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Katholicismus, der Andere innerhalb desselben, die Freiheit des Individuums zur Geltung zu bringen bestrebt gewesen seien, und wie nunmehr in Renan's Leben Jesu nichts Anderes zu Tage trete, als der Versuch, das unter der frivolen Decke immer lebendiger sich regende religiöse Bedürfniss durch frisches Schöpfen aus den Urquellen des Christenthums zu befriedigen. Er zeigte diese Regungen eines tieferen Dranges, aus denen das Aufsehen, welches Renan gemacht habe, zu erklären sei, auch in der Opposition gegen die Ideen von 1789, die sich auf religiösem Gebiete, und zwar nicht sowohl vom katholischen, als gerade vom protestantischen Standpunkte aus, in der französischen Literatur gegenwärtig bemerklich mache. Im Anschlusse an diesen Vortrag deutete Herr Schweichel an, dass die religiöse Bewegung, gleichwie in Frankreich selbst, auch in Belgien und in der französischen Schweiz sich vollziehe. Endlich wies Herr Märker darauf hin, dass die Leistung Renan's darum einen so gewaltigen Eindruck mache, weil er mit orientalischer Anschauung und mit tiefer Empfin dung schreibe, jedes kritische Bestreben aber fern halte.

89. Sitzung, am 24. November 1863. Herr Büchmann machte Mittheilung über Henry Ward Beecher, den Bruder der berühmten Beecher Stowe, den gefeiertsten amerikanischen Kanzelredner, in Bezug auf eine kürzlich hier erschienene Uebersetzung einer Sammlung von Stellen aus seinen Reden, namentlich aus den bisher von ihm herausgegebenen Schriften: Summer in the soul or views and experiences, Royal truths und Life thoughts. Beecher glaubt an die volle Authenticität des überlieferten Wortes, er ist ein Feind alles Heuchlerthums, ein eifriger Prediger des lebendigen, ein Verfolger des todten Christenthums; als Schriftsteller hat er einen Jean Paul'schen Charakter; sein Styl zeichnet sich durch einen grossen Reichthum an Bildern, die, meist der gemeinen Wirklichkeit entlehnt, dennoch höchst poetisch sind. Die Uebersetzung giebt, ohne der deutschen Sprache Gewalt anzuthun, das Original treu und in voller Frische wieder. Das Buch enthält keine zusammenhängende Rede, sondern nur Bruchstücke, die von Verehrern Beecher's aus seinen Predigten aufgezeichnet worden sind, und der Uebersetzer hat sich das Verdienst erworben, den im Original chaotisch gemischten Stücken eine übersichtliche Ordnung zu geben. Zum Schluss wurden Exemplare der kürzlich von Beecher in Exeterhall, London, gegen die Sclaverei gehaltenen Rede vertheilt. Herr Altmann legte eine in Pesth erschienene Uebersetzung der Gedichte Alexander Petöfi's vor, die er als schwerfällig und ungeordnet kritisirte, und theilte Proben der seinigen mit. In einer Discussion, der sich besonders die Herren Hermes und Märker betheiligten, wurde bemerkt, dass die Gedichte sich weder durch besondere Originalität und Kraft der Gedanken, noch der poetischen Form auszeichnen. Die Begeisterung, die für den Dichter sich zeige, sei mehr ein Ausdruck der Opposition gegen Oesterreich, als wirklichen Gefühls für

