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Naturelemente, von deren Streit der Dichter eine Dämpfung des innern Aufruhrs hofft; dann Sinken des Widerstrebens und elegisches Reflectiren über den innern Gemüthszustand; hierauf wieder kurze Erhebung der Kraft und rathloses Umherspähen nach einer Flucht, und schliesslich willige Ergebung in die Liebe:

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Meisterhaft ist die ganze sprachliche und rhythmische Ausführung. Im ersten Abschnitt herrscht die steigende Bewegung, die in Verbindung mit der Verskürze das ruhelose Fortstürmen so trefflich versinnlicht. Dann, im zweiten Abschnitt, wo die Reflexion eintritt, beginnt die sinkende Bewegung, wobei jedoch der fortgehende daktylische Rhythmus die Andauer der lebhaften Gemüthserregung ausspricht. Die enthu siastische Apostrophe an die Liebe, die ihre Macht und Herrlichkeit anerkennt, rundet das schöne Lied vortrefflich ab.

11) Wollen wir die wesentlichern Ergebnisse des Bisherigen kurz zusammenfassen, so können wir sagen:

A) Es gibt eine Classe lyrischer Gedichte von mehr verstandesmässiger Anlage, die mit dem bestimmten und vollen Ausdruck des darzustellenden Gefühls einsetzen,

dann im Innern durch Zerlegung und Ausbreitung des Inhalts sich gliedern und den Abschluss durch ein Wiederzusammenfassen bilden.

B) Die ächt lyrischen Gedichte laufen aber, weitaus der Mehrzahl nach, eine Reihe von Entwickelungsstufen der Empfindung oder Stimmung durch und gewinnen ihren Abschluss entweder

a) dadurch, dass die Empfindung einen Culminationspunkt erreicht, oder

b) wenn das Gefühl anfangs dunkel und unbestimmt ist, durch Aufhellung desselben, oder

c) dadurch, dass sich aus der im Gedicht herrschenden Empfindung zuletzt ein Gefühl von verschiedenem Charakter hervorbildet.

Die zuletzt bezeichnete Art (c) hat uns vorzüglich beschäftigt, und von ihr haben wir eine Reihe von Unterarten kennen gelernt, deren Aufzählung nicht einmal als ganz erschöpfend betrachtet werden kann. Der kundige Leser wird sich aber ohne Zweifel auch noch mancher anerkannt schönen lyrischen Gedichte erinnern, die weder, was ihre Gliederungsweise, noch besonders, was ihren Abschluss betrifft, sich füglich einer der bezeichneten Rubriken einordnen lassen. Um auch diesen ihre Stelle anzuweisen, haben wir noch zu betrachten:

A) Lyrische Gedichte von ganz geringem Umfange, elementare Gefühlsäusserungen, die wirklich der Entfaltung und Metamorphose entbehren,

B) Gedichte, denen dieselben nur scheinbar mangeln, C) eine Classe lyrischer Gedichte, die nicht nach der in ihnen herrschenden Empfindung, sondern nach dem Object, an das sich der Ausdruck der Empfindung anlehnt, organisirt und abgegrenzt sind,

D) endlich eine Reihe mehr äusserlicher, oder herkömmlicher und stereotyper Abgrenzungsarten.

12) Es ist einleuchtend, dass an lyrische Gedichte von ganz kleinem Umfange nicht die Forderung einer Reihe von Entwickelungsstufen der Empfindung gestellt werden kann; der Reiz solcher elementaren Seelengebilde, solcher halb- oder unerschlossenen Knospen beruht oft gerade in dem Mangel der

Entfaltung. Auch bedürfen sie, als Ausdruck eines einzelnen, sich nicht entwickelnden Gefühls, keines besonders markirten Abschlusses, während in dem Masse, wie der Umfang eines lyrischen Gedichtes wächst, auch das Bedürfniss eines entschiedenen Schlusses, der sich als solcher deutlich zu erkennen gibt, immer stärker sich geltend macht. Zu jenen Gedichten, die fast nur Empfindungslaute sind, gehört „Wanderers Nachtlied" von Goethe; ein Sehnsuchtshauch eines Glücklich-Unglücklichen nach Frieden:

Der Du von dem Himmel bist,

Alles Leid und alle Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest,

Ach, ich bin des Treibens müde!

Was soll all der Schmerz und Lust?
Süsser Friede,

Komm, ach komm in meine Brust!

Indess lassen meist sogar die kleinsten Gedichte schon Andeutungen innerer Organisation und eines Schlussgliedes erkennen, wie denn auch im eben angeführten der Schluss durch eine besondere Prägnanz des Ausdrucks sich fühlbar macht. Ganz deutlich tritt die dreitheilige innere Rhythmik und die Abrundung durch Anschluss des Endes an den Anfang in Goethe's "Wonne der Wehmuth" hervor, wenn gleich das Gedichtchen nur aus wenigen Zeilen besteht;

Trocknet nicht, trocknet nicht,

Thränen der ewigen Liebe!

Ach, nur dem halbgetrockneten Auge,
Wie öde, wie todt die Welt ihm erscheint!
Trocknet nicht, trocknet nicht,

Thränen unglücklicher Liebe!

