Subtile, engageante, hardie Nicht minder wohlthätig wirkte auf seine literarische und künstlerische Ausbildung die Bekanntschaft mit Chapelle, Chaulieu, Huet, St. Evremond, Racine, Boileau, und die nie erkaltete Freundschaft mit dem geistesverwandten Molière. So stand Dun Lafontaine in der schönsten Zeit des ersten Schaffens und seines aufblühenden Ruhmes. Er hatte die verschiedensten Stufen der menschlichen Gesellschaft durchwandert: aus der Provinz gebürtig und bürgerlicher Herkunft wie Molière, hatte er die unteren und mittleren Klassen, seit seiner Bekanntschaft mit der Herzogin von Bouillon und Fouquet, die höheren und höchsten Schichten, den Adel und den Hof kennen gelernt, mithin die günstigsten Gelegenheiten gehabt, Blicke in das mannigfaltigste menschliche Thun und Treiben zu werfen, und seinen Beobachtungssinn zu schärfen. Jetzt, den Verlockungen der vornehmen Gesellschaft weniger ausgesetzt, lebte er in der veredelnden Gesellschaft gebildeter Menschen und genoss der köstlichen Gemeinschaft der bedeutendsten Dichter seines Zeitalters: wie günstig für ihn, dessen ganze Jugendbildung so sehr war vernachlässigt worden, dass er erst beim Verfluss der Jünglingsjahre zum ernstlichen Lernen gelangt war! Der erste Band seiner Fabeln, welcher die Bücher 1 bis 6 enthielt, erschien 1668. Lafontaine war siebenundvierzig Jahre alt. Es mag dies, den meisten Dichtern gegenüber, ein später Lorbeerkranz sein, aber wie einstimmig wurde er ihm aus aller Mund zuerkannt, und wie freudig und unumwunden war die Bewunderung seiner nächsten Freunde, deren grossem Ruhme ein neuer bedeutender Nebenbuhler erwuchs! Zehn Jahre später, 1678 und 1679, erschienen die Bücher 7 bis 11; das zwölfte, dem Enkel Ludwigs XIV gewidmete Buch im Jahre 1694. Mit diesen Fabeln hatte die französische Literatur eine ihrer grössten Koryphäen und eine neue poetische Sprache gewonnen, welche die Naivität und Energie des Zeitalters Franz I. mit der glänzenden Eleganz des siebzehnten Jahrhunderts verband. *) XII. 20. Siehe ferner VII. 18; VIII. 16. X. 1. In der Fabel Thier m Mond erhebt er sich zu lukrezischem Schwunge. Merkwürdig und bezeichnend ist, wie Molière, der bei der Veröffentlichung des ersten Theiles der Fabeln bereits die Ecole des maris, Ecole des femmes, den Misanthrope, den Tartuffe und den Geizhals gedichtet hatte, von Lafontaine so verstanden und richtig gewürdigt wurde il allait ramener en France le bon goût et l'air de Térence. *) und wie er wiederum, im Hinblick auf den angehenden Ruhm des Boileau und Racine, auf Lafontaine zeigend, einem Freunde vertraulich sagte: „Diese schönen Geister mögen sich herumwerfen wie sie wollen, sie werden den Bonhomme nicht verdunkeln können." Die Nachwelt hat Beider Geschmack und Urtheil bestätigt. Die französische Akademie blieb übrigens mit ihrer Erklärung nicht hinter der öffentlichen Meinung zurück; sie nahm nach Colberts Tod den gefeierten Fabulisten in ihre Reihen auf; freilich hatte sie gezögert, und dauerte es ein ganzes Jahr, bis der König diese Wahl zu bestätigen sich entschliessen konnte: sollte sein besonderer Günstling Boileau, der seinen Kriegsruhm im Passage du Rhin so brillant gefeiert, dem Thiergeschichtenerzähler hintangesetzt werden? Erst als nach dem Tode eines andern Akademikers, Boileau auch in Vorschlag gekommen war, wurden Beide zugleich von der königlichen Hand offiziell bestätigt, im Jahre 1684. Auffallend ist es, dass Lafontaine der doch sonst auf äussere Auszeichnungen wenig achtete, diese Geschichte mit einiger Leidenschaftlichkeit verfolgte, **) und sein Verhältniss