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dichterische Grösse. Ueberhaupt sei zu bemerken, dass die schöpferische Kraft des ungarischen Geistes im Abnehmen begriffen sei; das Letztere bestritt der Vortragende. Herr Büchsenschütz referirte über Ebelings Geschichte der komischen Literatur in Deutschland. Das Werk schliesst sich an das Flögel'sche an und beginnt mit Liscow, dessen stylistische Grösse nicht genügend gewürdigt wird, geht dann auf Lindenborn (Herausgeber einer satyrischen Wochenschrift in Köln), die Kanzelredner, endlich den Streit Gottsched's mit den Schweizern and Lessing's mit Klotz über, welcher letztere Gegenstand einen unverhältnissmässig grossen Raum einnimmt. Ebeling versucht eine Rettung Klotz's gegen Lessing; dieser sei durch Feinde Klotz's aufgehetzt worden, namentlich durch Nicolai, gegen dessen Bibliothek Klotz eine Concurrenzschrift herausgegeben. Was der Verfasser über Lessing's antiquarische Briefe beibringt, ist unbedeutend. Auffallend ist seine Neigung, sich bei kleinlichen literarischen Nörgeleien aufzuhalten; der Styl ist überreich an Bildern, die mit Vorliebe aus dem Schmutze genommen werden.

90. Sitzung, am 8. December 1863. Herr Mahn theilte seine neuesten Untersuchungen über die Etymologie der Wörter Accaparer, Chamarrer, Acajou, Albatros, Cigare, Vega und Alfana mit. Herr Michaelis überreichte A new system of English Stenography, on the principles of W. Stolze, by Dr. Gustav Michaelis, und gab einleitend eine kurze Geschichte der Stenographie. Seitdem in England zu Anfang des 17. Jahrhunderts die ersten Versuche auf diesem Gebiete gemacht wurden, sind im Ganzen etwa 200 Werke über den Gegenstand gefolgt. In Deutschland erschien das erste Lehrbuch der Stenographie, von welchem ein Exemplar vorgelegt wurde, im Jahre 1679; zum zweiten Male unternahmen Horstig und Mosengeil am Ende des vorigen Jahrhunderts die Einführung der Stenographie in Deutschland, auch sie ohne durchgreifenden Erfolg. Das neueste englische System des Isaac Pitman hat noch keinen deutschen Bearbeiter gefunden, da inzwischen Gabelsberger und Stolze weit über die alten englischen Systeme hinausgegangen sind, indem sie an die Stelle der starren geometrischen Formen eine Schrift gesetzt haben, die nicht nur für den Gebrauch geschickter ist, sondern auch auf wissenschaftlich durchgebildeten Principien beruht. Herr Michaelis zeigte dann im Einzelnen, wie er mit den Mitteln des Stolze'schen Systems den eigenthümlichen Anforderungen der englischen Sprache genügt habe.

Zum Schluss betrachtete Herr Friedberg den historischen Don Carlos vom ärztlichen Standpunkte aus. Er stellte die mit einzelnen Anfällen von Raserei und Melancholie verbundene Schwachsinnigkeit des Prinzen historisch und medicinisch fest, und gelangte dann zu dem Nachweise, dass diese Zustände wesentlich gesteigert worden sind durch eine Gehirnaffection, welche Don Carlos, 16 Jahre alt, durch einen Sturz auf den Kopf erlitten, und dass sein frühes Ende

Archiv f. n. Sprachen. XXXV.

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chronische Arsenikvergiftung herbeigeführt worden zu scheine. In Bezug auf den letzten Punkt erinnerte Herr Foss an die abweichende Ansicht, welche Ranke (in den Wiener Jahrbüchern) wahrscheinlich gemacht habe.

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91. Sitzung, am 5. Januar 1864. Herr Bollmann sprach über Goethe's Natürliche Tochter. Nachdem er Goethe's Stellung zur französischen Revolution besprochen und die darauf bezüglichen Dichtungen kurz betrachtet, wandte er sich zu einer Erörterung der Glaubwürdigkeit der Mémoires der Prinzessin Stephanie Louise de Bourbon Conti, nach denen Goethe die Natürliche Tochter dichtete. Der Vortragende hob die von Goethe mit dem Stoffe vorgenommenen Veränderungen hervor und ging dann zu einer ästhetischen Betrachtung des Stückes über, wobei besonders der Charakter der Hofmeisterin einer eingehenden Analyse unterzogen wurde. Bemerkungen über die von Goethe beabsichtigte Fortsetzung des Stückes beschlossen den Vortrag.

