart's kl, phil. Schr. enthält ein voll

3. Vom Herbart'schen System im ganzen Zusammenhange gibt keines seiner Werke einen so klaren Ueberblick

ständiges Verzeichniss aller Werke und Abhandlungen, so wie aller Recensionen, welche Herbart geschrieben. Es ist zu bedauern, dass Hartenstein aur die bedeutenden unter den letztern hat abdrucken lassen. Cebergehn wir ine Recensionen so sind in chronologischer Folge Herbart's Arbeiten fol

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1796 Versuch einer Beurtheilung von Schelling's Schriften: Ceber die Möglichkeit einer Form der Philosophie überhaupt, und: Vom Ich oder dem Unbedingten im menschlichen Wissen. Zuerst bei Hartenst. III. S. 42-74.

1502 Leber Pestalozzi's neuste Schrift: Wie Gertrud ihre Kinder lehrte. An drei Frauen. In der Monatsschrift Irene. Dann bei Hartenst. III. S. 74-90.

Pestalozzi's Idee eines A B C der Anschauung. 2te Aufl. 1804.

Rede bei Eröffnung der Vorlesungen über Pädagogik. Hartenst. 1.
S. 1—16.

1804 Kurze Darstellung eines Plans zu philosophischen Vorlesungen. Götting. Römer dann bei Hartenstein I. S. 17-28.

Leber den Standpunkt der Beurtheilung der Pestalozzi'schen Unterrichtsmethode. Eine Gastvorlesung gehalten im Museum za Bremen. Bremen Seyffert. Bei Hartenst. 1. S, 29–40.

Leber ästhetische Darstellung der Welt, als das Hauptgeschäft der Erziehung. Ebendas. S. 43-65.

1505 De Platonici systematis fundamento commentatio. Göttingen Schneider. Bei Hartenstein I. S. 66-98.

1806 Allgemeine Pädagogik aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet. Gött.

Bomer.

1507 Leber philosophisches Studium. Göttingen Dieterich. Bei Hartenst, ]. 3.99-198.

158 Hauptpunkte der Metaphysik. Göttingen Dankwarts. Bei Hartenst. I. S. 199 — 266.

Allgemeine praktische Philosophie. Göttingen Dankwarts. 1809 Vorrede und Anmerkungen zu L. G. Dissen's kurzer Anleitung die Odyssee mit Knaben zu lesen. Götting. Dieterich. Bei Hartenst. 1. S. 267-280.

18:0 Rede an Kant's Geburtstage gehalten. Königsb. Archiv für Philos. 1812. Bei Hartenst. I. S. 281-298.

- Leber Erziehung unter öffentlicher Mitwirkung. Vorgelesen in der k. Deatschen Gesellschaft in Königsberg. Bei Hartenst. I. S. 299-312. 1:11 Leber die Philosophie des Cicero. Vorlesung in der D. Gesellsch. Baigsb. Archiv I. Bd. 1. St. Bei Hartenst. J. S. 313-330.

Psychologische Bemerkungen zur Tonlehre. Königsb. Archiv I. Bd. 2.
St. Bei Hartenst. I. S. 331-360.

1812 Psychologische Untersuchung über die Stärke einer gegebnen Vorstellung als Function ihrer Dauer Königsb. Archiv I. Bd. 3. St. Hartenst. I. S. 361–393.

Leber die dunkle Seite der Pädagogik. Königsb. Archiv I. Bd. 3. St.
Bei Hartenst. 1. S. 399–408.

Theoriae de attractione elementorum principia metaphysica. Regiomont.
typ. academ. Bei Hartenst. I. S. 409-461. Hieran schliessen sich:
Philosophische Aphorismen veranlasst durch eine neue Erklärung der
Anziehung unter den Elementen. Königsb. Archiv I. Bd. 4. St. Bei
Hartenst. I. S. 467-486.

Bemerkungen über die Ursachen welche das Einverständniss über die

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als sein Lehrbuch zur Einleitung. An dieses hat sich die Darstellung besonders zu halten, wo es sich um den Begriff

ersten Gründe der praktischen Philosophie erschweren

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nebst Vorrede

zu Chr. Jac. Kraus nachgelassenen philos. Schr. Königsb. Nicolovius. Bei Hartenst. I. S. 523-538. 1813 Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie Königsb. Unzer. 4te Aufl. 1837.

1814 Ueber den freiwilligen Gehorsam als Grundzug des ächten Bürgersinnes in Monarchien. Rede am Krönungstage. Bei Hartenst. II. S. 1 — 14. Bemerkungen über einen pädagogischen Aufsatz. Ebend. II. S. 15 — 28. Ueber Fichte's Ansicht der Weltgeschichte. Rede in der D. Gesellsch. Ebend. S., 29–44.

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Ueber meinen Streit mit der Modephilosophie. Königsb. Unzer. Bei
Hartenst. II. S. 45-98.

1816 Lehrbuch zur Psychologie. Königsb. Unzer. 2te Aufl. 1834.

1817 Ueber den Hang des Menschen zum Wunderbaren. Rede in der Deutsch. Gesellsch. Bei Hartenst. II. S. 99-114.

Gespräche über das Böse Königsb. Unzer. Bei Hartenst, II. S. 115– 206.

1818 Ueber das Verhältniss der Schule zum Leben. Vorles. in d. Deutsch. Ges. Ebend. III. S. 90-98.

Pädagogische Gutachten über Schul- Klassen. Königsb. Nicolovius. Bei
Hartenst. I. S. 207-261.

1819 Ceber die gute Sache. Gegen Professor Steffens. Lpz. Brockhaus. Bei Hartenst. II. S. 262 — 296.

Erste Vorlesung über praktische Philosophie. Bei Hartenst. II. S. 297 310.

1821 Ueber Menschenkenntniss in ihrem Verhältniss zu den politischen Meinungen. Ebendas. S. 311–330.

Ueber einige Beziehungen zwischen Psychologie und Staatswissenseb.
Ebendas. S. 331-352.

Leber den Unterricht in der Philosophie auf Gymnasien. (In der 2ten
Aufl. des Lehrb. zur Einl. und bei Hartenst. III. S. 98-107.)

1822 Ueber die Möglichkeit und Nothwendigkeit, Mathematik auf Psychologie anzuwenden. Königsb. Bornträger. Bei Hartenst. II. S. 417 — 458.

De attentionis mensura causisque primariis. Regiom.
Bei Hartenst. II. S. 353-416.

Bornträger.

1823 Ueber die verschiednen Hauptansichten der Naturphilosophie. Bei Hartenst. II. S. 459-478.

1824. 25 Psychologie als Wissenschaft neu gegründet auf Erfahrung Metaphysik und Mathematik. Königsb, in Comm. b. Unzer. 1828 Ueber die allgemeinsten Verhältnisse der Natur. Bei Hartenst. II. S. 479-496.

1829 Allgemeine Metaphysik nebst den Anfängen der philosophischen Naturlehre. Königsb. in Comm. b. Unzer.

1831 Ueber die Unmöglichkeit persönliches Vertraun im Staate durch künstliche Formen entbehrlich zu machen. In ,,das Krönungsfest des preuss. Staats" etc. Königsb. 1831. Bei Hartenst. II. S. 497-516. Kurze Encyclopädie der Philosophie aus praktischen Gesichtspunkten entworfen. Halle Schwetschke. 2te Aufl. 1841.

Briefe über die Anwendung der Psychologie auf Pädagogik. ́ (Unvollendet) bei Hartenst. II, S. 517 — 694.

Ueber das Verhältniss des Idealismus zur Pädagogik. Ebend. S. 695-720.

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