zu Boileau sich darüber trübte. Kurze Zeit vor Colberts Tode und unseres Dichters Aufnahme in die Akademie hatten sich die Verhältnisse im Hause der Frau von Sablière bedeutend geändert. Die Letzte hatte sich in Folge eines tiefen Seelenschmerzes und nach dem Tode ihres Gemahls von der Welt zurückgezogen, um die letzte Zeit ihres Lebens nach damaliger Sitte einzig der Religion zu widmen. So hatten die gesellschaftlichen Vergnügungen, die *) Lettre à Maucroix, 22. August 1661. **) Ce doux penser, depuis un mois ou deux literarischen und philosophischen Zusammenkünfte in ihrem Hause aufgehört; überall hatte, vom Hofe ausgehend, der finstere Ton der Frömmelei einen fahlen Märzstaub auf die Gesellschaft geworfen; Molière war todt, Lafontaine stand allein da, und Alles was ihm das Leben bisher so angenehm gemacht hatte, war verschwunden. So musste er begreiflicher Weise um so lebhafter wünschen, der gelehrten Gesellschaft anzugehören, als er darin ein Mittel sah, mit gebildeten Männern zusammenzukommen, und seine literarischen wie gesellschaftlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Allein gerade bei dieser Gelegenheit war es, dass er sehr heftige und strenge Urtheile über seine Erzählungen vernehmen musste, und es ward verlangt, dass er in seiner akademischen Eintrittsrede *) sein peccavi ausspreche und Besserung gelobe. „Ich höre dass man mir sagt: wann willst du denn aufhören? Versuche Alles andere, man wird es dulden, nur nicht deine Erzählungen Ich habe Lust, dieser Stimme zu folgen. Ich bin, ich bekenne es, ein Schmetterling des Parnasses, und gleich den Bienen, welche Plato mit dem Dichter vergleicht, **) bin ich ein leichtes Ding und fliege auf allerlei Gegenstände. Indem ich mich schildere, klage ich mich an, und will meine Fehler nicht entschuldigen." Doch klingt in dieser ganzen Epistel ein so feiner ironischer Ton hindurch, dass es ihm mit der Reue nicht recht ernst sein konnte, wie er sich denn in der That noch einmal verführen liess, einige neue Erzählungen herauszugeben. Erst nachdem ihn eine gefährliche Krankheit befallen, liess er sich mit seinen Freunden, Frau von Sablière, Racine und Maucroix, die sich in ihren alten Tagen mit religiösen Beschäftigungen abgaben und sogar Kasteiungen sich unterzogen, in ernstere Gespräche über Religion ein. Das wenige indessen, was aus dieser Zeit erzählt wird, entspricht so sehr der kindlichen Natur des Dichters, dass wir es anzuführen nicht unterlassen können. Einer der Geistlichen, die sich um ihn bemühten, forderte ihn auf, seine Bekehrung durch Almosen zu bethätigen. Nachdem er sich lange mit seiner Armuth entschuldigt hatte, *) Siehe Discours à madame de Sablière. Plato, Jon. gab er endlich nach, und schlug vor, zu diesem Zwecke den Ertrag einer neu angeordneten Auflage der Erzählungen, die ihm gerade als seine grösste Sünde vorgehalten wurden, zum Besten der Armen zu verwenden! Als er sich ein andermal mit einem Geistlichen über die Ewigkeit der Höllenstrafen unterhalten und nur unter gewissen Bedingungen die kirchlichen Lehren erklärte annehmen zu können, sagte die alte Wärterin des Dichters zum eifrigen Seelsorger: „Ich bitte Sie, plagen Sie den guten Mann nicht so sehr; Gott wird es nicht über sich bringen, ihn zu verdammen!" Er war von seiner Krankheit kaum hergestellt, als ihn ein neuer Schlag traf: Frau von Sablière, die ihn zwanzig Jahre lang mit ungetrübter Freundschaft beglückt und ihm ein sorgenfreies Leben bereitet hatte, starb im Jahre 1692. Mehr als alle Zureden der Geistlichen mag ihn dieser Verlust ernsten Gedanken zugewendet