13) Es begegnen uns aber auch lyrische Gedichte von grösserm Umfange, worin die anfängliche Stimmung in ruhiger Schwebung zu verharren und zuletzt ganz unverändert auszuklingen scheint. Dahin gehört z. B. Matthisson's Abendlandschaft:"

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ein ächt lyrisches Gedicht, obwohl es sich auf den ersten Blick als beschreibendes darstellt; denn aus der Schilderung blickt überall, wenn auch halbversteckt, die Empfindung des Dichters uns an, und so gleicht es einem eigentlichen Landschaftsgemälde, das ja auch des Malers Stimmungs- und Auffassungsart in dem Sichtbaren nur durchschimmern lässt. In dem Gedichte scheint sich vom Anfange bis zum Ende der Eindruck auszusprechen, den eine schöne Abendlandschaft auf das Gemüth macht; aber bei eingehender Betrachtung gewahrt man, dass die anfängliche Stimmung keineswegs unverändert bis zum Ende fortklingt; vielmehr ist die stetige Succession der Bilder, die Schiller an diesem Gedichte rühmt, von einer Metamorphose der Empfindung begleitet, die freilich nicht direct ausgesprochen, aber in der Auswahl und Färbung der Bilder angedeutet ist. Ziemlich gleichmässig tönt die Stimmung in den sechs ersten Strophen fort, und die musicalische Wirkung der glücklich gewählten Bilder wird hier überall durch den Strophenbau, den rhythmischen Wohllaut, die charakteristischen Reimklänge, den wunderlieblichen Wechsel der Vocale in den hochbetonten Sylben und die Sanftheit der Consonanten so sehr unterstützt, dass man den vollkommensten Eindruck abendlichen Friedens empfängt. Aber mit Str. 7, wo die Nacht sich nähert, beginnt eine Umbildung der Stimmung durch Aufnahme eines ahnungsvollen Elements; Bilder der Geister- und der Vorwelt werden hereingezogen:

Nebelgrau

Webt im Thau

Elfenreigen, dort wo Rüstern
Am Druidenaltar flüstern.

In Str. 8 geht der Abend vollends in Nacht über; selbst an den Zinnen der hohen zertrümmerten Waldburg verblasst der Abendschimmer, und jetzt (in Str. 9), wo die Nacht herrscht und jene ahnungsreiche Stimmung sich völlig ausgebildet hat, muss das Gedicht verklingen:

Vollmondschein
Deckt den Hain;

Geisterlispel wehn im Thale
Um versunkne Heldenmale.

14) Dem zuletzt besprochenen Gedichte kam aber für seinen Abschluss ausser einer Metamorphose der Empfindung auch der Gegenstand zu Hülfe, hinter dessen Darstellung sich der Ausdruck der Empfindung verbarg, und diese Bemerkung möge uns zur Betrachtung einer andern, sehr zahlreichen Classe lyrischer Gedichte überleiten, in denen ein bestimmter hervortretendes einheitliches Object, sei es nun ein Bild, oder ein Sinnbild, oder ein Kreislauf von Erscheinungen, oder eine Handlung, den Ausdruck der Empfindung vermittelt. Man darf das Feld der Lyrik nicht auf das Element des unbestimmten Gemüthswebens, der halt- und objectlosen Stimmung beschränken; die Lyrik braucht sich nicht immer auf den Wogen der Empfindung planlos von Vorstellung zu Vorstellung, von Gedanken zu Gedanken schaukeln zu lassen; sie kann auch grössere, fester umschriebene Bilder, folgerichtigere Gedankenreihen in ihren Bereich ziehen, und hört darum nicht auf, ächte Lyrik zu sein, so lange die zur Darstellung kommende objective Welt ihr nur als Spiegel der innern Gemüthswelt dient. Wir dürfen daher neben der Gefühlslyrik auch von einer malenden, einer allegorischen, einer episch oder dramatisch darstellenden und einer Reflexionslyrik sprechen. Alle die lyrischen Gedichte nun, worin sich die Empfindung in ihren Metamorphosen an ein einheitliches Phantasie- oder Gedankenobject mit seinen Theilen und Wandlungen anrankt, sind für den Dichter leichter zu gliedern und meistens auch abzurunden, so wie auch dem Betrachtenden ihre Organisationsund Begrenzungsgesetze klarer entgegentreten. Dennoch lohnt es sich der Mühe, einige Arten derselben näher in's Auge zu fassen.

15) Wir betrachten zunächst die beschreibend-lyrischen Gedichte und wählen als ein Beispiel derselben „Die Schiffe" von Freiligrath. Zu gliedern ist freilich ein solches leichter, als ein rein lyrisches Gedicht, weil der Stoff in eine Anzahl Momente auseinandertritt, die eine fasslichere Handhabe zur innern Organisation darbieten, als der stetig fluthende Strom der Empfindung für sich allein. Aber die Abgrenzung hat häufig ihre Schwierigkeiten, namentlich wenn es gilt, ein Bild aus der Natur oder dem Menschenleben,

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