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das zu einem grössern Ganzen gehört, aus diesem abzusondern und als ein eigenes Ganzes hinzustellen. Darin ist nun Freiligrath in der Regel sehr glücklich. Wenn der Gegenstand nicht einen festen Abschlusspunkt bot, so fasste er das Bild wohl, wie im vorliegenden Falle, in einen eigenen begrenzenden Rahmen ein, der sich auch äusserlich durch ein verschiedenes Metrum als Einfassung zu erkennen giebt. Der Dichter will uns beim vorliegenden Stücke die Erregung seiner Phantasie und Gefühle darstellen, die ihn auf einem Spaziergang am Hafen in einer Frühlingsnacht beim Anblick von Schiffen der verschiedensten Nationen ergriff. In dem Haupttheil tritt der Dichter zurück und führt die Schiffsfiguren im Dialog ein, die eine ganze Reihe der verschiedenartigsten Bilder und Scenen an uns vorübergehen lassen. Weil er aber fühlen mochte, dass bei einer Zusammenstellung von Bildern, die nicht einen innerlich streng geschlossenen Kreis bilden und eben so gut hätten weiter fortgeführt, als abgebrochen werden können, die Grenze um so deutlicher bezeichnet werden müsse, so schloss er erstens das Ganze in jenen begrenzenden Rahmen, der sich sowohl durch die erzählende Form, als durch sein Metrum (die trochäisch-tetrametrische Langzeile) von dem L'ebrigen absetzt:

In der Lenznacht an dem Hafen bin ich auf- und abgegangen; Träumrisch flüsterten die Segel an den schwarzen Segelstangen."

dann aber hat er zweitens noch einen eigenen Kunstgriff angewandt, wodurch er auf das nahende Ziel hindeutet: er lässt das Gedicht durch einen raschern Redewechsel allmälig ausschwingen. Nachdem die ersten fünf Schiffsfiguren in längeren zusammenhangenden Berichten sich ausgesprochen, wechseln der Indianer und der Mandarin einzelne vierzeilige Strophen miteinander, und zuletzt verklingt ihr Gespräch in zweizeiligen Strophen. Streng genommen, sollte es freilich für ein lyrisches Gemälde einer solchen Einrahmung, wie wir sie vorher angedeutet haben, nicht bedürfen. Wie in jedem Organismus, sollte in jedem Gedicht ein Lebenscentrum sein, das eine bestimmte Gliederung und Abgrenzung mit Nothwendigkeit bedingt. Demnach, wenn wir beim vorliegenden

Gedichte die Einfassung für unerlässlich erklären müssen, so ist damit ein Tadel desselben ausgesprochen. Es möchte auch schwer sein, überzeugend nachzuweisen, dass die hier an uns vorübergehenden Bilder sich auf einen gemeinsamen Mittelpunkt beziehen, dass sie einen sich rundenden Cyklus bilden, dem nichts hinzugethan und nichts genommen werden dürfte. Der Neptun und der Baffin könnten für sich, als Gegensatz von Nord und Süd, schon gewissermassen als ein Ganzes gelten; desgleichen der Rhenus und the Arab; nehmen wir noch den Gladiator hinzu, so könnte man sagen: Tropische und Polargegenden, ein lebensreiches Flussthal und eine Sandwüste sind unter sich, und beide Paare zusammen wieder mit einem Seebilde in Contrast gestellt. Aber nun kommen noch der Indianer und der Mandarin mit ihren Hindeutungen auf vorübergehende, mehr zufällige Verhältnisse, die sich in jenen Kreis nicht füglich einordnen lassen. — Uebrigens liebt Freiligrath offenbar solche künstliche Einrahmungen und hat sie auch wohl angewandt, wo er sie für seine Gemälde nicht bedurfte; namentlich ist dies in Gedichten der Fall, wo er das Coexistirende in Successives, die Beschreibung in Erzählung zu verwandeln gewusst hat, wie im Gedicht „Mirage," das ein Blendwerk der Sahara darstellt. Dieser Schilderung gibt er, ungeachtet ihres erzählenden Charakters, einen Rahmen, und zwar einen ziemlich wunderlichen: er stellt sie als ein Bild dar, das der Mohr von Venedig seiner Desdemona zu schauerlicher Ergötzung vorführt.