haben; es wird sogar behauptet, dass er in den zwei letzten Jahren seines Lebens sein Fleisch kasteit und man nach seinem Tode einen Stachelgürtel um seinen Leib gefunden habe. Lafontaine wäre nun wieder obdachlos und aller Mittel entblösst gewesen, hätte ihn nicht einer seiner Gönner, Hervart, in sein Haus aufgenommen. Die letzten zwei Jahre seines Lebens brachte er mit Dichten religiöser Lieder zu. ...Ich würde vor Langeweile sterben, schrieb er an den Kanonikus von Reims, seinen alten Freund Maucroix, wenn ich nicht mehr dichtete." In der Hoffnung noch lange genug zu leben, um ein neues Werk zu vollenden, begann er eine poetische Uebersetzung der kirchlichen Hymnen. Doch besuchte er noch stets fleissig die Sitzungen der Akademie. Er hatte auch einen Plan zu einem andern Werke gefasst, als plötzlich seine Kräfte schwanden und er schmerzlos in den Armen seiner Freunde Racine und Hervart starb. Es war am 13 April 1695. Seine irdischen Ueberreste wurden in dem Friedhofe St. Joseph neben denjenigen Molières beigelegt. Nachdem die Revolution die beiden Sarkophage in das Museum an der Strasse der PetitsAugustins transportirt hatte, wurden sie am 6. März 1817 auf Ludwigs XVIII Befehl in den Père Lachaise gebracht. Ein neues Grabmal aus Stein mit lateinischer Inschrift zeigt die Jetzte Ruhestätte der im Leben wie im Tode viel hin und herverschlagenen Freunde. Sehr spärlich sind die Notizen über Lafontaines Familie. In einer Bittschrift an den Herzog von Bouillon, worin er ihn in einem Prozesse wegen Anmassung des adeligen Titels écuyer um Hilfe anspricht, erwähnt er eines Bruders, Claude de Lafontaine. Dieser war Priester in Nogent l'Artaut und verkaufte 1649 gegen eine jährliche Rente von 1100 Pfund seinen Antheil am väterlichen Erbgut an den Dichter. Von seinem Sohne Karl weiss man nichts, als dass er, dem noch vorhandenen Taufscheine nach, am 8. October 1653 geboren war, den Maucroix zum Pathen hatte, und wie oben erwähnt, von einem Freunde des Vaters erzogen und versorgt wurde. Im Jahre 1818 berichteten die französischen Zeitungen, dass Ludwig XVIII einem Herrn von Morsan ein Jahrgehalt von 1500 Franken ausgeworfen habe, welcher Herr ein Urenkel Lafontaines von mütterlicher Seite, letzter Sprosse des Dichters, und dessen Mutter von den Tanten desselben Königs war erzogen und versorgt worden. Im Jahre 1827 starb der letzte Sprössling Lafontaines. Noch jetzt wird indessen in Château-Thierry das Haus des Dichters gezeigt, das ansehnlich und unversehrt dasteht, während auf dem gegenüberliegenden Hügel spärliche Mauerreste die Stelle bezeichnen, wo das Schloss der herzoglichen Familie von Bouillon gestanden. Die Revolution verschonte verschonte des Dichters Haus, und in den Schreckenstagen errettete der Name Lafontaine die Gräfin de Morsan, seine Urenkelin, vom Schaffote. Ein Zug im Charakter Lafontaines, der vor allen andern auffällt, ist seine ausserordentliche Nachlässigkeit, ein Sichgebenlassen, das nur selten den männlichen Willen zur That kommen liess, und Lafontaine den Verlockungen des Augenblickes widerstandslos preisgab. Als er nach Paris zog und Weib und Kind verliess, folgte er keinem bestimmten, in seinem Geiste ausgedachten Vorhaben, sondern er liess sich willenlos von den einladenden Vorspiegelungen seiner Phantasie hinreissen. Uebrigens scheint auch, wie Walkenär andeutet, seine Frau, obgleich sie jung und gebildet war, nicht alle die Eigenschaften besessen zu haben, welche nöthig gewesen wären, einen Mann wie Lafontaine dauernd zu fesseln und besonders, da alles Archiv f. n. Sprachen. XXXV. 14 |