Darauf stellte Herr von Thielau den Grafen Cavour als Schriftsteller und Redner dar. Er gab einen kurzen Lebensabriss desselben und zeigte dabei, dass Cavour, als Sohn eines piemontesischen Vaters und einer französischen Mutter, erst spät in italienischer Sprache als Schriftsteller, noch später (1850) als Redner auftrat, und dass er zwar im Französischen und im Piemontesischen sich frei und leicht bewegte, in italienischer Rede aber den Ausdruck nur mit grosser Schwierigkeit gestaltete, so dass er nicht sowohl durch oratorische Kunstleistung als vielmehr durch überlegene Ruhe in seiner Haltung und durch klare Einfachheit in seinen Worten auf die Zuhörer wirkte.

Zuletzt rügte Herr Franz den Uebelstand, dass öfter Schulprogramme in französischer und englischer Sprache von Solchen geschrieben werden, die dieser Sprachen nur in geringem Grade mächtig sind; wie dadurch das deutsche Schulwesen beim Auslande in Missachtung gerathen muss, zeigte er an einem schlagenden Beispiele.

92. Sitzung, am 19. Januar 1864. Herr Boltz las in spanischer Sprache über den Einfluss der deutschen Literatur auf die spanische, gab zum bessern Verständniss eine kurze Uebersicht der spanischen Formenlehre, verglichen mit dem Latein, und theilte interessante Proben von Gedichten, die zugleich italienisch und lateinisch sind, so wie vom Dialekt von Vitti in Sardinien, der fast ganz lateinisch ist, mit. Herr Roth sprach über die Schicksale, die der Stoff der Novelle des Boccaccio: Ghismonda und Guiscardo unter den Händen von Hans Sachs ('eine klaiglich Tragedy des Fürsten Concreti'), Bürger (Lenardo und Blandine) und Immermann (die Opfer des Schweigens) erfahren hat. Während bei Boccaccio Ghismonda eine junge Wittwe ist, die sich aus reinem Drang und Noth der Natur einem Manne niederen Standes ergiebt, der nach Entdeckung des Geheimnisses ermordet wird und dessen ihr übersandtes Herz sie in einem Giftpokal geniesst; wäh