16) Behandelt das beschreibend-lyrische Gedicht einen Gegenstand, der sich schon in der Natur als ein einheitliches, abgeschlossenes Ganzes darstellt, oder der einen sich rundenden Kreislauf von Erscheinungen beschreibt, dem also entweder bestimmte räumliche oder zeitliche Grenzen gesetzt sind, so ergibt sich eben aus diesen Grenzen von selbst der Abschluss des Gedichtes. Dasselbe ist meistens der Fall bei allegorisch-lyrischen Gedichten. In Goethe's allegorischem Lebensbilde „An Schwager Kronos" z. B., wo unter dem Bilde einer raschen Fahrt ein Leben geschildert wird, wie es sich der jugendlich brausende Dichter wünscht, bildet das Hinabstürmen des Lebens wagens in den Orkus den

natürlichen Abschluss. Sein allegorischer Hymnus „Mahomet's Gesang" besingt das hohe Geschick grosser gotterfüllter Genien, die ein Licht- und Leitstern ganzen Völkern für Jahrtausende werden, unter dem Bilde eines Stromlaufs. Hier bietet die Entwicklung des Stroms von seinem Ursprung „zwischen Klippen im Gesträuch" an durch alle Stadien seines Laufs hindurch bis zur Einmündung in den Vater Ocean, „den erwartenden Erzeuger," feste Anhaltspunkte für innere Gliederung und Begrenzung. Aber auch bei Gedichten dieser Art ergeben sich, wenn das Sinnbild kein einheitlicher Gegenstand ist, mitunter Schwierigkeiten für die Gliederung und Begrenzung, was sich füglich an A. W. Schlegel's schönem Gedicht Lebensmelodien" erläutern lässt. Drei wesentlich verschiedene Arten von Charakteren und Lebensanschauungen werden hier unter dem Schwan, dem Adler und den Tauben versinnlicht. Schwan und Adler sind am nächsten miteinander in Verbindung gebracht, weil die durch sie repräsentirten Charaktere am verwandtesten sind. Beide stellen edle, bedeutende Gemüther und Weltbetrachtungen dar, unterscheiden sich aber wieder wesentlich durch stille Selbstbeschauung und feurigen Thatendrang, durch innere Tiefe und nach aussen wirkende Kraft. Die Tauben dagegen veranschaulichen Gemüther, die nicht im Grossen und Erhabenen, sondern im Anmuthigen und Lieblichen, nicht in edlem Sinnen und hohen Thaten, sondern in harmlosem Genuss ihr Glück finden. Die Form stellt sich als dramatisch dar; doch ist der Charakter des Gedichtes darum nicht weniger lyrisch. Adler, Schwan und Tauben, die redend eingeführt werden, erscheinen durchaus nur nebeneinander, mit sich selbst beschäftigt, nicht in dramatischer Wechselwirkung. Aeusserlich gegliedert ist das Gedicht nun so, dass in den vierzehn ersten Strophen Schwan und Adler abwechselnd, jener in trochäischen, dieser in anapästischen Versen sich ausspricht. In den beiden letzten jener Strophen gehen die zwei verschiedenen Stimmungen, welche die früheren durchzogen, in einen schön abschliessenden Gleichklang über, in den Gedanken, dass sowohl jenen tiefen und innigen Naturen, als den starken, zum Schaffen und Herrschen gebornen, der Tod nur das Eingangsthor zu einem bessern Dasein sei;

und hätte hier der Dichter geendet, so wäre das Lied vortrefflich abgerundet. Aber nun lässt er noch in drei Strophen die Tauben ihre Lebensansicht darlegen und hebt damit das innere und äussere Gleichgewicht im Ganzen auf, abgesehen davon, dass es nicht wohlgethan war, dem Edlen das Gewöhnliche, dem Grossen das Kleine nachfolgen zu lassen. Gemildert wird dieser Fehler an dem sonst vortrefflichen und formvollendeten Gedichte dadurch, dass auch in der den Tauben zugetheilten Partie die Hinweisung auf den Tod zur Abschliessung benutzt wird; und dies veranlasst uns zu der allgemeinen Bemerkung, dass überhaupt in Lebensliedern die Dichter mit der Andeutung des Todes abzuschliessen pflegen.

