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war ja nur von Hunden, Hasen und Mäusen die Rede! Wie hätten so gemeine Figuren neben den griechischen Helden des Racine auftreten können, und hat ja Boileau die Lafontainischen Fabeln, obgleich er sie innerlich hoch schätzte, in seinem Art poétique mit keinem Worte erwähnt!

Lafontaine's Ruhm beruht auf seinen Fabeln. Um aber in dieser untergeordneten Gattung der Poesie zu so hoher Vollendung zu gelangen, bedurfte es nicht nur eines der Natur nahestehenden kindlichen Gefühles, das über seinem Schwärmen in Wald und Flur und über seinem Träumen im sanften Waldesgrün ihr Verhältniss und ihre Verbindung mit der freien, bewussten Welt des Menschen nicht vergisst, und diese Beziehung äusserlich spielend, in der That aber klar und ernst hervorzuheben weiss, wobei ein dramatisches Interesse mit kunstgeübter Hand muss eingeflochten werden; sondern es musste auch dies Alles mit einer dem Fortschritte der Sprache und Bildung gemässen Form Hand in Hand gehen, die aber in ihrer edeln Schönheit die begrenzte Einfachheit des Gegenstandes nicht überschreiten durfte. Dieses Alles hat Lafontaine in höchstem Grade erreicht. Ein naives, gemüthliches Sichgehenlassen im Erzählen, eine natürliche Einfachheit mit gleichzeitiger Erwähnung der anscheinend unbedeutenderen Einzelheiten, welche aber gerade zur Verwirklichung der Illusion beiträgt, eine Feinheit des Urtheils, eine Wahrheit und Lebendigkeit der Darstellung verleihen seinen Fabeln den Reiz höchster Kunstschöpfungen.

Lafontaine's Sprache und Diction erheben ihn zum Range der Classiker. Die bedeutendsten Literaturhistoriker stellen ihn in dieser Beziehung neben Racine und Molière.*) Die Wandlung, wodurch die französische Sprache vom sechzehnten Jahrhundert an eine neue Gestalt annahm, in der viele frühere Worte, Ausdrücke und Wendungen gänzlich verschwanden und unverständlich wurden, hatte seit Franz I durch Ronsard und seine Schule, endlich durch Malherbe ihre Vollendung erlangt. Lafontaine belebte freilich die mittelalterliche Dichtung des Apologs auf's Neue, aber er sprach, schrieb und dichtete in der classischen Sprache seiner Zeit, die er auch meisterhaft beherrschte.

) S. Vinet, Poëtes du siècle de Louis XIV, pg. 519 u. ff.

Seine Verse, seien es nun die Alexandriner, die er im Traume von Vaux, in Philemon und Baucis und einigen andern Stücken anwendet, oder die freieren Rhythmen der Fabeln, fliessen leicht, in natürlicher Ungezwungenheit und harmonischer Reinheit dahin. Ebenso geschickt weiss er die ältere französische Sprache, ältere Worte und Wendungen in die neue elegante einzuflechten, ohne dass die Harmonie gestört wird. Er ist stets frisch, lebendig, und die Archaismen verleihen seiner Diction einen poetischen Reiz. So finden sich eine Reihe von stehenden Namen, die er dem Rabelais entlehnt: Rodilardus die Maus, Aliboron der Esel, Messer Gaster der Bauch, Martin Baton der Stock, Thibaut l'agnelet das jüngste Lamm (in der Farce des Advocaten Patelin ist Thibaut Aignelet der Hirte), Jean Chouart der Priester (bei Rabelais ein Goldschläger), Robin das Schaf, Dindenaut der Schafhändler, Gros Jean ein einfältiger Mensch, Raminagrabis die Katze, chatte-mite zahm, Perrin Dandin der Richter, Mouflar der Wachthund (auch bei Florian). Weit grösser ist die Zahl der zu seiner Zeit schon veralteten Ausdrücke, die er wieder aufgenommen. *)

Nicht unbedeutend ist die Zahl der Wörter, welche Lafontaine selbst geschaffen, und von denen mehrere in das Dictionnaire der Akademie aufgenommen und der Sprache verblieben sind. **)

Die Mischung alter, aber im Volksmunde noch gebräuchlicher Wörter und Wendungen mit der vollkommen ausgebildeten und harmonischen Sprache seiner Zeit, welche er, seiner dichterischen Begabung gemäss, einfach und naiv, und zugleich mit bewusster künstlerischer Hand bemeisterte, konnte nicht verfehlen, seinen Dichtungen den eigenthümlichen Reiz der Volksthümlichkeit zu verleihen. Die Schönheit der Form ist auch innig mit dem Inhalte verbunden, Alles hängt zusammen, und jedes Wort steht an seinem Platze. Wo die Erzählung schnellen Fortschritt verlangt, ist kein unnützes Epithet, kein Aufenthalt: in demselben

Siehe das Verzeichniss am Anhange pag. 213 und ff.

**) Siehe ebenda, pag. 213 und ff.

Verse oft bricht ein Satz ab, und folgt unmittelbar die Fortsetzung; z. B. in Hahn und Fuchs, II, 15.

Ami, reprit le coq, je ne pouvais jamais
Apprendre une plus douce et meilleure nouvelle
Que celle

De cette paix;

Et ce m'est une double joie

De la tenir de toi. Je vois deux lévriers

Noch auffallender Wolf und Hund I. 7: '

und weiter

Suivez-moi, vous aurez bien meilleur destin.
Le loup reprit: Que me faudra-t-il faire?

Presque rien, dit le chien: donner la chasse aux gens ...

Chemin faisant, il vit le cou du chien pelé.

