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Und weiterhin, wie treffend ist die Beschwerlichkeit des Weges durch den Wortklang und die dreifache Theilung des Tonfalls bezeichnet:

L'attelage suait, soufflait, était rendu.

Dann der Sturmwind VI. 3:

... Notre souffleur à gage

Se gorge de vapeurs, s'enfle comme un ballon,
Fait un vacarme de démon

Siffle, souffle, tempête et brise..

Die Frösche IV. 12:

Et le gouvernement de la chose publique
Aquatique.

In Waldstrom und Fluss VIII. 23, glaubt man das wilde Geräusch und Tosen des Steine mitfortreissenden Bergwassers zu hören:

Avec grand bruit et grand fracas

Un torrent tombait des montagnes:

Tout fuyait devant lui: l'horreur suivait ses pas;
Il faisait trembler les campagnes.

Im Schatze IX. 16, wird des Geizhalses Erstaunen treffend durch den zweisylbigen Vers ausgedrückt:

L'homme au trésor arrive, et trouve son argent

Absent.

Ein ähnlicher Effect in den pestkranken Thieren VII. 1. Même il m'est arrivé quelquefois de manger

Le berger.

Neben den astrophischen Fabeln, welche die überwiegende Mehrzahl bilden, kommen einige wenige in vier- oder sechszeilige Strophen abgetheilte vor; der Rhythmus ist gewöhnlich jambisch, selten trochäisch. Trochäisch sind I. 1 (astrophisch): La cigale ayant chanté

dann I. 9 in Vierzeilen:

Autrefois le rat de ville
Invita le rat des champs,
D'une façon fort civile
A des reliefs d'ortolan.

I. 20 (sechszeilig), IV. 6 (astrophisch), V. 2. 7 (vierzeilig),

VIII. 13, die Einleitung; VIII. 20, IX. 1, Einleitung; IX. 6, ist in vierzeiligen jambischen Strophen, ebenso XII. 9. Manchmal, wie in den genannten VIII. 13, IX. 1, wechseln in derselben Fabel jambische und trochäische Rhythmen. Auch kommen manchmal poetische Licenzen vor, welche Vers oder Reim hervorgerufen.*) Eigentliche Nachlässigkeiten sind sehr wenige; wir haben bloss folgende gefunden.

In der Fabel der Hof des Löwen, VII. 7, haben die Commentatoren als Fehler hervorgehoben, dass ein Vers ohne Reim auf drei mit männlichem Reime ausgehende Verse folgt: Sa grimace déplut: le monarque irrité L'envoya chez Pluton faire le dégoûté. Le singe approuva fort cette sévérité;

Et flatteur excessif, il loua la colère.

Sonderbarer Weise aber hat Niemand meines Wissens die durchaus fehlerhafte Construction in der Fabel vom Greise und den drei Jünglingen hervorgehoben, die als Anakoluth gewiss ihres Gleichen sucht, und durchaus nicht, wie Walkenär meint, durch eine Ellipse sich entschuldigen lässt:

Et pleurés du vieillard, il grava sur leur marbre
Ce que je viens de raconter.

Viel leichter lassen sich folgende, in der Volkssprache häufige Licenzen entschuldigen:

VII. 18: Je ne suis point d'intelligence

Avec mes regards peut-être un peu trop prompts,
Ni mon oreille . . .

ebenso VIII. 56:

Ces gens étaient les fous, Démocrite le sage,

und in der Epistel an den Herzog von Bouillon:

J'étais lors en Champagne,

Mon procureur dessus quelque autre point.

Wer wollte aber bei den Schönheiten der zweihundertzweiundvierzig Fabeln sich an diesen wenigen Fehlern aufhalten!

II.

Wenn man von den Erzählungen und übrigen Dichtungen

*) Wir haben sie im Anhange zusammengestellt.

Lafontaines absieht, und die Fabeln allein betrachtet, auf die sich ja hauptsächlich sein Ruhm gründet, so wird stets die Frage aufgeworfen, in wie weit er eigentlich auf schöpferisches Verdienst Anspruch machen kann, und wie sich eigentlich sein grosser Ruhm rechtfertigen lässt. Und in der That, bedenkt man, dass er den Stoff zu seinen Dichtungen bereits vorgefunden und theils aus Aesop und Phädrus,*) theils aus den altfranzösischen Ysopets und Fabliaux hat schöpfen können, möchte man leicht geneigt sein, unserm Dichter alle Erfindung und Selbstständigkeit abzusprechen. Vinet hat diese Frage also beantwortet: „Besass Lafontaine die Gabe der Erfindung? Man verweigert sie ihm; allein was will man damit sagen? Dass er seine Stoffe nicht erfunden? Was ist denn im Grunde ein Stoff? Es sind nicht nur die Thatsachen, deren Aufeinanderfolge den ersten Gegenstand der Fabel liefert, es ist auch noch die Absicht, der Zweck, die Idee, welche der Dichter zu verwirklichen sucht. Allerdings hat Lafontaine die Stoffe zu seinen Fabeln nicht erfunden, und das ist, wenn man will, ein Verdienst weniger; es ist nicht erlaubt, die erfinderische Kraft gering anzuschlagen. Allein es ist nicht diese Art der Erfindung, welche die grössten unter den Dichtern so hoch gestellt hat. Einige haben sogar dieses Talent nicht beachtet: sie schöpften in der Geschichte, in den Volkstraditionen, in irgend einer früheren Quelle. Ihr Genie nahm diese erste Gabe an; allein indem sie Aermeren als sich die Grundlage ihres Werkes entlehnten, stellten sie ihren Gegenstand in ein anderes Licht, verschönerten und veredelten ihn durch eine Idee, durch ein neues Ziel, das seine Bedeutung und seinen Werth erhöht; sie gaben den ihnen von Aussen herzugekommenen Wesen einen Leib, eine Seele, ein Leben, und das war vielleicht nicht das Leichtere noch das geringere Verdienst."