17) In den zuletzt besprochenen Gedichten finden wir bloss das Sinnbild ausgeführt; die Deutung wird dem Leser als selbstverständlich überlassen. Wird aber zum Bilde auch die Deutung gegeben, so gestaltet sich das Gedicht in der Regel zweigliedrig, und zwar gewöhnlich so, dass das Sinnbild das erste, aufsteigende, die Deutung das zweite, absteigende Glied bildet. Eines besondern Schlussgliedes bedarf es in diesem Falle nicht. Nach diesem Schema ist z. B. Lamartine's Schmetterling" organisirt:

,,Mit dem Frühling entstehn,
Mit dem Sommer vergehn,
Auf des Westes Schwingen
Den Aether durchdringen,
Am Busen von Blüthen,
Die eben entglühten,
Sich wonnevoll wiegen,
In durstigen Zügen

Den Azur der Luft

Und Farbenglanz trinken,

Abschütteln den Staub von den jungen Schwingen,

Im Flug zu des Himmels Gewölbe dringen,

Das ist des Schmetterlings zauberisch Loos.

Ihm gleichet das Sehnen;

Vom Schönen zum Schönen

Schwebt's ohne Rast

In ewiger Hast,

Und naschend und fliegend,

Mit Nichts sich begnügend,

Sucht's endlich die Ruh' in des Himmels Schooss."

Doch ist auch die umgekehrte Folge von Bild und Gegenstand statthaft, wie z. B. Schiller im „Abschied vom Leser" das Bild dem zu Veranschaulichenden nachfolgen lässt.

18) Eine eigene, und zwar eingehendere Betrachtung, als hier gegeben werden kann, verdienen sowohl in Beziehung auf innere Organisation als auf Abschluss, Schiller's culturhistorische Gedichte, diese grossartigen Prachtstücke im Bildersaal unserer Lyrik, denen eine andere Nation kaum etwas Aehnliches gegenüberzustellen hat. Es gehören dahin die Künstler, der Spaziergang, das eleusische Fest, das Glockenlied und die vier Weltalter. Sie durchlaufen eine ganze Tonleiter von Empfindungen und sind „eine Welt voll Scenen," wie Herder vom Spaziergang insbesondere sagt. Desto dringender machte sich aber für sie das Bedürfniss sinnlicher Handhaben und Unterlagen geltend, um sie übersichtlich und leichtfasslich zu gliedern und ihnen eine feste Einrahmung zu geben. Am kunstreichsten, ja fast überkünstlich ist das „Lied von der Glocke" organisirt, und die mannigfaltigen Theile ⚫ desselben sind durch eine Menge von Fäden fest aneinander und zu einem grossen Ganzen verkettet. Die sinnliche Folie bildet der Guss einer Glocke, dessen fortschreitende Reihe von einzelnen Vorgängen sowohl für die einzelnen Theile als für das Ganze zum begrenzenden Rahmen dient. Der Hauptabschnitt in dieser Reihe ist da, wo die Form gefüllt ist, und der Meister zu den Gesellen spricht:

,,Bis die Glocke sich verkühlet,

Lasst die strenge Arbeit ruhn!"

Mit dieser Haupteintheilung des sinnlichen Gerüstes fällt auch die des innern Gehaltes zusammen. Die vorhergehenden Betrachtungen und Gemälde beziehen sich auf das Familienleben, die nachfolgenden auf das Leben in der Gesellschaft und im Staate; und wie innerhalb beider Abschnitte die einzelnen Processe des Glockengusses sachgemäss einander folgen, so bilden auch die angeknüpften Betrachtungen und Lebensbilder eine logisch geordnete Reihe. Aber die Congruenz des Aeussern und Innern geht noch weiter. Der Dichter hat nicht bloss jede Betrachtung zu dem technischen Meisterspruch, wor

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