Qu'est-ce là? lui dit-il. — Rien. Quoi! rien! - Peu

de chose.

Wie naiv kann er sein, voll Anmuth und Gemüthlichkeit, z. B. die in eine Katze verwandelte Frau II. 20:

Un homme chérissait éperdument sa chatte;
Il la trouvait mignonne, et belle, et délicate,
Qui miaulait d'un ton fort doux . . .

oder im Wiesel III. 17:

Demoiselle belette, au corps long et fluet,

Entra dans un grenier par un trou fort étroit:
Elle sortait de maladie.

Wie vollständig ist der erzählende Volksstil getroffen, der sich so gemüthlich bei allerlei Details aufhält, und doch den Faden nicht verliert! Die Naivität wird manchmal neckisch, schalkhaft, und köstlich witzig. So ruft er VIII. 7. aus:

Chose étrange! on apprend la tempérance aux chiens,
Et l'on ne peut l'apprendre aux hommes.

Von der Jungfer, die in Gefahr schwebt, wegen ihrer Prätensionen ledig zu bleiben, aagt er VII. 5: „Die Ruinen eines Hauses kann man repariren, aber die des Gesichtes nicht. Eine dumme Person VII. 15. heisst er ignorante à vingt-trois carats! Köstlich ist in der Fabel VIII. 8. das von ihm erfundene Wort pondeur, der Eierleger; und VIII. 9. die gesuchten Worte

der halb gelehrten Ratte: c'est quelque victuaille. Die Freundschaft ist bekanntlich etwas seltenes: deshalb versetzt er zwei treue Freunde in das wildfremde abgelegene Land Monomotapa VIII. 11. So weiss er überall mit einer Parenthese oder einzelnen Worten etwas Komisches einzuflechten und die Erzählung zu würzen.

Nicht minder versteht er es aber, einen ernsten erhabenen Ton anzuschlagen, z. B. in Eiche und Schilfrohr I. 22.

Comme il disait ces mots,

Du bout de l'horizon accourt avec furie
Le plus terrible des enfants

Que le nord eût portés jusque-là dans ses flancs.
... il déracine

Celui de qui la tête au ciel était voisine,

Et dont les pieds touchaient à l'empire des vents. Wie majestätisch der Anfang der pestkranken Thiere VII. 1:

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Was uns bei Lafontaine, den andern Dichtern seiner Zeit gegenüber, besonders in Erstaunen setzt, das ist die reiche Abwechslung und Lebendigkeit; bei ihm keine Spur von der Trockenheit und Einförmigkeit, welche die Deutschen der französischen Versification so oft vorwerfen. Er gebraucht allerdings in mehreren Stücken, im Adonis, im Traume von Vaux, in Philemon und Baucis, den sechsfüssigen jambischen Vers (oder nach der französischen Metrik den zwölfsylbigen Vers), den die Cäsur hinter dem dritten Fusse in zwei gleiche Theile theilt, das heisst also den verpönten Alexandriner. Allein, wie er ihn in den genannten Gedichten durch Wechsel der Casur freier behandelt, so weiss er ihn auch in den Fabeln auf eine ganz eigene Weise, welche freilich Lamartine getadelt, aber ohne alles Recht getadelt, durch kürzere, vier-, zweioder einfüssige Verse zu unterbrechen; und dies führt er so taktvoll aus, dass er keinen Verstoss gegen die prosodischen Regeln sich zu Schulden kommen lässt. Z. B. Wolf und Lamm I. 10.

Un agneau se désaltérait

Dans le courant d'une onde pure.

Un loup survient à jeun, qui cherchait aventure,
Et que la faim en ces lieux attirait.

Der Gebrauch der kürzeren Verse ist sogar so häufig, dass die zwölfsylbigen Verse nur sporadisch unter sechs-, acht- oder zehnsylbigen auftauchen. Wie nun überhaupt der französische Alexandriner selten die langweilige Eintönigkeit des deutschen haben kann (vorausgesetzt dass er schön gebildet sei), weil die stummen Sylben der französischen Sprache nie so bestimmt hervortreten können, wie die kurzen der deutschen, und überhaupt das französische Ohr keine Scansion kennt, sondern einen über den ganzen Vers sich erstreckenden Tonfall (cadence) sucht,*) so versteht es Lafontaine meisterhaft, dem Verse durch die Mannigfaltigkeit der Cäsur jene gemüthliche Einfachheit zu geben, welche der Erzählung sogleich den Charakter naturgetreuer, ungeschminkter Wahrheit und Ueberzeugung verleiht, ohne dadurch in das andere Extrem, in gereimte Prosa zu fallen. Nur zwei Beispiele dieser so einfachen und doch schönen Versification: der Gärtner und sein Herr IV. 4:

Un amateur du jardinage,

Demi bourgeois, demi-manant,
Possédait en certain village

Un jardin assez propre, et le clos attenant.

Ce maudit animal vient prendre sa goulée
Soir et matin, dit-il, et des piéges se rit;
Les pierres, les bâtons, y perdent leur crédit:
Il est sorcier, je crois . . .

Häufig bringt Lafontaine, sei es durch die Wahl der Worte, sei es durch Rhythmus oder Cäsur onomatopoetische Effekte hervor. Die Reisekutsche und die Fliege VIII. 9. Dans un chemin montant, sablonneux, malaisé,

Et de tous les côtés au soleil exposé

Six forts chevaux tiraient un coche.

*) Wir erinnern an die bekannte schöne Cadenz im Columbus des Delavigne:

Et son doigt le montrait, et son oeil, pour le voir,
Perçait de l'horizon l'immensité profonde etc.

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