Der Ruhm der eigenen Erfindung ist allerdings kein geringer und herrlich strahlen die Namen derjenigen Dichter, welche zuerst eine Bahn eröffnet, und die Stoffe, welche sie behandelt, aus der Tiefe des eigenen Gedankens geschöpft und nicht von

*) Aus Aesop entlehnte er den Stoff zu 89, aus Phädrus zu 48 seiner Fabeln.

Archiv f. n. Sprachen. XXXV. !]

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Andern empfangen haben. Homer, Aeschylos, Raphael, Shakspeare, Schiller, werden ewig leben wegen ihrer erhabenen Werke: in wie weit sind sie aber Schöpfer? Wer möchte wohl leugnen, dass sie nicht auch ihre Vorgänger gehabt, aus denen sie nicht entlehnt, durch die sie aber angeregt und inspirirt worden sind, indem sie das bisher Gegebene benutzend und auf der Bahn ihrer Vorgänger fortwandelnd geleistet haben, was frühere auch mit der höchsten Begabung nie hätten leisten können. Die grossen Männer in Wissenschaft und Kunst haben zu allen Zeiten und bei allen Völkern nur Dank den Vorarbeiten der Vergangenheit, auf die sie fussten, ihre Sendung erfüllen können.

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Dann liesse sich noch darüber streiten, in wie fern diese Frage überhaupt zulässig sei. Besteht denn die Grösse des Dichters im Ursprunge seines Gegenstandes? Ist es denn das Woher, das uns an seinen Werken entzückt? Bewundern wir ihn desshalb und erst dann, wenn wir wissen, dass er seinen Stoff aus sich selbst oder dieser und jener Quelle entlehnt hat? Gewiss nicht. Die Erhabenheit des Gegenstandes, die Grösse und der Reichthum der Gedanken, die Wahrheit der Darstellung die Art der Auffassung, die Ausführung, die Ausschmückung, die Schönheit der Form das ist es, worauf es ankömmt, das sind, glauben wir, die Bedingungen, unter welchen ein Kunstwerk den Beifall der Mit- und Nachwelt sich erwirbt. Antigones rührende Aufopferung und heldenhafte Treue bis zum Tode, Hämons Liebe, Hamlets furchtbares Schicksal, sind aus des Sophokles und Shakspeare herrlicher Phantasie hervorgegangen; Geschichte und Sage haben kaum mehr als die Namen und einige Züge aus dem Leben dieser Helden geliefert, welche der dichterische Genius kunstvoll zu einem neuen Stoffe gleichsam umbildete; aber das ewig Schöne in diesen Werken wird doch stets die herrliche Behandlung des Einzelnen und die vollendete Ausführung bleiben. Der Stoff allein ist wenig, es muss ihm durch den Dichter auch Leben und Seele eingehaucht werden.

Wir werden freilich Lafontaine nicht neben diejenigen Dichter stellen, welche in einem einzigen grossen Werke das ganze menschliche Leben, des Menschen Kämpfen und Ringen,

Tugend und Schwäche, die höchsten Probleme, die das menschliche Dasein aufwirft, geschildert, und in diesem künstlerisch durchgeführten und abgeschlossenen Gemälde eine für alle Zeiten denkwürdige That hinterlassen haben. Aber er darf zu den ersten der Dichter zweiten Ranges gezählt werden, denn er ist Dichter durch und durch. Wie reich, wie erfinderisch ist er in seiner Sphäre, in den hundert Scenen menschlichen Thuns und Treibens, die er dargestellt! Wie wahr, wie lebhaft weiss er Oertlichkeit und Personen vorzuführen, und wie reizend, wie lieblich sind alle die Einzelheiten, durch welche er die vollständigste Illusion hervorzaubert! Lafontaines Fabeln sind nicht Fabeln im strengen Sinne des Wortes, es sind nicht gereimte Lebens- oder Verhaltungsregeln, sondern poetische Erzählungen; noch mehr, es sind Idyllen, es sind epische Lieder voll dramatischen Lebens. Nicht lehren, nicht predigen will er, sondern dichten und singen; es ist sein eigenstes Lebensbedürfniss zu erzählen, zu schildern, wiederzugeben, was ihm die Beobachtung des täglichen Lebens und der ihn umgebenden Welt darbietet. Wie sehr ihm das Dichten angeborener Beruf war, spricht er selbst aus: „mon sentiment a toujours été, que quand les vers sont bien composés, ils disent en une égale étendue plus que la prose ne saurait dire."*) Desshalb tritt er auch kräftig für die Ehre der Dichter in die Schranken:

On doit tenir notre art en quelque prix.

Les grands se font honneur dès lors qu'ils nous font grâce. **) Lafontaine wählte nun die naive Form des Apologs, weil dieser ihm wahrscheinlich am fähigsten schien, seiner Liebe zur Natur Ausdruck zu leihen, und besonders seinem unverkennbaren Erzählungstalente freien Spielraum zu gestatten. Und wie versteht er es zu erzählen! Mit welchem Scheine der Ueberzeugung, mit welcher Umsicht wird jeder Einzelheit gedacht, welche anscheinend unwichtig, doch zur Vollständigkeit der Illusion beiträgt, und der gemüthlichen Weitläufigkeit und Genauigkeit der Leute aus dem Volke abgelauscht ist! Wir beschränken uns auf einige wenige Beispiele. Welch liebliches

"Einleitung zur Uebersetzung des Epitaphs des Claudius Homoneus. ") Fabeln I. 14.

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