rend Sachs mit kindlicher Einfalt den Stoff beibehält, doch nicht ohne Ghismonda zur Jungfrau zu machen, die den vom Vater begünstigten Freier verschmäht; um dann die Lehre zu ziehen, dass man mit den Schwächen der Jugend Nachsicht haben und sie vor Schande bewahren solle; während Bürger den vielfach geänderten Stoff zum Träger des Gedankens macht: es sei ein unsittlicher Grundsatz, den Stand zum Massstab der Zusammenfügung von Bündnissen für's Leben zu machen, und dies mit gutgemeinter Begeisterung und Rohheit ausführt, weiss Immermann erst ein wahrhaft tragisches und psychologisch würdiges Bild zu gestalten, indem er in Ghismonda eine launische, nervöse Natur zeichnet, die in den strengsten Formen lügenhafter Etiquette erzogen, als sie mit den Lippen einem Freier ihr Jawort gegeben, plötzlich mit einem Zauberschlag von Liebe zu einem andern übermannt wird. Aber nachdem sie das erste Mal die Allmacht eines wahren Gefühls erkannt, weiss sie ihrer Liebe sich nicht ganz und wahr hinzugeben, sondern nimmt dem Geliebten das Gelübde des Schweigens über sein Glück ab, das dieser, vom Fürsten zur Rede gestellt, mit dem Tode besiegelt. Als er so der Lüge zum Opfer gefallen, vergiftet sie sich an seiner Leiche, um nun in Wahrheit ihm zu gehören; der Kern des Stücks ist der Gedanke, dass Behauptung des Scheins gegen Natur und Wahrheit den Menschen verderbe. Auffallend ist die Vornehmheit, mit der die Literarhistoriker wie Gervinus und Menzel das Stück ganz übergehen, Strauss, Schmidt und Gottschall es verächtlich behandeln. Eine kurze Nachricht über die Schicksale des Stückes auf dem Theater schloss den Vortrag. Herr Mahn untersuchte die Etymologie von bague (das nicht in den übrigen roman. Sprachen erscheint, daher nicht latein. Ursprungs, vielmehr vom niederdeutschen bagga herzuleiten), aise (unter Abweisung der Etyma otium, adaptare, behagen (Frisch) alatos, goth. aseti (Grimm) vom baskischen az, Hauch, Vergnügen abgeleitet wird), Wan-See (Cybulsky von slaw. więznąć (sinken) See mit kothigem Boden; vielmehr vom deutschen Wanne), Zehlendorf (Berghaus und Fidicin: Zedelendorp schon aus dem 14. Jahrh., nach Buttmann, Ortsnamen der Mittelmark und Lausitz, vom slaw. zeleny (grün); vielmehr vom russ. ceão, selo, urspr. sedlo, Grundstück, Dorf mit Kirche; mit einer bei Ortsnamen häufigen Tautologie; von der Wurzel sed, sich setzen. Nach einer Schlussbemerkung über die von einem andern Mitglied angegebenen Etymologie chamarré von Schmarre, fügte Herr Boltz Bestätigendes für bague (nordisch: bauk, Ring) bei; die Richtigkeit der Etymol. Wan-See von Wanne wurde von mehreren Seiten bestritten.

Den Rest des Abends nahm die Verhandlung von Vereinsangelegenheiten in Anspruch.

Der Vorsitzende machte bekannt, dass Se. Majestät der König auch in diesem Jahre wieder die kostenfreie Benutzung des Concertsales im Königl. Schauspielhause bewilligt habe und dass von dem

Comité für den Stipendenfonds folgendes Programm festgestellt worden sei:

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1. Herr Prof. Dr. Herrig: Ein englischer Staatsmann.

1. Herr Dr. Rodenberg: Ueber den Schweizer Kühreihen.

2. Herr W. Reymond: Sur l'enseignement international.

1. Herr Prof. Dr. Bollmann: Ueber den Hanswurst.

1. Herr Dr. Büchmann: Geflügelte Worte. 2. Herr J. Dare: The chief events of Franklin's life.

1. Herr Dr. Leo: Hamlet und Wilhelm Tell. 1. Herr Dr. David Müller: Henriette Hertz und ihr Kreis.

2. Herr Dr. Burtin: L'Hôtel de Rambouillet. 1. Herr Prof. Dr. v. Holtzendorff: Ueber die Gaunersprache.

1. Herr Prof. Dr. Gosche: Die spanischen Cid-Romanzen.

2. Herr Dr. Taylor: The present english

novelists.

Sechster Bericht

an die Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen in Berlin über die in Italien befindlichen provençalischen Lieder

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Ausser den genannten Pergamenten besitzt die Vaticanische Bibliothek unter Nr. 3205 eine umfangreiche Papierhandschrift in Folio, welche Raynouard nicht bekannt gewesen zu sein scheint. Sie gehört wohl dem Anfange des 17., vielleicht noch dem 16. Jahrhunderte an, ist aber trotz der Sorgfalt ihrer Ausführung, wie alle Schrift jener Zeit, schwer zu entziffern. Besonders gilt dies von dem ersten Theile derselben, welcher 117 Blätter umfasst; der andere, Bl. 121 bis 188, ist grösser und deutlicher geschrieben, giebt sich jedoch durch Wiederholung des Textes der vorhergehenden sechs Blätter deutlich als Fortsetzung derselben Abschrift zu erkennen, deren Original sich jedoch in

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